RG, 18.10.1920 - VI 172/20

Daten
Fall: 
Klagen der Zentraleinkaufsgesellschaft
Fundstellen: 
RGZ 100, 142
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.10.1920
Aktenzeichen: 
VI 172/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Düsseldorf

1. Rechtsweg für Klagen der Zentraleinkaufsgesellschaft auf Schadensersatz und Herausgabe des gezogenen Gewinns gegen Personen, die verbotswidrig unter Umgehung des Monopols der Klägerin Waren aus dem Ausland eingeführt haben.
2. Zum Begriff der sog. unechten Geschäftsführung nach § 687 Abs. 2 BGB.
3. Sind die BRV. über die Einfuhr von Vieh und Fleisch sowie Fleischwaren vom 18. März 1916 und die Ausführungsbestimmungen vom 22. März 1916 (RGBl. S. 175, 179) als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB. zugunsten der wirtschaftlichen Tätigkeit der Zentraleinkaufsgesellschaft anzusehen?

Tatbestand

Der Beklagte H. war im Jahre 1916 Grenzvertreter der klagenden Zentraleinkaufsgesellschaft in W. an der holländischen Grenze. Er hatte die für sie aus Holland ankommenden Waren in Empfang zu nehmen und an die von ihr bezeichneten Personen weiter zu leiten; er hatte ferner alle nicht an die Klägerin gerichteten Sendungen von Lebensmitteln, die durch die Kriegsverordnungen zentralisiert waren, anzuhalten, zu beschlagnahmen und der Klägerin zuzuführen. Wie die Klägerin behauptet, soll H. mehr als 50 Waggons solcher Lebensmittel nicht beschlagnahmt und an die Klägerin abgeführt, sondern an dritte Empfänger im Inlande weiter gesandt haben, die mit deren Verwertung ebenso wie er selbst große Summen verdient haben sollen. Zu diesen Personen soll auch die Beklagte K., die Revisionsklägerin gehört haben. Die Klägerin verlangt mit der gegenwärtigen Klage von beiden Beklagten als Gesamtschuldnern die Summe von 32000 M als Ersatz des ihr durch die Verschiebung der Waren entstandenen Schadens und als Herausgabe des von ihnen gezogenen Gewinns.

Das Landgericht hat den Klaganspruch beiden Beklagten gegenüber dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auch die Revision der Beklagten K. blieb erfolglos.

Gründe

Die Revision bezweifelt zunächst die Zulässigkeit des Rechtswegs. Nach § 8 der Ausführungsbestimmungen vom 22. März 1916 zu der Verordnung über die Einfuhr von Vieh und Fleisch sowie Fleischwaren vom 16. März 1916 habe über alle Streitigkeiten, die sich zwischen den Beteiligten über die Lieferung, Aufbewahrung, Versicherung und den Eigentumsübergang eingeführter Waren dieser Art ergeben, endgültig die höhere Verwaltungsbehörde zu entscheiden. Eine solche Streitigkeit zwischen den Beteiligten liege auch dann vor, wenn der Einführende seine Verpflichtungen zur Anzeige von der Einfuhr an die Klägerin nicht erfüllt, also verbotswidrig die Gegenstände eingeführt habe. Allein der § 8 der Ausführungsbestimmungen kann nicht in diesem weiten Sinne ausgelegt werden. Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verletzung der in den Bestimmungen jener Verordnungen der Klägerin erteilten Rechte und auf Herausgabe des durch die verbotswidrige Einfuhr erzielten Gewinns gehören nicht zu den durch den angeführten § 8 der Ausführungsbestimmungen betroffenen Streitigkeiten. "Streitigkeiten zwischen den Beteiligten über die Lieferung, Aufbewahrung, Versicherung und den Eigentumsübergang" sind vielmehr nur solche, die zwischen dem Einführenden und der Klägerin hinsichtlich der Überleitung der eingeführten Gegenstände an die Klägerin im Übernahmefalle entstehen, an sich einschließlich auch etwaiger Streitigkeiten über den Übernahmepreis, den die Klägerin zu zahlen hätte; hierfür ist indessen in § 5 der Ausführungsbestimmungen ein besonderer Ausschuß eingesetzt, der den Preis endgültig festsetzt. Dagegen kann die verbotswidrige Handlung, die in der Einfuhr und Inverkehrbringung der unter die Verordnung fallenden Gegenstände unter Verletzung des der Klägerin erteilten alleinigen Rechtes, die Gegenstände im Inland in den Verkehr zu bringen, besteht, nicht als eine Streitigkeit "zwischen den Beteiligten" der in § 8 gedachten Art herstellender Tatbestand angesehen werden (vgl. RGZ. Bd. 92 S. 373, Bd. 96 S. 104).

Es fragt sich weiter, ob etwa abgesehen von der Bestimmung des § 8 der Ausführungsbestimmungen ein Ausschluß des Rechtswegs anzunehmen wäre. Auch diese Frage ist zu verneinen. Der Klaganspruch ist gegen die Beklagte K. auf sogenannte unechte Geschäftsführung (§ 687 Abs. 2 BGB.) sowie auf unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB. (Verletzung eines sonstigen Rechtes), § 823 Abs. 2 (Zuwiderhandlung gegen ein Schutzgesetz) und § 826 (vorsätzliche Schadenszufügung) gestützt. Es handelt sich mithin um einen Anspruch, der aus dem bürgerlichen Rechte hergeleitet wird. Es kommt nun freilich nicht darauf an, wie der Kläger seinen Anspruch bezeichnet; entscheidend ist vielmehr die rechtliche Natur des Anspruchs, wie sie sich aus dem wirklichem Inhalt der Klage ergibt (RGZ. Bd. 83 S. 306; Warneyer 1913 Nr. 453). Würde hier eine staatliche Behörde auf Grund einer Kriegsverordnung eine Beschlagnahme ausgesprochen haben und der davon Betroffene auf Schadensersatz klagen, dann würde ihm die Berufung auf § 823 BGB. nicht zur Durchführung seines Anspruchs im ordentlichen Rechtswege verhelfen können (RGZ. Bd. 89 S. 207, Bd. 97 S. 232). Die Klägerin ist aber keine staatliche Behörde, sondern eine bürgerlichrechtliche Gesellschaft, die zwar im öffentlichen gemeinnützigen Interesse errichtet und mit Monopolrechten für die Einfuhr und Inverkehrbringung gewisser Waren ausgestattet ist, in ihren Geschäften aber die Stellung eines selbständigen Kaufmanns hat, Waren beschafft und vertreibt, sich an kaufmännischen Unternehmungen beteiligen und ihren Betrieb auf Handelsgeschäfte jeder Art ausdehnen kann. Daß ihr Reingewinn der Reichskasse zufließen soll, ändert daran nichts. Wie die Denkschrift über wirtschaftliche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges (Drucks. d. Reichstags 13. Legislaturperiode 1914) im 2. und 4. Nachtrag ausspricht (vgl. Güthe-Schlegelberger, Kriegsbuch Bd. 1 S. 558), hat der erschwerte Bezug und die Knappheit an Beständen von Rohstoffen es als erwünscht erscheinen lassen, mit Hilfe der beteiligten Industrien und auf Anregung der zuständigen Zentralbehörden Aktiengesellschaften und Gesellschaften m. b. H. ins Leben zu rufen, um in gemeinnütziger Weise Erzeugnisse oder Rohstoffe gemeinschaftlich zu beziehen, zu verteilen und zu verwerten. Zu diesen Gesellschaften gehört auch die klagende Gesellschaft. So soll also der gemeine Nutzen der leitende Gesichtspunkt bei den Geschäften der Zentraleinkaufsgesellschaft sein. Sie selbst ist ein privatrechtliches Unternehmen (vgl. RGZ. Bd. 96 S. 104); macht sie Ansprüche geltend, weil in ihre Zentralisations- und Monopolrechte seitens anderer Kaufleute oder Unternehmer eingegriffen würde, so sind auch dies privatrechtliche Ansprüche. Daß durch solchen Eingriff auch die Gesamtheit geschädigt und die wirtschaftliche Regelung der Ernährung und des Verbrauchs im Volke gestört wird, ist ein Nebengesichtspunkt, der den rechtlichen Charakter der solchergestalt erhobenen Ansprüche nicht berührt.

Auch in der Sache war die Revision der Beklagten K. nicht für begründet zu erachten. Insoweit der Klaganspruch gegen diese Beklagte auf Herausgabe des aus der verbotswidrigen Einfuhr und Inverkehrbringung der Fleischwaren erzielten Gewinns gerichtet ist, stützt er sich auf die Bestimmung des § 687 Abs. 2 in Verbindung mit §§ 681, 667 BGB. Die Revision rügt die Anwendung des § 687 Abs. 2 durch das Berufungsgericht als rechtsirrtümlich. Eine Führung fremder Geschäfte liege nicht vor. Wenn die Beklagte verbotswidrig für sich selbst ein Geschäft machte und dabei Rechte der Klägerin verletzte, werde dadurch das Geschäft noch nicht zu einem solchen der Klägerin; dazu werde es erst durch den Erwerb des Fleisches seitens der Klägerin. Die Beklagte K. habe nur ihre eigenen Geschäfte geführt; ob die Klägerin die Waren übernehmen würde, habe gar nicht festgestanden. Allein die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Tatbestand des § 687 Abs. 2 BGB. in den Handlungen der Beklagten K. zu finden sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden; sie befindet sich im Einklange mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts über den Anwendungsspielraum des letztgenannten Gesetzes, insbesondere in den Entscheidungen RGZ. Bd. 70 S. 249, 251 und Bd. 84. S. 49, 53. Der Begriff des Geschäfts und der Geschäftsbesorgung ist danach im weiten Sinne zu verstehen. Der Klägerin stand nach Maßgabe der Verordnung vom 18. März und der Ausführungsbestimmungen vom 22. März 1916 das alleinige Recht der Einfuhr, der Inverkehrbringung und der Verwertung von Fleisch und Fleischwaren zu. Indem die Beklagte vorsätzlich, in Kenntnis dieses Rechtes der Klägerin, Gegenstände der durch diese Bestimmungen betroffenen Art für sich einführte, in den Verkehr brachte und verwertete, hat sie ein Geschäft, dessen Vornahme allein der Klägerin zustand, für sich vorgenommen, obwohl sie wußte, daß sie dazu nicht berechtigt war. Ob die Klägerin das Geschäft in gleicher Weise für sich unternommen, ob sie die Waren eingeführt, die eingeführten übernommen haben würde, ist für die Anwendung des § 687 Abs. 2 gleichgültig; die Geschäfte, die die Beklagte unternommen hat, bleiben gegenständlich für sie fremde Geschäfte, weil zu ihrer Vornahme allein die Klägerin, die Beklagte aber nicht, berechtigt war. Wenn aber die Revision geltend macht, daß die Beklagte gar nicht daran gedacht habe, ein Geschäft der Klägerin zu besorgen, sondern nur ihre eigenen Geschäfte geführt habe, so ist mit RGZ. Bd. 70 S. 251 zu erwidern, daß dies gerade der gesetzliche Tatbestand des § 687 Abs. 2 BGB. ist: gegenständlich fremde Geschäfte werden persönlich als eigene behandelt. Auch das ist für die Anwendung des § 687 Abs. 2 und des § 667 BGB. gleichgültig, ob die Klägerin, wenn sie selbst die Waren eingeführt oder, nachdem sie eingeführt waren, in den Verkehr gebracht hätte, den gleichen Gewinn erzielt haben würde, ja ihn für sich aus dem Geschäfte herauszuholen überhaupt in der Lage gewesen wäre. Der Gewinn der Beklagten ist aus der (unechten) Geschäftsbesorgung erlangt, er hat in ihr seinen wirtschaftlichen Grund und gebührt deshalb dem Geschäftsherrn; dem Geschäftsführer ist es verboten, aus dem fremden Geschäfte für sich ohne die Genehmigung des Geschäftsherrn Nutzen zu ziehen (vgl. RGZ. Bd. 99 S. 31). Das Verlangen der Klägerin auf Herausgabe des von den Beklagten gemachten Gewinns ist hiernach gerechtfertigt.

Dasselbe muß aber von dem Anspruch auf Schadensersatz nach Maßgabe und auf der Grundlage des § 823 BGB. gelten. Ob auch der Tatbestand des § 826 zutrifft, was das Berufungsgericht ununtersucht gelassen hat, kann auch für die Revisionsinstanz dahingestellt bleiben. Ebenso kann ungeprüft bleiben, ob das Berufungsgericht den § 823 Abs. 1 zu Recht angewendet hat, ob also die der Klägerin auf Grund der Verordnungen von 1916 zustehende alleinige Befugnis, Fleisch und Fleischwaren in das Inland einzuführen, im Inland in den Verkehr zu bringen und zu verwerten, als ein sonstiges Recht im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann. Denn als rechtlich unbedenklich und zutreffend erweist sich jedenfalls die Anwendung des § 823 Abs. 2 auf den vorliegenden Tatbestand. Die der Klägerin durch die Verordnung vom 18. März und die Ausführungsbestimmungen vom 22. März 1916 zuerkannten Rechte sind durch die Verbote für jeden Dritten, in diese Rechte einzugreifen, sie zu verletzen und zu umgehen, und durch die diesen Verboten in § 12 der Ausführungsbestimmungen hinzugefügte Strafandrohung geschützt. Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. ist jede Rechtsnorm. Wenn es auch die Regel ist, daß ein Schutzgesetz den Schutz einer Mehrheit von einzelnen Personen zum Gegenstande hat, so ist doch auch ein Gesetz, das nur den Schutz einer individuell bestimmten Person zum Gegenstande hat, als ein Schutzgesetz anzusehen, wie denn auch eine Entscheidung des Reichsgerichts (JW. 1916 S. 38 Nr. 4) die von der zuständigen Verwaltungsbehörde auf Grund der § 16 ff. RGewO. einem einzelnen Gewerbeunternehmer erteilten Genehmigungen zu gewerblichen Anlagen als Schutzgesetze behandelt hat. Wenn die Revision geltend macht, die Vorschriften der Verordnung und ihrer Ausführungsbestimmungen seien nur zum Schutze der Allgemeinheit im öffentlichen Interesse erlassen, so ist es gewiß richtig, daß das Ziel der Verordnungen die Regelung der Volksernährung, das Wohl des Volksganzen ist; zur Erreichung dieses Zieles ist aber das wirtschaftliche Monopol der Klägerin geschaffen und deren Geschäftstätigkeit wird durch die Verbote der Einfuhr ohne Genehmigung der Klägerin und die sonstigen Verbote und Gebote der Verordnungen geschützt. Daß ein Gesetz neben dem Schutze des einzelnen das Wohl der Gesamtheit und dieses selbst vorwiegend im Auge hat, schließt die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB. nicht aus, wie in den Entscheidungen RGZ. Bd. 51 S. 177, Bd. 59 S. 49 und 236, Bd. 63 S. 324, Bd. 70 S. 207, Bd. 79 S. 91 ausgesprochen ist. Nur Gesetze, die ausschließlich die Ordnung des Staatsganzen, seine Verfassung und Verwaltung zum Gegenstande haben, fallen außerhalb des Rahmens des Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB. Somit ist auch die Anwendung des § 823 Abs. 2 durch das Berufungsgericht und die daraus hergeleitete Verurteilung der Beklagten zum Ersatze des durch die Verletzung des Schutzgesetzes der Klägerin erwachsenen Schadens gerechtfertigt.