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RG, 22.10.1920 - II 143/20

Daten
Fall: 
§ 817 Satz 2 BGB
Fundstellen: 
RGZ 100, 159
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.10.1920
Aktenzeichen: 
II 143/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin, Kammer für Handelssachen
  • Kammergericht

Zur Anwendung des § 817 Satz 2 BGB.

Tatbestand

Der Kläger hat zur Begründung der auf Zahlung von 34722,35 M nebst Zinsen gerichteten Klage vorgetragen: In der Zeit vom 12. bis zum 20. Juni 1917 habe ihm die Beklagte im ganzen 734 kg Kunstseidenabfälle zum Preise von 35440 M käuflich geliefert. Darauf habe er am 20. Juni 1917 eine Anzahlung von 16750 M geleistet, während er den Rest mit 18690 M am 28. Juni 1917 bezahlt habe. Die ihm gelieferten Abfälle habe er alsbald der Firma I. in K. zum Droussieren übersandt. Dort seien sie von der Militärbehörde beschlagnahmt worden, weil nach den Bekanntmachungen des Kriegsministeriums vom 16. Mai 1916 und vom 25. Januar 1917 derartige aus Lappen bestehende Abfälle nur von der Kriegs-Wollbedarfs-Aktiengesellschaft in Berlin oder von der Aktiengesellschaft zur Verwertung von Stoffabfällen daselbst an Verarbeiter hätten verkauft und geliefert werden dürfen. Ausweislich ihres Bestätigungsschreibens vom 21. Juni 1917 sei aber die Beklagte vertraglich verpflichtet gewesen, "beschlagnahme- und verwendungsfreie" Ware zu liefern. Dieser Verpflichtung hätte sie durch Lieferung von solchen Kunstseidenlappen genügen können, die nach dem 1. Mai 1916 aus dem Ausland eingeführt wären und deshalb nicht unter die erwähnten Bekanntmachungen gefallen seien. Das habe sie nicht getan. Sie müsse ihm deshalb, und zwar sowohl aus dem Gesichtspunkte des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung wie aus dem der ungerechtfertigten Bereicherung, die gezahlten 35440 M erstatten. Mindestens habe sie ihm den Betrag zu ersetzen, um welchen sie den in jenen Bekanntmachungen festgesetzten Höchstpreis von 1,20 M für das Kilogramm überschritten habe. Dagegen wolle er sich 717,65 M die sie von ihm zu fordern habe, in jedem Falle anrechnen lassen. Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe bei Bezahlung des Kaufpreises gewußt, daß die ihm gelieferte Ware nicht beschlagnahme- und verwendungsfrei gewesen sei, was der Kläger bestritt.

Das Landgericht verurteilte, das Kammergericht wies die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

... Auf Grund der BRV. über die Sicherstellung von Kriegsbedarf vom 24. Juni 1915 (RGBl. S. 357) nebst den Abänderungsverordnungen vom 9. Oktober 1915 (das. S. 645) und vom 25. November 1915 (das. S. 778) hat das Kriegsministerium unter dem 16. Mai 1916 eine Bekanntmachung (Nr. W. IV 900/4 16 KRA.) und unter dem 25. Januar 1917 eine Nachtragsbekanntmachung (Nr. W. IV 1900 / 11 16 KRA.) erlassen, inhaltlich deren Lumpen aller Art und neue Stoffabfälle, die aus tierischen oder pflanzlichen Spinnstoffen oder deren Mischungen bestehen, beschlagnahmt werden. Wie die in der genannten Bekanntmachung angeführte Bekanntmachung betreffend Höchstpreise für Lumpen und neue Stoffabfälle vom 16. Mai 1916 (Nr. W. IV 950/4 16 KRA.) in Verbindung mit der zu dieser ergangenen Nachtragsbekanntmachung vom 25. Januar 1917 (Nr. W. IV 1950/11 16 KRA.) ergibt, gehören zu den beschlagnahmten Lumpen und Stoffabfällen auch kunstseidene. Nach der Bekanntmachung Nr. W. IV 900/4 16 KRA. hat die Beschlagnahme die Wirkung, daß rechtsgeschäftliche Verfügungen über die von ihr betroffenen Gegenstände nichtig sind, soweit sie nicht auf Grund der ferneren Anordnungen der Bekanntmachung erlaubt sind (§ 3). Allgemein erlaubt ist die Veräußerung und Lieferung solcher Gegenstände an andere als "Verarbeiter", und auch an "Verarbeiter" dürfen sie von der "Kriegs-Wollbedarfs-Aktiengesellschaft" oder von der "Aktiengesellschaft zur Verwertung von Stoffabfällen" veräußert und geliefert werden; dabei ist aber bestimmt, daß die in der Bekanntmachung Nr. W. IV 950/4 16 KRA. betreffend Höchstpreise getroffenen Anordnungen nicht überschritten werden dürfen (§ 4). Schlechthin ausgenommen von der Beschlagnahme sind einmal alle Lumpen und neuen Stoffabfälle in privaten Haushaltungen und sodann alle nach dem 1. Mai 1916 aus dem Ausland eingeführten Lumpen und Stoffabfälle (§ 6). Wer unbefugt einen beschlagnahmten Gegenstand verkauft oder kauft, ist mit Strafe bedroht (§14 Nr. 2).

Daß die erwähnten Bekanntmachungen zur Zeit des Vertragsschlusses der Parteien, im Juni 1917, längst ordnungsmäßig veröffentlicht waren und daß der Kläger, der die von der Beklagten gelieferten Kunstseidenabfälle alsbald an die Firma I. in K. zum Droussieren gesandt hat, zu den "Verarbeitern" gehörte, an die nur von den genannten beiden Kriegsgesellschaften geliefert werden durfte, war in den Vorinstanzen nicht streitig und muß als stillschweigend festgestellt gelten. Dagegen ist allerdings in Ermangelung einer gegenteiligen Feststellung davon auszugehen, daß damals weder der Kläger noch der Inhaber der Beklagten von einer allgemeinen Beschlagnahme der Kunstseidenabfälle etwas wußte. Der Kaufvertrag als solcher kann daher sehr wohl rechtswirksam zustande gekommen sein, und zwar nicht nur dann, wenn er Gattungsware zum Gegenstände hatte, sondern auch dann, wenn er sich auf ganz bestimmte Posten Kunstseidenlappen bezog. Denn auch in letzterem Falle bedeutete die von der Beklagten gegebene vertragliche Zusicherung der "Beschlagnahme- und Verwendungsfreiheit" die Zusicherung einer Eigenschaft im Sinne des § 459 Abs. 2 BGB., so daß das Fehlen dieser Eigenschaft nicht die Nichtigkeit des Kaufvertrags gemäß § 134 oder gemäß § 306 BGB. zur Folge hatte (vgl. RGZ. Bd. 95 S. 347), sondern nur zur Anwendung der Vorschriften über die Gewährleistung wegen Mängel der Sache führen konnte (Warneyer 1918 Nr. 185; RGZ. Bd. 99 S. 147). Demgemäß würde die am 20. Juni 1917 geleistete Anzahlung von 16750 M nicht unter die Bestimmung des § 817 Satz 2 BGB. gefallen sein, obgleich nach der Beschlagnahmeverordnung die dem Kläger von der Beklagten gelieferten Kunstseidenlappen nicht hätten geliefert werden dürfen.

Vor der am 28. Juni 1917 erfolgten Restzahlung war nun aber, wie das Kammergericht festgestellt hat, beiden Parteien nicht nur die allgemeine Beschlagnahme der im Inlande gewonnenen Kunstseidenabfällen bekannt geworden, sondern beide wußten auch bereits oder sie rechneten doch damit, daß die dem Kläger gelieferte Ware nicht Auslandsware und infolgedessen nicht beschlagnahme- und verwendungsfrei sei. Diese Feststellung wird von der Revision mit Unrecht beanstandet. ... (Wird ausgeführt.) Ist deshalb als feststehend anzunehmen, daß der Kläger die Restzahlung geleistet und der Inhaber der Beklagten sie angenommen hat, während beide schon damit rechneten, daß die dem Kläger gelieferten Kunstseidenlappen von der Beschlagnahme ergriffen seien, so erscheint auch die vom Kammergerichte gezogene Folgerung als gerechtfertigt, daß der Zweck der Restzahlung in der Weise bestimmt gewesen sei, daß beide Teile, der Kläger durch die Leistung, der Inhaber der Beklagten durch die Annahme, gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hätten. Denn beide Teile waren bei der Restzahlung einerseits darüber einig, daß die übergebene Ware dem Kläger als vertragliche Leistung der Beklagten verbleiben sollte, selbst wenn sich herausstellen würde, daß sie von Anfang an nicht beschlagnahme- und verwendungsfrei gewesen sei, und anderseits darüber, daß der Inhaber der Beklagten als Gegenleistung für diese Ware die am 20. Juni 1917 empfangene Anzahlung behalten und den Restbetrag des vereinbarten Kaufpreises bezahlt erhalten sollte. Dadurch, daß die Parteien trotz der ihnen inzwischen entstandenen erheblichen Bedenken gegen die gesetzliche Zulässigkeit der Veräußerung der Ware an dem abgeschlossenen Kaufvertrag auch für den - tatsächlich gegebenen - Fall der Unzulässigkeit der Veräußerung festhielten, verstießen sie ebenso gegen das in der Beschlagnahmeverordnung enthaltene Verbot, wie wenn sie sich von vornherein, der Inhaber der Beklagten zur Lieferung auch der unveräußerlichen Ware, der Kläger zur Bezahlung des Kaufpreises auch für diese Ware, verpflichtet hätten. Die Ausführung der Revision, daß der Kläger mindestens die in gutem Glauben geleistete und empfangene Anzahlung zurückfordern könne, ist unzutreffend. Nach der bei der Restzahlung auch für den Fall der Unveräußerlichkeit der gelieferten Ware von den Parteien stillschweigend getroffenen Vereinbarung bestand die Leistung der Beklagten in dem Verzicht auf die Zurückforderung der Ware, die Gegenleistung des Klägers in der Zahlung des Restkaufpreises und in dem Verzicht auf die Zurückforderung der geleisteten Anzahlung. Dieser Verzicht fällt aber nicht minder unter die Bestimmung des § 817 Satz 2 BGB. als die Restzahlung, Da ferner im Falle des § 817 Satz 2 jede Rückforderung ausgeschlossen ist, so ist es auch die wegen der behaupteten Höchstpreisüberschreitung.