RG, 12.12.1883 - I 402/83

Daten
Fall: 
Verkauf einer Quantität Waren
Fundstellen: 
RGZ 10, 95
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.12.1883
Aktenzeichen: 
I 402/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Danzig
  • OLG Marienwerder

Verkauf einer Quantität Waren nach einem Grundpreise mit der Bestimmung, daß der Käufer die Formen und Dimensionen der zu liefernden Ware nach einer vorliegenden Überpreisskala zu bestimmen (spezifizieren) habe. Ist, wenn der Käufer die Spezifikation unterläßt, der Verkäufer zum Selbsthilfeverkaufe berechtigt?

Tatbestand

Nach dem Landgerichtsurteile ist folgendes zwischen den Parteien unstreitig:

"Die Klägerin betreibt ein Puddlings- und Walzwerk, in dem sie aus Roheisen Draht und Stifte herstellt. Der Geschäftsverkehr zwischen der Klägerin und ihren Abnehmern findet in der Weise statt, daß letztere mit ihr den " Grundpreis" für ein Quantum Roheisen abmachen, sodann bei ihr bestellen, welche Sorten Draht oder Stifte aus dem Roheisen hergestellt werden sollen, Klägerin dieser "Spezifikation" gemäß die bestellten Sorten Draht und Stifte herstellen läßt, und die Abnehmer schließlich für die Fabrikate den abgemachten Grundpreis zuzüglich des " Überpreises" für die Fabrikation zu bezahlen haben. Der Grundpreis richtet sich nach der jeweiligen Konjunktur für Eisen auf dem Handelsmarkte und ist je nach der Zeit der Abmachung ein verschiedener. Der Überpreis ist in einer Überpreisskala der Klägerin verzeichnet und steht ein für alle male fest, wenn er auch für die verschiedenen Sorten Fabrikate eine verschiedene Höhe hat. Beklagter ist ebenfalls Abnehmer der Klägerin und ist ihm deren Überpreis bekannt gewesen." ...

"Die Klägerin behauptet, daß der Beklagte am 17. Februar 1880 ... 25 000 kg Roheisen zu Eisendraht und Drahtstiften zum Grundpreise von 31 M pro 100 kg Draht und 32 M pro 100 kg Stifte gekauft hat, zu liefern im zweiten Quartal 1880 franco Danzig etc. ... die Überpreise ... nach der generellen Überpreisskala der Klägerin."

Der Beklagte, welcher den Abschluß des betreffenden Vertrages in Abrede stellt, hat trotz Aufforderung der Klägerin nicht spezifiziert und die Klägerin hat am 31. März 1882 im Wege der Selbsthilfe das vertragsmäßige Quantum verkauft. Sie fordert mit der vorliegenden Klage die Differenz zwischen dem vereinbarten Grundpreise und dem Erlöse aus dem Selbsthilfeverkaufe.

Der erste Richter hat diesen Teil der Klage durch Teilurteil abgewiesen, während er betreffs des anderen Teiles der Klage, welcher im jetzigen Stadium des Prozesses nicht interessiert, Beweiserhebung verfügt hat. Die Abweisung wird damit motiviert, daß, auch wenn der von der Klägerin behauptete Vertrag abgeschlossen worden, doch durch die Unterlassung der sogenannten Spezifikation kein Annahmeverzug entstanden sei, weil verschiedene Qualitäten Waaren verkauft worden seien. Ferner sei aber auch beim Selbsthilfeverkaufe nicht ordnungsmäßig verfahren worden. Der zweite Richter, welcher die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung zurückweist, tritt der ersten Begründung zwar nicht bei, erklärt sich aber doch gegen die Annahme, daß durch die Unterlassung der Spezifikation ein Annahmeverzug begründet werde, und erachtet den Selbsthilfeverkauf ebenfalls als nicht ordnungsmäßig erfolgt.

Auf Revision der Klägerin hat das Reichsgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückverwiesen.

Gründe

... "Gegenstand des nach der Behauptung der Klägerin von den Parteien abgeschlossenen Vertrages ist eine dem Gewichte nach bestimmte Quantität zu verschiedenen Fabrikaten, wie sie in der Fabrik der Klägerin üblich sind, verarbeiteten Eisens einer und derselben Qualität. Die Bestimmung, in welchen Verarbeitungen der Vertragsgegenstand zu liefern sei, ist dem Beklagten vorbehalten. Als Preis ist vereinbart ein Grundpreis1 zu welchem für einzelne der vom Beklagten bestimmten Sorten noch die in der Überpreisskala der Klägerin angeführten Überpreise hinzukommen. ... Daß eine Vereinbarung dieses Inhaltes ein fester Vertrag ist, daß insbesondere die Preisbestimmung eine genügende sei, und daß auf diesen Vertrag die Grundsätze über Kauf Anwendung finden, nimmt auch der Berufungsrichter an. Derselbe irrt jedoch rechtsgrundsätzlich, wenn er annimmt, daß bei einem Vertrage der vorliegenden Art von einem Annahmeverzug nicht die Rede sein könne, bevor der Käufer seine Erklärung über die Sorten, in welchen das Eisen zu liefern sei, abgegeben habe.

An sich wird allerdings die Beschaffenheit einer Sache nicht durch den Stoff allein, sondern auch durch die Form bestimmt. Draht und Drahtstifte aus demselben Material sind verschiedene Waren, aber auch Draht verschiedener Dicke, Drahtstifte verschiedener Länge und Dicke und ebenso beschnittenes und unbeschnittenes Papier, verschieden appretierte Tuche, Bauholz in Stücken von 5 m und in Stücken von 10 m Länge.

Wird die eine Warengattung geschuldet, so kann der Schuldner nicht durch Leistung einer anderen erfüllen, noch kann der Gläubiger Lieferung einer anderen verlangen. Es ist aber auch sehr wohl denkbar, daß die Kontrahenten von der Form gänzlich oder in tantum abstrahieren, daß ein gewisser Stoff in den verschiedensten Formen oder in bestimmten verschiedenen Formen als eine Warengattung aufgefaßt und als solche zum Gegenstande eines Rechtsgeschäftes gemacht wird. Es würde irrtümlich sein, in einem solchen Falle eine Mehrheit von Rechtsgeschäften bezw. von Gegenständen des Rechtsgeschäftes anzunehmen und von so vielen alternativen Berechtigungen und Verpflichtungen zu sprechen, als mögliche oder von den Beteiligten in Betracht genommene Formen vorhanden sind. Ganz unzweifelhaft tritt dies da entgegen, wo der Vertrag nichts Anderes enthält, als daß der Schuldner den Stoff in ihm beliebiger Form liefern, oder der Gläubiger denselben in ihm beliebiger Form verlangen kann. Allein das Verhältnis gestaltet sich auch nicht anders, wenn vereinbart ist, daß für gewisse Formen noch ein Zuschlag zum Kaufpreise zu gewähren sei, wie dies vielfach bei Verkauf von gewissen Eisenqualitäten bezw. von gewissen aus Eisen hergestellten Fabrikaten üblich ist.

Im ordnungsmäßigen Verlaufe eines solchen Geschäftes nimmt der Käufer die Spezifikation vor, das heißt er bestimmt die Formen, in welchen die Ware ihm geliefert werden soll. Unterläßt der Käufer aber die Spezifikation, wird also dadurch dem Verkäufer die Erfüllung in der beabsichtigten Weise unmöglich, so fragt es sich, ob der Verkäufer die Rechte geltend machen könne, welche ihm infolge Annahmeverzuges des Käufers zustehen. Man hat dies deswegen bestritten, weil ohne Spezifikation es an der Möglichkeit fehle, die Erfüllung anzubieten. Dieses Argument beruht auf einer zu engen Auffassung des Begriffes des Annahmeverzuges bezw. der Voraussetzungen desselben.

Wenn man den Satz ausspricht: "Der Verkäufer hat die Ware dem Käufer zu übergeben", so setzt man stillschweigend voraus, daß auch der Käufer seinerseits diejenige Thätigkeit vornimmt, welche von ihm auszugehen hat, um die Übergabe zu realisieren. Zieht man aber diese Thätigkeit mit in den Kreis der Betrachtung, so ist die Verpflichtung des Verkäufers dahin zu formulieren, daß er seinerseits alles thun muß, um die Übergabe der Ware zu bewirken. Er muß die vertragsmäßig beschaffene Ware bereit halten und die Absicht, dieselbe zu übergeben, erklären. Ist nun der Käufer seinerseits nicht entsprechend thätig, so tritt der Zustand, welchen man als Annahmeverzug bezeichnet, mit seinen rechtlichen Wirkungen ein. So in einfachen Verhältnissen. Die Sache kann aber auch so liegen, daß der Verkäufer deswegen nicht imstande ist, alle seinerseits zur Übergabe der vertragsmäßig beschaffenen Ware erforderlichen oder die Übergabe bezw. deren Voraussetzungen ermöglichenden Handlungen vorzunehmen, weil dieselben oder einzelne derselben durch ein Vorgehen seitens des Käufers bedingt sind. Unterläßt in einem solchen Falle der Käufer die betreffende Thätigkeit, während der Verkäufer alles vorgenommen hat, was er ohne Mitwirkung des Käufers zur Erfüllung des Kaufes zu thun imstande ist, so liegt dieses Verhältnis demjenigen völlig gleich, wenn der Käufer nur die letzte zur Übergabe erforderliche Handlung, die Entgegennahme der Ware, unterläßt. Der Käufer kommt in Annahmeverzug.

Ein solches Unterlassen ist die Nichtvornahme der Spezifikation trotz Aufforderung des Verkäufers. Hat der Verkäufer den vertragsmäßigen Stoff, sei es in den verschieden in Betracht kommenden Formen verarbeitet oder als Rohstoff zu seiner Verfügung, und sind im letzteren Falle Vorkehrungen getroffen, daß der Rohstoff alsbald in die verschiedenen Formen, auf welche die Spezifikation gerichtet werden darf, gebracht werden kann (was, wo ein fortlaufender Fabrikbetrieb des Verkäufers stattfindet, zu vermuten ist), so wird durch die trotz erhaltener Aufforderung unterlassene Spezifikation die Erfüllung des Vertrages ganz in derselben Weise vom Käufer verhindert, wie wenn er sich der Entgegennahme der in vertragsmäßiger Beschaffenheit offerierten Ware entzieht.

Zu demselben Resultate gelangt man, wenn man mit Kohler (Annahme und Annahmeverzug, in Ihering's Jahrbüchern für die Dogmatik Bd. 17 Nr. 8, siehe namentlich S. 358. 408) zwischen dem Angebote und der Annahme im Sinne der Lehre vom Verzuge und dem Angebote in der Bedeutung einer Traditionsofferte und der Acceptation derselben einen Unterschied macht und als "Annahme im Sinne des Erfüllungsrechtes" jede Mitwirkung des Gläubigers zur Erfüllung versteht.

Bewirkt nun aber die Unterlassung der Spezifikation Annahmeverzug, so fragt es sich, ob nicht etwa infolge der Besonderheit des Verhältnisses das durch den Annahmeverzug des Käufers nach dem Gesetze begründete Recht des Verkäufers zum Selbsthilfeverkaufe bei Spezifikationskäufen ausgeschlossen sei. Dies muß verneint werden; denn, vermochte der bestimmte Stoff in einer (in gewissen Schranken) vom Belieben des Käufers abhängigen Form den Gegenstand des ersten Kaufes, also überhaupt eines Kaufes, zu bilden, so ist nicht abzusehen, warum diese Möglichkeit beim Selbsthilfeverkaufe nicht sollte eintreten können. Wenn der Berufungsrichter bemerkt, "beim Kaufvertrage dürfe die Bestimmung des Gegenstandes selbst nach Stoff und Form oder Sorte an Stelle des Käufers nicht einseitig einem beliebigen Dritten übertragen werden (§§. 30 flg. A.L.R. I. 11, namentlich §§. 37. 38)," so ist hierin kein Gegenargument zu finden; denn der neue Käufer bestimmt den Gegenstand des Selbsthilfeverkaufes nicht an Stelle des ursprünglichen Käufers, sondern der Gegenstand des Selbsthilfeverkaufes ist, wie der des ursprünglichen Verkaufes, ein bestimmter Stoff in einer Form, deren Bestimmung dem jedesmaligen Käufer für seine Person und in seinem eigenen Interesse zusteht.

Es muß hiernach an der Ansicht des Reichsoberhandelsgerichtes festgehalten werden, daß der Selbsthilfeverkauf bei sogenannten Spezifikationskäufen im Falle unterlassener Spezifikation zulässig ist. Zu bemerken ist hierbei, daß mit diesem in den Entscheidungen des R.O.H.G.'s Bd. 15 Nr. 45 S. 146 aufgestellten und in Bd. 18 Nr. 11 S. 51 u. Bd. 22 Nr. 3 S. 5 ausdrücklich anerkannten Satze die Entscheidungen in Bd. 18 Nr. 10 S. 48 und in Bd. 16 Nr. 59 S. 204 nicht in Widerspruch stehen. Nicht zu untersuchen ist hier, ob die in Bd. 18 Nr. 10 aufgestellte Ansicht, daß, wenn nicht bloß die Bestimmung der Form, sondern auch die des Stoffes dem Käufer überlassen ist, der Selbsthilfeverkauf nicht stattfindet, richtig ist, und ebensowenig ist die in Bd. 16 Nr. 59 S. 204 bejahte Frage, ob auf Vornahme der Spezifikation geklagt werden könne, hier zu beantworten.

In demselben Sinne wie das Reichsoberhandelsgericht haben sich in der hier ventilierten Frage ausgesprochen:
Thöl, Handelsrecht 6. Aufl. §. 268 u. Note 17; Puchelt, Kommentar 2. Aufl. zu Art. 343 Nr. 2aa Nr. 204; Kowalzig, Allgemeines deutsches H.G.B. 2. Aufl. S. 399. 459. 461; Gareis in Endemann's Handbuch Bd. 2 §. 275 Note 2 (S. 723); vgl. auch Bürgerliches G.B. f. Sachsen §. 749.

Eine abweichende Ansicht ist vertreten von Römer, Abhandlungen aus dem römischen Recht, Stuttgart 1877 Nr. 4 S. 132-148. Hiergegen siehe v. Hahn in der Zeitschrift für das allgemeine Handelsrecht Bd. 23 S. 630 flg. und Kohler a. a. O." ...2

  • 1. Im weiteren Verlaufe der Entscheidungsgründe wird ausgeführt, daß, wenngleich im Vertrage von einem Grundpreise für Draht und einem Grundpreise für Drahtstifte gesprochen werde, die Stifte doch nur eine Verarbeitung des Drahtes seien und der s. g. Grundpreis für Stifte durch den Grundpreis für Draht unter Hinzurechnung eines Überpreises von 1 M gebildet werde.
  • 2. Es wird weiter ausgeführt, die Annahme, der Selbsthilfeverkauf sei nicht ordnungsmäßig vorgenommen, beruhe auf einer rechtsirrtümlichen Auffassung und einem tatsächlichen Mißverständnisse des Berufungsrichters.