RG, 26.04.1884 - V 433/83
1. Ist gegen ein Urteil, welches unter den Voraussetzungen des §. 237 C.P.O. über die Verpflichtung des Rechtsnachfolgers zur Übernahme des Prozesses in dessen gegenwärtiger Lage entscheidet, die Berufung zulässig?
2. Kann die Verpflichtung eines Grundeigentümers, die Benutzung eines Flusses zum Betriebe einer Mühle zu gestatten, deshalb nicht die Natur einer Grundgerechtigkeit haben, weil dieser Grundeigentümer verbunden ist, das betreffende Wehr im Flusse zu unterhalten?
Aus den Gründen
"Die klagende Handelsgesellschaft behauptet als Eigentümerin des Mühlengrundstückes Nr. 39 T, daß bei dem Abverkauf desselben von dem Rittergute R. von dem damaligen Besitzer des Rittergutes in dem Vertrage vom 2. September 1766 dem Erwerber der Mühle das Recht eingeräumt worden sei, zum Zwecke der Zuleitung des Mühlwassers - Mühlwehr und Mühlgraben auf dem Rittergute T. und dem dazu gehörigen Theile der Neisse - in der im Vertrage beschriebenen Verfassung dauernd zu haben, und daß der veräußernde Rittergutsbesitzer sich dabei auch verpflichtet habe, das Wehr zu unterhalten.
Die Klägerin hat gegen die Erben des Rittergutsbesitzers Sch. Klage erhoben mit dem Antrage,
zu erkennen, daß dieselben als Erben des genannten Vorbesitzers und als gegenwärtige Eigentümer des Rittergutes N. schuldig, ihre Verpflichtung zur Tragung der Baulast des Wehres auf der Neisse bei T. anzuerkennen, auch schuldig wegen verabsäumter Erfüllung dieser Verpflichtung eine gewisse Entschädigung zu zahlen.
Im Laufe der ersten Instanz haben die Sch.'schen Erben das Rittergut R. an den Rittergutsbesitzer M. aufgelassen.
Die Klägerin hat in dem Schriftsatze vom 13. April 1883 beantragt,
daß der Rechtsnachfolger der Beklagten, Rittergutsbesitzer M. als eingetragener Eigentümer des Rittergutes R,, den Rechtsstreit in der Lage, in welcher er sich befindet, als Hauptpartei übernehme, soweit als dieser Rechtsstreit die Verpflichtung des Eigentümers des genannten Rittergutes betrifft, die Baulast des Wehres auf der Neisse bei T. zu tragen, und den Rittergutsbesitzer M. unter Zustellung dieses Schriftsatzes, der Klage, Klagebeantwortung und der Beweisverhandlungen zur mündlichen Verhandlung über diesen Antrag geladen.
Der Rittergutsbesitzer M. hat eingewendet, daß er zum Eintritt in den Prozeß gemäß §. 238 C.P.O. nicht verpflichtet sei, weil die beanspruchte Berechtigung eine auf einem privatrechtlichen Titel beruhende Reallast und bei mangelnder Eintragung im Grundbuche auf ihn nicht übergegangen sei.
Demnächst hat das Landgericht zu Görlitz in dem als Zwischenurteil bezeichneten Erkenntnisse vom 29. Mai 1883 erkannt, Klägerin wird mit ihrem Antrage, daß der Rechtsnachfolger der beklagten Sch.'schen Erben, Rittergutsbesitzer M., als eingetragener Eigentümer des Rittergutes R. den Rechtsstreit in der Lage, in welcher er sich jetzt befindet, als Hauptpartei zu übernehmen habe, abgewiesen; und es ist vom Oberlandesgericht zu Breslau unterm 10. Oktober 1883 die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen worden.
Die von der Klägerin eingelegte Revision erscheint begründet. Nach §. 237 C.P.O. ist, wenn über das Bestehen einer Verpflichtung gestritten wird, welche auf einem Grundstücke ruhen soll, im Falle der Veräußerung des Grundstückes der Rechtsnachfolger auf Antrag des Gegners verpflichtet, den Rechtsstreit in der Lage, in welcher er sich befindet, als Hauptpartei zu übernehmen. Gemäß §. 238 a. a. O. kommen diese Bestimmungen aber insoweit nicht zur Anwendung, als ihnen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über den Erwerb auf Grund des Grund- oder Hypothekenbuches entgegenstehen. Der Berufungsrichter tritt dem Beklagten M. darin bei, daß die streitige Verpflichtung keine Grundgerechtigkeit, sondern eine auf einem privatrechtlichen Titel, auf dem Vertrage vom 2. September 1766 beruhende Reallast sei, und daß dieselbe bei der mangelnden Eintragung im Grundbuche nach §. 12 des Eigentumserwerbsgesetzes vom 5. Mai 1872 und §. 73 der Grundbuchordnung gegen den Beklagten als dritten Erwerber nicht geltend gemacht werden könne. Der Berufungsrichter trennt das dem Mühlengrundstücke der Klägerin zustehende unbestrittene Recht auf den Bezug des Wassers aus der Neisse von der dem Gutsherrn angesonnenen Verpflichtung, das Wehr für jenen Bezug fortgesetzt imstande zu halten. Er hält die Berechtigung zum Wasserbezuge für eine Grundgerechtigkeit und die Wehrbaulast für eine zu dieser Grundgerechtigkeit zwar in Beziehung stehende, aber selbständige Reallast und nimmt zwei Rechte, bezw. zwei Lasten an, von denen jede ihre selbständige Bedeutung, jede ihre in sich selbständige Existenz hat. Er sagt sodann wörtlich,
"daß im übrigen der strittigen Baulast, diese für sich ins Auge gefaßt, nicht der Charakter einer Servitut, sondern der einer Reallast zu vindizieren, kann, angesehen die landrechtlichen Bestimmungen über Grundgerechtigkeiten, nicht zweifelhaft sein. Das ergeben §§. 11 flg. A.L.R. I. 22, nach welchen Grundgerechtigkeiten (s. Marginale) lediglich in Einschränkungen des Grundeigentümers in der freien Ausübung seiner Eigentumsrechte, also in einem negativen Verhalten, nie aber in Handlungen, in einer positiven Thätigkeit bestehen. Und damit stimmt auch nur überein, was weiterhin der §. 30 jenes Titels und die folgenden Paragraphen bestimmen."
Die Revision findet in dieser Ausführung ein Verkennen der Natur der Grundgerechtigkeit. Der schon im römischen Rechte nicht ganz ausnahmslos (so bei der servitus oneris ferendi) geltende Satz, daß mit einer Grundgerechtigkeit nicht ein Thun des Besitzers des verpflichteten Grundstückes verbunden sein kann,1 ist zwar auch im Allgemeinen Landrecht aufrecht erhalten. Auch die landrechtliche Grundgerechtigkeit hat im wesentlichen ein negatives Verhalten des Besitzers des verpflichteten Grundstückes, Nichtthun oder Leiden zum Gegenstände,2 und in diesem Begriffe der Servitut im Gegensatze zur Reallast ist in den die Landeskultur betreffenden Gesetzen nichts geändert.3
Dieser Satz gilt aber im Allgemeinen Landrecht nicht ohne Einschränkung. Die §§. 35 flg., und für einen speziellen Fall die §§. 55 bis 58 a. a. O. enthalten Ausnahmen. So bestimmt §. 35 allgemein, daß, wenn der Berechtigte die Grundgerechtigkeit durch einen lästigen Vertrag erworben hat, der Verpflichtete schuldig ist, sein Grundstück auf eigene Kosten in der Verfassung zu erhalten, daß der Berechtigte seine Befugnis darauf ausüben kann. Mit dem Satze, daß mit einer Grundgerechtigkeit niemals ein Handeln des Verpflichteten verbunden sein könne, läßt sich also nicht die Annahme rechtfertigen, die Wehrbaulast sei eine selbständige Reallast und dürfe wegen dieses Satzes nicht als eine mit der vorliegenden Grundgerechtigkeit - Gewährung des Betriebswassers zur Mühle - engverknüpfte Leistung angesehen werden. Diese Anschauung, welche man in der Begründung des Berufungserkenntnisses finden muß, ist rechtsirrtümlich. Wiederholt hat das preuß. Obertribunal angenommen, daß es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Grundgerechtigkeit oder eine Realberechtigung im engeren Sinne vorliege, darauf ankomme, ob im wesentlichen die Verbindlichkeit des Besitzers des verpflichteten Grundstückes darin besteht, daß er etwas nicht thun darf oder dulden muß, oder darin, daß er Handlungen zu leisten hat.4
Von diesen Grundsätzen aus wird der von der Klägerin zur Begründung ihrer Berechtigung in bezug genommene Vertrag vom 2. September 1766 zu prüfen und vom Berufungsrichter unter Erwägung des Sachverhaltes zu entscheiden sein, ob die gesamte Berechtigung - Gewährung des Betriebswassers zur Mühle, verbunden mit der Wehrbaulast - als eine Grundgerechtigkeit oder als eine Reallast zu erachten ist. Im ersteren Falle steht die unterlassene Eintragung im Grundbuche und die Ausnahmebestimmung in §. 238 C.P.O. dem Beklagten M. nicht zur Seite.
Der Beklagte M. hat für den Fall, daß die Revision nicht aus materiellen Gründen zurückgewiesen werden sollte, beantragt, die Berufung gegen das als Zwischenurteil bezeichnete erste Erkenntnis als unstatthaft zu erklären, weil die Berufung gegen Zwischenurteile überhaupt nicht zulässig sei. Es fragt sich also, ob das erste Urteil ein Zwischenurteil ist, und ob namentlich ein solches, welches auch bezüglich der Rechtsmittel nicht als Endurteil angesehen werden darf.5
Man könnte versucht sein, das im §. 237 C.P.O. dem Kläger ertheilte Recht, bei dem Streite über eine einem Grundstücke angesonnene Verpflichtung von dem späteren Erwerber des Grundstückes zu verlangen, daß er den Rechtsstreit in der Lage, in welcher er sich befindet, als Hauptpartei übernehme, für einen ihm durch das Gesetz gewährten selbständigen Anspruch zu halten,6 über welchen dann wegen dieser seiner Selbständigkeit durch Endurteil und unter Zulassung der Berufung zu entscheiden sein würde (§§. 272. 472 C.P.O.).
Eine gewisse Rechtfertigung für diese Anschauung würde darin liegen, daß das in einem Prozesse geltend gemachte Recht, im vorliegenden Falle also der von der Klägerin erhobene Anspruch, daß die Besitzer des Rittergutes R. die Verpflichtung zum Wehrbau anerkennen, im Laufe des Prozesses unter Einwirkung der Prozeßgesetze aus verschiedenen Gründen, z. B. wegen nicht fachgemäßer Verteidigung des Beklagten, eine ganz andere rechtliche Gestalt annehmen kann, sodaß das rechtliche Verhältnis des Besitznachfolgers, der genötigt wird, den Prozeß in seiner jetzigen Lage zu übernehmen, möglicherweise ein ganz anderes sein kann, als wenn gegen ihn ein neuer Prozeß angestellt würde. Die Civilprozeßordnung hat aber eine solche Trennung des Streites über die Verpflichtung zur Prozeßübernahme von dem Streite über den im Prozesse verhandelten Anspruch selbst nicht angeordnet. Sie behandelt vielmehr den ersteren Streit als bloße die Passivlegitimation des Rechtsnachfolgers im Hauptprozesse betreffende Zwischenfrage. Wenn der Kläger auf Grund des §. 237 C.P.O. den Antrag stellt, daß ein Dritter als angeblicher Rechtsnachfolger des Beklagten den Prozeß in der Lage, in welcher er sich befindet, als Hauptpartei übernimmt, so wird der Dritte durch Zustellung der diesfälligen Ladung ohne weiteres als Partei mit dem Prozesse ebenso befaßt, wie dies bezüglich des ursprünglich Beklagten durch Zustellung der Klage der Fall ist (§. 230 C.P.O.). Die Behauptungen, welche der Kläger zur Rechtfertigung seines Antrages aus §. 237 über die angebliche Rechtsnachfolge aufstellt, bilden die Grundlage zur Beurteilung der Sachlegitimation des Dritten. Es bleibt dem Ermessen des Gerichtes anheimgestellt, ob dasselbe gemäß §. 137 a. a. O. die Verhandlung zunächst auf die Feststellung der Passivlegitimation des Rechtsnachfolgers einschränken will. Befindet der Richter, daß der Dritte überhaupt nicht Rechtsnachfolger im Sinne des §. 237 a. a. O. ist, oder daß demselben die Ausnahmebestimmung in §. 238 zur Seite steht, so hat er den Kläger mit dem den Hauptanspruch selbst verfolgenden Klagantrage dem Dritten gegenüber abzuweisen. Es kommen dann die Erwägungen über das Vorhandensein der Voraussetzungen der §§. 237. 238 a. a, O. lediglich als Entscheidungsgründe für die Abweisung mit dem Klagantrage in Betracht. Daß ein solches Erkenntnis ein Endurteil und daß gegen dasselbe die Berufung zulässig ist, kann nicht zweifelhaft sein, denn es erledigt den Hauptanspruch gegen den Dritten endgültig. Erachtet dagegen der Richter den Dritten für verpflichtet, in den Prozeß einzutreten, also zur Sache für legitimiert, und will er diese Sachlegitimation durch ein besonderes Urteil feststellen, so hat dasselbe die Natur eines Zwischenurteiles, und es hängt dann von der nachfolgenden Entscheidung über den Hauptanspruch ab, ob gegen diese die Berufung zulässig ist.
Im vorliegenden Falle ist das vom ersten Richter unterm 29. Mai 1883 verkündete Urteil ein Endurteil. Es wird durch dasselbe ausgesprochen, daß der Klägerin der Anspruch auf Anerkennung der Wehrbaulast dem M. gegenüber nicht zusteht, und es erscheint bloß als eine nicht ganz korrekte Fassung des Tenors, daß in diesem nicht direkt die Abweisung der Klägerin mit diesem Ansprüche und bezüglich des M. ausgedrückt ist.
Bei der gegenwärtig angeordneten Zurückverweisung in die Berufungsinstanz wird also der Berufungsrichter für den Fall, daß er das streitige Recht für eine Grundgerechtigkeit erachtet, auf die ferneren sachlichen Anführungen beider Teile eingehen müssen, welche sie zur Begründung und bezw. zur Widerlegung des auf Anerkennung der Wehrbaulast gerichteten Klagantrages angeführt haben, und es ist im Tenor über diesen Anspruch gegenüber dem M. zu entscheiden.
Die vorliegende Entscheidung regelt übrigens lediglich das Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Rittergutsbesitzer M."
- 1. vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechtes Bd. 1. §§. 200. 201. 211g. Note 3 (5. Aufl. S. 635. 639. 673),
- 2. vgl. §§. 30 flg. A.L.R. I. 22,
- 3. Vgl. §§. 2. 31 der Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821; Ges. vom 2. März 1850 betreffend die Ergänzung der Gemeinheitsteilungsordnung Art. 1; Ges. vom 2. März 1850 betreffend die Ablösung der Reallasten §. 7.
- 4. Vgl. Erk. des Obertribunals, 2. Senat vom 13. Oktober 1859 in Entsch. Bd. 42 ,S. 196. 197; Erk. desselben Senats vom 18. Januar 1872 in Entsch. Bd. 68 S. 125.
- 5. Vgl. das unter "Prozeßrecht" abgedruckte Urteil des II. Civilsenates vom 25. April 1884. D. R.
- 6. vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechtes §. 43,