RG, 27.09.1886 - IIIa 65/86
Sind nach §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 die Gerichte berufen, über die Verpflichtung der Mitglieder freier Hilfskassen, einer Ortskrankenkasse beizutreten, insbesondere über die Frage zu entscheiden, ob die Statuten der betreffenden Hilfskasse den Anforderungen der §§. 75 bezw. 6 des Krankenversicherungsgesetzes entsprechen? Dies auch dann, wenn die höhere Verwaltungsbehörde nach Art. 3 der Novelle zum Hilfskassengesetze vom 1. Juni 1884 bescheinigt hat, daß jene Statuten den gedachten Anforderungen entsprechen? Welche Gesichtspunkte sind für jene Prüfung maßgebend?
Sachverhalt
Die nach dem Gesetze vom 7. April 1876 errichtete eingeschriebene Hilfskasse "Central-Kranken- und Sterbekasse der Tischler und anderer gewerblichen Arbeiter in H." hat bei ihrer Zulassung von der zuständigen höheren Verwaltungsbehörde dortselbst die Bescheinigung erhalten, daß die Statuten derselben den Vorschriften des §. 75 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, genügen. Die Kläger sind Mitglieder dieser Kasse. Dieselben stehen seit längerer Zeit als Tischlergehilfen in D. in Arbeit. Als solche wurden sie angehalten, der auf Grund des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 für den Gemeindebezirk der Stadt D. errichteten Ortskrankenkasse III, umfassend u. a. die Industrie der Holz- und Schnitzstoffe, als Mitglieder beizutreten. Zum Teil haben sie infolgedessen Beiträge geleistet, zum Teil sind ihnen die entsprechenden Beiträge von ihren Arbeitgebern am Lohne gekürzt und innebehalten. Als Mitglieder jener H.'er eingeschriebenen Hilfskasse bestreiten sie ihre Verpflichtung zum Eintritte in die Ortskrankenkasse. Der Stadtrat zu D. - als Aufsichtsbehörde im Sinne des §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes - hat ihren Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen und sie zur Zahlung der ferneren Beiträge verurteilt. Innerhalb zwei Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung haben Kläger den Rechtsweg betreten, indem sie mittels Klage bei dem Landgerichte zu D. den Antrag gestellt haben, die Entscheidung des Stadtrates wiederaufzuheben, die Rückzahlung der Beiträge, soweit solche geleistet, seitens der beklagten Ortskrankenkasse III zu D. anzuordnen, und festzustellen, daß sie als Mitglieder der H.'er Hilfskasse vom Beitritte zu jener Ortskrankenkasse und von der Leistung von Beiträgen befreit seien.
Vom Landgerichte ist der Klage stattgegeben; auf Berufung der Beklagten dagegen hat das Oberlandesgericht zu D. die Klage abgewiesen. Die von den Klägern gegen dieses Urteil eingewendete Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Hauptangriffe der Revision beruhen auf der Ausführung:
- Nach der Novelle zum Hilfskassengesetze vom 1. Juni 1884 sei die von der oberen Verwaltungsbehörde erteilte Bescheinigung, daß die Statuten der zugelassenen Hilfskasse den Vorschriften des §. 75 des Krankenversicherungsgesetzes genügen, für sämtliche Gemeinde- und Verwaltungsbehörden des Deutschen Reiches maßgebend und bindend, daher auch einer Nachprüfung im Wege des §. 58 des Krankendersicherungsgesetzes entzogen.
- Dieser §. 58 enthalte überhaupt gar keine Vorschrift des Inhaltes, daß der Aufsichtsbehörde, eventuell den Gerichten über die Vorfrage der Versicherungs pflicht die Entscheidung zustehe; §. 58 setze vielmehr Streitigkeiten zwischen den nach dem Krankenversicherungsgesetze Versicherungs pflichtigen Personen und der Gemeindekrankenversicherung oder der Ortskrankenkasse voraus. Wer über jene Vorfrage zu entscheiden habe, darüber stehe nichts in diesem Gesetze; dadurch aber erhalte die Tragweite des späteren Gesetzes vom 1. Juni 1884 ihre richtige Beleuchtung.
In beiden Richtungen gehen diese Angriffe fehl.
Was vor allem den §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes anlangt, so kann es keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß gerade auch die Frage der Versicherungs pflicht der Entscheidung zunächst der Aufsichtsbehörde, und in zweiter Linie der Gerichte, unterworfen werden wollte. Dieser §. 58 lautet in Absatz 1:
"Streitigkeiten, welche zwischen den auf Grund dieses Gesetzes zu versichernden Personen oder ihren Arbeitgebern einerseits und der Gemeindekrankenversicherung oder der Ortsarmenkasse andererseits über die Verpflichtung zur Leistung oder Einzahlung von Beiträgen oder über Unterstützungsansprüche entstehen, werden von der Aufsichtsbehörde entschieden. Gegen diese Entscheidung findet die Berufung auf den Rechtsweg mittels Erhebung der Klage statt. Die Entscheidung ist vorläufig vollstreckbar, soweit es sich um Streitigkeiten handelt, welche Unterstützungsansprüche betreffen."
Nach allen Auslegungsregeln kann den Worten: "über die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen" ein anderer Sinn nicht beigelegt werden, als der, daß die Aufsichtsbehörde, eventuell die Gerichte auch über die Frage der Versicherungspflicht zu entscheiden berufen sind. Abgesehen davon darf auch dem Gesetzgeber nicht imputiert werden, daß er hinsichtlich der Kompetenz zur Entscheidung gerade der wichtigsten Frage Bestimmung zu treffen versäumt habe. Aus den Worten: "den auf Grund dieses Gesetzes zu versichernden Personen" läßt sich für die Ansicht der Revisionskläger keine Folgerung ableiten. Allerdings hat das Gesetz selbst in den §§. 1 - 4 diejenigen Kreise und Arten von Arbeitern bezeichnet, welche dem Versicherungszwange unterworfen werden; und zweifellos sind in §. 58 unter "den auf Grund dieses Gesetzes zu versichernden Personen" die den in den §§. 1 - 4 aufgeführten Arbeiterkategorieen ungehörigen und als solche versicherungspflichtigen Personen verstanden. Allein dadurch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß zwischen den Gemeinde- oder Ortskrankenkassen einerseits und einzelnen im allgemeinen Versicherungspflichtigen Personen andererseits nicht nur über die Frage, ob letztere überhaupt dem Versicherungszwange unterliegen, sondern insbesondere darüber, ob dieselben zur Gemeindeversicherung oder zu einer Ortskrankenkasse Beiträge zu leisten verpflichtet seien, Streitigkeiten entstehen können. Die Kompetenz zur Entscheidung über diese Streitigkeiten, betreffend die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen im weitesten Sinne, ist eben im §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes geregelt.
Wenn nun in §. 75 dieses Gesetzes einerseits zu Gunsten der - nach dem Gesetze vom 7. April 1876 bestehenden - eingeschriebenen Hilfskassen und deren Mitglieder, andererseits im Interesse derjenigen Gemeinden, deren Armenpflege solche Mitglieder möglicherweise zur Last fallen, die Bestimmung getroffen ist, daß für Mitglieder eingeschriebener Hilfskassen weder die Gemeindekrankenversicherung noch die Verpflichtung, einer Ortskrankenkasse beizutreten, eintrete, wenn die Hilfskasse, welcher jene angehören, ihren Mitgliedern wenigstens diejenigen Leistungen gewähre, welche in der Gemeinde, in deren Bezirk die Kasse ihren Sitz hat, nach Maßgabe des §. 6. von der Gemeindekrankenversicherung zu gewähren seien, so erstreckt sich die allgemeine Kompetenzbestimmung des §. 58 selbstverständlich auch auf Streitigkeiten, welche zwischen solchen Mitgliedern freier Hilfskassen, welche ihrem Berufe nach unter die §§. 1 - 4 des Krankenversicherungsgesetzes fallen, einer- und den Ortskrankenkassen etc andererseits darüber entstehen, ob jene zu den Ortskrankenkassen Beiträge zu leisten verpflichtet seien, und unterliegt hiernach vorkommenden Falles auch die Frage, ob die Voraussetzungen des §. 75 gegeben seien, der Entscheidung der nach §. 58 zuständigen Behörden. Daß dieses der Standpunkt des Gesetzes vom 15. Juni 1883 sei, kann demzufolge mit Grund nicht bezweifelt werden, und damit findet der unter Ziff. 2 oben bezeichnete Revisionsangriff seine Erledigung.
Es fragt sich nun, ob die Kompetenzbestimmungen des §. 58 eine Änderung im Sinne der Revisionsausführung erlitten haben durch die Novelle zum Hilfskassengesetze vom 1. Juni 1884, welche allerdings noch vor dem vollen Inslebentreten des Krankenversicherungsgesetzes erlassen ist und in Art. 3, zusätzlich zu §. 4 des Hilfskassengesetzes, unter anderem verordnet:
"Auf den Antrag der Kasse hat die höhere Verwaltungsbehörde bei der Zulassung zugleich zu bescheinigen, daß das Statut den Vorschriften des §.75 des Gesetzes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, genügt. Wird die Bescheinigung versagt, so sind die Gründe mitzuteilen. Gegen die Verfügung steht der Rekurs gemäß Abs. 2 zu."
Obige Frage war mit dem zweiten Richter zu verneinen.
Zunächst wäre es bedenklich, einer Bestimmung, welche in einem, eine andere - wenn auch verwandte - Materie betreffenden Gesetze Aufnahme gefunden, eine derartige Tragweite einzuräumen. Dies ist in der Regel nur zulässig, wenn das - neuere - Gesetz ausdrücklich erklärt, daß ein anderes Gesetz oder einzelne Bestimmungen eines solchen durch jenes aufgehoben, abgeändert oder modifiziert werden sollen. Eine solche Erklärung findet sich in obiger Novelle nicht. Nun kann allerdings eine gesetzliche Bestimmung durch ein neueres Gesetz auch dann aufgehoben oder abgeändert werden, wenn erstere neben dem letzteren sinngemäß nicht mehr oder nicht unverändert fortbestehen kann. Aber auch diese Voraussetzung, trifft hier nicht zu. Es ist nicht erfindlich, warum, gegenüber einer von der höheren Verwaltungsbehörde aus §. 4 des Hilfskassengesetzes erteilten Bescheinigung, in einem einzelnen Falle nicht gleichwohl eine Aufsichtsbehörde anderer Ansicht sein und gerichtliche Entscheidung sollte veranlassen können. Die Streitigkeiten nach §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes aber betreffen nur Einzelfälle und schaffen für das Verhältnis der betreffenden Hilfskasse zur Gemeindeversicherung oder zu den verschiedenen Ortskrankenkassen im allgemeinen kein Präjudiz. Wenn Revisionskläger auf das Mißliche hinweisen, was sich ergebe, wenn die Ansicht einer oberen Verwaltungsbehörde von einer unteren Behörde beanstandet werden dürfe, so kann eine solche Erwägung gegenüber dem Gesetze selbst keinen Ausschlag geben. Vor allem ist im Auge zu behalten, daß §. 58 in zweiter Linie die Entscheidung jener Streitigkeiten den Gerichten zuweist und damit die Einzelstreitigkeiten als Civilprozeßsachen erklärt. Eine diese Zuständigkeit der Gerichte modifizierende Wirkung kann jener Bestimmung der Novelle vom 1. Juni 1884 nicht und umsoweniger beigemessen werden, als der Wortlaut derselben auch nicht entfernt eine Andeutung enthält, daß die Gerichte an die Ansicht der "oberen Verwaltungsbehörde" gebunden seien. Vielmehr spricht gerade der Wortlaut gegen solche Tragweite der Novelle; denn nur eine Bescheinigung ist es, welche die obere Verwaltungsbehörde zu erteilen hat; und selbst diese Bescheinigung ist nur auf Antrag zu erteilen. Es besteht kein Anlaß, den Ausdruck "Bescheinigung" hier anders zu verstehen, als im Sinne eines vorläufigen Beweismittels, einer Glaubhaftmachung (vgl. §. 266 C.P.O.). Sind nun - wie in §.58 des Krankenversicherungsgesetzes - die Parteien auf den Rechtsweg gewiesen, so kann eine Bescheinigung nur da genügen, wo das Gesetz dies zuläßt. Daß aber die Gerichte in den Fällen des §. 58 durch jene Bescheinigung der oberen Verwaltungsbehörde gebunden seien, ist im Gesetze weder zum Ausdrucke gelangt, noch aus dem Gesetze zu folgern. Dieser Standpunkt des Gesetzes kann selbstverständlich auch dadurch keine Änderung erleiden, daß Revisionskläger auf einen angeblich unerträglichen Zustand hinweisen, welcher bei solcher Auslegung des Gesetzes für die eingeschriebenen Hilfskassen und deren Mitglieder geschaffen sei. Sollte, was hier nicht zu untersuchen, in der That ein solcher Zustand existieren, so könnte dies für den Gesetzgeber Veranlassung zur Abänderung des Gesetzes werden; für die Auslegung und Anwendung der gegebenen Gesetze wäre jener Zustand einflußlos. Die Möglichkeit verschiedener Beurteilung der Statuten eingeschriebener Hilfskassen durch verschiedene Verwaltungs- und Gerichtsbehörden aber war schon durch den §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes gegeben; hieran ist eben durch die Novelle vom 1. Juni 1884 nichts geändert.
Nur zum Überflusse soll auch aus der Entstehungsgeschichte der Novelle selbst, wie schon vom zweiten Richter geschehen, dargelegt werden, daß aus derselben nichts zu Gunsten der Revisionskläger zu folgern sei. Zwar kann nach den Ausführungen der Reichstagsabgeordneten Dr. Hirsch und Genossen (auf deren Antrag die Novelle jenen Zusatz erhielt) bei Gelegenheit der zweiten Beratung der Novelle in der Sitzung vom 22. April 1884
vgl. Stenographische Berichte des Reichstages 1884 Bd. 1 S. 246 flg.
keinem Zweifel unterliegen, daß nach der Intention der Antragsteller durch die Bescheinigung der oberen Verwaltungsbehörde den Mitgliedern der freien Hilfskassen eine Gewähr gegen weitere Anfechtung geschaffen und für das ganze Reich der Gefahr verschiedener Beurteilung und zahlloser Einzelprozesse vorgebeugt, hierdurch aber auch die Gemeinden und Krankenkassen gegen Prozeßkosten gewahrt werden sollten. Bei jener zweiten Beratung, welche kurz nach Einbringung des Antrages stattfand, hat sich der Vertreter der Bundesregierungen allerdings zunächst darauf beschränkt, prinzipiell gegen den Antrag Stellung zu nehmen und dessen Ablehnung zu empfehlen; und seine damalige Auffassung des Antrages ergiebt sich aus der Äußerung, durch jenen Antrag werde das Verhältnis der Hilfskassen zu den Kranken-Zwangskassen wesentlich verändert werden, da an die Stelle der materiellen Erfordernisse des §. 75 des Krankenversicherungsgesetzes lediglich ein formales Erfordernis treten werde, nämlich die Erklärung der die Hilfskasse zulassenden Behörde. Allein bei der dritten Beratung im Reichstage am 28. April 1884 (vgl. S. 360 flg.) änderte sich die Stellung der Antragenden selbst zu ihrem Antrage insofern, als gleich der erste Redner Dr. Hirsch (S. 369) äußerte, er erachte es für das allein Richtige und Sichere, daß dieselbe Instanz, welche so und so viele Paragraphen des Hilfskassengesetzes auf die Statuten anwende, auch den §. 75 des Krankenversicherungsgesetzes anwende, und daß das Urteil dieser Behörde so lange maßgebend sei für das ganze Reich, bis dasselbe von anderen Seiten angefochten wird. Darauf gab der Regierungsvertreter eine bedeutungsvolle Erklärung ab, in welcher er vor allem, betont, daß, wie er sich durch genaueres Studium des Antrages überzeugt, die Antragsteller selbst von einer falschen Voraussetzung ausgegangen zu sein schienen; denn die vorgeschlagene Bestimmung, nach welcher eine freie Kasse das Recht haben solle, sich jene Bescheinigung der oberen Verwaltungsbehörde ausstellen zu lassen, könne unmöglich die im Krankenversicherungsgesetze der Aufsichtsbehörde und dem Richter übertragene Funktion der Entscheidung über die einzelnen Streitsachen aufheben. Der Antrag könne daher in der vorgeschlagenen Fassung seinen Zweck gar nicht erreichen, indem er das nicht enthalte, was er nach der Meinung der Antragsteller enthalten solle (S. 370. 371). Diese Ansicht stieß dann selbst bei den Antragstellern nicht mehr auf Widerspruch; ja einer derselben, Schrader, bemerkte geradezu, ihm scheine, daß §. 58 des Krankenversicherungsgesetzes auf den Fall, von dem jetzt gesprochen werde, gar keine Anwendung finde. Das seien Streitigkeiten, die einen speziellen Fall berühren; hier aber sei die Frage eine ganz generelle; der Bescheid der oberen Verwaltungsbehörde könne unbedenklich erteilt werden, und er glaube, es greife das nicht ein in die Befugnis, welche der §. 58 den Gemeindebehörden gebe (S. 372.) Nachdem sodann der Regierungsvertreter diese Anschauung als eine sehr schwer verständliche bezeichnet hatte, ergriff nur noch Abgeordneter Dr. Buhl das Wort für den Antrag; aber auch dieser Abgeordnete äußerte sich dahin, er wolle durchaus nicht den freien Hilfskassen weitere Rechte geben S. 373. Hiernach konnte der Regierungsvertreter mit Recht in seinem Schlußworte konstatieren, er habe bis jetzt keine Ausführung vernommen, welche seine Behauptung widerlege, daß die vorgeschlagene Bestimmung durchaus das nicht sage, was die Herren gesagt haben wollen. Er fügte bei, er halte diese Konstatierung für erforderlich, damit bei der Ausführung des Gesetzes den Regierungen nicht etwa der Vorwurf der Illoyalität gemacht werde (S. 373.) Ohne irgend eine Gegenäußerung wurde bei der Abstimmung der Antrag angenommen, wie er dann im Gesetze Aufnahme fand. Hiernach bemerkt der zweite Richter zutreffend, daß die Entstehungsgeschichte jener Gesetzesbestimmung nicht für die Kläger angerufen werden könne.
Unter diesen Verhältnissen wäre es ohne Belang, wenn bei der hier vertretenen Rechtsanschauung wirklich die fragliche Bestimmung der Novelle ohne praktische Bedeutung wäre. Daß übrigens jene Bestimmung immerhin solche Bedeutung hat und insbesondere für die Zeit bis zum Inslebentreten der Krankenzwangsversicherung hatte, ist vom Berufungsrichter zutreffend ausgeführt.
Zur Sache selbst haben Revisionskläger einen Angriff nur insofern erhoben, als sie den Standpunkt des zweiten Richters, von welchem aus die Statuten der Hilfskasse in ihren einzelnen Bestimmungen geprüft und die Leistungen, welche den Mitgliedern im Erkrankungsfalle gewährt werden, mit den Minimalleistungen, welche nach §. 6 des Krankenversicherungsgesetzes von den Gemeinden gewahrt werden müssen, im einzelnen verglichen wurden, als bedenklich bezeichnen und geltend machen, es hätten die statutenmäßigen Gesamtleistungen auf die Frage geprüft werden müssen, ob den Mitgliedern der Hilfskasse nicht das Gleiche zukomme, was §. 6 erfordere. Allein auch dieser Angriff geht fehl. Ohne Rechtsirrtum hat der zweite Richter festgestellt, daß jene Statuten Bestimmungen enthalten, nach welchen teils hinsichtlich des Zeitpunktes des Beginnes der Unterstützungspflicht, teils hinsichtlich der Bedingungen, von denen die Gewähr einer Unterstützung abhängig gestellt sei oder abhängig gemacht werden könne, die Hilfskassen weniger leisten, als die Gemeinden nach §. 6 des Krankenversicherungsgesetzes zu leisten haben. Dieser Standpunkt muß als vollkommen dem Gesetze entsprechend bezeichnet werden; denn nachdem in §. 75 des Krankenversicherungsgesetzes der §. 6 nach seinem ganzen Umfange in Bezug genommen ist, mußte gegebenen Falles geprüft werden, ob jene Statuten in jeder einzelnen Beziehung dem §. 6 entsprechen, und es konnte von einer Untersuchung der Frage, ob einzelne hiernach sich ergebende Minderleistungen etwa durch Mehrleistungen nach anderen Beziehungen aufgewogen würden, als außerhalb des Gesetzes liegend Abstand genommen werden, ganz abgesehen davon, daß nach dieser Beziehung besondere Behauptungen in den Vorinstanzen gar nicht aufgestellt wurden."
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RG, 27.09.1886 - IIIa 6586 - RGZ 16, 72.pdf | 449.82 KB |