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RG, 22.10.1918 - II 187/18

Daten
Fall: 
Einwirkung des Krieges auf Lieferverträge
Fundstellen: 
RGZ 94, 68
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.10.1918
Aktenzeichen: 
II 187/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zur Frage der Einwirkung des Krieges auf Lieferverträge, die vereinbarungsgemäß nach Friedensschluß erfüllt werden sollen.

Tatbestand

Die Klägerin hatte der Beklagten auf Grund von vier vor dem Kriege geschlossenen Kaufverträgen (Nr. 779, 169, 277 und 278) indische Baumwolle zu liefern. Die Verträge enthielten die Klausel, daß Krieg usw. die Klägerin von der Lieferungspflicht für den ganzen Abschluß oder den nicht ausgeführten Teil desselben entbänden. Bei Kriegsausbruch waren auf den Vertrag Nr. 779 noch 110 Ballen, auf die weiteren drei Verträge noch die ganze gekaufte Menge von zusammen 880 Ballen rückständig. Im Oktober 1914 vereinbarten die Parteien, daß die Lieferung des ganzen Rückstandes auf die Zeit nach dem Kriege verschoben werden solle. Die Klägerin bestätigte am 27. Oktober 1914 die Vereinbarung mit Bezug auf jeden einzelnen Abschluß durch folgendes Schreiben:

"Wir bestätigen Ihnen hiermit, daß laut der zwischen uns getroffenen Vereinbarung der Liefertermin für obigen Kontrakt bis nach Beendigung des augenblicklichen Kriegszustandes verschoben ist, d. h. also so lange, bis die für uns unterwegs befindlichen Dampfer hereinkommen oder, falls diese inzwischen verloren gegangen sein sollten, neue Abladungen von Indien eintreffen können."

Die die Verträge Nr. 169, 277 und 278 betreffenden Schreiben enthielten außerdem den Zusatz:

"Die Lieferung soll dann in der gleichen Weise geschehen, wie im Kontrakt vereinbart, d. h. vom Eintreffen der ersten 110 Ballen ab monatlich 110 Ballen."

Mit der im Dezember 1916 erhobenen Klage beantragte die Klägerin, indem sie sich auf die durch den Krieg herbeigeführte Umgestaltung der geschäftlichen Verhältnisse berief, die Feststellung, daß die vier Kaufverträge keine Rechtswirkung mehr hätten und daß sie, die Klägerin, nicht verpflichtet sei, die aus den vier Verträgen noch rückständigen Mengen der Beklagten zu liefern. Zuvor hatte sie der Beklagten durch Brief vom 30. Juni 1918 von dieser Auffassung Kenntnis gegeben. Die Beklagte begehrte widerklagend die Feststellung, daß die Klägerin die rückständige Ware entsprechend ihren Erklärungen vom 27. Oktober 1914 zu liefern habe; eventuell ging die Widerklage dahin, festzustellen, daß die Abmachungen der Parteien vom 27. Oktober 1914 noch zu Recht beständen und daß die Erklärungen der Klägerin vom 30. Juni 1916 unberechtigt seien.

Das Landgericht gab dem eventuellen Antrage der Widerklage statt; die Klage und den in erster Reihe gestellten Widerklagantrag wies es ab. Die Berufung der Klägerin wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts zurückgewiesen. Das Reichsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und zugunsten der Klägerin erkannt.

Aus den Gründen

... "Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß bei später zu erfüllenden Kaufverträgen eine Umgestaltung der Verhältnisse die Folge haben kann, daß die Beteiligten an den Vertrag nicht mehr gebunden sind. Gerade für Geschäfte, deren Erledigung durch den gegenwärtigen Krieg eine Verzögerung erleidet, hat auch das Reichsgericht diesen Satz schon mehrfach anerkannt; vgl. u. a. das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Februar 1918 (RGZ. Bd. 93 S. 341). Ihre Rechtfertigung findet die danach eintretende Befreiung in der Erwägung, daß eine Leistungspflicht nicht mehr besteht, wenn die Erfüllung unter Umständen stattzufinden hätte, die dem, was die Beteiligten vernünftigerweise beabsichtigt haben, so wenig mehr entspricht, daß der Erfüllungszwang mit der durch §§ 157, 242 BGB. gebotenen Rücksichtnahme auf Treu und Glauben und auf die Verkehrssitte unvereinbar wäre. Dieser Fall ist aber hier schon nach der Art der zu liefernden Ware gegeben, und zwar trifft dies bereits zu auf den auch für die Entscheidung des Revisionsgerichts maßgebenden Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (19. März 1913).

Gegenstand der streitigen Verträge ist ein von Übersee einzuführender Rohstoff, der früher nach den durch den Krieg abgeschlossenen mitteleuropäischen Ländern in großen Mengen gelangte und dort nach seiner Verarbeitung der Befriedigung der verschiedenartigsten dauernden Bedürfnisse genügte. Es ist klar, daß bei einer Ware dieser Art die Unterbindung der Einfuhr, wie sie der Krieg zur Folge hat, sich in immer stärkerem Maße fühlbar macht und daß im Zusammenhange damit auch die wirtschaftlichen Verhältnisse, unter denen die nach der Beendigung des Krieges auszuführende Lieferung stattzufinden hätte, bei mehrjähriger Kriegsdauer völlig andere sein werden, als sie bei dem noch in die Friedenszeit fallenden Abschlusse der ursprünglichen Verträge und bei dem Abkommen, das in der ersten Kriegszeit über die spätere Lieferung getroffen wurde, gewesen sind. Bei solcher Sachlage könnte die Fortdauer der Erfüllungspflicht der Klägerin nur angenommen werden, wenn gewichtige, von der Beklagten darzulegende Umstände die dahin gehende Absicht der Parteien unzweifelhaft ergeben würden. Daran fehlt es aber. Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe bei der Entschließung, ob sie von der Kriegsklausel Gebrauch machen oder sich auf die Schiebung der Verträge einlassen wolle, als vorsichtiger Kaufmann mit einer ihr ungünstigen Entwickelung gerechnet und die Gefahr einer Verschlechterung der Wirtschaftslage auf sich genommen. Um die Einwirkung der Kriegsdauer auszuschließen, hätte es nur der Aufnahme einer diesbezüglichen Klausel bedurft. Habe die Klägerin dies nicht angestrebt, so dürfe davon ausgegangen werden, daß sie die Gefahr einer völligen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Kauf habe nehmen wollen und daß sie als Gegenwert des hierin liegenden spekulativen Moments die bis zum Ende des Krieges dauernde vertragliche Bindung des Käufers angesehen habe. Damit ist dem Erfordernis, daß nur aus besonderen Umständen auf den Ausnahmefall der vorbehaltlosen Bindung geschlossen werden könnte, nicht genügt. Zu einer anderen Beurteilung können auch die Erwägungen nicht führen, die das Berufungsgericht weiterhin anstellt aus Anlaß der Erörterung der Frage, ob die Klägerin etwa dadurch befreit sei, daß sie in der Zwischenzeit zufolge der kriegerischen Ereignisse die Möglichkeit der Benutzung des Baumwolleterminmarktes verloren habe. Bei der Verneinung der Erheblichkeit dieser Tatsache legt das Berufungsgericht darauf Gewicht, daß im vorliegenden Falle der Zeitpunkt der Erfüllung nicht auf das Kriegsende gelegt, sondern darauf abgestellt sei, daß wieder normale Verhältnisse eingekehrt seien, was in dem Abgesprochenen durch die Worte ausgedrückt werde "bis neue Abladungen von Indien eintreffen können". Dieser Gesichtspunkt kann schon deshalb nicht von entscheidender Bedeutung sein, weil bei der langen Dauer des Krieges und seiner tiefgreifenden Einwirkung auf den Baumwollehandel die Parteien sich nur irrtümlich vorgestellt haben könnten, daß die Wiederaufnahme der Einfuhr und die Wiederkehr normaler Verhältnisse sich decken würden. Darin wäre aber kein Umstand zu erblicken, der die Annahme rechtfertigt, daß die Berücksichtigung einer ganz anderen Entwickelung ausgeschlossen sein sollte.

Das Berufungsgericht kommt daher mit Unrecht schließlich zu dem Ergebnis, daß die Klägerin zurzeit noch gebunden sei und daß erst nach der Beendigung des Krieges und auf Grund der dann bestehenden Verhältnisse zu entscheiden sein werde, ob die Lieferung sich noch als sinngemäße Erfüllung der Verträge darstelle. Die feststehenden Tatsachen ergeben vielmehr schon für die maßgebende Zeit der Berufungsverhandlung, daß die Leistungspflicht der Klägerin erloschen ist. Deshalb mußte in der zur Endentscheidung reifen Sache der Klage stattgegeben und die ganze Widerklage abgewiesen werden."