RG, 04.11.1918 - VI 241/18
Inwiefern hat neben dem Ladeninhaber und Mieter auch der Hauseigentümer für die Verkehrssicherheit der Zugänge zu dem Laden einzustehen?
Tatbestand
Die Klägerin ist am 31. Januar 1917 beim Verlassen des im Hause der Beklagten an der Augsburgerstraße zu Berlin befindlichen Ladens des Bäckermeisters H. auf dem vor der Ladentür liegenden Eisenrost infolge von Glatteis zu Fall gekommen und macht für die Folgen des Unfalls für ihre Erwerbsfähigkeit die Beklagte verantwortlich, von der sie auch Ersatz der Kurkosten sowie ein Schmerzensgeld verlangt. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Vorinstanz zurückverwiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Urteile beider Vorinstanzen nehmen an, daß für den verkehrssicheren Zustand des Kellerrostes bei Glatteis nicht die Beklagte als Hauseigentümerin, sondern der Mieter und Ladeninhaber Bäckermeister H. zu sorgen habe, der einen Verkehr zu seinem Laden eröffnet habe. Das Berufungsgericht führt aus: ursprünglich habe die Klägerin ein Verschulden der Beklagten darin gesehen, daß nicht mit abstumpfendem Material gestreut worden sei; jetzt finde sie - da auf dem Eisenrost dieses Material nicht haften könne - das Verschulden darin, daß keine Vorrichtung getroffen sei, die ein Ausgleiten hindere. Eine Haftung der Beklagten könne nur aus ihren Pflichten als Hauseigentümerin abgeleitet werden. Ein Verkehrsbedürfnis, derartige schmale Eisenroste unmittelbar an der Hauswand zu sichern, bestehe nicht, da der Verkehr der Passanten dort sich nicht bewege,- die den breiten Bürgersteig zur Verfügung hätten. Der hier fragliche Rost liege nun allerdings vor einer in das Haus führenden Tür; es möge deshalb eine Pflicht bestehen, ihn zum Schutze der Ein- und Ausgehenden von Glätte freizuhalten. Sie liege aber nicht dem Besitzer des an der Straße liegenden Hauses als solchem, sondern demjenigen ob, der den Verkehr durch die Tür eröffnet habe. Das sei hier der Mieter, dem der Vermieter nur die Berechtigung gebe, den Verkehr zu eröffnen.
Die Revision will nicht bemängeln, daß in erster Linie der Mieter und Ladeninhaber die Verpflichtung der Sicherung des Rostes habe. Daneben treffe die Pflicht aber auch den Hausbesitzer. Denn es handle sich um eine Verkehrsgefahr, die aus der Anlage des Rostes von vornherein entspringe; es handle sich um eine gefährliche Beschaffenheit des Hauses, zu dem überhaupt und allgemein der Eigentümer für jeden Mieter und jeden Besucher den Verkehr eröffnet habe.
Der Revision war stattzugeben.
Die Vermietung des Ladens und die Sorgfaltspflicht des Mieters hinsichtlich der Verkehrssicherung der Ladenzugänge, im gegebenen Falle der Sicherung des zum Laden verkehrenden Publikums vor den Gefahren, welche durch dir Einrichtung des unmittelbar vor der Ladentür befindlichen Eisenrostes für die den Laden besuchenden Personen sich ergeben, schließt die Mitverpflichtung des Hauseigentümers nicht aus, wenn es sich um Gefahren handelt, die durch den vom Eigentümer zu vertretenden baulichen Zustand und die Einrichtungen im und am Hause selbst verursacht sind. Auch wenn der Mieter im Mietvertrag ausdrücklich ober neben diesem stillschweigend die Verkehrssicherungspflichten gegen die Ladenbesucher übernommen hat, und wenn davon abgesehen der Mieter als derjenige, der den Verkehr zu seinem Geschäfte und damit zu dem mit einem Gefahren bietenden Eingang versehenen Ladenraume eröffnet hat, für rechtlich verpflichtet erachtet werden muß, diejenigen Maßregeln zu treffen, die die Sicherheit der Ladenbesucher gewährleisten, bleibt daneben jene Sorgfaltspflicht des Eigentümers bestehen. Auch er handelt schuldhaft und wird verantwortlich für Unfälle, welche den das Geschäft des Mieters besuchenden Personen zustoßen, wenn die Gefahren durch Einrichtungen des Hauses bedingt waren, deren Gefährlichkeit ihm ersichtlich sein mußte, und er es schuldhaft unterlassen hat, sich um die Beseitigung dieser Verkehrsgefahren zu kümmern und eine Aufsicht darüber zu führen, daß der Mieter den von ihm übernommenen oder von selbst ihm obliegenden Verpflichtungen nachkommt. Ein solches Verschulden trifft den Hauseigentümer vor allem dann, wenn die Säumnisse des Mieters unter seinen Augen sich vollziehen, wenn er selbst im Hause wohnt und wahrnimmt oder bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen mußte, daß für die Verkehrssicherheit in Hinsicht auf jene Gefahren nicht gesorgt wird. Der Hauseigentümer hat den Laden vermietet, damit der Ladeninhaber dort sein Geschäft betreibe; er selbst hat dadurch die Räume zu einem Verkehr für das Publikum bestimmt. Gewiß wird in solchen Fällen eine Haftung den Hauseigentümer nicht unter allen Umständen treffen, wohl aber dann, wenn er wahrgenommen hat, daß der Mieter seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachkam, oder wenn ihm dies gar nicht hätte entgehen können. So hat sich das Reichsgericht auch in dem ähnlichen Falle RGZ. Bd. 92 S. 359 ausgesprochen.
Im gegebenen Falle lag nach der Darstellung der Beklagten selbst der etwa 2 Meter lange Rost hart unterhalb der Stufe zum Bäckerladen, mußte also beim Eintreten in diesen und beim Austreten aus ihm passiert werden. Es lag auf der Hand, daß bei eintretender Winterglätte, Eis- oder Schneebildung, der metallene Rost den Ladenbesuchern gefährlich werden konnte. Nach der unwidersprochenen Behauptung der Klägerin, die die Parteienbezeichnung beider Urteile bestätigt, wohnte die Beklagte selbst in dem Hause, kannte also den Zustand des Ladenzugangs. Ein Bestreuen mit abstumpfenden Stoffen kam bei einem Rost als Schutzmittel gegen die Gefahren der Glätte nicht in Betracht. Geeignete Sicherungsmittel waren nur das Umwickeln der Roststäbe mit Werg oder Stroh, wenn die Einrichtung des Rostes ein solches Umwickeln zuläßt, oder das Bedecken des Rostes mit einer Decke oder Matte als Belag, das hier allein als zweckdienlich in Frage zu kommen scheint. Da ein solcher Belag, wenn er nicht von besonderer Schwere oder Stärke ist, sich leicht verschiebt, muß für seine Befestigung Sorge getragen werden. Daß der Ladeninhaber, dem diese Maßnahmen in erster Reihe obliegen, in der angegebenen Weise zur Beseitigung der Gefahr geeignete Maßregeln trifft, darum hat sich auch der Hauseigentümer zu kümmern, dem der hart am Eingang zum Laden befindliche Eisenrost ebenfalls eine Sorge auferlegt, daß diese Einrichtung des Hauses nicht den nach dem Laden verkehrenden Personen zur Gefahr wird. Die Beklagte hat behauptet, daß der Bäckermeister H. ständig bei Winterglätte durch Auflegen einer dicken Strohdecke in der Breite der Ladeneingangstür und, soweit der Rost noch darüber hinausragte, durch Belegen mit dicker Pappe für die Verkehrssicherheit gesorgt habe, und daß der Eisenrost auch am Unfallstage in der geschilderten Weise geschützt gewesen sei. Ob das zutrifft und ob diese Art des Belegens des Rostes zur Herstellung eines sicheren Zustandes genügend war, so daß sich die Beklagte bei der Kenntnis, daß der Bäckermeister H. diese Sicherungsmaßregeln traf, beruhigen konnte, darauf wird es für die Beurteilung, ob der Beklagten eine Schuld an dem Unfälle beigemessen werden kann, ankommen. Die Beklagte hat weiter Selbstverschulden der Klägerin eingewendet, das sie nach § 254 BGB. des Schadensersatzanspruchs beraube, da sie nach dem Laden rückwärts blickend die Türschwelle überschritten habe, ohne auf die Schwelle zu achten, so daß sie nicht durch die gefährliche Glätte des Eisenrostes, die ja durch den Belag einer Strohdecke unschädlich gemacht worden sei, sondern infolge des unachtsamen Passierens der die Türschwelle bildenden Stufe zu Falle gekommen sei.
Auf die Feststellung dieser Tatsachen kommt es an; nicht aber kann von vornherein die Beklagte von jeder Sorgfaltspflicht als Hauseigentümerin aus dem Grunde freigesprochen werden, daß diese Pflicht allein dem Ladeninhaber obliege." ...