RG, 08.04.1884 - III 367/83

Daten
Fall: 
Unterschlagen von Geldern durch Gerichtsvollzieher
Fundstellen: 
RGZ 11, 206
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.04.1884
Aktenzeichen: 
III 367/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Gera
  • OLG Jena

Haftet der Staat für den Schaden, welcher einem Gläubiger dadurch entstanden ist, daß der mit der Zwangsvollstreckung von diesem beauftragte Gerichtsvollzieher die bei Vollziehung der Zwangsvollstreckung in Empfang genommenen Gelder unterschlagen hat?

Tatbestand

Der Kläger beauftragte den Gerichtsvollzieher St., gegen den Gerber S. die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung von 3000 M und Kosten zu bewirken. Der Gerichtsvollzieher nahm infolgedessen den öffentlichen Zwangsverkauf einer Partie Wildhäute vor und hat von den Käufern die Kaufpreise im Gesamtbetrage von 2085 M ausbezahlt erhalten. Der Gerichtsvollzieher St. hat dieses Geld an seinen Auftraggeber, den Kläger, nicht abgeliefert und ist flüchtig geworden. In dem über sein Vermögen eingeleiteten Konkurse hat Kläger seine Forderung angemeldet, jedoch nur 41 M ausbezahlt erhalten. Er hat den ihm durch die rechtswidrige Handlung des St. zugefügten Schaden im Betrage von 2043 M von dem Großherzoglich sächsischen Staatsfiskus ersetzt verlangt und, da dieser Anspruch nicht anerkannt wurde, Klage erhoben.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf Berufung des Klägers erfolgte jedoch die Verurteilung des Beklagten nach dem Klagantrage. Das Reichsgericht hat auf die Revision des Beklagten das Urteil des Oberlandesgerichtes aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichtes zurückgewiesen, aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der von dem Revisionsbeklagten erhobene Einwand, daß die Revision zurückzuweisen sei, weil die angefochtene Entscheidung auf partikularrechtlichen Rechtsnormen beruhe, ist nicht begründet.

Das Oberlandesgericht stellt zunächst auf Grund der im Großherzogtume Sachsen-Weimar bestehenden Gesetze fest, daß die Gerichtsvollzieher zu den unmittelbaren Staatsdienern, den öffentlichen Beamten des Staates selbst, zu rechnen seien, und diese Feststellung kann in Gemäßheit des §. 511 C.P.O. mit der Revision nicht angefochten werden.

Die weitere Frage aber, ob der beklagte Fiskus verpflichtet sei, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, welcher ihm durch die Unterschlagung der von dem Gerichtsvollzieher St, infolge der ihm vom Kläger aufgetragenen Zwangsvollstreckung eingenommenen Gelder entstanden ist, bejaht der Berufungsrichter, weil er in Fällen der vorliegenden Art nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen den Staat für verpflichtet erachtet, für den durch rechtswidrige Handlungen seiner Beamten entstandenen Schaden zu haften.

Während das Landgericht in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich hervorgehoben hat, daß die Landesgesetzgebung für die Beantwortung der im hohen Grade bestrittenen Frage, inwieweit der Staat für den durch schuldhafte Handlungen seiner Beamten entstandenen Schaden hafte, keinen Anhalt biete, weil die beiden einzigen Gesetze, welche hierauf bezügliche Bestimmungen enthalten, das Pfandgesetz vom 6. Mai 1839 und das Depositengesetz vom 12. Februar 1840, nur die Ersatzpflicht des Staates für Versehen der Unterpfandsbehörden und für Nachlässigkeiten, Veruntreuungen etc der Depositalbeamten regeln, bei Beantwortung der Frage daher auf das gemeine deutsche Staatsrecht zurückzugreifen sei, und von diesem Standpunkte aus die Frage verneint, gelangt das Berufungsgericht zu einer Bejahung der aufgeworfenen Frage im vorliegenden Falle zunächst aus dem Grunde, weil es, ohne auf die Frage, ob der Staat allgemein für den Dritten aus den rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten erwachsenen Schaden haftpflichtig zu machen sei, näher einzugehen, unter Bezugnahme auf die gemeinrechtliche Doktrin und Praxis, den Satz aufstellt, daß der Staat subsidiär für den durch pflichtwidrige Handlungen seiner Beamten entstandenen Schaden in dem Falle zu haften habe, wo er die Unterthanen nötige, bestimmte Beamte mit gewissen Geschäften zu beauftragen, da in der Aufstellung eines mit öffentlicher Autorität bekleideten Beamten und in der Nötigung des Publikums, mit ihm zu Verkehren, die stillschweigende Garantie dafür liege, daß der Beamte ordnungsmäßig und gesetzmäßig sein Amt verwalte, sowie für den durch pflichtwidrige Handlungen bei Ausübung des Amtes entstandenen Schaden zu haften, und weil diese Voraussetzung der Haftbarkeit des Staates in concreto vorliege, da nach den bestehenden Gesetzen die Staatsbürger behufs Vornahme der Zwangsvollstreckungen an die vom Staate in dem betreffenden Gerichtsbezirke angestellten Gerichtsvollzieher sich wenden müssen.

Der Berufungsrichter führt dann freilich in den Entscheidungsgründen weiter aus, daß der Gerichtsvollzieher das als Beamter des Staates in Empfang genommene Geld als Organ des Staates in Verwahrung genommen habe, und daß daher die Bestimmungen des weimarischen Gesetzes über die Verwaltung öffentlicher Depositen analog anzuwenden seien; daß seiner darin, daß die Gerichtsvollzieher nach der Gerichtsvollzieherordnung eine Dienstkaution zu bestellen haben, und daß sie nach dem Gesetze über den Civilstaatsdienst denjenigen Staatsdienern gleich behandelt werden, welche öffentliche Einnahmen zu verwalten haben, eine gesetzliche Anerkennung dafür gefunden meiden könne, daß eventuell der Staat unter Zuhilfenahme der Dienstkaution für den Schaden einzustehen habe, welchen Einzelne infolge gesetzwidriger Geschäftsführung der Gerichtsvollzieher erleiden, und daß eine Aufsicht über die Thätigkeit der Gerichtsvollzieher bestehe, welche bezwecke, eine geordnete Geschäftsführung zu sichern und den Staat, sowie die Staatsangehörigen gegen gesetz- und ordnungswidrige Handlungen der Gerichtsvollzieher zu schützen.

Allein diese Gründe haben einerseits keine selbständige Bedeutung in der Art, daß sie die getroffene Entscheidung, auch wenn der zunächst aufgestellte Rechtssatz über die Haftbarkeit des Staates für den durch schuldhafte Handlungen seiner Beamten entstandenen Schaden als geltender Rechtssatz nicht anzuerkennen sein sollte, zu tragen vermochten, andererseits sind diese Gründe einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht nicht entzogen. Denn nach §. 525 C.P.O. ist für die auf die Revision ergehende Entscheidung nur die Entscheidung des Berufungsgerichtes über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach §. 511 nicht gestützt werden kann, maßgebend. Die Frage dagegen, ob die aus den angeführten Bestimmungen weimarischer Gesetze für die Haftpflicht des Staates gezogenen Folgerungen richtig sind oder auf Verletzung von Rechtsnormen beruhen, unterliegt der Prüfung des Revisionsgerichtes.

Die getroffene Entscheidung wird mit Recht von dem Revisionskläger als rechtsirrtümlich angefochten, weil weder der Satz, daß der Staat allgemein für den Schaden zu haften habe, welchen die von dem Staate angestellten Beamten durch rechtswidrige Handlungen einem Dritten zugefügt haben, noch der Satz, daß eine solche Verbindlichkeit des Staates zum Schadensersatze wenigstens unter den von dem Berufungsgerichte hervorgehobenen Voraussetzungen bestehe, als ein im gemeinen Rechte bestehender Rechtssatz anerkannt werden kann.

Es ist allerdings sowohl jene unbedingte, wie die von dem Berufungsgerichte angenommene beschränktere Haftpflicht des Staates in der Doktrin aufgestellt und auch in der Praxis zur Geltung gelangt, wenn auch die Gründe, auf welche dieselbe gestützt worden, sehr auseinander gegangen sind. Allein es fehlt dieser Annahme im gemeinen Rechte an einer bestimmten positiven Grundlage und von einem Gewohnheitsrechte kann überall nicht die Rede sein, da diese Frage von jeher äußerst bestritten gewesen und bis zur Gegenwart in Theorie und Praxis auch entgegengesetzte Ansichten sich geltend gemacht haben. Die für die unbedingte, wie für die beschränkte Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten angeführten, vorzugsweise aus allgemeinen staatsrechtlichen, Erwägungen entnommenen Gründe können nicht für geeignet gehalten werden, den Nachweis zu liefern, daß jene Sätze im positiven Rechte, welches der Richter zur Anwendung zu bringen hat, bestehen.

Da es sich im vorliegenden Falle nur darum handelt, ob der Staat für den Schaden haftet, welcher dem Kläger durch die Unterschlagung der durch Vollziehung einer Zwangsvollstreckung eingenommenen Gelder von seiten des beauftragten Gerichtsvollziehers entstanden ist, also für einen durch ein bei Vornahme einer Amtshandlung verübtes Delikt des Beamten verursachten Schaden, so kann die Frage über die Haftung des Staates für die durch Versehen und pflichtwidriges Handeln der Beamten bei anderen Rechtsverhältnissen, namentlich bei Kontraktsverhältnissen, bei den vom Staate betriebenen Erwerbsgeschäften und in Fällen, wo der Staat als der eigentliche Geschäftsherr erscheint, entstandenen Schaden, dahingestellt bleiben.

Bei Deliktsobligationen gilt nach gemeinem Recht als Regel, daß derjenige zum Ersatze des Schadens verpflichtet ist, durch dessen Verschulden der Schaden entstanden ist, und daß die Haftung eines Dritten nur aus besonderen gesetzlichen Gründen ausnahmsweise anzunehmen ist. Ob ein solcher Grund der Haftung des Staates für den durch ein Delikt eines Beamten verursachten Schaden darin zu finden sei, daß der Staat es bei der Anstellung des Beamten oder bei der Belastung desselben in seinem Amte an der erforderlichen Sorgfalt ( culpa in eligendo) habe fehlen lassen, kann unerörtert bleiben, weil die beiden Vorderrichter auf Grund der erhobenen Beweise festgestellt haben, daß den Beklagten ein solches Verschulden im vorliegenden Falle nicht treffe. Wenn der Berufungsrichter, in Übereinstimmung mit den in der Doktrin sich findenden Ausführungen, in Fällen der vorliegenden Art den Grund für die Haftung des Staates darin findet, daß es recht und billig sei, als eine Forderung der Gerechtigkeit erscheine, daß der Staat, wenn er die Unterthanen nötige, gewisse Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen durch bestimmte, von ihm angestellte und dazu berufene Beamte vornehmen zu lassen, für den Schaden wenigstens subsidiär hafte, welcher durch Arglist oder Fahrlässigkeit der betreffenden Beamten entstanden sei, so kann diese Erwägung für den Gesetzgeber bestimmend sein, eine Haftverbindlichkeit des Staates in solch en Fällen auszusprechen, - wie denn auch in verschiedenen Staaten in Fällen dieser Art eine Haftpflicht des Staates gesetzlich anerkannt ist. Allein jene Erwägung erscheint nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, daß auch da, wo es an einer solchen Anerkennung jenes Satzes durch die Gesetzgebung fehlt, jene Forderung der Billigkeit und Gerechtigkeit im bestehenden Rechte zur Geltung gelangt sei. Die weitere Erwägung, daß der Staat durch die Anstellung der Beamten stillschweigend die Garantie dafür übernehme, daß dieselben die ihnen aufgetragenen, amtlichen Geschäfte ordnungsmäßig und gesetzmäßig ausführen, sowie für die durch pflichtwidrige Ausübung der ihnen anvertrauten Amtsbefugnis entstandenen Forderungen, kann als begründet nicht anerkannt werden. Aus dem Staatsbegriffe und aus der Stellung der Beamten folgt nicht mit Notwendigkeit, daß der Staat durch die Anstellung der Beamten diese Garantie stillschweigend übernehme, und auch darin, daß der Staat im öffentlichen Interesse und im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehres Einrichtungen trifft, wonach in bestimmten Fällen die Mitwirkung bestimmter Beamten notwendig ist, kann nicht der Ausdruck der Willenserklärung gefunden werden, für die durch pflichtwidrige und gesetzwidrige Handlungen der Beamten entstehenden Beschädigungen haften zu wollen.

Kann demnach nach den zur Anwendung zu bringenden Grundsätzen des gemeinen Rechtes der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte Rechtssatz über die Haftung des Staates für die aus gesetzwidrigen Handlungen der Beamten entstandenen Schäden als bestehend nicht anerkannt werden, und fehlt es an sonstigen Gründen, aus denen im vorliegenden Falle eine Haftpflicht des Beklagten für den dem Kläger durch die Unterschlagung des Gerichtsvollziehers St. zugefügten Schaden zu begründen wäre, so kann die Frage dahingestellt bleiben, ob das nach den Vorschriften der Civilprozeßordnung zwischen dem Gläubiger und dem mit der Zwangsvollstreckung von ihm beauftragten Gerichtsvollzieher bestehende Rechtsverhältnis für die Haftung des Staates für die aus Delikten der Gerichtsvollzieher entstandenen Beschädigungen der Gläubiger von Einfluß sei." ...
(Es folgt eine Beurteilung der weiteren oben angegebenen Gründe des Berufungsgerichtes.)