RG, 15.11.1881 - III 474/81

Daten
Fall: 
Intestaterbrecht der Adoptivkinder
Fundstellen: 
RGZ 6, 171
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.11.1881
Aktenzeichen: 
III 474/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kassel
  • OLG Kassel

Intestaterbrecht der Adoptivkinder und ihrer Descendenten an dem Nachlasse des Adoptivvaters.

Tatbestand

Heinrich R. hatte durch landesherrliches Reskript seine uneheliche Tochter arrogiert. Letztere hatte sich späterhin verheiratet und war mit Hinterlassung von Kindern noch bei Lebzeiten ihres Adoptivvaters gestorben. Nach dem Tode des Heinrich R. beanspruchten diese Kinder dessen Nachlaß, welcher ihnen jedoch von dem Beklagten, einem Seitenverwandten des R., streitig gemacht wurde.

Das Landgericht verurteilte den Beklagten, indem es davon ausging, daß die klagenden Kinder jure repraesentationis an die Stelle ihrer Mutter getreten seien, deren Adoptivverwandtschaft mit Heinrich R. und folgeweise deren Intestaterbrecht an dessen Nachlaß durch ihre Verheiratung nicht erloschen sei, weil das durch die Adoption begründete Verhältnis infolge einer sog. deutschrechtlichen Emanzipation nicht aufgehoben werde.

Das Oberlandesgericht wies die Klage ab aus folgenden Gründen:
Nach gemeinem Rechte begründe die Annahme an Kindesstatt die Agnation und, insoweit sie die Agnation begründe und für deren Dauer, auch die Rechte der Kognation mit dem auf der Kognation beruhenden Intestaterbrechte. Durch die Annahme an Kindesstatt sei daher zwar die Mutter der Kläger Agnatin und eventuelle Intestaterbin des Heinrich R., ihres Adoptivvaters. geworden, ihre später erzeugten Kinder, die Kläger, seien aber, da sie mit ihrer Mutter nicht agnatisch verwandt seien, auch zu dem R. in kein Agnations- und folgeweise in kein Intestaterbrechtsverhältnis getreten. Der vom Landgerichte aufgestellte Satz, daß an die Stelle der Mutter der Kläger, da sie bei Lebzeiten des Adoptivvaters gestorben, jure repraesentationis ihre Descendenten, die Kläger, getreten seien, widerlege sich dadurch, daß die dem Grade nach entfernteren Descendenten nicht aus dem Rechte ihres erstverstorbenen parens, sondern kraft eigenen Rechts zur Erbfolge gelangen. Auch finde jener Satz in der I. 27 Dig. de adopt. 1, 7 keine Rechtfertigung. Denn diese Gesetzesstelle spreche ausdrücklich nur von der Descendenz eines Adoptivsohnes. wogegen die Frage, wie es sich mit der Descendenz einer Adoptivtochter verhalte, sich von selbst dadurch beantworte, daß die ehelichen Descendenten einer solchen zu deren Adoptivvater niemals in einem Agnationsverhältnisse gestanden haben.

Das Reichsgericht hob das Urteil der zweiten Instanz auf und wies die Berufung gegen das Urteil der ersten Instanz zurück aus folgenden Gründen:

Gründe

"Es handelt sich im vorliegenden Falle um die Frage, ob den Descendenten einer an Kindesstatt angenommenen Tochter dem Adoptivvater der letzteren gegenüber ein Intestaterbrecht zusteht.

Die Vorinstanz hat diese Frage in Gemäßheit der Bestimmungen des römischen Rechtes verneint, weil die ehelichen Descendenten einer Adoptivtochter zu deren Adoptivvater niemals in einem Agnationsverhältnisse gestanden hatten.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision erscheint begründet. Wenn auch die Adoption kein ursprünglich deutschrechtliches Institut ist, so folgt doch daraus nicht, daß sie in ihrer römischrechtlichen Eigentümlichkeit als ein zum Erwerbe der väterlichen Gewalt dienender und letztere zum Ausgangspunkt für das dadurch begründete Erbrecht nehmender Rechtsakt in Deutschland Aufnahme gefunden hat. Schon das römische Recht hatte mit der Einführung der adoptio minus plena und der ausnahmsweisen Gestattung der Adoption durch eine Frau eine Annahme an Kindesstatt zugelassen, durch welche väterliche Gewalt nicht begründet wurde. Und während demselben in Deutschland in dem Erbvertrage ein deutschrechtliches Institut begegnet ist, welches durch die Gestattung einer vertragsmäßigen Feststellung des Erbrechtes dem Willen der Beteiligten auch bei der Adoption eine dem römischen Rechte unbekannte Bedeutung einräumt, hat andererseits die römischrechtliche Lehre von der väterlichen Gewalt in ihrer mit großer prinzipieller Konsequenz durchgeführten Gestalt, in der sie innerhalb des auf ihr beruhenden Familienverbandes die Grundlage und die Bedingung für das Erbrecht der durch Adoption in die väterliche Gewalt des Adoptivvaters Gelangten bildete, in Deutschland nicht Eingang gefunden.

Dementsprechend muß man für das heutige Recht davon ausgehen, daß die Begründung eines Kindesverhältnisses als der eigentliche Zweck der Adoption anzusehen ist, die Begründung der väterlichen Gewalt dagegen, wo sie nach den konkreten Verhältnissen zur Entstehung gelangen kann, mit der ihr jetzt noch zukommenden rechtlichen Bedeutung nur als Folge des durch die Adoption begründeten Kindesverhältnisses eintritt, daß also, abgesehen von anderweitiger vertragsmäßiger Feststellung, dem Adoptierenden gegenüber für die Adoptierten und ihre ehelichen Nachkommen ein von dem Existentwerden der väterlichen Gewalt unabhängiges Erbrecht begründet wird."