RG, 02.04.1884 - I 465/83
1. Ist ein neuer Jahrgang eines Adreßbuches als eine neue Auflage des Werkes anzusehen?
2. Voraussetzungen des partiellen Nachdruckes.
Tatbestand
Seit 1853 erscheint zu Stettin alljährlich ein von den Beamten der dortigen Königl. Polizeidirektion bearbeitetes Adreß- und Geschäftshandbuch für Stettin und Umgegend. Das Adreßbuch für 1879 erschien im Verlage der dortigen Buchhandlung Friedrich N. auf Grund des von derselben mit der Königl. Polizeidirektion geschlossenen Vertrages. Für 1880 bis 1889 übertrug letztere den Verlag dem Buchhändler B. Im Dezember 1879 erschienen aber zwei Adreßbücher für 1880, das eine im Verlage des B. unter dem Titel "Adreß- und Geschäftshandbuch &etc;. Vierundzwanzigster Jahrgang. Nach den amtlichen Listen der Königl. Polizeidirektion zusammengestellt. Preis 4,50 M", das andere im Verlage der Buchhändler D. und Friedrich N. unter dem Titel "Adreß-. und Geschäftshandbuch &etc;. Nach amtlichen Quellen und auf Grund direkter Aufnahmen zusammengestellt &etc; Preis 3,75 M." Der Buchhändler B. behauptet, durch die Herausgabe des letzteren geschädigt und zur Auflösung seines mit der Polizeidirektion geschlossenen Vertrages genötigt worden zu sein und klagt gegen D. und Friedrich N. auf Schadensersatz. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung und Revision des Klägers zurückgewiesen.
Aus den Gründen des Revisionsurteiles
"Die Entschädigungsklage, welche gegen die Beklagten als Veranstalter eines Nachdruckes auf Grund des §. 18 des Reichsgesetzes vom 11. Juni 1870 erhoben ist, weist das Berufungsgericht zurück, weil kein Nachdruck vorliege. Die Beschuldigung des Nachdruckes erhebt Kläger unter drei verschiedenen, auch in der Revisionsinstanz geltend gemachten Gesichtspunkten.
1.
Zuvörderst behauptet Kläger, das von den Beamten der Polizeidirektion zu Stettin zusammengestellte Adreß- und Geschäftshandbuch sei ein Werk, von welchem jährlich eine neue Ausgabe erscheine; von diesem Weck sei durch die Beklagten eine Ausgabe für 1880 unbefugt veranstaltet worden; hierdurch sei das Urheberrecht sowohl der Polizeidirektion als des Klägers, welcher das Verlagsrecht für 1880 von ersterer erworben habe, verletzt. Das Berufungsgericht spricht dem Adreßbuche der Beklagten die Eigenschaft einer neuen Ausgabe der früher erschienenen Jahrgänge des bei der Polizeidirektion bearbeiteten Adreßbuches ab. Diese Entscheidung ficht Revisionskläger mit Unrecht als rechtsirrtümlich an. Es ist zwar anzuerkennen, daß die Herausgabe eines periodisch erscheinenden Wohnungsanzeigers (Adreßbuches) insofern als ein einheitliches Unternehmen erscheint, als die Absicht von vornherein auf periodische Wiederholung gerichtet und eine Ausgleichung der bei der ersten Herstellung größeren mit den bei der Wiederholung geringeren Kosten bei der Berechnung des wirtschaftlichen Ertrages in Anschlag gebracht ist. Allein der Schutz des Gesetzes vom 11. Juni 1870 wird nicht dem gewerblichen Unternehmen, sondern dem Schriftwerke gewährt, und die Anwendung des Gesetzes hängt davon ab, ob dem aus ersterem hervorgegangenen Erzeugnisse die Eigenschaft eines geschützten Schriftwerkes zukommt. Nach dem Zwecke eines Wohnungsanzeigers aber, welcher dazu bestimmt ist, den jeweiligen, d. h. den zur Zeit seines Erscheinens vorhandenen Zustand der Bevölkerung, der Wohnungen und der Verteilung der ersteren auf letztere, der Wirklichkeit gemäß darzustellen, und nach den zur Erreichung dieses Zweckes erforderlichen Mitteln, welche in einer Ermittelung des zur Zeit vorhandenen Zustandes in den gedachten Beziehungen bestehen, ist nicht zu bezweifeln, daß bei der Herstellung eines neuen Jahrganges es sich nicht darum handelt, den Wohnungsanzeiger eines verflossenen Zeitraumes in verbesserter, Gestalt wieder herauszugeben, sondern um die Herstellung eines neuen Werkes, wenn auch nach dem Plane und unter Benutzung des Inhaltes des vorhergehenden Jahrganges. Es kann hiergegen nicht eingewendet werden, daß überhaupt bei Herausgabe eines Werkes in vermehrter und verbesserter Ausgabe die seit der ersten Auflage eingetretenen Veränderungen berücksichtigt zu werden pflegen und die hierdurch veranlaßten Ergänzungen und Berichtigungen keinen Grund abgeben, die neue Ausgabe für ein neues Werk zu erklären. Denn zwischen Werken der hier in Rede stehenden Art und sonstigen Werken besteht der Unterschied, daß bei letzteren der in der früheren Ausgabe und der in der verbesserten späteren Ausgabe behandelte Gegenstand derselbe ist, bei Werken der hier fraglichen Art dagegen der auf Darstellung des Zustandes eines früheren Zeitraumes gerichtete Jahrgang einen anderen Gegenstand hat, als der auf Darstellung eines späteren Zustandes gerichtete folgende Jahrgang, weshalb die durchgängige neue Bearbeitung, welche bei sonstigen Werken nach Ermessen des Verfassers stattfinden oder unterbleiben kann, bei Werken der hier in Rede stehenden Art durch die Natur der Sache mit Notwendigkeit geboten ist. Wenn schon bei sonstigen Werken der Unterschied zwischen einer verbesserten neuen Ausgabe und der ursprünglichen so groß sein kann, daß jene, ungeachtet ihrer Bezeichnung als neue Ausgabe, doch wegen der durchgängigen Umarbeitung als ein neues Wert erscheint, für welches ein neues Urheberrecht begründet ist, so ist dies bei Werken der hier in Rede stehenden Art nach der Eigentümlichkeit ihres Zweckes und der dadurch bedingten Herstellungsweise allemal der Fall. An der Herstellung neuer Schriftwerke aber und an der Benutzung des Inhaltes vorhandener Schriftwerke bei Herstellung derselben ist niemand durch das Verbot des Nachdruckes gehindert. Der Polizeidirektion zu Stettin stand ein ausschließliches Recht auf Herstellung und Herausgabe des bisher bei ihr jährlich bearbeiteten Adreßbuches nicht zu. Die Beklagten waren daher weder durch eine gesetzliche Vorschrift noch durch bestehende Rechte eines Dritten gehindert, durch Herstellung und Herausgabe eines Adreßbuches für 1880 mit der Polizeidirektion zu Stettin und deren Verleger, dem Kläger, in Konkurrenz zu treten.
2.
Kläger behauptet, daß Beklagte hierbei die Grenzen erlaubter Benutzung fremder Schriftwerke überschritten und sich eines nach §. 4 Abs. 2 des Reichsgesetzes vom 11. Juni 1870 unerlaubten partiellen Nachdruckes schuldig gemacht haben, indem sie Bestandteile des nicht von ihnen bearbeiteten und der mitbeklagten Buchhandlung Fr. N. nur für 1879 in Verlag gegebenen Adreßbuches für 1879 ohne selbständige Bearbeitung unverändert oder nur unwesentlich verändert ohne Erlaubnis des Urhebers in ihr Adreßbuch für 1880 aufnahmen. ...
In den Ausführungen des Berufungsgerichtes bezüglich dieser Frage ... ist ein Rechtsirrtum nicht zu ersehen.
Darin, daß die Beklagten den Titel des Adreßbuches für 1879 auch für ihr Adreßbuch gewählt haben, ist ein Nachdruck nicht enthalten, da der Titel als bloße Bezeichnung eines Schriftwerkes nicht Gegenstand des Nachdruckes ist, was im Entwurfe des Gesetzes §. 6 lit. g ausdrücklich ausgesprochen war und im Gesetze nur deshalb nicht erwähnt ist, weil es nach dem Vorschlage der Kommission des Reichstages für angemessen erachtet wurde, den materiell richtigen, aber selbstverständlichen Satz nicht besonders im Gesetze zu erwähnen (vgl. Kommissionsbericht zu §. 7).
In der Übertragung der Anordnung und Einteilung des Stoffes ist - abgesehen von der Frage, ob im allgemeinen schon hierin allein eine Verletzung des Urheberrechts gefunden werden könnte - jedenfalls im vorliegenden Falle eine Verletzung desselben nicht zu finden, da nach der Feststellung des Berufungsgerichtes die Anordnung der Hauptabteilungen so sehr in der Natur der Sache liegt, daß sie nicht als etwas dem Adreßbuche von 1879 Eigentümliches anzusehen ist, die Anordnung des einzelnen innerhalb der Hauptabteilungen aber weniger dem Stettiner Adreßbuchs von 1879, als dem von den Beklagten zum Vorbilde genommenen Magdeburger Adreßbuche entnommen ist.
Den Inhalt der Abteilungen I bis IV anlangend, behauptet Kläger selbst nicht, daß derselbe im wesentlichen unverändert aus dem Adreßbuche von 1879 in das Adreßbuch der Beklagten übertragen worden sei; er giebt vielmehr an, daß Beklagte unter Zugrundelegung des ersteren gemäß den inzwischen eingetretenen Veränderungen der Personal- und Wohnungsverhältnisse Abänderungen und Ergänzungen vorgenommen und das solchergestalt veränderte Verzeichnis in Druck gegeben haben.
Was endlich die im Anhange abgedruckten gemeinnützigen Nachrichten, insbesondere über Post- und Bankeinrichtungen, anlangt, so verneint das Berufungsgericht in dieser Beziehung das Vorhandensein eines Nachdruckes, weil es sich um öffentliche Publikationen handele, an welchen durch Aufnahme derselben in das Adreßbuch von 1879 ein Privaturheberrecht nicht habe erworben werden können. Wenn nun auch die Möglichkeit nicht zu bestreiten ist, daß durch Aufnahme von amtlichen Erlassen und öffentlichen Aktenstücken in ein zu einem selbständigen Zwecke hergestelltes größeres Ganze ein Urheberrecht hieran erworben werden kann, so ist doch Gegenstand desselben nur das gesamte Werk, wogegen hinsichtlich der einzelnen darin aufgenommenen Erlasse und Aktenstücke die Vervielfältigung gemäß §. 7 c des Gesetzes vom 11. Juni 1870 gestattet bleibt, ohne Unterschied, ob der Inhalt derselben bei der Vervielfältigung aus der ursprünglichen Quelle oder aus dem Gesamtwerte entnommen ist. Das Berufungsgericht nimmt daher mit Recht an, daß der Abdruck der in Rede stehenden Publikationen in dem Adreßbuche für 1879 dem Wiederabdrucke derselben in dem Adreßbuche der Beklagten nicht entgegenstand.
3.
Kläger behauptet endlich, daß die Beklagten einen Teil des bei der Polizeidirektion zu Stettin hergestellten noch ungedruckten Manuskriptes des Adreßbuches für 1880 im Sinne des §. 5 a des Gesetzes vom 11. Juni 1870 nachgedruckt haben, indem sie die von dem Polizeipräsidenten ... verfaßten, zur Aufnahme in das Adreßbuch für 1880 bestimmten Aufzeichnungen über die Zuständigkeit, Zusammensetzung und Besetzung der städtischen Behörden zu Stettin auf Seite 13 bis 15 der Abteilung IV ihres Adreßbuches für 1880 unter den Überschriften Magistrat, Stadtverordnetenversammlung, Stadtausschuß und Standesamt unbefugt abdruckten ... Das Berufungsgericht verneint das Vorhandensein eines Nachdruckes, indem es ausspricht: "Als Teil des 1880er Adreßbuches des Klägers angesehen, ist diese Übersicht ein so geringer Bestandteil desselben, daß auch ein teilweiser Nachdruck nicht angenommen werden könnte, und zwar gilt dies mit Rücksicht auf das quantitative Verhältnis und das Verhältnis der zur Herstellung des Adreßbuches angewandten geistigen Thätigkeit."
Diese Entscheidung kann nicht als rechtsirrtümlich bezeichnet werden. Ein partieller Nachdruck ist nur dann anzunehmen, wenn ein irgendwie erheblicher Teil eines fremden Schriftwerkes unbefugt vervielfältigt worden ist, und die Erheblichkeit des vervielfältigten Teiles ist nach dem quantitativen und qualitativen Verhältnisse desselben zu dem ganzen Schriftwerke zu bemessen; welcher Grundsatz auch von dem vormaligen Reichsoberhandelsgerichte1 und von dem Reichsgerichte in strafrechtlicher Beziehung2 in Anwendung gebracht worden ist. Hiermit steht die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Einklange, welche unter Berücksichtigung sowohl des Verhältnisses der zur Herstellung der gedachten Übersicht aufgewendeten Thätigkeit zu der behufs Herstellung des ganzen Adreßbuches aufgewendeten Gesamtthätigkeit als auch des Verhältnisses des Umfanges dieser Übersicht zum Umfange des ganzen Adreßbuches zu dem Ergebnisse gelangt, daß nur ein geringer, in quantitativer wie qualitativer Beziehung unbedeutender Teil unbefugt vervielfältigt worden sei."