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RG, 02.10.1918 - I 13/18

Daten
Fall: 
Seeversicherung
Fundstellen: 
RGZ 93, 344
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.10.1918
Aktenzeichen: 
I 13/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Seeversicherung. Welche Wirkung hat bei der urkundlichen, den Vorschriften nicht entsprechenden Feststellung von Teilschaden an Gütern die Genehmigung oder Mitwirkung eines Vertreters des Versicherers? Nach welchen Gesichtspunkten ist die Urkunde über die Schadensfeststellung auszulegen? Wirkung der Feststellung.

Tatbestand

Laut Police vom 15. März/17. April 1915 hatte die Klägerin bei den Beklagten 200 Ballen Baumwolle, die mit dem Dampfer Orion nach Gothenburg gebracht waren, dort etwa drei Wochen lagern und dann mit noch zu bestimmenden Dampfschiffen nach Lübeck befördert werden sollten, unter Bezugnahme auf die Hamburger Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 für letztere Reise einschließlich vorheriger dreiwöchiger Lagerung in Gothenburg für See- und Kriegsgefahr, diese nach der Hamburger Kriegsklausel, versichert.

Die versicherte Ware wurde in der Zeit vom 23. März bis 12. April aus dem Dampfer Orion in Leichter entlöscht und auf dem Platze Marienholm eingelagert, von wo laut Konnossementen vom 8. Mai und 30. April 46 Ballen mit dem Dampfer Argo, 154 Ballen mit dem Dampfer Lars Olaf nach Lübeck weiter verschifft wurden. An Bord des Dampfers Orion war während der Seereise Feuer ausgebrochen, wodurch ein erheblicher Teil der Ladung von 10000 Ballen Feuer- und Seewasserbeschädigung erlitten hatte. In Lübeck wurden die 200 Ballen durch den beeidigten Sachverständigen B. unter Mitwirkung des Vertreters der Versicherer S. auf Beschädigung untersucht. Es wurden darüber Atteste vom 20. Mai ausgestellt, laut denen bei der Ladung des Lars Olaf auf 84 Ballen 3455 kg netto Landbeschädigung und bei der Ladung der Argo auf 44 Ballen 1448 kg netto Landbeschädigung festgestellt wurden, die, wie es in den Attesten heißt, "augenscheinlich in Gothenburg vor der Verschiffung nach Lübeck durch ungeeignete Lagerung entstanden" war. Der Vertreter der Versicherer fügte den Attesten folgenden vom 27. Mai datierten Vermerk hinzu:

"Von einer Partie von 200 Ballen Baumwolle wurden 154 Ballen mit Dampfer Lars Olaf und 46 Ballen mit Dampfer Argo herangebracht. Von den obigen mit Dampfer Lars Olaf herangebrachten 154 Ballen sind 84 Ballen beschädigt befunden worden. Richtig befunden, im übrigen ohne Präjudiz für Umfang und Verbindlichkeit der Assekuradeure."

Der Vermerk für Dampfer Argo lautet entsprechend auf 44 beschädigte bei 46 verschifften Ballen.

In Hamburg wurde die Höhe der Beschädigung laut Berechnungen des Dispache-Comptoirs der Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe vom 27. Oktober 1915 auf insgesamt 8910 M festgestellt. Diesen Betrag nebst Prozeßzinsen verlangt die Klägerin von den Beklagten anteilig nach Maßgabe der Policenzeichnung vergütet.

Die Beklagten wandten ein, der Schaden sei nicht während der Lagerung in Gothenburg, sondern schon vor Beginn der Versicherung auf dem Orion entstanden. Aber auch für einen in Gothenburg entstandenen Schaden brauchten sie nicht einzustehen, weil er auf schuldhaft ordnungswidriger Lagerung beruhen würde und die Ware schon vorher, ohne daß dies angezeigt wäre, beschädigt gewesen sei.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auf die Revision wurde die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

"Das Berufungsgericht folgert aus dem Umstande, daß ein erheblicher Teil der mit dem Dampfer Orion beförderten 10000 Ballen durch Feuer und Seewasser beschädigt gewesen sei, es müsse das gleiche auch mit großer Wahrscheinlichkeit von den hier in Rede stehenden 200 Ballen, die zu obiger Ladung gehört hatten, gelten. Es erkennt demnach der Klägerin die Beweislast dafür zu, daß die von ihr geltend gemachte Beschädigung der 200 Ballen am Lande in Gothenburg und nicht schon auf dem Orion stattgefunden habe. Das Berufungsgericht nimmt weiter an, daß die Klägerin diesen ihr obliegenden Beweis nicht geführt habe, und lehnt dabei verschiedene Beweisanträge der Klägerin, obwohl u. a. ein direkter Beweis dafür angeboten wird, daß die 200 Ballen zur Zeit der Einlagerung noch unbeschädigt waren, als unerheblich ab. Diese Beweiswürdigung entspricht nicht dem § 286 ZPO.; es bedarf jedoch keines näheren Eingehens hierauf, weil die Entscheidung aus einem anderen Grunde, mit dem sich zugleich jene Beweiswürdigung erledigt, unhaltbar ist.

Das Berufungsgericht hat nämlich den § 133 Allg. SVB. unbeachtet gelassen oder doch in seiner Tragweite verkannt. Der § 133 enthält eingehende Bestimmungen darüber, in welcher Weise etwaige Beschädigungen an versicherten Gütern festzustellen sind. Der letzte Absatz besagt:

"Jede wesentliche Verletzung der für das Verfahren des Versicherten im Vorstehenden gegebenen Vorschriften führt den Verlust des Entschädigungsanspruchs des Versicherten, soweit derselbe auf eine Beschädigung der Güter gestützt werden könnte, herbei. Der ausdrücklichen oder stillschweigenden Genehmigung eines von den vorgedachten Vorschriften abweichenden Verfahrens seitens eines Vertreters des Versicherers wird auch hierbei Wirkung beigelegt (s. § 127 a. E.)".

An der angezogenen Stelle im § 127 heißt es:

"Bestellt der Versicherer einen speziellen Vertreter für die betreffende Havareisache, oder existiert an dem betreffenden Havareiplatze oder für denselben ein allgemeiner Vertreter, der Vertreter des Versicherers für vorkommende Havareisachen -- in welchen Fällen nach § 128 der Versicherte verpflichtet ist, den Vertreter zu den vorzunehmenden Handlungen zuzuziehen --, so ist es für den Versicherten unpräjudizierlich, wenn, sei es mit ausdrücklicher Genehmigung oder auch nur unter Mitwirkung des Vertreters, von den in Rede stehenden Bestimmungen abgewichen wird. Der Versicherer ist verbunden, die Handlungen seines Vertreters in betreff des zu konstatierenden Schadens gelten zu lassen."

Im vorliegenden Falle ergeben freilich die Zertifikate, daß nicht genau nach der Vorschrift des § 133, insbesondere in Abs. 2, verfahren ist; man hat von der Ernennung je eines Sachkundigen durch beide Teile abgesehen, hat sich vielmehr mit einer Schadensfeststellung durch den beeidigten Sachverständigen Konsul B. begnügt, die von dem Vertreter der Versicherer S. als richtig anerkannt ist. Indessen hat letzterer, wie unbestritten und aus den Zertifikaten ersichtlich, bei diesem Verfahren mitgewirkt und es genehmigt, so daß damit den Zertifikaten die Kraft einer ordnungsmäßigen Schadensfeststellung zuzuschreiben ist. Dies ist auch von den Beklagten ... anerkannt worden. Der Zusatz in dem Vermerke des S. "im übrigen ohne Präjudiz für Umfang und Verbindlichkeit der Assekuradeure" hebt diese Wirkung keineswegs auf; es handelt sich dabei nur um die übliche Rechtsverwahrung dagegen, daß mit der Feststellung der Beschädigung schon der Versicherungsanspruch selbst anerkannt, den unabhängig von der Feststellung etwa begründeten Einwendungen der Versicherer präjudiziert werde (vgl. Voigt, Seeversicherungsrecht S. 682 unten, S. 634).

Für die Auslegung der Zertifikate ist nun zunächst § 133 Abs. 1 und 3 von Bedeutung. Danach ist zu untersuchen, "ob und wieweit Beschädigung anzunehmen und eventuell Seeunfällen der versicherten Reise beizumessen ist.", und es ist "bei der Besichtigung und Begutachtung der Ware die daran sich zeigende Beschädigung ihrer Beschaffenheit, ihrem Umfang und ihrer Entstehungsursache nach zum Gegenstande der Beurteilung zu machen, und insbesondere zu ermitteln, ob die Beschädigung wirklich auf der letzten Reise entstanden ist, und zwar, ob sie von Seewasser, bzw. von sonstigen Seeunfallen herrührt". Wenn man die Zertifikate unter dem Gesichtspunkte dieser Vorschriften betrachtet, so erweist sich die Auslegung, die ihnen das Berufungsgericht gegeben hat, als unhaltbar. Zunächst kann kein Gewicht darauf gelegt werden, daß der beeidigte Sachverständige B. zu Eingang erklärt, er habe die Untersuchung auf Aufforderung der Klägerin vorgenommen; denn abgesehen davon, daß nach der unwidersprochenen Behauptung der letzteren B. auf Wunsch des Vertreters der Versicherer mit der Untersuchung beauftragt wurde, hat S. sich in dieser seiner Eigenschaft mit der Untersuchung durch B. einverstanden erklärt und seinerseits das Ergebnis, zu dem B. gelangte, für "richtig befunden." Vor allem aber ist vorauszusetzen, daß beide bei der Untersuchung beteiligten Personen dabei die Police, um die es sich handelte, zugrunde gelegt haben und sich bewußt waren, worauf es hiernach ankam. Es ist daher ungerechtfertigt, wenn das Berufungsgericht auf Grund der Zertifikate annimmt, B. sei von vornherein davon ausgegangen, daß Landbeschädigung vorliegen werde, und es stände dahin, ob er sein Augenmerk auf eine Unterscheidung von Salzwasser und Süßwasser gerichtet habe. Vielmehr werden B. und S. bemüht gewesen sein, der Anweisung des § 133 Allg. SVB. gemäß festzustellen, ob die Beschädigung auf der versicherten Reise entstanden war, ob sie von Seewasser oder sonstigen Seeunfällen herrührte, und sie ihrer Beschaffenheit, ihrem Umfang und ihrer Entstehungsursache nach" zum Gegenstande der Beurteilung zu machen. Denn aber kann die von S. bestätigte Erklärung des Sachverständigen: er habe die an der Baumwolle vorhandene Landbeschädigung wie folgt festgestellt (worauf die einzelnen Ballen nach Marke und Nummer mit ihren Nettobeschädigungen in kg aufgeführt werden), die Landbeschädigung betrage insgesamt 3455 bzw. 1448 kg netto, der Schaden sei augenscheinlich in Gothenburg vor der Verschiffung nach Lübeck durch ungeeignete Lagerung entstanden, -- nur dahin verstanden werden, daß eine Beschädigung durch Salzwasser, Feuer und Rauch nicht vorgefunden, daß aber die vorgefundene Beschädigung einer ungeeigneten Lagerung am Lande in Gothenburg zuzuschreiben sei. Dies um so mehr, als das Berufungsgericht selbst annimmt, daß ein Sachverständiger auf den ersten Blick erkennen kann, ob die Beschädigung von 200 Ballen Baumwolle durch Salzwasser, Feuer und Rauch oder ob sie durch Süßwasser entstanden ist.

Was nun aber die Wirkung und Tragweite dieser Feststellung anlangt, so äußert sich Voigt S. 733 darüber wie folgt:

"Der Inhalt der von den Sachverständigen unter Berücksichtigung der vorerwähnten Vorschriften des § 133 abgegebenen Gutachten ist unanfechtbar. Dies ist zwar nicht ausdrücklich gesagt worden, folgt jedoch aus dem Gesamtinhalte des § 133 und der Anlehnung an § 128 bis 181 und der Schlußbestimmung des Abs. 4, welcher den Verkauf lediglich an die Begutachtung der Sachverständigen knüpft. Ob jedoch der von ihnen konstatierte Schaden durch den Versicherungskontrakt gedeckt sei, bleibt fernerer Prüfung vorbehalten."

Dem ist mit dem Vorbehalte der Anfechtbarkeit gemäß § 319 BGB. wegen offenbarer Unbilligkeit -- vgl. RGZ. Bd. 69 S. 168 sowie Leipz. Zeitschr. 1915 S. 675 Nr. 9 mit Nachw. -- beizutreten, § 133 Abs. 2 sagt: "In betreff ... der Wirkung des ... Gutachtens gilt dasselbe, was in betreff von Schiffen in § 128 bestimmt worden ist." Dort aber heißt es: "Vereinigen sich die beiden Sachkundigen über die Existenz, Beurteilung und Taxierung des Schadens, so hat es bei dem hieraus hervorgehenden Ergebnis sein Verbleiben. Vereinigen sie sich nicht, so haben sie einen Obmann zu wählen, dessen Ausspruch alsdann maßgebend ist" (vgl. auch den Schlußsatz). Für diese Bedeutung des Gutachtens spricht auch die dafür in § 129 vorgesehene Form, insbesondere die Vorschrift schriftlicher Anerkennung des dabei beteiligten Vertreters des Versicherers, daß das Gutachten unter seiner Zuziehung herbeigeführt ist.

Da eine Anfechtung der Zertifikate wegen offenbarer Unbilligkeit hier nicht in Frage kommt, so muß als feststehend erachtet werden, daß der an den 200 Ballen ermittelte Schaden durch ungeeignete Lagerung am Lande in Gothenburg verursacht ist. und es handelt sich nur noch darum, ob die weiteren Einreden der Beklagten begründet sind."