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RG, 25.09.1918 - I 93/18

Daten
Fall: 
Höchstpreisfestsetzung
Fundstellen: 
RGZ 93, 316
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.09.1918
Aktenzeichen: 
I 93/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Werden von einer Höchstpreisfestsetzung, der rückwirkende Kraft nicht ausdrücklich beigelegt worden ist, auch solche Kaufverträge ergriffen, die vor der Anordnung der Höchstpreise zu höheren Preisen gutgläubig abgeschlossen und beim Inkrafttreten der Höchstpreise noch von keiner Seite erfüllt sind?

Tatbestand

Durch Vertrag vom 31. März 1916 verkaufte die Klägerin an die Beklagte 10030 kg Altblei zum Preise von 107 M für 100 kg. Am 1. April 1916 erließ der stellvertretende kommandierende General des IV. Armeekorps eine Bekanntmachung, die an demselben Tage in Kraft trat und für Altblei einen Höchstpreis von 55 M für 100 kg bestimmte. Das gekaufte Blei wurde der Beklagten am 11. Mai 1916 geliefert. Auf den vertragsmäßigen Kaufpreis zahlte die Beklagte nach der Klagzustellung denjenigen Betrag, der dem festgesetzten Höchstpreis entsprach, und lehnte jede weitere Zahlung ab. Die Klägerin blieb bei ihrem Anspruch auf Entrichtung des bedungenen Kaufpreises stehen.

Von den Vorinstanzen würde der Klaganspruch, soweit er den Höchstpreis übersteigt, abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Gründe

"Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der Frage ab, welchen Einfluß die Bekanntmachung des kommandierenden Generals vom 1. April 1916 auf die vorher gutgläubig abgeschlossenen Kaufgeschäfte über Altblei geäußert hat, wenn die bedungenen Kaufpreise, die später festgesetzten Höchstpreise überschritten und die Verträge zur Zeit des Inkrafttretens der Höchstpreise noch von keiner Seite erfüllt waren. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß solche Verträge von der Höchstpreisfestsetzung mit rückwirkender Kraft mitergriffen würden. Hiergegen wendet sich mit Recht die Revision.

Die Bekanntmachung, die die Zeit ihres Inkrafttretens auf den 1. April 1916 bestimmt, enthält selbst keine Angabe darüber, welche Einwirkung sie auf laufende Kaufverträge haben soll. Sie beschränkt sich auf die Anordnung, daß der Preis für die in einem Verzeichnis aufgeführten Arten von Blei bestimmte Höchstpreise, darunter zu Klasse 49 des Verzeichnisses für Blei in Altblei 55 M auf je 100 kg Bleigehalt. nicht übersteigen darf. Wenn im § 2, der die Überschrift "Zahlungsbedingungen" führt, gesagt wird, daß die Höchstpreise für Barzahlung bei Empfang gelten und die Versendungskosten nicht einschließen, so regelt diese Bestimmung, wie auch schon die Überschrift erkennen läßt, lediglich die Abgrenzung des Höchstpreises gegenüber etwaigen Nebenkosten, die außerdem noch berechnet werden dürfen. Der Höchstpreis stellt danach den Betrag dar, der für die Ware beim Empfang an derjenigen Stelle, an der sie vorrätig lagert, gezahlt werden darf. Entstehen dem Verkäufer noch Kosten durch Fortschaffen der Ware von ihrem Lagerungsorte, so dürfen sie besonders vergütet werden. Der § 2 der Bekanntmachung trifft daher keine Regelung über Einwirkung der Höchstpreise auf laufende Verträge, was das Berufungsgericht als seiner Ansicht nach zweifelhaft dahingestellt sein läßt. Vielmehr muß die Entscheidung über diese Frage auf anderem Wege gesucht werden. Drei Auffassungen sind an sich denkbar:

  1. Entweder ergreift die Höchstpreisfestsetzung auch die vorher abgeschlossenen, aber noch nicht erfüllten Kaufverträge,
  2. oder sie macht die Erfüllung der Verträge auf seiten des Käufers unmöglich, da er durch die Höchstpreisfestsetzung außer Stand gesetzt wird, den bedungenen Kaufpreis zu zahlen (§ 323 BGB.).
  3. oder sie läßt die vorher gutgläubig und erlaubterweise abgeschlossenen Verträge gänzlich unberührt, so daß diese, wie ursprünglich bedungen, zu erfüllen sind.

Das Oberlandesgericht hält die erste Folgerung für richtig. Es stützt sich dabei namentlich auf die von ihm als authentische Deklaration der Bekanntmachung bezeichnete Auskunft des stellvertretenden Generalkommandos vom 18. April 1916, unterzeichnet "H. Geheimer Kriegsrat", worin ausgesprochen wird, daß die am 1. April 1916 in Kraft gesetzten Höchstpreise auch für bereits vorher abgeschlossene, aber noch nicht erfüllte Aufträge gültig seien und die Zahlung und Annahme eines höheren Preises nach Ansicht des Generalkommandos eine strafbare Höchstpreisüberschreitung darstelle. Diesem Schreiben kommt indes keinenfalls die rechtliche Bedeutung zu, die das Berufungsgericht ihm beilegt. Maßgebend für alle Beteiligten ist allein derjenige Inhalt der Bekanntmachung, der zur öffentlichen Kenntnis gebracht worden ist. Was nicht darin ausgesprochen ist, ist für die Allgemeinheit auch dann nicht verbindlich, wenn der kommandierende General es hat aussprechen wollen und nur versehentlich den Ausspruch unterlassen hat. Für eine authentische Deklaration ist nur so weit Raum, als es sich darum handelt, vorhandene Unklarheiten, insbesondere Ungenauigkeiten der Ausdrucksweise, im Sinne der verordnenden Stelle durch eine neue Verordnung klarzustellen. Dagegen ist es ausgeschlossen, daß diese Stelle im Wege einer bloßen nachträglichen Meinungsäußerung an einen einzelnen Beteiligten etwas in eine Rechtsverordnung hineinträgt, was bisher darin nicht ausgedrückt war. So liegt die Sache hier. Die Bekanntmachung vom 1. April 1916 enthält keine Andeutung ihrer rückwirkenden Kraft und ihres Einflusses auf laufende Verträge. Es besteht daher auch nicht die Möglichkeit, daß der kommandierende General nachträglich durch eine gelegentliche Meinungsäußerung gegenüber einem Beteiligten gewissermaßen eine Vervollständigung der lückenhaften Verordnung vornimmt. Im vorliegenden Falle kommt aber noch hinzu, daß das fragliche Schreiben von einer dem Zweige der Militärverwaltung angehörigen Dienststelle des Generalkommandos unterzeichnet ist und gar nicht erkennen läßt, ob es die Ansicht des kommandierenden Generals selbst, der die Bekanntmachung als militärischer Befehlshaber erlassen hat und auf dessen Auffassung es überhaupt allein ankommen könnte, richtig zum Ausdruck bringt.

Hat aber das Schreiben außer Betracht zu bleiben, so fällt damit der wesentlichste Teil der Begründung des Berufungsurteils fort. Denn im übrigen verweist es nur noch auf die sonstige Rechtsprechung des Berufungsgerichts und auf die Bundesratsverordnung, betr. Einwirkung von Höchstpreisen auf laufende Verträge, vom 11. November 1915 (RGBl. S. 758), die sich nur auf Verträge über Lieferung von Butter, Kartoffeln, Fischen, Wild, Milch, Buchweizen und Hirse und deren Verarbeitungen, Obstmus und sonstige Fettersatzstoffe zum Brotaufstrich, Obst, Gemüse, Zwiebeln und Sauerkraut bezieht, und von der das Berufungsgericht ausdrücklich anerkennt, daß sie hier nicht unmittelbar anwendbar ist. Aber auch bloß mittelbar herangezogen, spricht ihr Inhalt nicht für die Auffassung des Berufungsgerichts. Sie bestimmt im § 1 hinsichtlich der Verträge, die über die Lieferung der vorgenannten Gegenstände vor Inkrafttreten der Höchstpreisverordnungen zu höheren als den darin festgesetzten Preisen abgeschlossen sind, daß sie mit dem Inkrafttreten des Höchstpreises als zum Höchstpreis abgeschlossen gelten sollen, soweit die Lieferung zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist, und daß ein vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung gezahlter, den Höchstpreis übersteigender Preis nicht zurückgefordert werden darf. Daß diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden kann, folgt, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, aus der Beschränkung des Geltungsbereichs auf Verträge über ganz genau bestimmte Nahrungsmittel. Aus dieser Einschränkung ergibt sich zugleich weiter, daß sie nicht einen für Höchstpreise beliebiger Gegenstände allgemein gültigen Grundsatz aussprechen will. Ihre Anordnung, daß Verträge, die zulässigerweise zu höheren Preisen abgeschlossen worden sind, mit dem Inkrafttreten der Höchstpreise bei noch nicht bewirkter Lieferung als zu den Höchstpreisen abgeschlossen gelten sollen, stellt sich daher als eine Ausnahmeregelung dar, die auf andere Fälle nicht übertragen werden kann.

Hiernach fehlt es für die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Bekanntmachung vom 1. April 1916 rückwirkende Kraft auf laufende Verträge zukomme, an jeder rechtlichen Grundlage.

Nicht ohne Bedeutung erscheint es ferner, daß selbst die Bundesratsverordnung vom 11. November 1915 noch nach ihrem Inkrafttreten die Bezahlung von Kaufpreisen, die die Höchstpreise überschreiten, unter gewissen Voraussetzungen zuläßt. Dies ist der Fall, wenn die Lieferung der Ware damals bereits erfolgt, der Kaufpreis aber noch nicht bezahlt war. Hieraus ergibt sich, daß die Höchstpreisfestsetzung, selbst bei den wichtigsten Gegenständen des täglichen Bedarfs, nicht unter allen Umständen die Bezahlung eines den Höchstpreis übersteigenden Kaufpreises ausschließt. Sie hat also nicht ohne weiteres die Unmöglichkeit der Zahlung eines höheren Vertragspreises zur Folge, und deshalb ist auch die oben zu 2 zur Erwägung gestellte Frage, ob auf seiten der Beklagten Unmöglichkeit zur Bezahlung des mit der Klägerin verabredeten Kaufpreises im Sinne des § 323 BGB. eingetreten sei. zu verneinen.

Zu einem befriedigenden Ergebnis gelangt man nur, wenn man sich der dritten der oben erörterten Auffassungen anschließt und der Höchstpreisfestsetzung beim Fehlen einer ausdrücklichen anderweiten Regelung jede Einwirkung auf die laufenden Verträge versagt, so daß diese noch nachträglich zu den bedungenen höheren Preisen erfüllt werden können. Im gegenwärtigen Kriege ist die Einführung von Höchstpreisen durch das Gesetz vom 4. August 1914 (RGBl. S. 339) geregelt worden, das durch die Bundesratsverordnung vom 17. Dezember 1914 eine abgeänderte Fassung erhalten hat (RGBl. S. 516) und später durch die Verordnung vom 21. Januar 1915 (RGBl. S. 25) nochmals unwesentlich abgeändert worden ist. Auf dieses Gesetz in seiner neuen Fassung weist die hier anzuwendende Bekanntmachung des kommandierenden Generals ausdrücklich hin, so daß die Festsetzung der Höchstpreise nach beiden Gesetzesvorschriften die gleiche rechtliche Bedeutung hat. Aus dem Höchstpreisgesetze interessieren hier die Einzelbestimmungen nur insoweit, als nach § 4 dem Besitzer von Höchstpreisgegenständen die Verpflichtung auferlegt werden kann, die Gegenstände zu den Höchstpreisen zu "verkaufen", als ferner im § 6 mit Strafe bedroht wird: 1. wer die festgesetzten Höchstpreise überschreitet, 2. wer einen anderen "zum Abschluß eines Vertrags" auffordert, durch den die Höchstpreise überschritten werden, oder sich zu einem solchen "Vertrage" erbietet.

Viel läßt sich allerdings auch aus diesen Bestimmungen nicht entnehmen. Allein einen gewissen Anhalt bieten sie doch dafür, daß der Gesetzgeber sich die Wirkung der Höchstpreisfestsetzung nur im Zusammenhange mit dem Abschlusse der Verträge, nicht mit der Erfüllung der bereits früher ordnungsgemäß zustande gekommenen Verträge vorgestellt hat. Ausschlaggebend erscheinen aber Erwägungen allgemeiner Art.

Es entspricht einem feststehenden Rechtsgrundsatze, daß Rechtsverhältnisse, falls nicht besondere Gründe dem entgegenstehen, sowohl hinsichtlich ihrer Voraussetzungen wie auch ihres Inhalts und ihrer rechtlichen Wirkungen nach demjenigen Gesetze zu beurteilen sind, unter dessen Herrschaft sie zustande kommen. Durch spätere Änderungen der Gesetzgebung werden sie im Zweifel nicht beeinflußt; da neue Gesetze in der Regel keine rückwirkende Kraft haben (RGZ. Bd. 51 S. 161, Bd. 54 S. 154). Für die Auslegung von Verträgen gilt noch der weitere Grundsatz, daß sie, falls sie rechtswirksam abgeschlossen sind, auch im Rechtsleben anerkannt und im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs soweit als möglich aufrechterhalten werden sollen. Diese Gesichtspunkte sprechen im vorliegenden Falle für die Aufrechterhaltung von Kaufverträgen der in Rede stehenden Art. Weder die Bekanntmachung des kommandierenden Generals noch das oben erwähnte Höchstpreisgesetz lassen irgendwie erkennen, daß ihnen rückwirkende Kraft hat beigelegt werden sollen. Aus dem allgemeinen Begriffe der Höchstpreisfestsetzung läßt sich hierfür auch nichts entnehmen. Der Zweck dieser Maßnahme ist auf die Regelung wirtschaftlicher Verhältnisse in der Zukunft, auf die zukünftige Preisregelung gerichtet, während nichts dafür spricht, daß durch sie auch Preise betroffen werden sollen, die bereits in der Vergangenheit gültig festgelegt worden sind. Die Erstreckung der Höchstpreisfestsetzung auf alle noch nicht getilgten Preise aus älteren Kaufgeschäften würde namentlich bei Stundung der Preise zu ganz unerträglichen Härten führen. Liegt hiernach kein Grund vor, eine Rückwirkung der Bekanntmachung des kommandierenden Generals anzunehmen, so erfordert es die Rechtsordnung, daß die vor dem Erlasse dieser Bestimmung gutgläubig und rechtswirksam abgeschlossenen Kaufgeschäfte aufrechterhalten werden, auch wenn sie beim Inkrafttreten der Verordnung noch nicht erfüllt waren und die bedungenen Kaufpreise die später festgesetzten Höchstpreise überstiegen. Auf diesen Standpunkt haben sich auch der Feriensenat und der I. Strafsenat des Reichsgerichts bereits in mehreren zu Strafsachen ergangenen Entscheidungen gestellt (vgl. Urt. des Feriensenats vom 12. August 1915 2 D. 488/15, Recht 1915 S. 517, Urt. des I. Strafsenats vom 11. Oktober 1915 1 D. 710/12, Recht 1915 S. 614, und vom 21. Oktober 1915 1 D. 326/15, Recht 1916 S. 16, Jur. Wochenschr. 1910 S. 915).

Die vorstehend entwickelte Auffassung steht auch nicht in Widerspruch mit einigen Entscheidungen des II. Zivilsenats, in denen die Herabsetzung der bedungenen Kaufpreise auf die Höchstpreise für geboten erachtet worden ist. Dort handelte es sich um Tatbestände, die von dem hier zu beurteilenden wesentlich verschieden waren. Im Falle des Urteils vom 19. Mai 1916 II. 100/16 (RGZ. Bd. 88 S. 250) überschritt der festgesetzte Kaufpreis den zur Zeit des Kaufabschlusses bereits geltenden Höchstpreis. In den Fällen der Urteile vom 3. Dezember 1916 II. 457/16 (RGZ. Bd. 89 S. 196) und vom 15. Dezember 1916 II. 360/16 (Warneyer 1917 Nr. 40) waren die Kaufgeschäfte in der Zwischenzeit zwischen Veröffentlichung und Inkrafttreten der Höchstpreisverordnung in der Weise abgeschlossen worden, daß die Lieferung der Ware und die Bezahlung des bedungenen höheren Preises erst in der Zeit nach dem Inkrafttreten der Höchstpreise erfolgen sollten. In allen diesen Fällen fehlt es an dem besonderen Merkmale des vorliegenden Falles, daß der Vertragsabschluß vor Bekanntmachung der Höchstpreisverordnung und, wie durch die Eidesleistung der Inhaber der klagenden Firma feststeht, selbst ohne deren Kenntnis von der nahe bevorstehenden Höchstpreisfestsetzung erfolgt ist. Daß in einem solchen Falle die Verträge und die dadurch für die Beteiligten begründeten Rechte trotz der nachträglichen Höchstpreisfestsetzung unverändert aufrechtzuerhalten sind, wird auch im Schrifttum anerkannt (Güthe-Schlegelberger, Kriegsbuch Bd. 1 S. 753; Ebermeyer in Gruchot Bd. 60 S. 207)." ...