RG, 19.04.1884 - I 89/84
Ist bei Personenvereinen zu dauernden Zwecken die Angabe des zu verhandelnden Gegenstandes bei Berufung der Generalversammlung Voraussetzung der Gültigkeit der in der Generalversammlung gefaßten Beschlüsse?
Tatbestand
Die durch zwölf Vereinsmitglieder berufene außerordentliche Generalversammlung der Hilfs- und Sparkasse zu Sachsenhausen hat am 14. Februar 1882 die Abänderung des § 12 unter 2 der Vereinsstatuten und die Auflösung der Kasse beschlossen, auch an Stelle des seitherigen Vorstandes die gegenwärtigen Kläger erwählt, um eine Liquidation der Kasse herbeizuführen. Zu diesem Zwecke sind den Klägern alle Befugnisse erteilt, welche nach dem Statute dem Vorstande zukommen; auch sind dieselben speziell bevollmächtigt, die Ansprüche des Vereines gegen die seitherigen Mitglieder des Vorstandes wegen Ersatzes des durch ordnungswidrige Geschäftsführung dem Vereine bezw. den Mitgliedern entstandenen Schadens gerichtlich geltend zu machen. Der demgemäß von den Klägern in Vertretung der Kasse gegen die Mitglieder des seitherigen Vorstandes angestellten Klage wurde die Einrede der mangelnden Aktivlegitimation entgegengestellt. Nachdem über diese Einrede auf Gerichtsbeschluß abgesonderte Verhandlung stattgefunden hatte, wurde die Klage abgewiesen. Auf Berufung der Klägerin wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, der Einwand der mangelnden gesetzlichen Vertretung der Klägerin verworfen und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Gericht erster Instanz zurückgewiesen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision wurde verworfen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Revision bezweifelt die Prozeßfähigkeit des von den Klägern vertretenen Personenvereines und erhebt gegen die Legitimation der Kläger Einwendungen. Letztere werden darauf begründet, daß die Beschlußfassung vom 14. Februar 1882, auf welcher die Legitimation der Kläger beruhe, ungültig sei, weil bei der Einberufung der Generalversammlung der Gegenstand der Verhandlung nicht bezeichnet worden sei, die Versammlung mit der Ernennung des klagenden Ausschusses ihre Zuständigkeit überschritten habe und die vom Berufungsrichter selbst anerkannte Ungültigkeit der Beschlüsse über die Änderung der Statuten und die Auflösung der Kasse die Ungültigkeit des Beschlusses über die Wahl und Bevollmächtigung des Liquidationsausschusses notwendig zur Folge haben müsse.
Zur Beseitigung der Bedenken über die Prozeßfähigkeit des klagenden Personenvereines genügt eine Bezugnahme auf die Gründe der Band 4 Nr. 45 S. 156 der Entscheidungen des Reichsgerichtes in Civilsachen abgedruckten Entscheidung.1
Aus der Nichtangabe des Verhandlungsgegenstandes bei der Berufung der zur Frage stehenden Generalversammlung kann ein Grund gegen die Gültigkeit der in dieser Versammlung gefaßten Beschlüsse nicht entnommen werden. Ein allgemeiner Rechtssatz des Inhaltes, daß bei Personenvereinen zu dauernden Zwecken die Angabe des zu verhandelnden Gegenstandes bei der Berufung der Generalversammlung Voraussetzung für die Gültigkeit der zu fassenden Beschlüsse ist, läßt sich nicht begründen. Was für Aktiengesellschaften und Genossenschaften in dieser Beziehung Rechtens ist, beruht auf besonderer gesetzlicher Bestimmung, und gerade die Aufstellung der betreffenden Vorschriften in Art. 238 Abs. 2 H.G.B. und in §. 32 des Genossenschaftsgesetzes läßt erkennen, daß selbst für Gesellschaften dieser Art es nicht für selbstverständlich gehalten wurde, daß der Zweck der Generalversammlung bei der Berufung bekannt zu machen sei. Die Natur der Sache erfordert nur die gehörige Ladung aller Mitglieder, damit jedem die Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht werde. Auch liegt kein Grund vor, die Bekanntmachung des Zweckes wenigstens für außerordentliche Generalversammlungen für unumgänglich zu halten; der Umstand, daß die Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung für erforderlich gehalten wird, ist für sich schon geeignet, die geladenen Mitglieder zum Erscheinen zu veranlassen. Ob in dem Falle, wenn die Zwecke bekannt gemacht sind, aber anstatt der bekannt gemachten andere oder neben denselben noch weitere zur Verhandlung kommen, ein Einwand gegen die Gültigkeit der Beschlüsse über die nicht bekannt gemachten Gegenstände erhoben werden kann, darf hier unerörtert bleiben, weil in vorliegender Sache bei der Berufung der Generalversammlung über den Zweck derselben gar keine Mitteilung erfolgt ist. Sowenig nun aber nach allgemeinen Grundsätzen die Angabe des Zweckes bei der Berufung der Generalversammlung erforderlich ist, sowenig kann diese Annahme aus den vorliegenden Statuten der Spar- und Hilfskasse begründet werden. Es ist weder für ordentliche noch für außerordentliche Generalversammlungen die Bekanntmachung des Zweckes bei der Berufung vorgeschrieben; die Statuten enthalten nicht einmal die Vorschrift, daß die von den Genossen in den Versammlungen zu stellenden Anträge zuvor dem Vorstande anzukündigen sind. Von Bestimmungen dieser Art konnte auch aus dem Grunde abgesehen werden, weil der Besuch der Generalversammlungen durch die Statuten den Mitgliedern zur Pflicht gemacht ist, deren Nichterfüllung Geldstrafe nach sich zieht. Hiernach kann es sich allein darum handeln, ob die Mitglieder in ordnungsmäßiger Weise geladen worden sind. In dieser Beziehung ist aber in dem vom zweiten Richter in bezug genommenen Thatbestande des ersten Richters als unbestritten hingestellt, daß die Mitglieder der Kasse einzeln durch Schreiben geladen worden sind, überdies die Berufung der außerordentlichen Generalversammlung auch noch durch Einrückung in zwei Frankfurter Zeitungen bekannt gemacht worden ist. Die Zuständigkeit der Versammlung zur Wahl eines Vertretungsorganes der Gesellschaft gegen die seitherigen Vorstandsmitglieder kann nach §. 14 der Statuten mit Grund nicht bezweifelt werden.
Unbegründet ist auch der Angriff, welcher gegen die Aufrechthaltung eines Teiles der Beschlußfassung vom 14. Februar 1882 erhoben worden ist. Die Ungültigkeit eines Teiles des Gewollten hat die Ungültigkeit des Ganzen dann, aber auch nur dann zur Folge, wenn entweder der gültige Teil ohne den ungültigen rechtlich nicht bestehen kann oder nach dem Willen des Urhebers das Gewollte ein einheitliches Ganzes in dem Sinne bildet, daß jeder einzelne Teil nur im Zusammenhange mit den anderen Teilen gewollt ist. Wenn nun der Berufungsrichter erklärt, daß die Beschlüsse vom 14. Februar 1882 kein einheitliches Ganze bilden, so spricht er hiermit aus, daß nach seiner Auffassung die gültigen Beschlüsse rechtlich auch ohne die ungültigen bestehen können, auch keine Gründe für die Annahme vorliegen, daß nach dem Willen der Beschließenden die gültigen Beschlüsse ohne die ungültigen nicht bestehen sollen. Ersteres kann keinem Bedenken unterliegen, letzteres beruht wesentlich auf thatsächlicher Beurteilung des Willens der Beschließenden, zu deren weiterer Begründung um so weniger eine Veranlassung vorlag, als nach dem Thatbestande besondere Umstände, welche auf eine entgegengesetzte Absicht der Urheber zurückschließen lassen könnten, überall nicht geltend gemacht worden sind." ...
- 1. S. a. Bd. 8 Nr. 31 S. 122.