RG, 01.11.1918 - III 207/18

Daten
Fall: 
Haftung des Reichs für seine Beamten im Verkehr mit Kraftfahrzeugen
Fundstellen: 
RGZ 94, 102
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.11.1918
Aktenzeichen: 
III 207/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Verhältnis des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 zum Gesetze über die Haftung des Reichs für seine Beamten vom 22. Mai 1910.
2. Anwendbarkeit der §§ 844, 845 im Falle des § 839 BGB.

Tatbestand

Die 25 Jahre alte Tochter der klagenden Eheleute wurde am 26. Februar 1915 in Metz von einem Militärkraftwagen zu Boden geschleudert und starb bald darauf an den Verletzungen. Die Kläger führten den Unfall auf ein Verschulden des Wagenführers zurück und verlangten vom Beklagten Ersatz der Beerdigungskosten und Entschädigung für Entziehung des Rechtes auf Unterhalt und für entgehende Dienste. Die erste Instanz hielt ein Verschulden des Wagenführers nicht für erwiesen und erklärte den Klaganspruch nur nach Maßgabe des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Mai 1909 für teilweise berechtigt. Auf die Berufung der Kläger wurde nach dem Gesetze vom 22. Mai 1910 in Verbind. mit §§ 839, 844, 845 BGB. der Anspruch auf Zahlung der Beerdigungskosten und auf Entrichtung einer Geldrente für entgehende Dienste auf fünf Jahre von der Tötung an dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, die Ersatzpflicht für Entziehung des Rechtes auf Unterhalt festgestellt, im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht läßt die Anwendbarkeit des Kraftfahrzeuggesetzes dahingestellt und kommt zur Annahme einer Schadensersatzpflicht, indem es als Ursache des Unfalls und damit des Todes der Verletzten und des Schadens der Kläger eine fahrlässige Verletzung der ihm der Verletzten gegenüber obliegenden Amtspflicht durch den zu den Personen des Soldatenstandes gehörigen Wagenführer betrachtet und die Haftung für diese in Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt begangene Amtspflichtverletzung nach §1 Abs. 1 und 3 des Gesetzes vom 22. Mai 1910 in Verbind. mit §§ 839, 844, 845 BGB. dem beklagten Deutschen Reiche auferlegt.

Die Revision beschwert sich über die Nichtanwendung des Kraftfahrzeuggesetzes und meint, daß dieses Sondergesetz die vom Berufungsgericht angewendeten Vorschriften ausschließe oder doch die danach begründete Haftung auf das Maß des nach jenem Gesetze zu ersetzenden Schadens beschränke. Da nach § 10 KFG. im Falle der Tötung der Ersatzpflichtige zwar, wie nach § 844 BGB., für die Kosten der Beerdigung und für Entziehung des Rechtes auf Unterhalt Ersatz zu leisten hat, eine dem § 845 BGB. entsprechende Entschädigungspflicht für entgehende Dienste dagegen nicht besteht, so würde die Meinung der Revision dazu führen, daß die Kläger einen Anspruch der letzteren Art in keinem Falle hätten. Die Meinung der Revision ist jedoch nicht begründet. Sie ist schon deshalb abzulehnen, weil sie mit Zweck und Inhalt des Kraftfahrzeuggesetzes im Widerspruche steht. Das Gesetz soll mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit des Kraftwagenbetriebes eine Mindesthaftung auch für solche Fälle sichern, in denen eine Haftung für Schadensersatz nach allgemeinen Grundsätzen nicht oder nur mit Schwierigkeiten durchzuführen wäre. Dagegen liegt es nicht im Sinne des Gesetzes, die Anwendung von Bestimmungen auszuschließen, die, insbesondere beim Nachweise eines Verschuldens, eine weitergehende Haftung des Fahrzeughalters oder des Führers oder eine Haftung anderer Personen begründen. § 16 KFG., der nach § 18 Abs. 2 bei Haftung des Fahrzeugführers entsprechend anzuwenden ist, bestimmt denn auch ausdrücklich, daß die reichsgesetzlichen Vorschriften unberührt bleiben sollen, nach denen der Fahrzeughalter für den durch das Fahrzeug verursachten Schaden in weiterem Umfang als nach den Vorschriften dieses Gesetzes haftet oder nach denen ein anderer für den Schaden verantwortlich ist. In der Begründung zu § 10 des Entwurfs wird unter den Vorschriften, die unberührt bleiben sollen, der § 845 BGB. ausdrücklich angeführt. Eine ausschließliche Anwendung der Grundsätze des Kraftfahrzeuggesetzes würde aber auch mit dem Grundgedanken des hier anzuwendenden Gesetzes vom 22. Mai 1910 nicht zu vereinigen sein, das für sein Gebiet, die Ausübung öffentlicher Gewalt, die unmittelbare Haftung der Reichsbeamten und der ihnen gleichgestellten Personen des Soldatenstandes ausschließen und diese Haftung im vollen Umfange des § 839 BGB. dem Reiche auferlegt wissen will. Es ist nicht abzusehen, weshalb hiervon für den Fall der Schädigung durch ein Kraftfahrzeug eine Ausnahme gemacht werden sollte. Dem Kraftfahrzeuggesetze kann daher ein einschränkender Einfluß auch nicht in dem Sinne beigemessen werden, daß seine Vorschriften den Umfang des Schadensersatzes ausschließlich bestimmen.

Auch sonst ist ein Rechtsirrtum nicht ersichtlich. Insbesondere lassen sich Bedenken gegen die Anwendbarkeit der §§ 844, 845 BGB. nicht aus § 839 BGB. ableiten. Das Berufungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß die Anwendung jener Vorschriften die Verletzung einer Amtspflicht nur gegenüber der Getöteten, nicht gegenüber den jetzt klagenden Eltern voraussetzt. Die Sonderregelung, die die Haftung der Beamten im § 839 gefunden hat, mag für das Gebiet dieser Vorschrift zu einer Ausschließung oder Einschränkung der in den §§ 823 flg. aufgestellten Voraussetzungen für die Haftung wegen unerlaubter Handlungen führen, wie z.B. für das Verhältnis des § 839 zum §823 schon wiederholt ausgesprochen worden ist (RGZ. Bd. 74 S. 252, Bd. 87 S. 347). Die Vorschriften der § 842 flg. über den Umfang der Ersatzpflicht, wozu auch die Regelung der Ansprüche Dritter in den §§ 844, 845 gehört, gelten aber im Falle des § 839 ebenso wie bei anderen unerlaubten Handlungen (vgl. RGZ. Bd. 91 S. 9)."