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RG, 19.10.1881 - V 703/81

Daten
Fall: 
Untersagungsrechte
Fundstellen: 
RGZ 6, 255
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.10.1881
Aktenzeichen: 
V 703/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Der §. 43 A. L. R. I. 22 findet auch auf Untersagungsrechte im Sinne der §§. 86 flg. A. L. R. I. 7 Anwendung.

Aus den Gründen

"Die Parteien sind Eigentümer zweier aneinander grenzenden Grundstücke. Auf beiden haftet eine aus den Verträgen mit dem gemeinschaftlichen Vorbesitzer herrührende, in das Grundbuch eingetragene Verpflichtung, wonach der Eigentümer mit allen. Baulichkeiten, welche höher als 5,3 Meter sind, ausgenommen das nicht über 14 Meter tief zu erbauende Vorderhaus. 5,3 Meter von den Grenzen ihrer Grundstücke, wo dieselben aneinander stoßen, entfernt bleiben solle. Beklagter hat dieser Verpflichtung zuwider unmittelbar an der Grenze ein hinteres Quergebäude erbaut, welches zur Zeit der Klaganstellung die Höhe von 5,3 Meter um circa 9 Meter überragte.

Kläger verlangt gegenwärtig eine bauliche Veränderung dieses Quergebäudes in der Weise, daß es entweder nicht höher als 5,3 Meter errichtet bleibe, oder von der Grenze des Grundstückes um 5,3 Meter entfernt werde.

Der Berufungsrichter hat die Einrede des Beklagten, daß die Grundgerechtigkeit durch stillschweigende Einwilligung des Klägers in die Vornahme des Baues aufgehoben sei, für begründet erklärt und die Klage abgewiesen, indem er den §. 43 A. L. R. I. 22 für anwendbar hält.

Von der Revisionsklägerin wird diese Entscheidung mit der Ausführung angegriffen, daß der §. 43 a. a. O. nur auf Grundgerechtigkeiten Anwendung finde, bei welchen der Berechtigte dem dienenden Grundstücke gegenüber sich wiederholende Handlungen, die ihm eine Gebrauchsbefugnis an der dienenden Sache zugeständen und deren Ausübung durch eine Anlage unmöglich gemacht werde, vornehme, daß zu unterscheiden sei zwischen solchen Grundgerechtigkeiten, bei welchen der Widerspruch den Inhalt des Rechtes. seine Erhebung also Ausübung des Rechtes selbst bilde, und solchen, bei welchen der Widerspruch nur die Folge des Rechtes sei, seine Erhebung also die anderweitige Ausübung des Rechtes erhalten solle, indem der §. 43 a. a. O. sich nur auf die letzteren beziehe, während die hier in Frage stehende Gerechtigkeit zu den ersteren gehöre.

Die in Rede stehende Grundgerechtigkeit geht auf die Erhaltung eines bestimmten Zustandes auf dem angrenzenden Grundstücke. Der Eigentümer des verpflichteten Grundstückes hat im Interesse des berechtigten Nachbargrundstückes die festgesetzten Beschränkungen bei der Errichtung von Baulichkeiten innezuhalten. Hieraus folgt, daß der Eigentümer des herrschenden Grundstückes Überschreitungen der Baubeschränkungen verhindern kann, berechtigt ist, denselben zu widersprechen. Allein deshalb kann man nicht, wie die Revisionsklägerin meint, den Widerspruch als den Inhalt des Rechtes ansehen. Dieser besteht vielmehr in der Erhaltung des entsprechenden Zustandes auf dem dienenden Grundstücke. Es kann hiernach dahingestellt bleiben, ob die von der Revisionsklägerin adoptierte Ansicht von Förster (Preuß. Privatrecht 3. Aufl. Bd. 3 S. 333 N. 57) richtig ist, daß der §. 43 a. a. O. nicht auf die Servituten, bei welchen der Widerspruch der Inhalt des Rechtes. seine Erhebung, also Ausübung des Rechtes. selbst sei, sondern nur auf diejenigen, bei welchen der Widerspruch die Folge des Rechtes sei, seine Erhebung also die anderweitige Ausübung des Rechtes erhalten solle, Anwendung finde; denn es handelt sich hier nicht um eine Servitut der ersteren Art.

Der §. 43 a. a. O. lautet:
"Außer den allgemeinen Arten, wie Rechte verloren gehen können, erlöschen Grundgerechtigkeiten durch stillschweigende Einwilligung, wenn der Berechtigte wissentlich geschehen läßt, daß in der verpflichteten Sache Anstalten und Einrichtungen, welche die Ausübung seines Rechtes geradezu unmöglich machen, getroffen werden."

Diese Vorschrift bezieht sich dem Wortlaute nach auf alle Grundgerechtigkeiten, deren Ausübung durch Anstalten und Einrichtungen in der verpflichteten Sache unmöglich gemacht werden kann. Insbesondere wird für die Untersagungsrechte im Sinne des §. 86 A. L. R. I. 7 keine Ausnahme gemacht. Allerdings kann man einwenden, daß die Worte "Anstalten und Einrichtungen, welche die Ausübung seines Rechtes geradezu unmöglich machen", auf Gerechtigkeiten hinweisen, deren Inhalt in Handlungen des Berechtigten besteht. Wenn man aber auch zugeben kann, daß der erwähnte Ausdruck besonders auf derartige Gerechtigkeiten paßt, so läßt sich doch hierauf allein nicht eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten von Grundgerechtigkeiten stützen, von welchen der Paragraph sonst keine Andeutung enthält, um so weniger, als auch ein Grund, weshalb für die Untersagungsrechte, insbesondere für Gerechtigkeiten, welche das Bauen auf benachbarten Grundstücken einschränken, eine Ausnahme von der Regel des §. 43 a. a. O. gemacht sein sollte, nicht ersichtlich ist.

In dem §. 43 a. a. O. ist die gemeinrechtliche Kontroverse entschieden, ob eine Servitut durch das stillschweigende Leiden einer Handlung, wodurch die Ausübung der Dienstbarkeit auf immer unmöglich gemacht werde, durch das bloße Nicht-Widersprechen in einem solchen Falle aufgehoben werde. Bei der Beantwortung dieser Streitfrage wurde ein Unterschied zwischen den verschiedenen Arten der Servituten in der gemeinrechtlichen Litteratur nicht gemacht.1

Man muß daher annehmen, daß, wenn in dem §. 43 a. a. O. eine solche Unterscheidung beabsichtigt worden wäre, dieses ausdrücklich und unzweideutig ausgesprochen sein würde.

In Übereinstimmung hiermit hat auch die Praxis den §. 43 a. a. O. auf die Untersagungsrechte angewendet.2

Das von der Revisionsklägerin in Bezug genommene Präjudiz des früheren preuß. Obertribunals vom 3. März 1851 (Entsch. Bd. 21 S. 401), wodurch ausgesprochen ist, daß der §. 43 a. a. O. auf den Fall keine Anwendung finde, wenn der zum Widerspruche gegen die Anlegung eines neuen Fensters im Hause seines Nachbarn Berechtigte diese Anlage wissentlich geschehen lasse, gründet sich auf die besondere Beschaffenheit des Rechtes zum Widerspruche gegen die Anlegung von Fenstern und stellt für andere Grundgerechtigkeiten keine Norm auf (vergl. Striethorst, Arch. Bd. 69 S. 3). Der Angriff des Revisionsklägers. daß der Berufungsrichter mit Unrecht den §. 43 a. a. O. für anwendbar auf den vorliegenden Fall erklärt habe, ist hiernach unbegründet."

  • 1. Vergl. Glück, Kommentar Bd. 10 S. 263; Hellfeld, jurisprudentia forensis 4. Aufl. S. 273; Cocceji, jus controversum VIII, 6 qu. 3; Leyser, Medit. spec.110 m 1.
  • 2. Vgl. Entscheid, des preuß. Obertribunals Bd. 9 S. 1, Bd. 50 S. 87; Striethorst, Arch. Bd. 5 S. 98, Bd. 12 S. 101, Bd. 55 S. 79, Bd. 68 S. 304, Bd. 69 S. 1 u. S. 10, Bd. 78 S. 233; Bd. 87 S. 188, Bd. 90 S. 248; Schles. Arch. Bd. 4 S. 176.