RG, 01.12.1879 - VI 503/79

Daten
Fall: 
Nullitätsklage
Fundstellen: 
RGZ 1, 225
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.12.1879
Aktenzeichen: 
VI 503/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgerichtskommission Striegau.
  • Appellationsgericht Breslau.
Stichwörter: 
  • Bedingung einer Nullitätsklage durch vorherige strafrichterliche Verurteiltung

Ist die Anstellung der Nullitätsklage aus §. 2 Nr. 1 A.G.O. I.16 durch die vorherige strafrichterliche Verurteilung bedingt?

Tatbestand

Der Kläger war als beweisfällig abgewiesen worden, weil der einzige von ihm vorgeschlagene Zeuge seine Angaben nicht bestätigte. Er stellte hiernächst die Nullitätsklage an, indem er ausführlichen Beweis darüber antrat, daß das negative Zeugnis wahrheitswidrig abgegeben sei, und erwirkte ein Urteil, welches diesen Beweis für erbracht erklärte. Auf Appellation des Beklagten wurde jedoch die Klage abgewiesen, weil dieselbe vorgängige Verurteilung wegen Meineides erfordere. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers rügte Verletzung der Bestimmungen in A.G.O. Einleitung §§. 1, 65, 66; I, 16 §§. 1, 2 Z. 1 und der Rechtsgrundsätze, daß die Entscheidung des Strafrichters für den Civilrichter, welcher über einen Entschädigungsanspruch zu entscheiden hat, in der Beurteilung der Beweisfrage nicht maßgebend ist, soweit besondere gesetzliche Bestimmungen nicht das Gegenteil rechtfertigen (Obertribunals-Präjudiz Nr. 2676), und daß bei der Entscheidung über die Nullitätsklage, durch welche ein auf die eidliche Aussage eines Zeugen gegründetes Urteil als nichtig angegriffen wird, das Urteil des Strafrichters über die gegen den Zeugen wegen der betreffenden Aussage erhobene Anklage wegen Meineides nicht maßgebend ist.

Das Reichsgericht verwarf die Nichtigkeitsbeschwerde aus folgenden

Gründen

"Es würde erst im Falle der Anerkennung eines dieser Nichtigkeitsgründe in Frage kommen, und kann deshalb dahingestellt bleiben, ob gegenüber dem §. 7 des Gesetzes vom 11. März 1850 betr. die Aufhebung der Cirkularverfügung vom 8. Febr. 1799 u.s.w. (G.S. S. 174) und der historischen Entwickelung des Injurienprozesses im Gebiete der Allgemeinen Gerichtsordnung die Nullitätsklage des Tit. 16 der letzteren im I. Teil auf die im 34. Titel abgesondert behandelten Injuriensachen überhaupt Anwendung leide. Allein die bezeichneten Gesetzesvorschriften, wenn darin Rechtsgrundsätze und nicht Prozeßvorschriften überall anzunehmen wären, sind nicht verletzt und die aufgestellten Rechtsgrundsätze nicht einschlagend, bezw. nicht als bestehend anzuerkennen.

Der §. 1 der Einleitung zur A.G.O. enthält nur ein allgemeines Axiom, das für die unmittelbare Anwendung erst durch die gesetzgeberische Verwertung in Specialbestimmungen brauchbar wird und lediglich die prozessuale Abgrenzung der Kompetenz der Gerichte zur Entscheidung in Privatrechtsstreiten gegenüber publizistischen Streitfällen ausspricht. Der in A.G.O. Einleit. §§. 65, 66, und I, 16 §. 1 aufgestellte Satz von der Unanfechtbarkeit rechtskräftiger Urteile kann nicht durch falsche Anwendung verletzt sein, weil die Anfechtung nicht für unzulässig, sondern auf Grund anderweiter Vorschriften für unbegründet erklärt ist, und der Satz von der selbständigen Beweisprüfung des Civilrichters in betreff eines zur Schadensersatzleistung verpflichtenden Vergehens nicht durch unterlassene Anwendung, weil es sich im vorliegenden Falle nicht um Entschädigungsansprüche aus dem falschen Zeugeneide handelt, und ohnehin eine besondere gesetzliche Vorschrift - die des §. 2 Z. 1 des Tit. 16 - in Frage steht.

Was aber diesen Paragraphen selbst anlangt, so kann die ihm in dem zweiten aufgestellten Rechtssatze gegebene Auslegung nicht gebilligt werden. Das preußische Recht hat im Gebiete des Strafrechtes, welchem auch die Injurien angehören, in §§. 151, 153 der Verordnung vom 3. Jan. 1849 dem Verurteilten eine Restitution regelmäßig nur dann zugestanden, wenn das Verbrechen des Meineides durch eine Untersuchung erst rechtskräftig festgestellt worden. Aber auch dann, wenn man nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde die Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage des Tit. 16 für Rechtsgrundsätze hält, und die eben erwähnte Bestimmung, als eine dem Strafprozeß ungehörige, bei Injurienklagen, die im Wege des Civilprozesses zu verhandeln für nicht einschlagend ansieht, muß der Gedanke, daß der §. 2 Z.1 eine andere Nachweisung des Meineides als durch ein strafrichterliches Urteil gestatte, als nach dem Sinne wie dem Wortlaute nicht berechtigt zurückgewiesen werden. An sich gehört die Feststellung einer Strafthat dem Strafrichter. Daß, wo es sich um civilrechtliche aus einer Strafthat herzuleitende Ansprüche handelt, die Selbständigkeit des darüber urteilenden Civilrichters anerkannt ist, läßt keinen Schluß darauf zu, daß nicht bei einem so außerordentlichen Mittel, als die Nichtigkeitsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil ist, dessen Zulassung von anderweit festgestellten Thatsachen abhängig sein sollte, wie denn auch die C.P.O. im §. 544 die vorherige strafgerichtliche Behandlung der Frage, um die es sich handelt, nicht anders, als die St.P.O. in §. 404 normiert, während das Einführungsgesetz zur ersteren im §. 14 Z. 1 Vorschriften außer Kraft treten läßt, welche das Strafurteil für präjudiziell in Civilprozessen wegen Schadensersatzes erklären. Auch läßt sich nicht verkennen, daß der §. 24 desselben Titels eine dem §. 2 Z. 1 sehr verwandte Frage behandelt; für jenen Fall ist eben in der preußischen Judikatur bereits wiederholt das Erfordernis eines Strafurteiles für weitere Rechtsbehelfe angenommen worden."