RG, 27.09.1918 - II 55/18

Daten
Fall: 
Kündigung eines Gesellschafters
Fundstellen: 
RGZ 93, 326
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.09.1918
Aktenzeichen: 
II 55/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Wie kann sich im Falle der Kündigung eines Gesellschafters dessen Ausscheiden aus einer Gesellschaft m. b. H. vollziehen?
2. Kann der Gesellschafter gegenüber der Einforderung der Stammeinlage einwenden, seine Kündigung habe infolge Verschuldens der Gesellschaftsorgane nicht zum Ausscheiden aus der Gesellschaft geführt?

Tatbestand

Im März 1910 war der Beklagte durch Erwerb des Geschäftsanteils des Gründers B. Gesellschafter der verklagten Gesellschaft m. b. H. geworden. B. hatte eine Stammeinlage von 11000 M übernommen, auf welche inzwischen schon 2750 M (25%) eingezahlt waren. Die Gesellschaft trat am 24. Dezember 1915 in Liquidation. Mit der Klage beanspruchte sie Zahlung von 2750 M. Sie stützte sich auf einen Beschluß der Gesellschafter vom 25. Oktober 1915 über Einforderung weiterer 25% sowie einen Beschluß vom 13. Januar 1916 über Einforderung der restlichen 50% der Stammeinlage und machte geltend, daß die geforderte Summe zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich sei. Der Beklagte wandte ein, er sei schon am 31. Dezember 1912 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Widerklagend beantragte er die Feststellung, daß die Klägerin nicht berechtigt sei. weitere 8250 M von ihm zu fordern.

Wahrend das Landgericht unter Abweisung der Klage der Widerklage stattgab, verurteilte umgekehrt das Oberlandesgericht den Beklagten zur Zahlung von 2750 M und wies seine Widerklage ab. Die Revision blieb erfolglos.

Gründe

"Der ursprünglich auf 6 Jahre, bis zum 31. Dezember 1911 abgeschlossene Gesellschaftsvertrag der klagenden Gesellschaft ist durch den in das Handelsregister eingetragenen Beschluß der Gesellschafter vom 12. Oktober 1911 abgeändert worden. Danach sollte der Gesellschaftsvertrag bis zum 31. Dezember 1917 verlängert werden, jedoch mit der Befugnis eines jeden Gesellschafters, aus der Gesellschaft mit dem 31. Dezember 1912 auszutreten, wenn das Leipziger Tonsteinwerk nicht bis zum 30. September 1912 der Klägerin als Gesellschafter beitrete (was nicht geschehen ist) und der "Austritt" bis spätestens 15. Oktober 1912 erklärt werde. Der Beklagte hat auf Grund dieser Bestimmung seinen Austritt der Klägerin rechtzeitig erklärt.

Damit ist aber der Beklagte noch nicht, wie das Landgericht annimmt, mit dem 31. Dezember 1912 aus der klagenden Gesellschaft ausgeschieden und folgeweise von der Verpflichtung zur Zahlung der Stammeinlage befreit.

Vielmehr war die Austrittserklärung an sich nur ein Auflösungsgrund für die Gesellschaft gemäß § 60 GmbHG. Im Falle der Auflösung der Gesellschaft mußte aber nach § 66 deren Liquidation erfolgen, bis zu deren Beendigung nach § 69 die Haftung des Beklagten als Gesellschafters für die Einzahlung der Stammeinlage bestehen blieb. Das Berufungsgericht unterstellt indes, daß auf eine gemäß dem Beschlusse vom 12. Oktober 1911 ausgesprochene Kündigung eines Gesellschafters § 23 der Satzung Anwendung finde. Danach sollen die Geschäftsführer nach Empfang der Kündigung eine Versammlung der Gesellschafter zur Beschlußfassung über die Auflösung der Gesellschaft einberufen und die Gesellschaft soll bestehen bleiben, wenn die Gesellschafter mit einer gewissen Mehrheit sich für die Fortsetzung erklären. In diesem Falle soll die Versammlung mit einfacher Mehrheit darüber beschließen, ob die Geschäftsanteile des kündigenden Gesellschafters nach § 34 GmbHG. eingezogen oder nach § 33 für Rechnung der Gesellschaft selbst oder endlich für Rechnung der übrigen Gesellschafter erworben werden sollen, während der kündigende Gesellschafter zur Überlassung seiner Geschäftsanteile verpflichtet ist.

Auf diese Weise war es allerdings möglich, daß der Beklagte infolge seiner Kündigung aus der klagenden Gesellschaft ausschied, wenn entweder sein Geschäftsanteil eingezogen (§ 34) oder von ihm an die Gesellschaft selbst oder an einen der anderen Gesellschafter abgetreten wurde (§ 15). Es ist indes weder das eine noch das andere geschehen; die in § 23 der Satzung vorgesehene Versammlung der Gesellschafter hat überhaupt nicht stattgefunden, und die Geschäftsführer haben eine solche gar nicht einberufen. Das Einzige, was geschah, ist, daß die Klägerin auf Veranlassung des Beklagten die auf seinen Geschäftsanteil bereits eingezahlten 2750 M am 30. Juli 1913 seinem Rechtsvorgänger B. zurückzahlte und daß sie nach ihrer an das Registergericht über die Veränderungen im Mitgliederbestand erstatteten Anzeige vom 24. Januar 1914 den Geschäftsanteil des Beklagten auf sich selbst umschreiben ließ.

Diese Vorgänge waren nicht geeignet, das Ausscheiden des Beklagten aus der klagenden Gesellschaft zu bewirken, zumal ein Erwerb des Geschäftsanteils des Beklagten seitens der Klägerin, der zudem nach § 33 Abs. 1 GmbHG. rechtlich unzulässig gewesen wäre, in der in § 15 Abs. 3 vorgeschriebenen Form nicht erfolgt, eine Liquidation aber auf die Kündigung des Beklagten nicht eingetreten und die später aus anderen Gründen beschlossene Liquidation noch nicht beendigt ist.

Ob die Nichtbefolgung der in § 28 der Satzung getroffenen Bestimmungen auf ein Verschulden der Organe der Gesellschaft zurückzuführen sei, läßt das Berufungsgericht dahingestellt, weil die Klägerin selbst dann an der Beitreibung der Einzahlung auf die Stammeinlage nicht gehindert sein würde, wenn ihre Organe dem Beklagten gegenüber sich eine Unterlassung hätten zuschulden kommen lassen. Gegen diese Auffassung richtet sich der Angriff der Revision, der aber unbegründet ist.

Richtig ist zwar, daß die klagende Gesellschaft -- bei Unterstellung der Anwendbarkeit des § 23 der Satzung -- kraft des Gesellschaftsvertrags dem Beklagten gegenüber verpflichtet war, auf die Austrittserklärung hin gemäß § 23 zu verfahren. Richtig ist auch, daß bei schuldhafter Nichterfüllung dieser Verpflichtung seitens der Organe der Gesellschaft die letztere selbst dem Beklagten haftete, d. h. zum Ersatze des durch die Nichterfüllung entstandenen Schadens verbunden war. Es steht aber nicht fest und ist nicht feststellbar, daß der Beklagte, wenn nach § 23 der Satzung verfahren wäre, von den weiteren Einzahlungen, die den Gegenstand der Klage und Widerklage bilden, frei geworden sein würde.

Nach § 23 trat mit der Austrittserklärung des Beklagten zunächst ein Schwebezustand ein. Es war erst durch eine Gesellschafterversammlung zu entscheiden, ob die Gesellschaft trotz Ausscheidens des Beklagten fortgesetzt werden sollte. Kam ein dahingehender Beschluß nicht zustande, so trat die Auflösung der Gesellschaft am 31. Dezember 1912 ein, worauf ohne weiteres die Liquidation erfolgte, bis zu deren Beendigung, wie schon erwähnt, die Verpflichtung des Beklagten zur Einzahlung der Stammeinlage bestehen blieb.

Wurde die Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen, so hatte die Gesellschafterversammlung zu entscheiden, ob der Geschäftsanteil des Beklagten eingezogen oder für die Gesellschaft oder die übrigen Gesellschafter erworben werden sollte. Hierbei war von Bedeutung, daß auf den Geschäftsanteil des Beklagten die Stammeinlage noch nicht vollständig eingezahlt war. Deshalb konnte, solange diese Einzahlung nicht erfolgt war, der Geschäftsanteil weder von der Gesellschaft erworben (§ 33 Abs. 1 GmHG.) noch gemäß § 34 GmHG. eingezogen werden, außer wenn in beiden Fällen zugleich das Stammkapital nach §58 mindestens um den nicht eingezahlten Betrag der Einlage herabgesetzt wurde, womit notwendig Maßregeln zur Sicherung der Gesellschaftsgläubiger verbunden waren. Falls auf diese Weise die Einziehung oder der Erwerb seitens der Gesellschaft zustande kam, wurde allerdings der Beklagte von der Verpflichtung zu weiteren Einzahlungen frei. Er wurde hiervon auch dann frei, wenn, was in dem § 23 der Satzung ausdrücklich vorgesehen war, die Einziehung oder der Erwerb seitens der Gesellschaft ohne Herabsetzung des Stammkapitals dadurch ermöglicht wurde, daß auf Beschluß der Gesellschafterversammlung die übrigen Gesellschafter so viel an Nachschüssen einzahlten, daß damit die noch ausstehenden Einzahlungen auf die dem Geschäftsanteile des Beklagten zugrunde liegende Stammeinlage in das Vermögen der Gesellschaft gelangten.

Die Befreiung des Beklagten trat mit oder ohne Herabsetzung des Stammkapitals aber erst ein, nachdem der Geschäftsanteil rechtsgültig eingezogen, d. h. vernichtet oder von dem Beklagten der Gesellschaft übertragen war. Und in jedem Falle, ebenso wenn die Liquidation bei Auflösung der Gesellschaft erfolgte, waren die Interessen der Gesellschaftsgläubiger gesichert. Sollte endlich nach Beschluß der Gesellschafterversammlung der Geschäftsanteil des Beklagten von den übrigen Gesellschaftern oder von einem von ihnen erworben werden, so wurde mit dem rechtsgültigen Erwerbe der Erwerber zur Einzahlung der noch ausstehenden Stammeinlage verpflichtet, aber der Beklagte blieb nach § 16 Abs. 3 GmbHG. der Gesellschaft für die Einzahlung verhaftet, so daß auch in diesem Falle das Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Einzahlung der Stammeinlage gesichert war.

Es ergibt sich, daß in allen Fällen ein Ausscheiden des Beklagten aus der Gesellschaft gemäß § 23 der Satzung und somit seine Befreiung von weiteren Einzahlungen auf die Stammeinlage bedingt war durch die tatsächliche Durchführung von Maßregeln, die das Interesse der Gesellschaftsgläubiger sicherten. Erst die Durchführung dieser Sicherungsmaßregeln, die nicht allein von dem Willen der Gesellschaft abhing, sondern auch durch das Verhalten der einzelnen Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger beeinflußt wurde, machte das Ausscheiden des Beklagten rechtlich möglich. Es ist deshalb nicht abzusehen, welche der möglichen mehreren Maßregeln zur Durchführung gekommen und ob als Ergebnis die Befreiung des Beklagten von weiteren Einzahlungen eingetreten wäre, wenn die Gesellschaftsorgane die Handlungen vorgenommen hätten, die der Gesellschaft nach § 23 der Satzung dem Beklagten gegenüber oblagen. Jedenfalls ist die Befreiung des Beklagten nicht schon deshalb eingetreten, weil die Gesellschaft verpflichtet gewesen wäre, die Durchführung von Maßregeln, die die Befreiung des Beklagten zur Folge gehabt haben würden, zu bewirken, weil eben nur die tatsächliche Durchführung die Interessen der Gesellschaftsgläubiger sichern und deshalb die Befreiung herbeiführen konnte.

Wohl ließe sich aus einer den Gesellschaftsorganen zur Last fallenden schuldhaften Verletzung der der Gesellschaft nach § 23 der Satzung dem Beklagten gegenüber obliegenden Pflichten ein Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen die klagende Gesellschaft herleiten. Dieser Anspruch kann nicht auf Befreiung von der Pflicht zur Einzahlung der Stammeinlage gehen mit dem Ergebnis, daß die Klägerin die Erfüllung dieser Pflicht nicht verlangen könnte, weil eben die Beseitigung dieser Pflicht im Interesse der Gesellschaftsgläubiger nur unter Durchführung der erwähnten, im vorliegenden Falle unterbliebenen Sicherungsmaßregeln zulässig ist. Sollte aber ein Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Zahlung von Geld sich begründen lassen, so würde der Beklagte seine Einzahlungspflicht auch nicht ganz oder teilweise durch Aufrechnung zum Erlöschen bringen können (§19 Abs. 2 GmbHG.)" ...