RG, 05.03.1884 - I 16/84

Daten
Fall: 
Natur des Deckungskaufes
Fundstellen: 
RGZ 11, 197
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.03.1884
Aktenzeichen: 
I 16/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Breslau
  • OLG Breslau

Natur des Deckungskaufes. An welchem Orte ist derselbe abzuschließen? Wirkung eines Versehens beim Abschlusse.

Tatbestand

Der Kläger hat vom Beklagten Altschienen zu 7,80 M für 100 kg lieferbar frei Baildonhütte bei Kattowitz gekauft. Der Beklagte hat die Lieferung aus rechtskräftig als nicht stichhaltig erkannten Gründen verweigert. Der Kläger fordert als Schadensersatz die Differenz zwischen dem vertragsmäßigen Preise und dem Preise eines zu 12 M für 100 kg abgeschlossenen Deckungskaufes. Der Deckungskauf war abgeschlossen in Breslau (frei Baildonhütte wie der erste Vertrag), nicht in Gleiwitz oder Kattowitz, den dem Ablieferungsorte zunächst liegenden Handelsplätzen. Aus diesem Grunde beanstandet der Beklagte die Schadenberechnung. Während in erster Instanz der Beklagte nach dem Klageanträge verurteilt wurde, wies der Berufungsrichter die Klage ab und motivierte diese Entscheidung in folgender Weise.

Der Deckungskauf sei zur richtigen Zeit abgeschlossen worden, aber nicht am richtigen Orte. Nach dem Gutachten der Handelskammer zu Breslau seien Gleiwitz und Kattowitz Marktorte im Sinne des Handelsgesetzbuches, deren Marktpreise nicht immer die gleichen seien, wie die in Breslau. Dieser Ausspruch sei unter Hinweis auf die verschiedenen Verwendungszwecke der Altschienen an dem einen oder anderen Orte überzeugend motiviert, es habe daher auf den angebotenen Gegenbeweis über diesen Punkt nicht eingegangen werden können. Der Kläger hätte beweisen müssen, daß in der kritischen Zeit die Marktpreise die gleichen gewesen. Dieser Beweis sei nicht erbracht, es sei sonach nicht erwiesen, daß der Kläger bei Abschluß des Deckungskaufes die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes beobachtet habe. Man könne dem Kläger auch nicht damit helfen, daß man ihm die Differenz zwischen dem Marktpreise und dem Vertragspreise zuspräche, denn es fehle an den Unterlagen zur Feststellung des Marktpreises in dem maßgebenden Nächstliegenden Marktorten Gleiwitz und Kattowitz.

Auf Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Gesetz behandelt den Deckungskauf nicht. Es schreibt denselben nicht etwa bei Säumnis des Verkäufers in der Art als Grundlage der Schadensliquidation des Käufers vor, wie es bei Säumnis des Käufers den Verkauf der Ware vorschreibt (Art. 354 H.G.B.). Der nicht säumige Käufer kann vielmehr, wenn er bei Säumnis des Verkäufers Schadensersatz wählt, den Schaden in beliebiger Weise liquidieren (Art. 355 H.G.B.). Die einfachste und Nächstliegende Art der Beseitigung des durch die Nichtlieferung entstandenen Schadens ist die anderweite Anschaffung der Ware, und, da von vornherein anzunehmen ist, daß der Käufer hieran ein Interesse hat, so braucht er dieses Interesse ebensowenig darzuthun, wie das Interesse an der Realerfüllung, wenn, er diese verlangt. Der Käufer ist zur Vornahme des Deckungskaufes in seinem Interesse berechtigt. Er handelt dabei nicht als Mandatar oder negotiorum gestor des Verkäufers, hat also nicht die Diligenz eines solchen in der Art zu prästieren, daß er eingehende Untersuchungen anzustellen hat, wo und wie er die Ware am vorteilhaftesten einzukaufen habe. Es kann von ihm nur ein gutgläubiges Handeln verlangt werden. "Die vom Käufer wirklich und redlicherweise bezahlten Preise" bilden die Grundlage für seine Schadensliquidation.1

Was im einzelnen die Frage betrifft, an welchem Orte der Deckungskauf vorzunehmen ist, so wird es nahe liegen, daß der Käufer denselben am Erfüllungs- oder Ablieferungsorte abschließt oder an dem diesem Orte zunächst liegenden Marktorte. Man wird, wenn er dies nicht thut, von ihm eine Darlegung der Gründe, die ihn zur Wahl des anderen Ortes bestimmten, verlangen können.

Allein, auch wenn der Käufer den Abschluß an dem gewählten Orte nicht zu rechtfertigen vermag, und wenn er infolge der Wahl dieses Ortes zu ungünstigeren Bedingungen abgeschlossen hat, oder wenn er sich in anderen Beziehungen eines Versehens oder gar eines groben Versehens schuldig gemacht haben sollte, so folgt hieraus doch nicht, wie dies der Fall sein würde, wenn er einen Selbsthilfeverkauf in nicht ordnungsmäßiger Weise abgeschlossen hätte, daß er den Deckungskauf seiner Schadensberechnung nicht zu Grunde zu legen berechtigt sei, sondern nur, daß bei Ermittelung der Höhe des Schadens der Richter diese Umstände mit zu, berücksichtigen habe; der Richter hat also zu untersuchen, wie hoch sich zur fraglichen Zeit am Ablieferungsorte oder in den nächsten Marktorten der Marktpreis gestellt hat, oder, wenn ein solcher nicht zu ermitteln ist, zu erwägen, was damals und dort als angemessener Preis erschienen sein würde. Hiernach hat er unter Mitberücksichtigung etwaiger besonderer Umstände, z. B. raschen Konjunkturenwechsels und dadurch bedingten Schwankens oder nach einer bestimmten Richtung hin erfolgender Veränderung der Preise zu prüfen, ob der vom Käufer beim Deckungskaufe angelegte Preis sich nicht etwa als ein unverhältnismäßig hoher darstelle, welcher unter gleichen Umständen von einem sorgfältig handelnden Kaufmanne wohl schwerlich angelegt worden sein würde. Findet der Richter dies, so hat er den betreffenden Faktor der Schadensberechnung herabzusetzen.

Der Berufungsrichter ist sonach, indem er die Klage abwies, von einer rechtsirrtümlichen Auffassung des Deckungskaufes und der in Art. 355 H.G.B. enthaltenen Bestimmungen über Schadensersatz ausgegangen und hat gegen §. 260 C.P.O. gefehlt.

Aus dem ausgeführten ergiebt sich auch, daß das Verfahren des Berufungsrichters nicht etwa darum für gerechtfertigt angesehen werden kann, weil die zur Berechnung des Schadens erforderlichen Unterlagen gänzlich gefehlt hätten. Allerdings kann aus den Aussagen der vernommenen Zeugen und Sachverständigen nicht entnommen werden, wie hoch in der kritischen Zeit der Marktpreis der Altschienen in Gleiwitz oder Kattowitz gewesen ist. Allein es ergeben sich doch genügende Momente für die Beantwortung der Frage, ob der Deckungskaufpreis als ein nicht unangemessener im Sinne der obigen Ausführung erscheine. Diese Formulierung der Fragstellung läuft auch nicht etwa der Auskunft der Breslauer Handelskammer, auf welche der Berufungsrichter besonderes Gewicht legt, zuwider, denn wenn in demselben auch Gleiwitz und Kattowitz als Marktorte für Altschienen erklärt sind, so ist dies doch nicht so aufzufassen, als ob an diesen Orten Einrichtungen zur Feststellung der Marktpreise beständen, vielmehr ist, aus der Verweisung auf den Schlußsatz des Art. 353 H.G.V. und auf das angeführte Reichsoberhandelsgerichtsurteil auf das Gegenteil zu schließen.

Das angefochtene Urteil war sonach aufzuheben und die Sache in die zweite Instanz zurückzuverweisen, wo der Richter in Gemäßheit der oben entwickelten Grundsätze die Höhe der Schadensforderung des Klägers zu ermitteln haben wird."

  • 1. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 4 Nr. 64 S. 320. Nicht entgegen steht Bd. 17 Nr. 56 S. 257.