danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

BGH, 05.05.1952 - IV ZA 36/51

Daten
Fall: 
Reichsgerichtrevision beim BGH
Fundstellen: 
BGHZ 6, 64; JZ 1952, 376; NJW 1952, 937
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
05.05.1952
Aktenzeichen: 
IV ZA 36/51
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Lersch, Ascher, Raske, Hartz, Johannsen
Instanzen: 
  • KG Berlin

Ist über eine beim Reichsgericht zulässig eingelegte Revision in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten eine Endentscheidung nicht ergangen, so kann das Revisionsverfahren bei dem BGH nicht wieder aufgegriffen werden.

Tenor

Der Antragstellerin wird das Armenrecht verweigert.

Gründe

Zwischen den Parteien war ein Rechtsstreit beim Landgericht Berlin und dem Kammergericht anhängig. In der Berufungsinstanz ist die Antragstellerin, die in dem Verfahren Klägerin war, teilweise unterlegen. Gegen das an 6. Juli 1944 verkündete Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 6. Juli 1944 23 U 2682/43 hat die Antragstellerin Ende Oktober 1944 bei dem Reichsgericht Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist ist wiederholt verlängert worden. Nach einer Mitteilung ihres Prozeßbevollmächtigten vom 10. Januar 1945 hat der VI. Zivilsenat des Reichsgerichts durch Beschluss vom 9. Januar 1945 die Aussetzung des Revisionsverfahrens angeordnet. Zu einer Fortsetzung des Verfahrens ist es in der Folge nicht mehr gekommen.

Die Antragstellerin möchte dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof Fortgang geben und hat zu diesem Zwecks um Bewilligung des Armenrechts und Beiordnung eines Rechtsanwalts gebeten.

Dem Antrag kann nicht stattgegeben werden, da die Fortsetzung eines bei dem Reichsgericht anhängig gewesenen Revisionsverfahrens bei dem Bundesgerichtshof nicht möglich ist. Der Bundesgerichtshof ist durch das Bundesgesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (Bundesgesetzbl 1 S 455) errichtet worden, das am 1. Oktober 1950 in Kraft getreten ist. Nach § 133 GVG ist er in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zuständig zur Entscheidung über Revisionen gegen Endurteile der Oberlandesgerichte und in den Fällen des § 566 a ZPO auch der Landgerichte sowie von Beschwerden gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte in den Fällen des § 519 a Abs. 2 ZPO. Die Fortsetzung der beim Reichsgericht anhängig gewesenen und nicht zu Ende geführten Verfahren ist in den Übergangsvorschriften des Art. 8 III des Vereinheitlichungsgesetzes vom 12. September 1950 nicht geregelt. Art. 8 III Ziffer 88 des Gesetzes bestimmt zwar, dass der Bundesgerichtshof an die Stelle des Reichsgerichts und des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone tritt, soweit diesen Gerichten in gesetzlichen Vorschriften Aufgaben zugewiesen sind. Aus dieser Torschrift kann aber für die hier zu entscheidende Frage nichts entnommen werden. Sie paßt lediglich den Inhalt gesetzlicher Vorschriften an die durch den Wegfall des Reichsgerichts und des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone und die Errichtung des Bundesgerichtshofs geschaffene Lage auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung an. Sie befasst, sich nicht mit der Überleitung von Verfahren auf den neu geschaffenen Bundesgerichtshof. Das Vereinheitlichungsgesetz enthält besondere Vorschriften über die Fortsetzung anhängiger Verfahren nur für solche, die beim Inkrafttreten des Gesetzes entweder beim Obersten Gerichtshof für die Britische Zone, oder beim Bayerischen Obersten Landesgericht anhängig waren. Die Überleitung von Verfahren auf den Bundesgerichtshof wird dabei nur insoweit vorgesehen, als sie bei dem mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 aufgehobenen Obersten Gerichtshof für die Britische Zone anhängig waren. Sie gehen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes in der Lage, in der sie sich befinden, auf den Bundesgerichtshof über (Art. 8 III Ziff 110). Dagegen bleiben die bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht anhängigen Verfahren bei diesem Gericht anhängig und sind nach den bisherigen Vorschriften fortzusetzen (Ziff 111). Andere Überleitungsvorschriften für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bestehen nicht. Auch für Berlin gilt nichts Abweichendes. Hier ist die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs durch das Berliner Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit usw. vom 9. Januar 1951 begründet. Nach Art. 7 IV Nr. 42 des Gesetzes ist der Bundesgerichtshof mit der im Bundesgebiet für ihn geltenden Verfassung für Berlin zuständig, soweit ihm in dem vorbezeichneten Gebiet Zuständigkeiten übertragen sind. Es ist jedoch die Frage zu prüfen ob durch diese Vorschriften die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs abschliessend geregelt ist, oder ob nicht auf Grund allgemeiner prozeßrechtlicher Grundsätze ein Verfahren, das vor dem Reichsgericht infolge des Zusammenbruchs im Jahre 1945 und des Wegfalls dieses Gerichts nicht mehr erledigt werden konnte, vor dem Bundesgerichtshof aufgenommen werden kann. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Dies ergibt sich aus der Entwicklung, die die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und des Zivilprozesses in Deutschland in der Zeit nach der Kapitulation genommen hat.

Nach der Besetzung Deutschlands wurde das Reichsgericht nicht aufgehoben, sondern zunächst nur ausser Tätigkeit gesetzt. In Militärgesetz Nr. 2 der MilReg für Deutschland, Kontrollgebiet des Obersten Befehlshabers, wurde die vorübergehende Schliessung von ordentlichen- und Verwaltungsgerichten angeordnet und ausdrücklich bestimmt, dass das Reichsgericht und das Reichsverwaltungsgericht im besetzten Gebiet bis auf weiteres keine Amtsgewalt noch sonst eine Befugnis haben. Während Art III der Kontrollratsproklamation Nr. 3 vom 20. Oktober 1945 den Volksgerichtshof, die Gerichte der NSDAP und die Sondergerichte aufhob und ihre Wiederherstellung verbot, bestimmte Art. 7, dass ordentliche deutsche Gerichte nach Maßgabe ihrer Rangordnung die Rechtspflege ausüben. Die Grundsätze für die endgültige Ordnung der deutschen Gerichtsverfassung wurden in dem Kontrollratsgesetz Nr. 4 über die Umgestaltung des deutschen Gerichtswesens aufgestellt. Die Gliederung der ordentlichen Gerichte in Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte wurde wiederhergestellt. Nicht erwähnt ist das Reichsgericht als höchstes deutsches ordentliches Gericht. Dagegen wurde in Art II Abs. 3 die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte so geordnet, dass sie nicht in erster Instanz entscheiden, sondern endgültige Berufungsinstanz gegen Entscheidungen der Landgerichte sein, sollten. Aus dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass damit das Reichsgericht als höchste Stufe der deutschen Gerichtsverfassung nunmehr endgültig aufgehört hat zu bestehen. Es handelt sich dabei nicht um eine blosse organisatorische Änderung in der Gerichtseinteilung, sondern um eine grundsätzliche Änderung des Verfahrens durch Beseitigung einer Rechtsmittelinstanz. Die Aufgaben des Reichsgerichts sind nicht auf ein anderes Gericht übertragen worden. Die Frage der Aufhebung des Reichsgerichts war anlässlich der Errichtung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone Gegenstand der Erörterung und sehr umstrittene Gegen die Annahme, dass das Reichsgericht als Gerichtsanstalt weggefallen sei, hat sich vor allem Schmidt-Ernsthausen in DRZ 1948, 225 und NJW 1949, 42 gewandt, während den gegenteiligen Stand punkt Lüders in DRZ 1948, 273 und der OGH selbst in MDR 1948, 139 [OGH Köln 15.04.1947 - ZS 1/48] vertreten haben. Dass das Reichsgericht "nicht nur tatsächlich vorübergehend ausgeschaltet war" (OGH aaO); ergibt sich aus der Regelung die die Rechtsmittelzüge in den Besatzungszonen durch Gesetze und Verordnungen erfahren haben. Sie stimmen darin überein, dass gegen Urteile der Oberlandesgerichte ein Rechtsmittel nichtmehrstatthaft war, ein Zustand, der für die britische Zone allerdings durch die Errichtung des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone geändert wurde. Damit war dem Reichsgericht auch die rechtliche Grundlage entzogen. Daher haben auch die nach dem Zusammenbruch in den westlichen Besatzungszonen ergangenen Gesetze und Verordnungen, die sich mit der Regelung des Rechtsmittelzuges befassen, Bestimmungen über die bei dem Reichsgericht anhängig gewordenen und nicht durch Endurteil beendigten Revisionsverfahren getroffen.

Die Rechtsmittelgesetze, die in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone (mit Ausnahme von Bremen) im September 1946 übereinstimmend erlassen wurden, bestimmen, dass die Urteile der Oberlandesgerichte mit der Verkündung rechtskräftig geworden sind, wenn binnen 3 Monate nach Verkündung des Gesetzes keine Entscheidung des Reichsgerichts feststellbar ist. Die Zuständigkeit zu Entscheidungen von Revisionen gegen Landgerichtsurteile wurde den Oberlandesgerichten übertragen, Revisionen gegen Urteile der Amtsgerichte waren als Berufungen an das Landgericht zu behandeln. In der britischen Zone ist die Behandlung solcher Revisionen durch übereinstimmende Verordnung der Oberlandesgerichtspräsidenten erfolgt (vgl. Lüders a.a.O. S 274 Anm. 3). Hiernach war eine Revision oder eine Beschwerde nach § 519 b Abs. 2, die beim Reichsgericht beim Inkrafttreten der Verordnungen eingelegt war, auf Antrag einer der Parteien durch Beschluss für erledigt zu erklären und über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden. Diese Erledigungserklärung hat nur feststellende Bedeutung, sie enthielt keine Entscheidung in der Sache, sondern liess es insoweit bei der als rechtskräftig geltenden Entscheidung des Oberlandesgerichts bewenden. Die gleichen Bestimmungen sind für Bremen durch eine Verordnung vom 21. Februar 1946 (GBl für Bremen S 49) getroffen worden.

Abweichend ist die Behandlung der beim Reichsgericht anhängig gewordenen Revisionen in der französischen Besatzungszone geregelt worden. Hier sind die am 30. Oktober 1945 noch nicht erledigtgewesenen Revisionen in Zivil- und Strafsachen auf die Oberlandesgerichte übergegangen. Das Verfahren war nach den Vorschriften über die Revision durch einen dafür gebildeten grossen Senat durchzuführen (vgl. z.B. § 29 der im Lande Rheinland-Pfalz erlassenen Landesverordnung über Gerichtsverfassung und Verfahren vom 11. April 1947 in der Fassung der, Verordnung vom 1. Dezember 1949 [GVOBl f RhlPf 1949, 599]).

Hieraus lässt sich ersehen, dass für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gesetzliche Vorschriften über die Behandlung der vor dem Zusammenbruch bei dem Reichsgericht angebrachten Revisionen ergangen waren. Sie sind, soweit sie in Gesetzen der Länder der amerikanischen Zone und den Rechtsanordnungen über Gerichtsverfassung und Verfahren in den Ländern der französischen Zone enthalten waren, durch das Gesetz über die Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. September 1950 aufgehoben worden (Art. 8 III. Nr. 42 und 52).

Im Gebiete der Bundesrepublik Deutschland besteht daher kein Grund, aus allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen die Fortsetzung der beim Reichsgericht anhängig gewesenen Revisionsverfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu gestatten. Diese Rechtsverfahren sind entweder rechtskräftig geworden oder auf andere Gerichte übertragen worden. Von einer Lücke des Gesetzes kann, soweit ein beim Reichsgericht anhängig gewesenes Verfahren in Frage kommt, nicht gesprochen werden. Ob eine Lücke in der gesetzlichen Regelung der Überleitung dadurch entstanden ist, dass im Gebiete der französischen Besatzungszone die grossen Senate durch die Bestimmung des Art. 8 III Ziff 52 des Vereinheitlichungsgesetzes in Wegfall gekommen sind, über die bei ihnen anhängigen Revisionssachen aber eine der Ziff 110 des Art. 9 III entsprechende Vorschrift nicht erlassen ist, und wie diese Lücke zu schliessen sei, braucht hier nicht entschieden zu werden.

In Berlin ist eine Regelung nicht erfolgte Trotzdem kann hier nichts Abweichendes gelten. Nach einer Auskunft des Senators der Justiz sind in Berlin Vorschriften, Anordnungen oder Verfügungen über die Behandlung von Rechtsstreitigkeiten, in denen gegen ein Urteil des Kammergerichts vor dem 8. Mai 1945 Revision beim Reichsgericht eingelegt worden war, über die vom Reichsgericht jedoch nicht mehr entschieden wurde, nicht ergangene Entscheidungen des Kammergerichts, die sich mit dieser Frage befasst haben, sind nach dieser Auskunft ebenfalls nicht erlassen, worden. Das zeigt, dass man in Berlin der Ansicht war, dass sich diese Revisionen durch die Aufhebung des Reichsgerichts erledigt haben und die angefochtenen Urteile des Kammergerichts rechtskräftig geworden sind. Dieser Standpunkt ist auch in der Ostzone für die Urteile der dortigen Oberlandesgerichte eingenommen worden (so Lüders DRZ 1948, S 274). Er wird überdies vom Kammergerichtspräsidenten in einer von der Gesuchstellerin vorgelegten Verfügung vom 21. Juli 1947 - 3329.2726.47 AKG vertreten, die sich auf die hier vorliegende Rechtssache bezieht und in der u.a. ausgeführt wird, dass das Urteil vom 6. Juli 1944 nach dem eigenen Vortrag der Gesuchstellerin rechtskräftig sei. Gegen diese Ansicht lassen sich durchschlagende Einwendungen nicht erheben. Nachdem das Reichsgericht zunächst ohne Ersatz weggefallen war, mußten damit auch die dort anhängig gewordenen Revisionen gegenstandslos werden, da über sie nicht mehr entschieden werden konnte. Daraus könnte man schliessen, dass die angefochtenen Urteile, soweit die Revision zulässig war, nicht rechtskräftig wurden, da sie wirksam angefochten waren (§ 705 S 2 ZPO). Eine solche Meinung würde aber unter Berücksichtigung der durch die Gesetzgebung der Besatzungsmacht geschaffenen Tatsachen den berechtigten Interessen der Parteien und den Bedürfnissen des Rechtslebens nicht gerecht werden, da sie mit dem Zweck des bürgerlichen Rechtsstreits, die Ungewissheit über einen Rechtszustand zu beheben, in Widerspruch steht. Denn es konnte damals, als das Reichsgericht wegfiel, nicht abgesehen werden, ob und wann ein Revisionsgericht wieder errichtet werden würde.

Ausserdem würde es mit Art. 7 IV Nr. 42 des Berliner Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit in Widerspruch stehen, wenn man einer Partei die Möglichkeit einräumen wollte, die gegen ein Urteil des Kammergerichts beim Reichsgericht vor dem 8. Mai 1945 eingelegte Revision nunmehr vor den Bundesgerichtshof zu bringen. Nach dieser Vorschrift ist der Bundesgerichtshof für Berlin nur insoweit zuständig, als ihm im vorbezeichneten Gebiet Zuständigkeiten übertragen sind. Im Bundesgebiet besteht aus den oben angeführten Gründen keine Möglichkeit, ein vor dem Reichsgericht zulässig eingeleitetes Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof weiterzuführen. Daher besitzt der Bundesgerichtshof für Berlin ebenfalls keine Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung solcher Revisionen. Dabei kann es auch nicht von Bedeutung sein, dass, möglicherweise der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über Klagen nach §§ 579 ff ZPO oder über Anträge nach §§ 319 und 321 ZPO berufen ist, wenn das dabei in Frage kommende Urteil ein solches des Reichsgerichts ist. Die in solchen Fällen maßgeblichen Erwägungen können, wo es sich um die Fortsetzung eines Revisionsverfahrens handelt, nicht Platz greifen.

Dem Gesuch um Bewilligung des Armenrechts kann daher wegen Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht entsprochen werden.