RG, 25.03.1884 - II 442/83
Ist der Familienrat befugt, die Verfügungsgewalt des Vaters als gesetzlichen Vormundes seiner Kinder und Nutznießers an deren Vermögen über den Erlös veräußerter (expropriierter) Immobilien zu beschränken?
Tatbestand
Auf das Ableben ihrer Mutter haben die minderjährigen Kinder des H. ein Grundstück geerbt, welches zu Zwecken der hessischen Ludwigsbahn expropriiert worden ist. Über die Anlage des 80000 M betragenden Preises faßte der Familienrat einen Beschluß, wonach dafür süddeutsche Wertpapiere angeschafft und bei der Reichsbank hinterlegt werden sollten, welche nur unter Mitwirkung des Beivormundes erhoben werden dürften und von denen der Vater nur die Zinsen beziehen sollte. Letzterer hat den Beschluß durch Klage angefochten; diese ist in beiden Instanzen abgewiesen und die Revision zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Mit der erhobenen Klage verfolgt der gesetzliche Vormund seine Rechte, welche nach seiner Auffassung durch den Familienratsbeschluß vom 19. Dezember 1881 beeinträchtigt worden sind; es liegt deshalb im Sinne des maßgebenden Landesrechtes1 eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vor, auf welche nach §.13 G.V.G. und §. 3 Einf.-Ges. zur C.P.O. die Civilprozeßordnung Anwendung findet. Die Revision ist daher zulässig.
Dieselbe konnte aber nicht für begründet erachtet werden.
Es ist zwar dem Revisionskläger darin beizupflichten, daß der Familienrat nicht befugt ist, die durch Art. 450 Code civil dem Vormunde eingeräumte Stellung und die daraus sich ergebenden Rechte - von der Absetzung gemäß Artt. 444 flg. abgesehen - zu ändern oder zu schmälern. Die gesetzlichen Bestimmungen betreffs der Rechte und der Gewalt des Vormundes gehören dem öffentlichen Rechte an, können daher (vgl. Art. 6 a. a. O.), nicht durch Privatwillkür beseitigt werden, und wenn auch der Familienrat berufen ist, nach allen Richtungen das Interesse des Mündels zu sichern, so kann dies doch nur innerhalb der vom Gesetze selbst gezogenen Schranken geschehen. Die für die gegenteilige Meinung angeführten Entscheidungen der Appellhöfe von Limoges (28. Februar 1846, Sirey, 46. 2. 355) und Bordeaux (25. März 1873, Sirey, 73. 2. 215) sowie des Kassationshofes vom 20. Juli 1842 ( Sirey, 42. 1. 587) können somit, wie auch in der französischen Doktrin geschieht2 nicht gebilligt werden; übrigens handelt das Urteil des Kassationshofes von einem Dativvormunde, welcher dem seine Rechte einschränkenden Beschlusse des Familienrates ausdrücklich zugestimmt hat.
Verschieden ist aber der Fall zu beurteilen, wenn während der Vormundschaft eine Liegenschaft des Mündels durch Veräußerung in Kapitalvermögen umgewandelt werden soll. Für diesen Fall bestimmt Art. 457 Code civil, und zwar unter ausdrücklicher Hervorhebung, daß dies auch gegen Vater und Mutter gelten solle, daß hierzu die Autorisation des Familienrates notwendig sei, daß diese nur unter gewissen Voraussetzungen erteilt werden und der Familienrat seiner Entschließung alle ihm nützlich scheinenden Bedingungen beifügen dürfe. Aus dem ganzen Zusammenhange des Artikels, ergiebt sich demnach, daß der Familienrat, welcher befugt ist, seine Zustimmung zu einer Veräußerung zu versagen, wenn er die dringende Notwendigkeit oder den augenscheinlichen Nutzen nicht anerkennt, auch das Recht haben müsse, seine Zustimmung von Bedingungen abhängig zu machen, welche er im Interesse des Mündels für geboten erachtet, daß er überhaupt bei Veräußerung von Immobilien dafür zu sorgen hat, daß durch dieselbe die seither im Immobilienbesitze bestandene Sicherheit des Mündelsgutes nicht gefährdet werde. Es ist daher in dieser Richtung eine Entscheidung des Pariser Kassationshofes vom 20. Juni 1843 ( Sirey, 43. 1. 651) vollkommen zu billigen, welche ausführt, daß das Gesetz hinsichtlich dieser Bedingungen keinen Unterschied mache, es also dabei nur auf das Interesse des Mündels ankomme, daß auch durch diese Fürsorge, welche geboten erscheint, wenn Immobilien in Geld umgesetzt werden, die Rechte des Vormundes, selbst wenn er gesetzlicher Nutznießer ist, nicht beeinträchtigt werden, sobald ihm die Einkünfte gelassen werden, da er ja auch keine Verfügung über die Immobilien hatte.
Diese Grundsätze müssen für jede Veräußerung von Immobilien, namentlich auch dann gelten, wenn dieselbe im Zwangswege oder wegen gesetzlicher Notwendigkeit, wie etwa bei Aufhebung einer Gemeinschaft (Art. 815 Code civil) oder, wie im gegebenen Falle, infolge einer Enteignung geschieht.
Wenn auch der Familienrat in Fällen dieser Art seine Zustimmung dazu, daß veräußert werde, nicht zu erteilen hat, also auch nicht versagen kann, so würde es doch gegen das Prinzip des Art. 457 a. a. O. verstoßen, wenn ihm deshalb auch das Recht abgesprochen und nicht vielmehr seine Pflicht anerkannt würde, durch Maßregeln zur Sicherung des an die Stelle der Immobilien getretenen Kapitales die Interessen des Mündels zu wahren.
Demnach beruht die angefochtene Entscheidung auf einer richtigen Anwendung des Art. 457 Code civil) und kann, da in dieser Gesetzesvorschrift ausdrücklich hervorgehoben ist, daß sie auch gegen Vater und Mutter gelten solle, welchen doch in der Regel (Art. 384 Code civil) der Nießbrauch am Mündelvermögen zusteht, der Umstand nicht in Betracht kommen, daß dem Kläger kraft Gesetzes oder durch Schenkung seiner verstorbenen Ehefrau eine Nutznießung zusteht."