RG, 13.12.1884 - I 278/84

Daten
Fall: 
Lehnfolge
Fundstellen: 
RGZ 12, 239
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.12.1884
Aktenzeichen: 
I 278/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Schwerin
  • OLG Rostock

Sind durch nachfolgende Ehe legitimierte Unehelichgeborene nach gemeinem Rechte zur Lehnfolge berechtigt?

Tatbestand

Der Kläger, ein unehelicher, jedoch durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimierter Sohn des 1868 verstorbenen Ernst August v. L., nimmt ein in Mecklenburg gelegenes Lehngut, welches nach dem Tode seines Vaters gemäß dem Testamente desselben auf einen Seitenverwandten Wilhelm v. L. und nach dessen Tode auf dessen Bruder August Friedrich v. L. übergegangen war, nach des letzteren 1883 erfolgten Ableben von dem jetzigen Besitzer des Gutes Viktor v. L. in Anspruch. Die bisherige mecklenburgische Praxis verneinte das Lehnfolgerecht der Mantelkinder. Demgemäß wurde Kläger in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Das Revisionsgericht hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache in die Berufungsinstanz zurück, indem es die Entscheidung der von dem Berufungsgerichte offen gelassenen Frage, ob ein die Mantelkinder von der Lehnfolge ausschließendes partikulares mecklenburgisches Gewohnheitsrecht bestehe, gemäß §. 528 Abs. 4 C.P.O. dem Berufungsgerichte überließ.

Gründe

"Die Revision ist insoweit für begründet zu erachten, als sie sich gegen die Annahme des Berufungsgerichtes richtet, daß nach gemeinem deutschen Rechte unehelich geborene, aber durch nachfolgende Ehe der Eltern legitimierte Kinder (s. g. Mantelkinder) von der Succession in Lehen ausgeschlossen seien.

Zwar enthält die Aufzeichnung des in Deutschland als gemeines Recht geltenden langobardischen Lehnrechtes in II Feud. 26 §. 11 den Ausspruch:

Naturales filii, licet postca fiant legitimi, ad successionem feudi nec soli nec cum aliis admittendur.

Die Legitimierten sind hiernach ohne Unterschied, ob die Legitimation durch nachfolgende Verheiratung der Eltern oder durch Reskript bewirkt ist, von der Lehnfolge ausgeschlossen. Die in früherer Zeit häufig verteidigte Meinung, daß nur die durch Reskript Legitimierten oder gar nur die nach dem Tode des Vaters durch Reskript Legitimierten durch den angeführten Ausspruch von der Lehnfolge ausgeschlossen seien, steht mit dem Wortlaute desselben in Widerspruch und kann nicht aufrecht erhalten werden. Ebensowenig ist die in neuerer Zeit aufgestellte Meinung zu billigen, daß unter naturales filii nicht uneheliche, sondern unebenbürtige eheliche Kinder zu verstehen, mithin die Worte licet postca fiant legitimi, nicht auf Legitimation, sondern auf Standeserhöhung zu beziehen seien (vgl. Dieck in der von Michaelis, Votum über den Reichsgräflich-Bentinckschen Erbfolgerechtsstreit Heft 4, 1848, S. 1 - 50 herausgegebenen nachgelassenen Abhandlung). Legt man bei der Auslegung von II Feud. 26 §.11 den Sprachgebrauch der römischen Rechtsquellen zum Grunde, wozu man vollkommen berechtigt ist, da die in dieser Stelle enthaltene Sammlung von Rechtssätzen unzweideutige Spuren der Bekanntschaft ihres Verfassers mit dem römischen Rechte enthält,1 so sind unter naturales uneheliche, und zwar mit einer Konkubine erzeugte Kinder zu verstehen. Eine andere Auslegung ergiebt sich aber selbst dann nicht, wenn man den Sprachgebrauch der langobardischen Rechtsquellen zum Grunde legen wollte. Die Edikte der langobardischen Könige2 setzen die Kinder im Rechtssinne als filii legitimi den Kindern im natürlichen Sinne als filiis naturalibus entgegen und verstehen unter ersteren nicht die unebenbürtigen, sondern die ehelichen Kinder, was sich daraus ergiebt, daß im cap. 154 a. a. O. die Worte Filium legitimum durch den Zusatz quod est fulborn erläutert werden, während die Ebenbürtigkeit in den langobardischen Rechtsquellen durch den Ausdruck wirdiborn bezeichnet wird.3

Die ehelichen, aber in einer nicht ebenbürtigen Ehe erzeugten Kinder sind demnach nicht naturales sondern legitimi und werden in II Feud. 29 als solche ausdrücklich bezeichnet. Hierbei mag bemerkt werden, daß auch Walter, welcher in der ersten Auflage seiner deutschen Rechtsgeschichte §. 539 Note 6 die in der Ehe mit einer Unebenbürtigen erzeugten Kinder unter den filii naturales des langobardischen Rechtes begreifen wollte, welcher Meinung Kayser in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd. 8 S. 467 beistimmt, in der zweiten Auflage §. 575 Nr. 6 nach dem von Wilda in der Zeitschrift für deutsches Recht Bd. 15 S. 284 erhobenen Widerspruch diese Ansicht aufgegeben hat. Es unterliegt hiernach keinem Bedenken, die in II. Feud. 26 §. 11 ausgesprochene Ausschließung der liberi naturales von der Lehnfolge auf unehelich im Konkubinate erzeugte Kinder und um so mehr auf sonstige uneheliche Kinder zu beziehen.

Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegt, daß die glossierten privatrechtlichen Rechtssatze der Libri Feudorum als gemeines Recht mit dem römischen Rechte in Deutschland aufgenommen worden sind, und wenngleich, da die Aufnahme im ganzen erfolgt ist, ein besonderer Beweis der Aufnahme für die einzelnen darin enthaltenen Rechtssätze nicht erforderlich ist, so liegen doch hinsichtlich des Successionsrechtes der durch Ehe Legitimierten besondere Gründe vor, anzunehmen, daß der hierauf bezügliche Ausspruch in II Feud. 26 §. II als gemeines Recht in Deutschland nicht aufgenommen worden ist. Wie das römische Recht in Deutschland unter Abweichungen aufgenommen worden ist, welche aus dem kanonischen Rechte stammen, so war auch die Aufnahme des langobardischen Lehnrechtes unter dem Einflusse des kanonischen Rechtes eine beschränkte, und es ist dieser Einfluß insbesondere hinsichtlich des Lehnfolgerechtes der durch Ehe Legitimierten erkennbar.

Nach der Entstehung von II Feud. 26, welche mit Wahrscheinlichkeit in die erste Hälfte des zwölften Jahrhundertes verlegt wird, beschäftigt sich ein ökumenisches Konzil, das dritte Lateranische von 1179, mit den Wirkungen der Legitimation durch nachfolgende Ehe und stellte den Satz auf, welcher durch eine Dekretale Papst Alexander's III. c. 6 X. qui filii sunt legitimi 4, 17 in die kanonische Quellensammlung übergegangen ist:

Tanta est vis matrimonii (sacramenti lautet der Beschluss des Konzils), ut qui antea sint geniti post contractum matrimonium legitimi habeantur.

Durch diesen Ausspruch der Kirche wurde allerdings, wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt, nicht ohne weiteres eine für die weltlichen Gerichte bindende Rechtsnorm geschaffen. Denn wenn auch das kanonische Recht für die Kirche das Recht der Gesetzgebung und die Gerichtsbarkeit nicht bloß für geistliche Angelegenheiten (res spirituales), sondern auch für die damit zusammenhängenden weltlichen Angelegenheiten (res spiritualibus annexae) in Anspruch nimmt, so ist doch die Ausdehnung auf letztere als ein Übergriff in das weltliche Gebiet in betreff der Gesetzgebung so wenig wie in betreff der Gerichtsbarkeit seitens des Staates anerkannt. Wenn nun auch die Ehe wegen der ihr zugeschriebenen Sakramentsnatur im Mittelalter der kirchlichen Gesetzgebung anheimfiel und dasselbe auch hinsichtlich der Frage, welche Kinder eheliche oder solchen gleichmachten seien, mindestens insoweit galt, als davon kirchliche Rechtsfolgen, namentlich die Ausschließung von der Ordination wegen irregulataris ex defectu natalium4 abhingen, so gehört doch der Einfluß der Ehe und der ehelichen Geburt auf die Vermögensrechte der Ehegatten oder Kinder ausschließlich dem weltlichen Gebiete an. Erscheint daher ein Ausspruch der Kirche über diesen Gegenstand nicht ohne weiteres als Rechtsnorm für weltliche Gerichte, so kann dies um so weniger von dem Lehnfolgerechte behauptet werden, bei welchem es sich nicht um eine unmittelbar vom Gesetze an die Ehe oder eheliche Geburt geknüpfte Rechtsfolge, sondern um ein aus dem Lehnsvertrage (ex pacto ac providentia majorum) abzuleitendes Recht und um die im Zweifel anzunehmende Bedeutung des Lehnsvertrages handelt.

Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, daß die Vorschrift des kanonischen Rechtes über die Legitimation durch nachfolgende Ehe durch ein allgemeines deutsches Gewohnheitsrecht auch auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes zur Geltung gelangt ist. Infolgedessen ist diese Legitimation nicht bloß in den engeren Grenzen, in welchen das römische Recht sie anerkennt, sondern in dem weiteren Umfange, welchen das kanonische Recht bestimmt, in Deutschland zu gemeinrechtlicher Geltung gelangt. Hieraus würde ohne weiteres der Schluß zu ziehen sein, daß der Grundsatz des kanonischen Rechtes auch bei der Lehnfolge zur Anwendung komme, wenn es richtig wäre - was behauptet worden ist -, daß der Ausspruch in II Feud. 26 §. 11 sich lediglich als eine Folge des altgermanischen Grundsatzes darstelle, daß die unehelichen Kinder, als nicht zur Familie gehörig, von aller Erbfolge ausgeschlossen seien und Legitimation derselben nicht stattfinde; mit der Beseitigung dieses Grundsatzes durch die Aufnahme des römischen und kanonischen Rechtes hinsichtlich der Legitimation würde auch dessen Anwendung auf die Lehnfolge beseitigt erscheinen. Allein diese Behauptung, welche namentlich in einem, auszugsweise in Seuffert, Archiv Bd. 10 Nr. 72, vollständig in Bopp, Mitteilungen aus den Materialien der Gesetzgebung und Rechtspflege des Erzherzogtums Hessen Bd. 4 S. 34 flg. mitgeteilten Erkenntnisse des vormaligen Oberappellationsgerichtes zu Darmstadt vom 14. März 1828 aufgestellt ist, kann nicht als richtig anerkannt werden. In Italien waren weder diejenigen liberi naturales, welche unter der Herrschaft des römischen Rechtes standen, noch diejenigen, auf welche das langobardische Recht Anwendung fand, von der Erbfolge gänzlich ausgeschlossen. Erstere hatten, wenn der Vater weder eine Witwe noch eheliche Kinder hinterließ, ein beschränktes Erbrecht nach Nov. 18 cap. 5, 89 cap. 12 und konnten durch Legitimation vermittelst nachfolgender Ehe volles Erbrecht erlangen. Letztere hatten sogar neben liberi ligitimi nach den Edikten der langobardischen Könige, (ed. Roth. cap. 154 flg.) ein, wenn schon geringeres Erbrecht. Die Ausschließung derselben von der Lehnfolge in II Feud. 26 §. 11 enthielt also keinesweges die Anwendung eines für die Erbfolge unehelicher Kinder allgemein geltenden Grundsatzes. Vielmehr erklärt sich ihre Ausschließung aus der Reinhaltung des Lehnsverbandes von allen mit einem Ehrenmakel behafteten Personen in Verbindung mit der im Mittelalter herrschenden Meinung, daß Unehelichgeborene infolge ihrer Abkunft mit einem solchen Makel behaftet seien. Erscheint aber der Satz des §. 11 a. a. O. als eine Besonderheit des Lehnsverhältnisses, so kann aus der gewohnheitsrechtlichen Aufnahme der allgemeinen Regel des kanonischen Rechtes nach 1. 41 Dig. de poenis 48, 19 und 1. 80 Dig. de R. J. 50, 17 nicht ohne weiteres die Beseitigung auch jenes besonderen Rechtssatzes hergeleitet werden. Es bedarf daher der Untersuchung, ob Gründe vorhanden sind, anzunehmen, daß die allgemeine Regel des kanonischen Rechtes in Deutschland auch bei der Lehnfolge der Legitimierten zu gewohnheitsrechtlicher Geltung gelangt ist.

Solche Gründe sind aber vorhanden. Einerseits ist nicht zu bezweifeln, daß nach der Absicht der Kirche der Grundsatz des cap. 6 X. a. a. O. allgemein gelten, nicht bloß die Zugehörigkeit der durch Ehe Legitimierten zur Familie der Eltern begründen, sondern auch ihre Befreiung von jedem Ehrenmakel bewirken, und demgemäß auch das Hindernis ihrer Succession in Lehen beseitigen sollte; was in dem bei der Juristenfakultät Jena eingeholten Urteile des vormaligen Oberappellationsgerichtes zu Oldenburg in dem Reichsgräflich-Bentinck'schen Successionsstreite vom 20. April 1842 (Seite 401 des Abdruckes desselben von 1843) aus der Entscheidung der Rota Romana dargethan ist. Andererseits ist anzunehmen, daß der kanonische Grundsatz bei seiner Aufnahme seitens der weltlichen Gerichte eben in dem Sinne, in welchem er von der Kirche aufgestellt worden, mithin in seinem vollen ebenbezeichneten Umfange zur Geltung gelangt ist. Für die Anwendung desselben auf die Lehnfolge erklärten sich die bei der Aufnahme des fremden Rechtes einflußreichsten Faktoren, nämlich, abgesehen von der Geistlichkeit, die Organe des Deutschen Reiches und die rechtsgelehrten Juristen, auf welche die Rechtsprechung nunmehr überging.

Daß die Reichsgerichte die durch Ehe Legitimierten zur Lehnfolge zuließen, bezeugt in betreff des Reichskammergerichtes Mynsinger Obss. Cent. V Nr. 42, und ist in betreff des Reichshofrates aus einem bei Moser, Einleitung zum Reichshofratsprozesse Teil 3. S. 271 abgedruckten Erkenntnisse vom 23. Dezember 1715 in Sachen von Künsperg wider Wolser zu entnehmen, welches - allerdings nur in possessorio unter Vorbehalt des petitorium für die Agnaten - die Kläger als subsequens matrimonium legitimiert zur Lehnfolge zuläßt. Daß von den Reichsgerichten jemals im entgegengesetzten Sinne erkannt worden sei, ist nicht bekannt. Wenn nun auch die gedachten Erkenntnisse für sich allein nicht genügend sind, die Übung eines Gewohnheitsrechtes darzuthun, so sind sie doch bei der Frage, welche Ausdehnung die an sich feststehende gewohnheitsrechtliche Aufnahme des kanonischen Grundsatzes gehabt habe, von der größten Bedeutung. Die Erheblichkeit derselben wird auch nicht dadurch abgeschwächt, daß dieselben Reichsgerichte die durch nachfolgende Ehe Legitimierten für untauglich zu Richter-, Advokaten- und Prokuratorenstellen bei diesen Gerichten erachteten, indem sie, nicht ohne Widerspruch5 das in der Reichskammergerichtsordnung von 1555 Teil 1 Titel 3 §. 2, Titel 18 §.1 aufgestellte Erfordernis "rechter natürlicher ehelicher Geburt", wie das in der Reichshofratsordnung von 1654 Titel 1 §. 1 aufgestellte Erfordernis "gutes Namens und Herkommens" in dieser Weise auffaßten; denn es handelte sich bei der Zulassung der um solche Stellen sich Bewerbenden oder dazu Präsentierten nicht um richterliche Würdigung eines durch die Legitimation erworbenen Rechtes, sondern um eine nach freierem Ermessen vorzunehmende Verwaltungshandlung, bei welcher das Gericht sich bewogen finden konnte, zur Wahrung seines Ansehens der herrschenden Volksansicht bezüglich des Makels der unehelichen Geburt Rechnung zu tragen, was in so ausgedehntem Maße geschah, daß das Reichskammergericht im Jahre 1556 sogar einen Ehelichgeborenen um deswillen zurückwies, weil sein Vater von unehelicher Geburt gewesen sei.6

Während die Rechtsprechung der Reichsgerichte sich für die Zulassung der Mantelkinder zur Lehnfolge entschied, ist aus der Reichsgesetzgebung und der Verwaltungsthätigkeit der Reichsbehörden mindestens nichts zu entnehmen, was dieser Zulassung entgegensteht. Aus dem Reichsschlusse von 1731 Nr. 11 (Neue Sammlung der Reichsabschiede Bd. 4 S. 382), welcher der Ausschließung der Legitimierten von der Ausnahme in Zünfte als einem Handwerksmißbrauche entgegentritt, kann eher der Schluß gezogen werden, daß auch die Ausschließung derselben von Lehen als ein Mißbrauch bezeichnet worden sein würde, wenn die Reichsgesetzgebung sich auf diesen Gegenstand erstreckt hätte. Auch der Umstand, daß Mantelkindern zuweilen Kaiserliche Legitimationsreskripte erteilt worden sind, welche ihnen das Recht, ungeachtet II Feud. 26 §. II in Lehn zu succedieren, ausdrücklich beilegen, wovon Schilter, Jus. Feud. Alam p. 216 einen urkundlichen Beleg aus dem Jahre 1409 beigebracht hat, beweist nicht, daß ein solches Reskript für nötig erachtet wurde, um ihnen das Successionsrecht zu verschaffen; denn, wie schon Dieck, Beiträge zur Lehre von der Legitimation S. 31, bemerkt, ist anzunehmen, daß derartige Reskripte nur vorsorglich erbeten und erteilt wurden, " zu merer sicherheit", wie die Urkunde von 1409 sagt, um das ohnehin durch die Verheiratung der Eltern begründete Successionsrecht des Legitimierten durch eine Kaiserliche Urkunde noch mehr zu sichern.

Was die Ansichten der Rechtslehrer betrifft, so anerkennt das Berufungsgericht mit Recht, daß vom 15. bis in das 18. Jahrhundert dieselben so überwiegend den Mantelkindern günstig gewesen sind, daß man in dieser Beziehung von einer fast allgemeinen Rechtsüberzeugung reden darf. Gerade dieser Zeitraum aber ist derjenige, welcher für die Aufnahme des fremden Rechtes und die Bestimmung ihrer Grenzen vorzugsweise in Betracht kommt. Das Berufungsgericht spricht der Wissenschaft und Praxis der angegebenen Zeit jede Bedeutung für die vorliegende Streitfrage ab, weil sie teils auf eine unrichtige Auslegung des cap. Naturales sich stütze, teils von fehlsamen Anschauungen über die Bedeutung und die Wirksamkeit des kanonischen Rechtes und der ihm zu Grunde liegenden Auffassung von dem Wesen der Ehe ausgehe. Es ist richtig, daß die meisten Vertreter dieser Ansicht die unrichtige Behauptung aufstellen, daß II Feud. 26 §. 11 nur auf die durch Reskript Legitimierten zu beziehen sei. Diese irrige Behauptung dient aber nicht dazu, das Successionsrecht der durch Ehe Legitimierten zu erweisen, sondern lediglich dazu, daß gegen Annahme dieses Successionsrechtes aus II Feud. 26 §. 11 herzuleitende Bedenken zu beseitigen. Wenn nun auch zur Beseitigung dieses Bedenkens anstatt des richtigen aus dem geschichtlichen Verhältnisse der betreffenden Rechtsquellen zu entnehmenden Grundes eine unhaltbare Auslegung von II Feud. 26 §.11 benutzt worden ist, so beeinträchtigt dies doch nicht die Befolgung des Grundsatzes des cap. 6 X. 4, 17, wenn dieselbe an sich gerechtfertigt erscheint. Daß aber die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Lehnfolge auf einer unrichtigen Ansicht von der Bedeutung und Wirksamkeit des kanonischen Rechtes oder von dem Wesen der Ehe beruhe, kann dem Berufungsgerichte nicht zugegeben werden. Wäre diese Meinung richtig, so würde sie zu der Folgerung nötigen, daß nicht allein in betreff der Lehnfolge, sondern überhaupt in betreff der vermögensrechtlichen Wirkungen der Legitimation durch nachfolgende Ehe die Anwendung des kanonischen Grundsatzes als rechtsirrtümlich zu verwerfen wäre; die Unhaltbarkeit dieses Folgesatzes, welcher mit der allgemein anerkannten gewohnheitsrechtlichen Geltung des gedachten kanonischen Grundsatzes auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes in offenbarem Widerspruche stehen würde, beweist die Unrichtigkeit der Annahme, von welcher das Berufungsgericht ausgeht. Nicht auf unrichtige Vorstellungen von der verbindenden Kraft kirchlicher Rechtsnormen oder auf das katholische Dogma von der Sakramentsnatur der Ehe, sondern auf die überzeugende Kraft der dem cap. 6 X. 4,17 zum Grunde liegenden sittlichen Anschauung ist es zurückzuführen, daß letztere auch auf dem weltlichen Gebiete vermöge allgemeiner deutscher Gewohnheit als Norm zur Geltung gelangt ist.

Allerdings ist dieses, was die Lehnfolge betrifft, nicht überall in Deutschland geschehen. Abgesehen von den Lehn des hohen Adels, welcher hier außer Betracht bleibt, ist die dem kanonischen Rechte entsprechende Lehnfolgeberechtigung der Mantelkinder in den Gebieten der geistlichen Reichsstände, in welchen auch hinsichtlich des Lehnfolgerechtes der Frauen und Kognaten der Grundsatz galt: "Krummstab schleußt niemand aus", mehr durchgedrungen, als in den Gebieten der weltlichen Reichsstände, und im Süden und Westen von Deutschland mehr, als im Norden und Osten. Wie in letzteren Landesteilen überhaupt die einheimischen Rechtsgewohnheiten gegenüber dem eindringenden fremden Rechte mit größerer Zähigkeit festgehalten wurden, so blieb hier auch der Grundsatz des mittelalterlichen deutschen Lehnrechtes, daß Unehelichgeborene auch nach erfolgter Ehe der Eltern von der Lehnfolge ausgeschlossen sind, in weitem Umfange in Geltung. Während ein späterer Zusatz zum Schwabenspiegel (Art. 377 in der Ausgabe von Laßberg), sowie die von Stobbe Handbuch des deutschen Privatrechtes Bd. 4 §. 257 Note 8 angeführten Zusätze und Glossen zum Sachsenspiegel den Mantelkindern das Lehnfolgerecht zuschrieben, gelang es in zahlreichen Territorien den Lehnsbesitzern, den lehnrechtlichen Grundsatz der sächsischen Rechtsbücher, welche die unehelichen Kinder von der Lehnfolge ausschließen und keine Legitimation kennen,7 aufrecht zu erhalten und nicht selten eine ausdrückliche Anerkennung dieses Grundsatzes in Landtagsabschieden oder sonstigen landesherrlichen Verordnungen oder Erklärungen zu erwirken. Die höchsten Landesgerichte der betreffenden Territorien waren geneigt, diesen Grundsatz, auch wenn er nicht durch das geschriebene Recht des Landes festgestellt war, als einen gewohnheitsrechtlichen anzuerkennen, und glaubten ihn unter Berufung auf II Feud. 26 §.11 als einen gemeinrechtlichen bezeichnen zu dürfen. Dies geschah namentlich durch die vormaligen Oberappellationsgerichte zu Celle (zuerst 1743, Pufendorf, Obs. I ods. 90), Kassel (1826, Pfeiffer, Praktische Ausführungen Bd. 2 S. 313) und Rostock (1840, Sammlung der Entscheidungen Bd. 1 S. 102). Zieht man aber die obenerwähnten Umstände in Betracht, so ist vielmehr der Ansicht derjenigen höchsten Landesgerichte beizustimmen, welche - zum Teil allerdings aus ungenügenden Gründen - das Lehnfolgerecht der Mantelkinder als die gemeinrechtliche Regel betrachteten und die Ausschließung derselben von der Lehnfolge in Ermangelung einer deshalbigen Bestimmung im Lehnsvertrage nur insoweit anerkannten, als sie in partikularrechtlichen Normen begründet ist. Zu diesen Gerichten gehören die vormaligen Oberappellationsgerichte in Darmstadt (in dem obenangeführten Erkenntnisse von 1828) und Oldenburg (in dem obenangeführten bei der Juristenfakultät Jena eingeholten Erkenntnisse vom 20. April 1842), sowie das vormalige Obertribunal zu Stuttgart.8

Demnach stellt sich für das Gebiet des gemeinen deutschen Rechtes dasselbe Ergebnis heraus, welches für das Gebiet des preußischen Allgemeinen Landrechtes durch die Bestimmung in §. 361 I. 18 festgestellt ist und auch für das Gebiet des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches9 von dem obersten Gerichtshofe angenommen wird, wenn die deshalbige Mitteilung in Haimerl's Magazin Bd. 9 S. 238 flg. richtig ist."

  • 1. vgl. Dieck, Literärgeschichte des langobardischen Lehnrechtes S. 121.
  • 2. vgl. Ediktum Rotaris Cap. 154 flg. in M onum Germ. Legg. IV. p. 35.
  • 3. Vgl. das Glossarium von Bluhme in Monum. Germ. Legg. IV. p. 685 unter fulborn und widerbora.
  • 4. vgl. Hinschius Kirchenrecht Bd. 1 S. 13.
  • 5. vgl. Leyser Medit., ad Pand. V spec. 298 Nr. VI.
  • 6. Vgl. Blume, Processus Cameralis ed. 2 1677 tit. I §. 31.
  • 7. vgl. Homeyer, System des Lehnrechtes der sächsischen Rechtsbücher S. 300. 449.
  • 8. Vgl. Erkenntnis von 1841 in der Zeitschrift für deutsches Recht Bd. 7 S. 331.
  • 9. Über die Geltung des gemeinen Lehnrechtes in Osterreich vgl. B.G.B. §. 359 und Hofdekret vom 7. November 1823 bei Haimerl, Quellen des böhm. Lehnrechtes 1847 S. 17. D. E.