RG, 18.10.1918 - III 234/18
Kann der politische Zwangsverwalter eine seiner Verwaltung unterstellte Forderung einklagen, obschon ihm der Gläubiger den Schuldschein vorenthält?
Tatbestand
Die Beklagte verwahrt für den französischen Staatsangehörigen L. Wertpapiere, die dessen Erblasser im Fahre 1911 bei ihr hinterlegt hat. Die Papiere und die dem L. aus der Geschäftsverbindung mit der Beklagten zustehenden Ansprüche sind zwangsweise unter Verwaltung gestellt und der Kläger ist zum Zwangsverwalter ernannt worden. Er beansprucht die Herausgabe der Papiere und erklärt sich, da er den in den Händen des L. befindlichen Hinterlegungsschein nicht vorlegen kann, bereit, ein öffentlich beglaubigtes Anerkenntnis nach § 371 Satz 2 BGB. auszustellen. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten, die vom Landgericht antragsgemäß verurteilt ist, zurück. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Gründe
"Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts herrscht kein Streit darüber, daß der Kläger den Hinterlegungsschein von dem Berechtigten nicht ausgeliefert erhalten hat und deshalb zu dessen Rückgabe an die Beklagte außerstande ist. Das Berufungsgericht ist jedoch mit Recht der Ansicht, daß die Beklagte den Herausgabeanspruch des Klägers mit dem Hinweise hierauf nicht zum Scheitern bringen kann. Die Rechtslage ist in dem vorliegenden Falle keine andere, als wenn der Gläubiger selbst eine Schuld einklagt und ihm die Rückgabe des Schuldscheins unmöglich ist. Die Revision hält entgegen, daß ein auf Grund der Bundesratsverordnungen vom 26. November 1914 und 10. Februar 1916 bestellter Zwangsverwalter nicht mehr Rechte als der Gläubiger selbst habe und deshalb Herausgabe der hinterlegten Papiere nur gegen Auslieferung des in den Händen des Gläubigers befindlichen Hinterlegungsscheins fordern könne. Der Angriff ist verfehlt. Der Zwangsverwalter ist ein Organ, das nicht zur Wahrnehmung der Rechte des Gläubigers, sondern entsprechend dem Vergeltungszwecke, den die bezeichneten Verordnungen im Auge haben, zur Verfolgung der deutschen Allgemeininteressen an der Verwaltung der fremden Vermögenswerte bestellt wird (RGZ. Bd. 89 S. 390). Er ist deshalb nicht der gesetzliche Vertreter des Gläubigers, sondern versieht ein zur Wahrung staatlicher Interessen bestimmtes öffentliches Amt. Die seiner Verwaltung unterstellten Vermögensrechte macht er daher nicht im Namen des Gläubigers, sondern in eigenem Namen und an dessen Stelle geltend. Nur in ersterem Falle würde die Ansicht der Revision begründet sein. ... Das Berufungsgericht erachtet mit Recht auch das Bestehen der Möglichkeit für unerheblich, daß der Gläubiger selbst mit Hilfe des Hinterlegungsscheins eine der ausländischen Unternehmungen der Beklagten auf Herausgabe der Wertpapiere in Anspruch nimmt, und daß die Gerichte im feindlichen Auslande hierbei der Auslieferung der Papiere an den Zwangsverwalter die befreiende Wirkung zuungunsten der Beklagten absprechen. Die Revision meint, daß die Nichtbeachtung dieser der Beklagten drohenden Gefahr mit dem Zwecke der Zwangsverwaltung unverträglich sei. Dabei weist sie darauf hin, daß die Zwangsverwaltung eine Einrichtung zum Schutze der inländischen Wirtschaft sei, und macht geltend, daß die Nichtberücksichtigung der Möglichkeit einer doppelten Verurteilung hiermit nicht im Einklange stehe. Bei diesen Ausführungen ist verkannt, daß es nur private Interessen sind, welche durch die Möglichkeit einer solchen Sachgestaltung gefährdet werden, und daß diese hinter die mit der Klage verfolgten allgemeinen Interessen zurücktreten müssen. Die Zwangsverwaltung soll es u. a. auch ermöglichen, daß die inländischen Gläubiger, welche infolge der im feindlichen Auslande gegen Deutschland erlassenen Zahlungsverbote Zahlung von ihren ausländischen Schuldnern nicht erlangen können, aus deren im Inlande befindlichen Vermögen befriedigt werden (vgl. Urt. des RG.'s II. 238/15 in Warn. Rechtsprechung 1916 Nr. 62. insbes. S. 104). Die Interessen der deutschen Volkswirtschaft erheischen es deshalb gerade, daß der Zwangsverwalter dieses Vermögen ohne Rücksicht auf Privatinteressen der von der Beklagten dargelegten Art erfassen und sicherstellen kann."