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RG, 22.02.1884 - III 306/83

Daten
Fall: 
Vindikation eines Sparbuchs
Fundstellen: 
RGZ 11, 239
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.02.1884
Aktenzeichen: 
III 306/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Lüneburg
  • OLG Celle

1. Vindikation eines auf Namen lautenden Sparkassenbuches.
2. Umfang der Verbindlichkeit des Klägers, die speziellen Erwerbsgründe des angesprochenen dinglichen Rechtes anzuführen.
3. Sind die im römischen und kanonischen Rechte und in den älteren deutschen Reichsgesetzen verordneten Privatstrafen der unerlaubten Selbsthilfe, insbesondere der Verlust des Eigentumes des Vergewaltigers zum Vorteile des Gegners, durch Einführung des Reichsstrafgesetzbuches vom 31. Mai 1870 aufgehoben?

Tatbestand

Die Beklagte, welche vor ihrer Verheiratung mit ihrem jetzigen Ehemanne in dem Hause des Klägers als Pflegetochter Aufnahme gefunden halte, verließ dasselbe am 21. Oktober 1881 unter Mitnahme eines Quittungsbuches der Sparkasse zu Sch. Nr. 1361, das sie sich aus dem Gewahrsam ihres Pflegevaters, und zwar durch das Öffnen einer Schatulle des letzteren mittels Anwendung eines falschen Schlüssels, zu verschaffen gewußt hatte. Dieses Quittungsbuch lautet nach dem Umschlage auf ihren, der Beklagten, Namen und enthält Einträge über geleistete Einzahlungen und unerhobene Zinsen vom 14. Januar 1875 bis 14. Mai 1880 im Gesamtbetrage von 1733,72 M. Kläger erhebt Klage auf Anerkennung seines Eigentumes, eventuell seines Miteigentumsrechtes und Herausgabe, eventuell Einräumung des Mitbesitzes an jenem Quittungsbuche, indem er sich darauf beruft, daß er selber die fraglichen Einlagen bei der Sparkasse gemacht und diese ihm das Quittungsbuch behändigt habe, dessen Ausstellung auf den Namen der Beklagten nur zu dem Zwecke erfolgt sei, damit sie solches, wenn sie gut thue und bei ihm bliebe, demnächst erben solle.

Die Beklagte hat sich dieser Klage gegenüber, unter Widerspruch des Klägers, darauf berufen, daß die in dem Quittungsbuche eingetragenen Gelder von dem Kläger teils in ihrem Auftrage, teils für sie mit schenkweiser Überlassung belegt worden seien, und daß Kläger ihr das Buch übergeben, bezw. in einem ihr zugänglichen Schranke der gemeinschaftlichen Wohnung aufbewahrt, seit ihrer Verlobung mit ihrem jetzigen Ehemanne aber ihr eigenmächtig und widerrechtlich vorenthalten habe.

Nach stattgehabter Beweisaufnahme hat das Landgericht zunächst das Miteigentumsrecht der Beklagten am Sparkassenbuche bezüglich eines Betrages von 108 M für erwiesen erachtet, da Beklagte diese Summe nach dem Ergebnisse des Beweises dem Kläger zum Zwecke der Belegung übergeben habe, in Ansehung der übrigen sechs Posten Hauptgeld auf einen richterlichen Eid zu Gunsten der Beklagten darüber erkannt, daß sie die fünf ersten Posten dem Kläger zur Einlage bei der Sparkasse übergeben habe, und daß ihr der sechste Posten mit 1211,95 M vom Kläger geschenkt worden sei.

Kläger verfolgte hiergegen die Berufung. Unter Benennung weiterer Zeugen und eventueller Eideszuschiebung machte er als neues Vorbringen geltend, daß die Beklagte außergerichtlich Dritten gegenüber zu verschiedenen Malen bekannt habe, daß sie keine Rechte an dem Quittungsbuche und den darin verzeichneten Einlagen ausprechen könne, sowie, daß eine ausdrückliche Übereinkunft zwischen ihnen beiden über die eventuelle Erbberechtigung der Beklagten zu dem angelegten Gelde in Höhe von 1509 M geschlossen worden sei. Außerdem behauptete Kläger noch, daß die Beklagte, da sie das fragliche Quittungsbuch mittels Anwendung eines falschen Schlüssels aus seiner, des Klägers, Schatulle weggenommen, dadurch auf Grund der römisch-rechtlichen Bestimmungen über unerlaubte Selbsthilfe das ihr etwa zustehende Eigentum an jenem Buche zu seinen Gunsten verloren habe.

Dieser letzteren Klagebegründung setzte die Beklagte die Einrede der unzulässigen Klagänderung entgegen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung verworfen. Auf Revision des Klägers hat das Reichsgericht abändernd erkannt und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die zweite Instanz zurückverwiesen.

Gründe

... "Die erste Revisionsbeschwerde war insoweit für begründet zu erachten, als sie rügt, daß der Vorderrichter bei der Würdigung des Sachverhaltes und der Verwerfung der von dem Kläger in zweiter Instanz neu angebotenen Beweise von irrigen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen sei. Das Berufungsgericht, indem es vorausschickt, daß dem Kläger der Beweis des von ihm behaupteten, von der Beklagten jedoch bestrittenen Eigentumes am Sparkassenbuche obliege, erwägt:

"Es folge aus der Thatsache, daß Kläger die einzelnen in dieser Urkunde verzeichneten Geldbeträge bei der Sparkasse zu Sch. eingelegt habe, noch nicht dessen Eigentum am Buche; vielmehr liege in dem Umstande, daß Kläger das Sparkassenbuch anerkanntermaßen auf den Namen der Beklagten habe schreiben lassen, an sich der Abschluß eines durch Vermittlung des Klägers zwischen der Sparkasse und der Beklagten zustande gekommenen Darlehnsgeschäftes. Freilich sei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß in einem einzelnen Falle ein Anderer als derjenige, auf dessen Namen das Sparkassenbuch laute, Gläubiger der Sparkasse und Eigentümer des Buches werden könne; allein ein solcher Fall sei nur gegeben, wenn besondere Umstände bewiesen würden, aus welchen mit Sicherheit eine derartige Absicht des Einlegers und des Vertreters der Sparkasse zu entnehmen wäre. Solche Umstände seien von dem Kläger hier nicht einmal behauptet."

Diese Argumentation, welche als eine konkrete tatsächliche Feststellung nicht betrachtet werden kann, ist in mehrfacher Beziehung rechtsirrtümlich.

Sparkassenbücher, sofern sie nicht ausdrücklich auf den Inhaber lauten, können in ihrer Eigenschaft als Schulddokumente, wie andere Urkunden und Sachen, ohne Zweifel selbständige Gegenstände des Eigentumes und Miteigentumes sein und unterliegen als solche der Eigentumsklage oder, falls sie im Miteigentume mehrerer stehen, der petiturischen Klage auf Regelung der Gemeinschaft. Für die Eigentums- oder Miteigentumsfrage ist dabei der Umstand, daß ein Sparkassenbuch etwa auf den Namen eines Anderen, als desjenigen, welcher die darin verbrieften Einzahlungen geleistet hat, geschrieben wurde, an und für sich ebensowenig entscheidend, wie diese Thatsache allein den Dritten noch nicht der Sparkasse gegenüber forderungsberechtigt macht. Für die erstere zumal dann nicht, wenn der nur auf dem Umschlage des Buches bezeichnete Dritte niemals den (redlichen) Besitz oder Mitbesitz der Urkunde, sei es unmittelbar durch den Einleger, sei es mittelbar dadurch, daß die Sparkassenverwaltung diesen Besitz auf den Einleger als Stellvertreter des Dritten übertrug, erlangt hat, wahrend das Forderungsrecht selber für den letzteren ohne weiteres nur unter der Voraussetzung erworben wird, daß die Belegung des Geldes durch den Einleger in Stellvertretung oder zu Gunsten des Dritten nach dem erkennbaren Willen des ersteren erfolgt.

Es hängt daher, wie in jedem Falle, so auch im vorliegenden, von den näheren Umständen ab, ob die Beklagte aus der an sich nur einseitigen Handlung des Klägers, - dem Schreibenlassen des Sparkassenbuches auf ihren, der Beklagten, Namen bei der unbestritten durch ihn stattgehabten Einzahlung der einzelnen Beträge, - ein Eigentums- oder Miteigentumsrecht an der Urkunde und ein Forderungsrecht bezüglich der verbrieften Einlagen erlangt hat, und es wird weiter zu erwägen sein, ob, wenn die Übereignung des Buches an den Kläger als zugestanden oder sonst feststehend angenommen werden muß, die Beklagte imstande ist, durch die vorgeschützten Einreden die Klage aus dem Eigentume oder Miteigentume zu elidieren.

Zur Prüfung dieser Fragen und zum Zwecke der Erhebung der von den Parteien in den Verhandlungen vor dem Berufungsgerichte weiter angebotenen Beweise war danach die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Mit der letzten Revisionsbeschwerde macht der Kläger geltend, daß das Oberlandesgericht unter Verletzung des §. 240 Ziff. 1 C.P.O. das Berufen auf die im gemeinen Rechte angedrohten Strafen der unerlaubten Selbsthilfe als Klagänderung verworfen habe. Dieser Angriff ist zwar an sich gerechtfertigt, die Beschwerde selbst jedoch gemäß §. 526 C.P.O. aus anderen Gründen abzuweisen.

Daß bei Erhebung einer dinglichen Klage der Kläger den speziellen Entstehungsgrund seines Rechtes anzugeben hat, folgt aus der Vorschrift des §. 230 Ziff. 2 C.P.O., wonach jede Klage die bestimmte Bezeichnung des Grundes des erhobenen Anspruches enthalten muß. Dazu reicht die bloße Angabe des Rechtes, welches verfolgt werden soll, nicht aus, sondern es sind diejenigen Thatsachen anzuführen, aus denen das angesprochene Recht hervorgehen soll. Selbstverständlich genügt es aber, wenn bei Eigentumsklagen die mehreren Erwerbsarten des Eigentums, auf welche die Vindikation sich etwa stützt, aus dem thatsächlichen Klagevorbringen erhellen, und ist es alsdann Aufgabe des Richters, die behaupteten Thatsachen unter das Gesetz zu stellen und zu entscheiden, ob aus solchen, wenn erwiesen, der erhobene Eigentumsanspruch zu folgern sei.1

Im vorliegenden Falle hatte der Kläger schon in der Klage vorgebracht, daß er durch Belegung der fraglichen Geldbeträge bei der Sparkasse zu Sch. und Übergabe des Sparkassenbuches an ihn seitens der Verwaltung Eigentümer dieses Buches geworden sei, und daß ihm die Beklagte solches mit Anwendung eines falschen Schlüssels zu der Schatulle, in welcher dasselbe von ihm aufbewahrt worden sei, eigenmächtig entzogen habe. Ist nun Verlust des Eigentumes an einer (beweglichen) Sache und unmittelbarer Erwerb dieses Eigentumes zu Gunsten des eigenmächtig Entsetzten eine gesetzliche Folge der widerrechtlichen Selbsthilfe, so ist es klar, daß Kläger zwei verschiedene Erwerbsarten des Eigentumes in der Klage kumuliert hatte, Eigentumserwerb durch Tradition und durch unmittelbare Vorschrift des Gesetzes. Die dabei in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte brauchte der Kläger nicht besonders hervorzuheben; es war nur erforderlich, daß sich aus seinem Vorbringen erkennen ließ, auf welche thatsächliche Momente er seinen Eigentumsanspruch stützen wollte. In letzterer Beziehung könnte man wohl betonen, daß der Inhalt der Klage, wie überhaupt das Vorbringen des Klägers in erster Instanz, dessen Intention, auch auf die verbotene Selbsthilfe der Beklagten die Vindikation zu gründen, also zugleich auf Grund dieser Eigenmacht eine Verurteilung der Beklagten zur Herausgabe des Sparkassenbuches herbeizuführen, nicht genügend erkennbar mache. Allein nach dieser Richtung erscheint die ausdrückliche Hervorhebung dieses Gesichtspunktes in der Verhandlung vor dem Berufungsgerichte nur als eine Ergänzung des Klagevorbringens, welche nach §. 240 Ziff. 1 C.P.O. als Änderung der Klage nicht angesehen werden soll.

Die Vorinstanz hat über den fraglichen Klagegrund selbst nicht erkannt. Es müßte daher dem Grundsatze nach eine Rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung auch über diesen Punkt erfolgen. Der §. 536 C.P.O. schreibt jedoch vor, daß, wenn die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteiles zwar eine Gesetzesverletzung ergeben, die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig sich darstellt, die Revision zu verwerfen sei. An sich bezieht sich dies wohl nicht auf Fälle, in denen eine Klage aus prozessualen Gründen abgewiesen worden ist, und das Revisionsgericht dieser Entscheidung nicht beitritt. Allein hier liegt die Sache so, daß die Vorinstanzen bereits in der Hauptsache erkannt und das Enderkenntnis von der Ableistung eines der Beklagten auferlegten Eides über den ersten (primären) Klagegrund abhängig gemacht haben, während doch dieses Zwischenurteil ganz wegfällt, wenn der zweite (eventuelle) Klagegrund zugelassen wird. Unbedenklich wird man in einem solchen Falle, sobald die Sache zur Endentscheidung reif ist, in dritter Instanz auf den eventuellen Klagegrund selber eingehen können, wenngleich die zweite Instanz mit einer bloß prozessualen Erwägung die Klagenkumulation beseitigt hat.

Nach dem Thatbestande des ersten Urteiles, auf welchen das Berufungsgericht verwiesen hat, ist es nun von der Beklagten nicht bestritten worden, daß sie sich auf die von dem Kläger angegebene Art und Weise eigenmächtig in den Besitz des streitigen Sparkassenbuches gesetzt habe. Dieser Akt der Selbsthilfe hat jedoch nach heutigem gemeinen Rechte nicht den Verlust des der Beklagten etwa am Buche zustehenden Eigentums- oder Miteigentumsrechtes zur Folge. Zwar geht nach römischem Rechte, wie auch nach den Vorschriften des kanonischen Rechtes und der älteren deutschen Reichsgesetzgebung infolge unerlaubter Selbsthilfe vermöge Gesetzes das Recht des Eigentümers und Vergewaltigers zur Strafe verloren und wird ohne weiteres ( ipso jure) auf dessen Gegner dergestalt übertragen, daß der letztere sofort vindizieren kann.2

Allein ganz abgesehen von der Frage, ob danach jede Eigenmacht oder nur die mit wahrer Gewaltthätigkeit ( vis atrox) verbundene Selbsthilfe des Eigentümers jene Wirkung herbeiführte, ist die erwähnte Privatstrafe selbst in denjenigen Ländern des gemeinen Rechtes, in welchen sie nicht schon früher gewohnheitsrechtlich oder durch die Landesgesetzgebung beseitigt war, durch das Reichsstrafgesetzbuch vom 31. Mai 1870 aufgehoben worden. Unverkennbar beabsichtigten die angeführten Bestimmungen des römischen, kanonischen und deutschen Rechtes die Bestrafung der unerlaubten Selbsthilfe. Letztere gehört aber zu den Materien, deren Strafbarkeit oder Nichtstrafbarkeit das Reichsstrafgesetzbuch regeln wollte. Da nun letzteres die Eigenmacht nur dann, wenn sie in besonders schweren Fällen, namentlich durch Anwendung strafbarer Mittel verübt wird, mit bestimmten Strafen bedroht so ist der Schluß begründet, daß die Strafen der qualifizierten Selbsthilfe keine anderen sein können, als die im Reichsstrafgesetzbuche angedrohten, die Eigenmacht als solche aber nicht länger unter Strafe gestellt ist.3

  • 1. Vgl. Bd. 10 Nr. 142 S. 434.
  • 2. Vgl. c. 7 Cod. unde vi 8,4; c. 18 de praeb. in VI; Kammergerichtsordnung von 1521 Tit. 32 §. 2; Reichsabschied von 1532 Tit. 3 §. 15.
  • 3. Vgl. Windscheid, Pandekten. 5. Aufl. §. 123 Anm. 4a; Arndts, Pandekten 11. Aufl. §. 94 a. E.; Baron, Pandekten §. 77 a. E.; Mandry, Civilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze 2. Aufl. §. 22 S. 260 und die dort Angeführten."