RG, 20.04.1884 - III 20/84

Daten
Fall: 
Anfechtbarkeit eines Erbeinsetzungsvertrags
Fundstellen: 
RGZ 11, 215
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.04.1884
Aktenzeichen: 
III 20/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Braunschweig
  • OLG Braunschweig

Kann ein Erbeinsetzungsvertrag wegen Verletzung des Noterbrechtes angefochten werden?

Tatbestand

Der ohne Nachkommenschaft verstorbene H. hatte in einem mit seiner Ehefrau abgeschlossenen Erbvertrage dieselbe zu seiner Universalerbin eingesetzt und seine Mutter, ohne sie zur Erbin einzusetzen, nur mit einer Geldsumme bedacht. Die letztere erhob gegen die erstere Klage auf Auskehrung ihres - landesrechtlich in der Hälfte des Nachlasses bestehenden - Intestaterbteiles, indem sie den Erbvertrag wegen Verletzung ihres Noterbrechtes als ungültig anfocht; eventuell verlangte sie Ergänzung ihres Pflichtteiles. Die Urteile der beiden ersten Instanzen entsprachen dem Prinzipalen Klagantrage; das Reichsgericht wies denselben ab und erkannte der Klägerin nur ihren Pflichtteil zu aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Entscheidung über die von den Vorinstanzen für begründet erachtete prinzipale Klage hängt ab von der Beurteilung der Kontroverse, ob ein Erbeinsetzungsvertrag wegen Unterlassung der Einsetzung eines Noterben angefochten werden kann. Die Vorinstanzen haben dieselbe im Anschluß an eine in der Litteratur verbreitete Meinung bejaht. Diese Meinung kann nicht gebilligt werden. Während eine Erbeinsetzung nach römischem Rechte nur durch Errichtung eines Testamentes vorgenommen werden konnte, ist daneben erst in dem neueren Rechte, im Anschluß an Einrichtungen des älteren deutschen Rechtes und in weiterer Ausbildung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit, die Statthaftigkeit eines Erbeinsetzungsvertrages zur Anerkennung gelangt. Daß durch diese Zulässigkeit einer neuen Form der Anordnung einer Universalsuccession an den materiellrechtlichen Grundsätzen des Erbrechtes, insbesondere an den Pflichtteilsrechten, welche auch gegen eine dieselben verletzende Vergabung unter Lebenden durch die querela inofficiosae donationis geschützt sind, nichts geändert worden ist, ist selbstverständlich und allgemein anerkannt. Anders verhält es sich aber mit den formellen Vorschriften des römischen Erbrechtes, zu welchen auch die Grundsätze desselben über den Anspruch eines Noterben auf Erbeinsetzung und über die Folgen der Präterition eines Noterben gehören. Da dieselben nicht auf innerer Notwendigkeit beruhen, sondern nur kraft positiver Gesetzesvorschrift gelten und da sie deshalb auch durch die Rezeption des römischen Rechtes nicht ohne weiteres zur Geltung gelangt sein können für ein Institut, welches dem römischen Rechte unbekannt war, so würde ihre Anwendbarkeit auf den Erbeinsetzungsvertrag bedingt sein durch den Nachweis, daß derselbe durch die Ausbildung, welche das moderne Recht ihm gegeben hat, diesen Vorschriften unterworfen worden sei. Dieser Nachweis ist aber nicht zu erbringen. Vielmehr besteht in den veröffentlichten Entscheidungen der obersten Gerichtshöfe Deutschlands allseitiges Einverständnis darüber, daß die Erfordernisse des formellen Noterbrechtes auf dm Erbeinsetzungsvertrag nicht anwendbar sind.1

Ebenso sind auch die noch viel wichtigeren Vorschriften des römischen Rechtes über die Testamentsform auf den Erbeinsetzungsvertrag nicht anwendbar, der vielmehr formlos errichtet werden kann2 und ist derselbe gleichfalls unbestrittenermaßen einer analogen Anwendung des Grundsatzes: " nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest", nicht unterworfen.

Die Unanwendbarkeit des formellen Noterbrechtes auf den Erbeinsetzungsvertrag entspricht auch der Vertragsnatur desselben. Der Inhalt eines Vertrages kann nur in demjenigen bestehen, was unter den Vertragskontrahenten vereinbart worden ist, und demnach auf Rechte dritter Personen sich nur dadurch erstrecken, daß der eine Kontrahent seinen Mitkontrahenten gegenüber eine Verpflichtung zu Gunsten eines Dritten übernimmt. Da nun durch die in einem Erbeinsetzungsvertrage verfügte Einsetzung eines Dritten zum Miterben des Vertragserben, ebenso wie durch die Enterbung eines Dritten, weder dem Vertragserben eine Verpflichtung gegen den Erblasser, noch dem Erblasser eine Verpflichtung gegen den Vertragserben auferlegt, hiermit vielmehr nur ein einseitiger Akt des Erblassers vollzogen sein würde, so folgt, daß diese Verfügungen in einem Erbeinsetzungsvertrage nicht vorgenommen werden können.

Hiernach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, die prinzipale Klage abzuweisen ... und der Klägerin nur die verlangte Ergänzung ihres Pflichtteiles zuzusprechen." ...

  • 1. Vgl. Seuffert, Arch. Bd. 4 Nr. 253; Bd. 5 Nr. 36; Bd. 9 Nr. 321; Bd. 11 Nr. 64 (Celle, entgegen einem älteren Urteile desselben Gerichtes in Bd. 1 Nr. 89); Bd. 4 Nr. 138 (Darmstadt); Bd. 7 Nr. 76 (Lübeck); Bd. 20 Nr. 147 (Kassel); Bd. 31 Nr. 151 (München); desgl. Urteil des IV. Civils. des R.G.'s v. 11. Januar 1883 i. S. Rapp g. Rapp. Rep. IV. 475/82.
  • 2. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 Nr. 33 S. 131,