RG, 04.11.1881 - II 376/81
Pflichten des Berufungsgerichtes. an welches die Sache nach Aufhebung seines früheren Urteiles zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist.
Tatbestand
Durch Urteil des Reichsgerichtes vom 8. April 1881 wurde ein Urteil des O. L. G.'s zu Kolmar aufgehoben und die Sache, zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an dasselbe zurückverwiesen. Das neu ergangene Urteil wurde gleichfalls aufgehoben aus folgenden prozessualen Gründen:
Gründe
"Das angegriffene Urteil geht von der Erwägung aus,
"daß (1) auf Grund des (das frühere Berufungsurteil aufhebenden) Urteiles des Reichsgerichtes jetzt als endgültig festgestellt anzusehen sei, daß die Eheleute G. bis zum Ablaufe des 23. April 1880 den eine Woche vorher mit dem Beklagten Sch. geschlossenen Kaufvertrag durch Zahlung der Forderungen des letzteren hinfällig zu machen berechtigt waren, - daß (2) auf Grund jenes Urteiles ferner feststehe, daß das vor Ablauf dieser Frist gemachte Realanerbieten mit nachgefolgter Hinterlegung als eine genügende Erfüllung der für die Annullierung des Kaufvertrages gestellten Bedingung anzusehen sei, falls (3) für Sch. den Eheleuten G. gegenüber die vertragsmäßige Verpflichtung bestand, die von dem Anbietenden verlangte Subrogation in die Rechte des Sch. zu erklären; - diese letztere Frage aber wiederholt auf Grund der erneuerten Verhandlung der Sache zu prüfen sei."
Nach eingehender Erörterung dieser dritten Frage und in Bejahung derselben wird dann aus ihrer Bejahung
"in Verbindung mit den Annahmen und Feststellungen des Urteiles vom 10. Januar 1881, soweit dieselben durch die Entscheidung des Revisionsgerichtes unter Zurückweisung der dagegen erhobenen Angriffe aufrecht erhalten worden sind,"
gefolgert, daß die für die Annullierung des Kaufgeschäftes vom 16. April 1880 gestellte Bedingung rechtzeitig und genügend erfüllt worden, und demgemäß nach dem Berufungsantrage erkannt.
Die auf dieser Grundlage beruhende Entscheidung kann nicht aufrecht erhalten werden. Es ist rechtsirrtümlich, wenn der Berufungsrichter annimmt, daß die beiden hervorgehobenen Sätze durch das Revisionsurteil " aufrecht erhalten worden" und jetzt " endgültig festgestellt" seien. Das beide Sätze als Grundlagen enthaltende Berufungsurteil vom 10. Januar 1881 ist schlechthin, im ganzen, aus materiellen und prozessualen Gründen (Verletzung der Artt. 1175 und 1250 Nr. 1 Code civil und §§. 259 und 513 Nr. 7 C. P. O.) aufgehoben worden. Und wenn auch der Grund dieser Aufhebung jene Sätze selbst nicht trifft, indem sogar die wider sie erhobenen Angriffe der früheren Revision zurückgewiesen worden sind, so ist doch zunächst selbstverständlich, daß dieselben dadurch nicht zu Feststellungen des Reichsgerichtes selbst geworden sind; ebensowenig enthält die Zurückweisung jener Angriffe irgend eine " rechtliche Beurteilung", welche in Gemäßheit des §. 528 Abs. 2 C. P. O. der Berufungsrichter seiner neuen Entscheidung zu Grunde zu legen hat. Aber auch als vom Berufungsrichter selbst festgestellte Grundlagen des Urteiles haben sie formell zu bestehen aufgehört. ...
Demzufolge mußte die "zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung" zurückgewiesene Sache als in dieselbe prozessualische Lage zurückgebracht erachtet werden, in welcher sie vor Erlaß des aufgehobenen Urteiles sich befand. Nach wie vor war der Streitgegenstand in den durch die Anträge bestimmten Grenzen von neuem zu verhandeln (§. 487 C. P. O.), die Parteien waren also berechtigt, die bei der früheren Verhandlung zur Rechtfertigung ihrer Anträge gemachten Ausführungen auch bezüglich jener beiden Streitfragen zu wiederholen und durch weitere Argumente zu vervollständigen. Aber selbst, wenn sie von diesem Rechte keinen Gebrauch machten, und auch der Vorsitzende keine Veranlassung fand, von der nach §. 488 C. P. O. ihm zustehenden Befugnis Gebrauch zu machen, so gehörten doch zu dem durch den §. 499 C. P. O. bestimmten Gegenstande der Verhandlung und der Entscheidung des Berufungsgerichtes selbst jene beiden Streitpunkte ebensosehr wie die dritte Frage, auf welche ja ihrem Inhalte zufolge überhaupt erst nach Feststellung der beiden ersteren etwas ankommen konnte. Die Besetzung des Berufungsgerichtes ist ein hierbei gar nicht in Betracht kommender Gesichtspunkt; wie bei einer Besetzung des Gerichtes mit durchweg anderen Richtern die beiden Streitpunkte durchaus frei zu prüfen und nach eigener durch nichts präjudizierter Überzeugung zu entscheiden waren, eben so mußte das Gericht auch bei unveränderter Besetzung zu gleicher Behandlung der Sache sich berechtigt und verpflichtet erachten. Ergab die Beratung, daß die Überzeugung der Richter bezüglich jener Punkte dieselbe sei, wie die in den früheren Feststellungen ausgesprochene, so genügte es zur Begründung des zu erlassenden Urteiles. dieses Ergebnis als solches in erkennbarer Weise zum Ausdrucke zu bringen.
Hieran läßt aber das angegriffene Urteil es gänzlich fehlen. An keiner Stelle der Urteilsbegründung ist ein Anhalt für die Annahme gegeben, daß der Berufungsrichter sich zu neuer Prüfung und Entscheidung jener beiden Streitfragen für berechtigt und verpflichtet erachtet, und die hervorgehobenen Feststellungen als eigene und aus erneuerter Prüfung und Entscheidung hervorgegangene habe angesehen wissen wollen; eine solche Annahme erscheint vielmehr ausgeschlossen."