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RG, 15.10.1918 - III 104/18

Daten
Fall: 
Umwälzung der Verhältnisse
Fundstellen: 
RGZ 94, 45
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.10.1918
Aktenzeichen: 
III 104/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Einfluß der durch den Krieg eingetretenen völligen Umwälzung der Verhältnisse auf die vor dem Kriege abgeschlossenen Lieferungsverträge, deren Erfüllung einen Bezug von Rohstoffen aus überseeischen Ländern voraussetzt.
Sind solche Verträge auch dann hinfällig, wenn sich die Parteien während des Krieges zu einer Zeit, da jene völlige Umwälzung noch nicht vorauszusehen war, auf eine Ausführung nach den Friedensschlusse geeinigt haben?

Tatbestand

Die Klägerin war nach einem von der Verkaufsstelle des Deutschen Kupferdrahtverbandes abgeschlossenen, auf die Klägerin übergegangenen Kaufvertrage vom 13. Februar 1914 verpflichtet, der Beklagten auf Abruf 10000 kg Kupferdraht zu liefern. Als der Krieg ausbrach, hatte die Klägerin nur einen kleinen Teil dieser Menge geliefert. Im September und Oktober 1914 wurden ihre gesamten Kupferbestände, vorhandene und später hinzukommende, beschlagnahmt. In Briefen vom Januar 1915 einigten sich die Parteien dahin, daß die Lieferung des Restes von 9839,3 kg Kupferdraht bis zum Friedensschlusse mit England hinausgeschoben werden, eine frühere Lieferung aber dann stattfinden sollte, wenn sich die Möglichkeit dazu ergeben würde. Im Juli 1915 und wiederholt im Mai 1916 erklärte die Klägerin der Beklagten, daß sie mit Rücksicht auf die weitere Entwickelung des Krieges und die dadurch hervorgerufenen Verhältnisse den Abschluß in ihren Büchern gestrichen habe und den Vertrag wegen Unmöglichkeit der Erfüllung als erloschen betrachte. Die Beklagte widersprach in beiden Fällen. Mit der im Februar 1917 erhobenen Klage beantragte die Klägerin festzustellen, daß sie zur Lieferung des Restes nicht verpflichtet sei.

Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Gründe

"Das Berufungsgericht hält die Klägerin auch jetzt noch an den Vertrag vom 13. Februar 1914, wie er sich durch die Vereinbarung vom Januar 1915 gestaltet hat, für gebunden, indem es folgendes erwägt. Die Klägerin habe sich durch die Vereinbarung vom Januar 1915 des aus der Unmöglichkeit der Lieferung abzuleitenden Rücktrittsrechts begeben. Sie habe schon damals mit einer längeren Dauer des Krieges und mit einer daraus zu erwartenden Umwälzung der wirtschaftlichen Verhältnisse rechnen müssen, und wenn sie gleichwohl eine Lieferung nach dem Friedensschlusse vereinbart habe, so habe sie damit sich die Beklagte als Abnehmerin für den Rest des Kupfers sichern wollen und in berechnender Weise die mit dem Geschäfte verbundene Gefahr übernommen. Durch die lange Dauer des Krieges und den Eintritt der Vereinigten Staaten von Nordamerika in den Krieg habe sich die wirtschaftliche Lage der Klägerin nicht verschlechtert, insbesondere die schon durch die Beschlagnahme begründete Unmöglichkeit der Lieferung nicht verändert. Ob der im Herbst 1917 in Paris von den gegen Deutschland verbündeten Staaten gefaßte Beschluß, Deutschland vom Welthandel auszuschließen und ihm die Zufuhr von Rohstoffen zu den früheren Bedingungen unmöglich zu machen, und die von der deutschen Regierung gehegte Absicht, das Kupfer mit einem Eingangszolle zu belasten und während der Übergangswirtschaft auf die einzelnen Werke zu verteilen, nach dem Friedensschlusse wirklich ausgeführt werden würden, lasse sich jetzt' noch nicht mit einiger Sicherheit beurteilen. Sollte dieser Fall eintreten, dann bleibe es der Klägerin unbenommen, die Unmöglichkeit der Erfüllung von neuem geltend zu machen.

Diese Erwägungen werden aber der Entwickelung des Krieges und der ungeahnten Umwälzung aller Verhältnisse, die dadurch herbeigeführt worden ist, in keiner Weise gerecht und stehen auch im Widerspruche mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts über den Einfluß der durch den Krieg begründeten Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Bestand handelsrechtlicher Lieferungsverträge. Das Reichsgericht hat wiederholt, insbesondere in Entscheidungen des I. und II. Zivilsenats, ausgesprochen, daß die durch den Krieg notwendig gewordene zeitliche Verschiebung der Leistung als ein der Unmöglichkeit gleichzuachtender Umstand die dauernde Befreiung des Schuldners mit der Folge einer Auflösung des Vertragsverhältnisses bewirkt, wenn die Leistung durch die Verschiebung derart verändert wird, daß sie nicht mehr als die beim Vertragsschluß erwartete und gewollte Leistung zu erachten sein würde. Das gilt auch für den Fall, daß während des Krieges anläßlich der durch ihn hervorgerufenen Behinderung der Leistung eine Einigung über die Ausführung nach Beendigung des Krieges erzielt wird, es müßte denn sein, daß nach dem Willen der Parteien die Leistung nach dem Kriege ohne Rücksicht auf irgendwelche infolge des Krieges eingetretene Veränderungen der Verhältnisse unter allen Umständen erfolgen sollte. Die Übernahme aller und jeder Gefahr durch die Vertragsteile, insbesondere den Verkäufer, ist aber nicht zu vermuten, vielmehr als eine seltene Ausnahme zu betrachten, die nur dann angenommen werden darf, wenn der Wille der Parteien, an der Lieferungspflicht für alle Fälle festzuhalten, mögen sich auch die Verhältnisse ändern, wie sie wollen, klar und unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist. In diesem Sinne hat sich der I. Zivilsenat in verschiedenen Entscheidungen ausgesprochen (vgl. Urteile vom 26. und 30. Januar, 6. Februar, 4. und 15. Mai 1918, I.188, 285, 259, 319, 253/17), und auch der II. Zivilsenat vertritt, von einer teilweise abweichenden Beurteilung einzelner Fälle abgesehen, diesen Standpunkt (vgl. RGZ. Bd. 93 S. 341).

Eine so weitgehende Übernahme der durch die weitere Entwickelung des Krieges begründeten Gefahr ist aber den Briefen vom Januar 1913. in denen die spätere Einigung der Parteien ihren Ausdruck gefunden hat, nicht zu entnehmen und auch vom Berufungsgerichte nicht angenommen worden. Es meint zwar, die Klägerin habe sich die Beklagte als Abnehmerin sichern wollen, und in berechnender Weise die mit dem Geschäfte verbundene Gefahr übernommen, untersucht aber dann selbst, ob die seit der Einigung vom Januar 1915 eingetretenen Veränderungen so erheblich gewesen seien, daß die für die Zeit nach dem Friedensschlusse zugesagte Lieferung als unausführbar zu betrachten und die Berechtigung der Klägerin, die Lieferung zu verweigern, anzuerkennen sei. Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht diese Frage verneint, beruhen indes auf einer Verkennung der durch die Entwickelung des Krieges begründeten Sach- und Rechtslage. Der Krieg beschränkte sich nicht auf die zunächst an ihm beteiligten Staaten, sondern dehnte sich auf eine Reihe anderer Staaten aus und erreichte schließlich durch den im Frühjahr 1917 erfolgten Eintritt der Vereinigten Staaten von Nordamerika in die Reihe der gegen Deutschland kämpfenden Staaten einen Umfang und eine Bedeutung, die in den ersten Monaten des Krieges und auch im Jahre 1915 noch nicht vorauszusehen war. Die dadurch begründete Veränderung aller Verhältnisse trifft in ihren Wirkungen auch den Handel Deutschlands nach dem Kriege. Man braucht dabei noch nicht an eine absichtliche Schädigung dieses Handels durch feindliche Staaten, oder an Belastungen und Beschränkungen zu denken, die Deutschland selbst der Einfuhr und Verarbeitung von Rohstoffen auferlegen muß. Die Rohstoffe, auf deren Einfuhr Deutschland angewiesen ist, werden bei dem durch den Krieg erhöhten Verbrauch im Lande der Erzeugung wie auch in anderen Ländern einer gesteigerten Nachfrage unterliegen und für die danach noch in Betracht kommenden Mengen werden Beförderungsschwierigkeiten aller Art, insbesondere der durch den Seekrieg verursachte Mangel an Schiffsraum, störend und hemmend wirken. Wie sich unter diesen allgemein bekannten, daher einer besonderen Feststellung durch den Tatrichter nicht bedürftigen Umständen der deutsche Handel mit dem Auslande, vor allem mit den überseeischen Ländern, gestalten wird, ist völlig ungewiß. Sicher jedoch ist schon nach der gegenwärtigen Lage der Verhältnisse, daß er auf absehbare Zeit nicht mehr unter den Bedingungen und Voraussetzungen stattfinden wird, die ihm vor dem Kriege zu Gebote standen, und auch nicht unter denjenigen, mit denen man in den ersten Monaten des Krieges und auch im Jahre 1915 noch rechnen konnte und durfte. Diese schon jetzt gegebene, nach Art und Umfang nicht voraussehbar gewesene Umwälzung der Verhältnisse muß aber rechtlich dazu führen, daß von dem erwähnten Ausnahmefall abgesehen, alle vor dem Kriege abgeschlossenen Lieferungsverträge, wenigstens insoweit als ihre Erfüllung einen Bezug von Rohstoffen aus überseeischen Ländern voraussetzt, grundsätzlich auch dann als hinfällig geworden zu erachten sind, wenn die Parteien während des Krieges zu einer Zeit, da jene völlige Umwälzung noch nicht vorauszusehen war, sich auf eine Ausführung nach dem Friedensschlusse geeinigt haben. Die Ausführung unter den völlig veränderten Verhältnissen nach Beendigung des Krieges kann in solchem Falle nicht mehr als eine sinngemäße Erfüllung des Vertrags betrachtet werden, ist vielmehr als dauernd unmöglich geworden zu behandeln.

Wenn auch grundsätzlich daran festgehalten werden muß, daß Verträge zu wahren sind, so darf dies doch nicht dahin führen, ihre Ausführung auch unter völlig veränderten, bei ihrem Abschlusse nicht voraussehbaren Verhältnissen zu verlangen. Das gilt aber für den Handelsverkehr nach diesem einzigartigen, alles umwälzenden Weltkriege, dem etwas Ähnliches aus dem bisherigen Völkerleben nicht zur Seite gestellt werden kann, in besonderem Grade. Der deutsche Kaufmann wird eines ganz außerordentlichen Maßes von Mut, Kraft und Ausdauer bedürfen, um unter den zu erwartenden Schwierigkeiten nach dem Kriege wieder ersprießliche Handelsverhältnisse herbeizuführen und den deutschen Handel mit dem Auslande neu aufzubauen. Die Erfüllung dieser Aufgabe würde ihm aber in ganz unverhältnismäßiger Weise erschwert werden, wenn er durch alte aus der Zeit vor dem Kriege stammende, unter ganz anderen Verhältnissen abgeschlossene oder, sei es auch während des Krieges, verlängerte Verträge gebunden wäre oder seine Befreiung erst durch nach dem Kriege zu führende Prozesse erkämpfen müßte. Seine Unternehmungslust und seine Unternehmungskraft würden dadurch geradezu gelähmt werden, und zwar schon allein durch die Ungewißheit, wie jene Prozesse ausfallen würden und in welchem Umfange daher seine Mittel durch jene ungewissen Verhältnisse würden in Anspruch genommen werden. Dem hieraus geborenen dringenden Bedürfnis des deutschen Handels nach Klarheit und Sicherheit für die Zeit und in der Zeit nach Beendigung des Krieges muß die Rechtsprechung verständnisvoll Rechnung tragen. Daß es sich bei der fraglichen Umwälzung der Verhältnisse um Veränderungen handelt, die in erster Linie den Verkäufer und seine Interessen berühren, daher die vereinbarte Leistung zunächst für ihn als eine andere erscheinen lassen, steht dieser rechtlichen Beurteilung nicht entgegen. In den angeführten Entscheidungen des I. und II. Zivilsenats wird zwar regelmäßig betont, daß die Leistung für beide Vertragsteile eine andere geworden sein müsse. Allein damit, daß sie für den einen Teil eine wirtschaftlich völlig andere geworden ist, wird sie es begriffsnotwendig auch für den anderen Teil. Es genügt daher schon die Feststellung, daß die vereinbarte Leistung für den Verkäufer eine wirtschaftlich völlig andere geworden ist.

Dem hier ausgesprochenen Grundsatz unterliegt auch der vorliegende Vertrag. Es handelt sich um die Lieferung von Kupferdraht, zu dessen Herstellung die Klägerin des aus Amerika zu beziehenden Elektrolytkupfers bedarf. Die schon erwähnte Umwälzung aller Verhältnisse wird den Bezug von Kupfer nach dem Friedensschluß aus dem Grunde besonders erschweren, weil der Krieg mit einem ganz außerordentlichen Verbrauche von Kupfer verbunden war und ist, die Nachfrage nach diesem Metalle daher in allen Ländern eine besonders große sein wird. Erschwerend wirkt ferner, auch für die Zeit nach dem Friedensschlusse, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die das Haupterzeugungsgebiet für Kupfer bilden und nach der unbestritten gebliebenen Behauptung der Klägerin [9/10] alles nach Deutschland gelieferten Kupfers für elektrische Drähte erzeugt hatten, sich den gegen Deutschland Krieg führenden Staaten angeschlossen haben. Dieser Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg war im Januar 1915, als sich die Parteien auf eine Lieferung nach Friedensschluß einigten, noch ebensowenig zu erwarten, wie die durch die Entwickelung des Krieges überhaupt eingetretene völlige Umwälzung aller Verhältnisse. Der vom Berufungsgerichte hervorgehobene Umstand, daß sich durch den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg die schon durch die Beschlagnahme des Kupfers herbeigeführte Unmöglichkeit der Lieferung nicht geändert habe, kann nicht dazu führen, die Entscheidung über die Lieferungspflicht der Klägerin bis zum Friedensschlusse hinauszuschieben. Die Klägerin muß wissen, mit welchen Verpflichtungen sie beim Friedensschlusse zu rechnen hat, damit sie danach ihre Maßnahmen treffen und den für diese Zeit ohnehin zu erwartenden schwierigen Verhältnissen tunlichst gerecht werden kann. Das wäre ausgeschlossen, wenn sie darauf angewiesen wäre, auf eine Klarstellung ihrer Verpflichtungen im Wege des Prozesses, bis zum Friedensschlusse zu warten. Das Berufungsgericht übersieht aber auch, daß, wie erwähnt, zwar die Gestaltung des Handels mit dem Auslande, vor allem mit den überseeischen Ländern, ungewiß, das eine aber sicher ist, daß er sich nicht mehr unter den früheren, sondern unter wesentlich anderen erschwerten Bedingungen vollziehen wird. Die Klägerin müßte, wenn sie gezwungen wäre, nach Beendigung des Krieges zu liefern, dies unter völlig veränderten, bei der Einigung im Januar 1915 nicht voraussehbaren Verhältnissen tun. Ihre Leistung wäre dann nicht mehr eine sinngemäße Erfüllung des Vertrags. Die Vertragsleistung ist daher als dauernd unmöglich geworden und das ganze Vertragsverhältnis gemäß §§ 275, 323 Abs. 1 BGB. als aufgelöst zu erachten.

Demgemäß ist das Berufungsurteil aufzuheben und, da es weiterer tatsächlicher Feststellungen nicht bedarf, in Abänderung des Urteils der ersten Instanz der Klage stattzugeben."