RG, 13.12.1883 - II 296/83

Daten
Fall: 
Prinzipien des gemeinrechtlichen Nachbarrechtes
Fundstellen: 
RGZ 11, 341
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.12.1883
Aktenzeichen: 
II 296/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Karlsruhe
  • OLG Karlsruhe

Gelten im Gebiete des französischen Civilrechtes die Prinzipien des gemeinrechtlichen Nachbarrechtes? Haftet danach der Eigentümer dem Nachbar unbedingt für die Immission von Wasser nicht nur bezüglich der negatorischen Klage, sondern auch hinsichtlich des Schadensersatzes?

Aus den Gründen

"Nach dem unbestrittenen Sachverhalts hat der Beklagte im Jahre 1881 an die Giebelmauer des dem Kläger gehörigen, bereits bewohnten Hauses ein Wohngebäude angebaut, und aus diesem Neubau ist Wasser in die Giebelwand des Klägers eingedrungen, welches dort auf der Innenseite feuchte Stellen mit Schimmelbildung erzeugte und dem Kläger erheblichen Schaden verursachte.

Nur auf Ersatz dieses Schadens, vorbehaltlich der Richtigstellung, ist die erhobene Klage gerichtet, also die negatorische Klage auf Abstellung der Wasserimmission oder Anbringung von Vorkehrungen zu diesem Zwecke nicht angestellt.

Das Landgericht Karlsruhe hat die Verurteilung des Beklagten auf dessen Verschulden, nämlich auf L.R.S. 1382. 1382 a gestützt und deshalb die Verurteilung zum Ersatze des noch festzustellenden Schadens auf denjenigen Schaden beschränkt, welcher durch das allzustarke Naßmachen der Backsteine bei Aufführung der beklagtischen Giebelmauer und die hierdurch verursachte Feuchtigkeit im Hause des Klägers entstanden ist.

Auf einem anderen Standpunkte befindet sich das Berufungsgericht, indem es auf die Anschließungsbeschwerde des Klägers den Beklagten unbeschränkt zum Ersatze des durch die Immission von Wasser aus dessen Giebelwand in jene des Klägers verursachten Schadens verurteilt und ausgesprochen hat, daß es auf ein Verschulden nach L.R.S. 1382. 1383 nicht ankomme.

Zunächst ist nun die Frage zu prüfen, ob der in L.R.S. 544 aufgestellte absolute Eigentumsbegriff überhaupt eine andere Beschränkung als durch Gesetze und Verordnungen gestattet, ob insbesondere das s. g. Nachbarrecht vom französischen Rechte anerkannt ist, d. h. ob die Rücksicht auf den Nachbar dem Eigentümer gewisse Beschränkungen bei Ausübung seines Rechtes auferlegt.

Unter dem Namen von Legalservituten hat das französische bürgerliche Gesetzbuch dem Eigentume verschiedene Beschränkungen auferlegt,, und zwar auch solche der Eigentümer gegen einander (L.R.S. 651) ohne aber zur Aufstellung eines allgemeinen Prinzipes zu gelangen. obwohl der vom Berufungsgerichte herangezogene L.R.S. 674 für gewisse, an sich erlaubte Anlagen eine Vorschrift enthält, welche dem Eigentümer verbietet, durch diese Anlagen seinem Nachbar Schaden zuzufügen.

Daraus darf gefolgert werden, daß dem französischen Civilrechte die Lehre des Nachbarrechtes nicht widerstrebt.

Dies würde für das Großherzogtum Baden, wo nach §. 3 des II. Einführungsediktes zum Landrechte (vgl. L.R.S. 4b) das römische Recht subsidiäre Geltung hat, genügen, um auf das gemeine Recht zu rekurrieren, in welchem das Nachbarrecht in einer Reihe von Gesetzesstellen anerkannt ist.

Allein dies Prinzip muß auch für das französische Civilrecht angenommen werden. Gerade weil jeder Grundeigentümer das gleiche absolute Recht zur Benutzung seines Eigentumes hat, müssen sich die Nachbarn gegenseitig Rücksicht tragen, indem der eine das Erträgliche sich gefallen läßt und der andere sich solcher Handlungen auf seinem Grundstücke enthält, welche in unstatthafter Weise auf, das Eigentum des anderen einwirken. Schon Pothier hat dies gelehrt, indem er der Definition des Eigentumes die Beschränkung beifügte " sans donner néanmoins atteinte au droit d'autrui" (Traité du domaine de propriété Nr. 13) und indem er in dem zweiten Anhange zum Traité du contrat de société Nr. 235 flg. von den Verpflichtungen aus der Nachbarschaft handelt und die römischrechtlichen Bestimmungen anwendet. Das Prinzip ist auch in der neuen französischen Doktrin und Praxis1 im allgemein anerkannt, und seine Anwendung auf den vorliegenden Fall unterliegt keinem Bedenken, weil es sich um eine schädliche Immission von Wasser aus dem einen in das andere Grundstück handelt, für welche auch die Analogie des L.R.S. 674 direkt verwertet werden kann.2

Eine solche Immission sich gefallen zu lassen, ist der Nachbar nicht verpflichtet, und er kann mit der negatorischen Klage vom anderen fordern, daß dieser die Immission von Wasser unterlasse und beseitige, schon aus dem Grunde, weil die Immission objektiv widerrechtlich ist.

In dieser Beziehung ist es also unerheblich, ob der Eigentümer die Immission gewollt hat oder nicht, ob sie auf einer an sich berechtigten oder auf einer unberechtigten Benutzung des Eigentums beruht, und ob sie als Folge einer Handlung vorhergesehen werden, also mindestens zur Verschuldung zugerechnet werden kann.

Allein, wie oben bemerkt, liegt hier die Negatorienklage nicht vor, indem der Kläger nur Schadensersatz für die Folgen der Immission fordert. Als Konsequenz des Nachbarrechtes kann anerkannt werden, daß auch für die Entschädigungsforderung es einer Prüfung der Frage nicht bedarf, ob die Handlung, welche als Ursache einer schädlichen Immission von Wasser erscheint, den Charakter eines Vergehens oder Versehens hat, denn eine solche Immission ist schon an sich rechtswidrig.

Aber in anderer Richtung ist für die Schadensersatzforderung das Moment der subjektiven Verschuldung unentbehrlich.3

Wie nämlich im diesseitigen Urteile vom 6. November 18834 dargelegt ist, beruht die civilrechtliche und die strafrechtliche Verantwortung für Kulpa auf der Voraussetzung, daß der Erfolg bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Mannes vorhergesehen werden konnte, weil ohne die Möglichkeit der Voraussicht nur Zufall oder höhere Gewalt vorliegt, für welche ohne besonderen Rechtsgrund niemand haftet.

Dies auf den vorliegenden Fall angewendet, in welchem von absichtlicher Schadenszufügung keine Rede ist, mußte der Beklagte, um entschädigungspflichtig zu sein, bei Anwendung gehöriger Sorgfalt als möglich vorhersehen können, daß durch seinen Neubau die Nachbarwand des Klägers feucht werden würde.

Die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichtes nehmen aber anscheinend eine absolute Haftbarkeit des Beklagten für die fragliche Immission an, wie sie zwar gegenüber der negatorischen Klage begründet wäre, die aber nach der obigen Erörterung bei der hier allein in Frage stehenden Entschädigungspflicht als rechtsirrtümlich erscheint. Bei Ablehnung der über die schlechte Beschaffenheit der klägerischen Giebelmauer als Ursache des Eindringens von Wasser erbotenen Beweise ist vom Berufungsgerichte nicht erwogen, daß seine Annahme, bei dem Anbau an eine mangelhafte Mauer sei doppelte Vorsicht nötig, nur dann zutreffend ist, wenn bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt dieser Zustand der Mauer wahrnehmbar gewesen ist, also die leichtere Möglichkeit einer Beschädigung vorhergesehen werden konnte. Ebenso konnte der unter Beweis gestellte Umstand, daß während der Regenzeit die Giebelmauer des Beklagten gegen das Regenwasser ordnungsgemäß geschützt war, in der Richtung erheblich werden, ob der Übergang des Regenwassers aus seiner Mauer in jene des Klägers vom Beklagten vorhergesehen werden konnte, was gar nicht erwogen ist.

Scheint auch an anderen Stellen der Entscheidungsgründe das Berufungsgericht ein Verschulden des Beklagten annehmen zu wollen, so bleibt doch jedenfalls höchst zweifelhaft, ob nicht das obige Prinzip der Voraussehbarkeit als Erfordernis der Verschuldung vom Berufungsgerichte verkannt worden ist."

  • 1. Zachariä, 6. Aufl. Bd. 2 §.194 Anm. 3; Laurent, Bd. 6 Nr.136 flg. Aubry und Ran, Bd. 2 §. 194.
  • 2. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 219; Bd. 8 S. 305.
  • 3. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 221.
  • 4. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 10 Nr. 83 S. 288,