RG, 18.10.1917 - VI 255/17

Daten
Fall: 
Aufklärungspflicht eines Gläubigers
Fundstellen: 
RGZ 91, 80
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.10.1917
Aktenzeichen: 
VI 255/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Düsseldorf

Muß der Gläubiger, der für seine Forderung einen Bürgen sucht, diesen vor Eingehung bei Bürgschaftsverpflichtung über die Verhältnisse des Hauptschuldners aufklären? Unter welchen Voraussetzungen handelt er zum Schaden des Bürgen wider die guten Sitten, wenn er dies unterläßt?

Tatbestand

Laut Bürgschaftsschein vom 16. November 1912 verbürgte sich der Beklagte bis zum Betrage von 15.000 M und zeitlich bis zum 1. Januar 1914 selbstschuldnerisch für alle Forderungen, die der Klägerin gegen die Firma F. B. in N. zustehen und noch entstehen, würden, auch über einen Wechsel der Inhaber oder der Firma des Hauptschuldners hinaus. Im Dezember 1912 wurde die Firma des Hauptschuldners in eine Gesellschaft m. b. H. umgewandelt, der der Sohn des Beklagten als Gesellschafter beitrat. Nachdem im Sommer 1913 das Konkursverfahren über die Gesellschaft eröffnet worden war, verlangte die Klägerin die Zahlung der Bürgschaftssumme. Während das Landgericht antragsgemäß verurteilte, wies das Oberlandesgericht die Klage auf Grund des Einwandes der arglistigen Täuschung ab.

Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Gründen

"Der Beklagte hat einwandweise behauptet, zur Eingehung der Bürgschaft seitens der Klägerin durch wissentlich unwahre Auskunft über die Verhältnisse des Hauptschuldners sowie durch, arglistiges Verschweigen von Umständen, die sie dem Beklagten hätte offenbaren müssen, bestimmt worden zu sein, ersteres in einem Briefe vom 18. November 1912. Das Landgericht verneint beides, das Berufungsgericht erachtet dagegen ein Verschweigen wesentlicher Umstände, die für den Beklagten bestimmend gewesen wären, für dargetan. Zwar enthalte, führt es aus, das Schreiben der Klägerin vom 18. November 1912, worin sie dem Beklagten über die Verhältnisse des Hauptschuldners B. Mitteilungen machte und das nach ihrer Behauptung dem Beklagten bei Abgabe der Bürgschaftserklärung bereits vorgelegen habe, keine tatsächliche Unrichtigkeiten. Die Mitteilung sei aber nicht vollständig, indem sie verschweige, daß im Laufe des Sommers 1912 vier B.'sche Wechsel, die die Klägerin in Händen gehabt hatte, nicht eingelöst und unter Protest gegangen seien. Darin erblickt das Berufungsgericht eine gegen § 826 BGB. verstoßende vorsätzliche Schädigung des Beklagten durch die Klägerin, die diese zum Schadensersatz verpflichte und damit den Klaganspruch zerstöre.

Die Revision ist begründet.

Einem Gläubiger, der für seine Forderung gegen einen Dritten Bürgen sucht, ist es an und für sich nicht zuzumuten, daß er dem in Aussicht genommenen Bürgen die Verhältnisse des Hauptschuldners und seine geschäftlichen Beziehungen zu diesem aufdeckt. Er wird darauf rechnen können, daß sich der zukünftige Bürge hierüber bei anderen Personen unterrichtet. Der Gläubiger verfolgt sein Gläubigerinteresse und hat dem Bürgen gegenüber keine Aufklärungspflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen und Kreditverhältnisse seines Schuldners, dem er durch eine solche Aufdeckung auch geradezu Schaden zufügen kann. Nur das ist von ihm zu verlangen, daß, wenn er dem zukünftigen Bürgen Tatsächliches über die Verhältnisse des Hauptschuldners mitteilt, seine Angaben der Wahrheit entsprechen, und daß er nichts wissentlich verschweigt, worüber er gefragt wird, sofern er nicht die Beantwortung überhaupt ablehnt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1917 Rep. VI. 446/16). Im gegebenen Falle hat nach der Unterstellung des Berufungsgerichts die Klägerin in dem Schreiben vom 18. November 1912 vor der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung die Verhältnisse des Hauptschuldners B. dargelegt. Die mitgeteilten Tatsachen enthalten, wie das Berufungsgericht feststellt, keine Unrichtigkeiten. Wenn die Klägerin indessen bei ihrer Mitteilung, die im übrigen als sehr zurückhaltend und fast als warnend zu bezeichnen ist, da sie die geringen Mittel des Hauptschuldners selbst hervorhebt, Umstände verschwieg, die sie als wesentlich und für die Entschließung des Bürgen bedeutungsvoll erkannte, dann wird darin mit dem Berufungsgericht eine arglistige Täuschung des Beklagten in der Tat gefunden werden können. Nicht das Schweigen über die wirtschaftliche Lage des Schuldners an sich ist es, das dem Gläubiger zum Vorwurfe gemacht werden kann, sondern die Unterdrückung wesentlicher Umstände in Verbindung mit den wirklich gemachten Angaben, denen der Anschein einer Vollständigkeit gegeben wurde, die ihnen nicht zukam.

Das Berufungsgericht findet dieses arglistige Verschweigen in der Unterdrückung der Tatsache, daß im Sommer 1912 von dem Hauptschuldner vier Wechsel im Gesamtbetrage von etwa 1400 M nicht eingelöst und deshalb zum Protest gegangen seien. Es stützt seine Annahme auf das Gutachten des Büchersachverständigen P. Seine Feststellung wird indessen durch dieses Gutachten nicht gestützt. Danach ist nicht nur der erste Wechsel von 288,90 M überhaupt nicht protestiert worden; es liegt auch nichts dafür vor, daß hinsichtlich der übrigen ein Protest gegenüber dem Hauptschuldner B., dem Aussteller der Wechsel, erfolgt wäre. Wie das Gutachten ergibt, handelt es sich in allen Fällen um Wechsel, die von B. auf andere Personen gezogen und der Klägerin offenbar zahlungshalber zur Befriedigung von Forderungen weiter gegeben waren. Diese Wechsel wurden bei Verfall, wie anzunehmen ist, von den Bezogenen und Akzeptanten nicht eingelöst und gegen sie protestiert; das Konto des Hauptschuldners wurde darauf von der Klägerin mit den Wechselbeträgen nebst Zinsen und Provisionen belastet, die natürliche Folge des Umstandes, daß das gegebene Zahlungsmittel, der Wechsel, versagte. Eine den Kredit des Hauptschuldners vernichtende Tatsache ist damit aber keineswegs gegeben; daß er als Aussteller aus diesen Wechseln wechselmäßig in Anspruch genommen worden wäre (Art. 8 WO.) und Deckung nicht schaffen konnte, oder daß und warum er verpflichtet gewesen wäre, selbst für die Zahlung der Wechselsummen bei deren Fälligkeit zu sorgen, erhellt nicht. Aus der Tatsache allein, daß dritte Wechselverpflichtete die Wechselschuld nicht einlösten und Protest gegen sich ergehen ließen, kann ein Schluß auf die Kreditunwürdigkeit eines anderen auf demselben Wechsel stehenden Wechselverpflichteten, hier also auf die Kreditunwürdigkeit des B., nicht gezogen werden. Daß gegen B. aber als Wechselschuldner irgendein Wechsel mangels Zahlung protestiert worden wäre, entspricht nicht dem Gutachten des P., ist auch vom Berufungsgerichte nicht festgestellt. Unter diesen Umstanden kann aber auch in dem Schweigen über die Wechsel seiten