RG, 20.04.1917 - II 545/16

Daten
Fall: 
Verjährungsvorschrift des § 477 BGB
Fundstellen: 
RGZ 90, 169
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.04.1917
Aktenzeichen: 
II 545/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Anwendbarkeit der Verjährungsvorschrift des § 477 BGB.

Tatbestand

Am 19. August 1914 kaufte die Klägerin von dem Beklagten 8000 kg Tee. Die Lieferung erfolgte Ende August 1914. Die Klägerin zahlte den Kaufpreis, beanstandete dann aber die Ware als nicht probemäßig. Darauf vereinbarten die Parteien ein Arbitrageverfahren. Die beiden Gutachter gaben ihren Spruch am 26. Januar 1915 ab. Sie erklärten die Ware für mangelhaft, äußerten sich jedoch nicht über die Höhe des Minderwertes. Die Klägerin berechnete den Minderwert auf mindestens 10.000 M und erhob am 30. April 1915 Klage auf Zahlung dieses Betrags. Der Beklagte machte neben sonstigen Einwendungen geltend, daß der Klaganspruch verjährt sei. In beiden Vorinstanzen wurde die Klage abgewiesen. Das Reichsgericht hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht zurück.

Gründe

"Beide Vorderrichter sind der Ansicht, daß die Einrede der sechsmonatigen Verjährung des § 477 BGB. durchgreife. Das Berufungsgericht führt dazu im wesentlichen aus: Nachdem sich die Parteien kurz nach dem 20. Dezember 1914 darüber verständigt hätten, daß eine Arbitrage stattfinden solle, sei der Beklagte vorübergehend zur Verweigerung der geschuldeten Leistung berechtigt gewesen (§ 202 BGB.), deshalb sei die Verjährung des erhobenen Gewährleistungsanspruchs, deren Lauf Ende August 1914 mit der Ablieferung begonnen habe, zwar bis zu der spätestens am 30. Januar 1915 erfolgten Bekanntgabe des Spruches der Gutachter, also sechs Wochen lang gehemmt, aber zur Zeit der Klagerhebung (30. April 1915) abgelaufen gewesen.
(Es folgt die Erörterung eines prozessualen Verstoßes. Dann wird fortgefahren:)

Das Urteil gibt aber auch sonst zu rechtlichen Bedenken Anlaß. Die Klägerin hat sich auf das Arbitrageabkommen nicht etwa nur berufen, um der Einrede der Verjährung zu begegnen, sondern sie hat schon bei der Begründung der Klage vorgetragen, es sei, und zwar nach der Erhebung ihrer, von dem Beklagten nicht als gerechtfertigt anerkannten, Mängelrüge vereinbart worden, daß sie die Ware gegen Preisminderung behalten solle und daß die der Minderung zugrundezulegenden Werte durch Arbitrage festzustellen seien. Was danach geltendgemacht wurde, ist nichts anderes als die Behauptung eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB. Die Klägerin hatte, wenn ihre Rüge berechtigt war, nicht nur Anspruch auf Herabsetzung des Kaufpreises, sondern es kamen noch andere Rechtsbehelfe - Wandelung, Schadensersatz wegen Nichterfüllung, Anspruch auf Lieferung von Ersatzware - in Betracht. Auf diese weiteren Rechtsbehelfe hätte sie verzichtet, während anderseits außer ihr auch der Beklagte sich verpflichtet hätte, in Ansehung der allein noch zulässigen Minderung die Beurteilung der Gutachter als maßgebend gelten zu lassen. Ferner wäre nach einer solchen Vereinbarung kein Raum mehr dafür gewesen, daß der Beklagte, wie er es im Prozesse getan hat. die Rechtzeitigkeit der Rüge noch beanstandete. Die Parteien hätten also im Wege gegenseitigen Nachgebens den Streit beseitigt, der darüber entstanden war, ob und welche Ansprüche der Klägerin aus der angeblichen Mangelhaftigkeit der Ware erwachsen waren. Dabei ist es für die Frage, ob das Vereinbarte als Vergleich im Sinne des Gesetzes anzusehen ist, unerheblich, daß es erst noch des Spruches der Gutachter bedurfte, um die Angelegenheit völlig zum Abschlusse zu bringen. Zur Beseitigung des Streites genügte es, daß die Parteien sich diesem Spruche im voraus gefügt hatten.

Hätten die Gutachter die ihnen nach der Behauptung der Klägerin zugedachte Aufgabe vollständig erledigt und hätte die Klägerin auf Grund eines solchen Gutachtens den Minderungsbetrag eingeklagt, dann wäre unbedenklich anzunehmen, daß die kurze Verjährung des § 477 nicht mehr Platz greife. Die Klägerin würde in diesem Falle nicht den gesetzlichen Minderungsanspruch geltend machen, sondern den ihr nach dem Vergleiche zukommenden Betrag fordern. Nun haben die Gutachter zwar festgestellt, daß überhaupt ein Minderwert vorhanden war, sich aber über seine Höhe nicht geäußert, und dementsprechend verlangt auch die Klägerin im Prozesse nur den von ihr selbst berechnen Minderungsbetrag. Hierdurch wird jedoch nach der Lage der Sache an der rechtlichen Natur des erhobenen Anspruchs nichts geändert. Wenn die Klägerin jetzt den von ihr selbst berechneten Betrag fordert, so beruht dies nicht etwa darauf, daß sie das Arbitrageabkommen nicht mehr geltendmachen würde. Sondern sie beruft sich nach wie vor auf das Abkommen und klagt einen von ihr selbst berechneten Betrag nur deshalb ein, weil die Gutachter die Bestimmung auf den Widerspruch des Beklagten gegen ihren, der Klägerin, Willen unterlassen hätten. Es liegt also nach ihrem Vorbringen ein Fall des § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB. vor. Die Klägerin verlangt, und zwar auf Grund des mit dem Beklagten Vereinbarten, daß die Bestimmung des Minderungsbetrags durch Urteil erfolge, nachdem der Dritte, dem sie überlassen wurde, sie bisher nicht getroffen hat, sei es, weil er sie nicht treffen kann oder will, sei es, weil er sie verzögert.

Damit erledigt sich auch die von dem Beklagten vertretene Auffassung, daß die Klägerin, ähnlich wie bei Schadensersatzansprüchen, deren Bezifferung noch nicht möglich ist, zur Verhütung der Verjährung eine Feststellungsklage hätte erheben können und müssen und daß deshalb das Berufungsurteil, indem es die Verjährung auch nur als gehemmt ansehe, der Klägerin schon zu weit entgegenkomme. Dieser Auffassung steht schon entgegen, daß der erhobene Anspruch überhaupt nicht der der kurzen Verjährung unterworfene gesetzliche Minderungsanspruch ist." ...