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RG, 18.10.1918 - III 219/18

Daten
Fall: 
Festsetzung durch die Eisenbahndirektion
Fundstellen: 
RGZ 94, 52
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.10.1918
Aktenzeichen: 
III 219/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Beschwerde eines Eisenbahnbeamten gegen Festsetzung seiner Pension durch die Eisenbahndirektion. Muß eine bei dieser eingereichte Eingabe, um als Beschwerde an den Departementschef und den Finanzminister gelten zu können, erkennen lassen, daß nötigenfalls der Minister entscheiden solle?

Tatbestand

Der Kläger, seit 1897 im preußischen Staatseisenbahndienste beschäftigt, wurde im Jahre 1907 als Schaffner angestellt und durch Verfügung der Eisenbahndirektion E. vom 11. Juli 1914 zum 1. Oktober 1914 mit der gewöhnlichen Zivilpension in den Ruhestand versetzt. Die Eisenbahndirektion ging dabei von der Annahme aus, daß die Dienstunfähigkeit des Klägers auf einen Unfall vom Jahre 1903 zurückzuführen sei. Der Kläger dagegen betrachtete als Ursache seiner Dienstunfähigkeit einen Unfall, den er als Beamter im Jahre 1908 im Eisenbahnbetrieb erlitten hatte, und verlangte eine Unfallpension nach dem Gesetze vom 2. Juni 1902. Die erste Instanz wies die Klage ab, weil der Kläger nicht innerhalb sechs Monaten gegen die Verfügung vom 11. Juli 1914 Beschwerde bei dem Minister der öffentlichen Arbeiten oder bei dem Finanzminister erhoben habe. Das Berufungsgericht fand diese Beschwerde in einer Eingabe des Klägers an die Eisenbahndirektion vom 1. August 1914 und gab der Klage statt. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

... "Die Klage ist innerhalb sechs Monaten, nachdem der Minister der öffentlichen Arbeiten als "Departementschef" im Einverständnis mit dem Finanzminister die Ansprüche des Klägers zurückgewiesen hatte, erhoben worden. Ihre Zulässigkeit hängt also nur noch davon ab, ob der Kläger mit seiner Eingabe vom 1. August 1914, also rechtzeitig, gegen die die Pensionsfestsetzung enthaltende Verfügung der Eisenbahndirektion vom 11. Juli 1914 die nach §9 des Gesetzes vom 2. Juni 1902 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872/30. April 1884 erforderliche "Beschwerde an den Departementschef und den Finanzminister" erhoben hat. Die Revision bestreitet das. Es ist aber dem Berufungsgerichte zuzustimmen.

Daß eine solche Beschwerde mangels abweichender Vorschriften auch bei der Eisenbahndirektion, die die Pension festgesetzt hat, eingereicht werden kann, hat der erkennende Senat schon im Urteile vom 2. Mai 1913 III. 551/12 anerkannt. Ob die Eingabe vom 1. August 1914. ihrem Inhalte nach als Beschwerde zu betrachten ist, läßt sich nach ihrer Fassung in Zweifel ziehen. Die Eingabe enthält Ausführungen darüber, daß nicht der Unfall von 1903, auch nicht ein solcher von 1906, sondern der Unfall von 1908 die Ursache der Dienstunfähigkeit bilde, daß der Kläger durch die "Festsetzung der Unfallrente" geschädigt sei und 66[2/3]% seines letzten Einkommens zu beanspruchen habe, und schließt mit der Bitte, seine Ansprüche noch einmal zu prüfen und seine Rente zu erhöhen. Wäre die Eingabe von einer rechtskundigen, mit den einschlägigen Vorschriften vertrauten Person verfaßt worden, so könnte aus ihrem Schlusse gefolgert werden, daß eine Beschwerde nicht eingelegt werden sollte. Bei Erklärungen eines Laien ist ihrer Fassung kein solches Gewicht beizulegen. Um die Eingabe als Beschwerde erachten zu können, muß es daher genügen, wenn darin zum Ausdrucke gekommen ist, daß der Kläger sich bei der Pensionsfestsetzung nicht beruhigen, vielmehr eine andere Festsetzung und zwar unter Berücksichtigung des Unfalls von 1908 als Ursache der Dienstunfähigkeit haben wollte. Dem entspricht der Inhalt der Eingabe. Ihre Eigenschaft als Beschwerde im Sinne des Gesetzes wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger nicht zum Ausdrucke gebracht hat, daß, wenn die Eisenbahndirektion seiner Bitte nicht entspreche, der Minister entscheiden solle. Daß eine Beschwerde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 a. O. ausdrücklich an den Minister gerichtet werden müsse, ist im Gesetze nicht vorgeschrieben und auch aus dem Zusammenhange der Bestimmungen nicht zu entnehmen. Nach Satz 1 der Vorschrift soll der Klage die Entscheidung des Departementschefs und des Finanzministers vorhergehen. Satz 2 bestimmt folgerichtig, daß, wenn über den Anspruch auf Pension von einer Nachgeordneten Behörde entschieden worden ist, die Entscheidung der nach Satz 1 zuständigen höheren Stelle im Wege der Beschwerde herbeigeführt werden muß. Das Wesentliche ist danach nur, daß der Beamte rechtzeitig Beschwerde einlegt und daß der Departementschef im Einverständnis mit dem Finanzminister über die den Gegenstand der Beschwerde bildenden Ansprüche entscheidet. Aus dem gleichen Grunde ist es auch unerheblich, daß der Minister der öffentlichen Arbeiten in seiner der Klage vorausgegangenen Entscheidung nicht auf die Eingabe vom 1. August 1914, sondern auf eine spätere Beschwerdeschrift des Klägers Bezug genommen hat. Es wäre Sache der Eisenbahndirektion gewesen, die rechtzeitig eingelaufene Beschwerde des Klägers, wenn sie ihr nicht abhelfen wollte, der zuständigen Stelle vorzulegen oder doch wenigstens dem Kläger anheimzugeben, sich an diese Stelle zu wenden. Ob das abweichende Verfahren der Eisenbahndirektion dieser nach Lage der Sache als Verschulden angerechnet werden kann, ist belanglos. Für die Wahrung der Rechte des Klägers genügt es, daß er rechtzeitig Beschwerde eingelegt hat.

Unbegründet ist auch die auf § 286 ZPO. gestützte Rüge, das Berufungsgericht habe nicht gewürdigt, daß die Parteien selbst, wie auch der Minister, die Eingabe vom 1. August 1914 nicht als Beschwerde im Sinne des Gesetzes betrachtet hätten. Daß die Eingabe zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist, bestreitet die Revision nicht. Ihre rechtliche Würdigung hatte das Gericht unabhängig von den Meinungen der Parteien und anderer Personen vorzunehmen.

Die Zulässigkeit der Klage ist daher nicht zu beanstanden. Da auch die sachliche Beurteilung des eingeklagten Anspruchs keinen Anlaß zu rechtlichen Bedenken gibt, ist die Revision unbegründet." ...