RG, 25.10.1880 - IV 520/80
Ist die Anwendbarkeit der Kabinetsordre vom 30. April 1847 ausgeschlossen, wenn bewegliche Gegenstände nicht zum Zwecke des Verkaufes, sondern zum Zwecke der Verwendung durch den Käufer gekauft werden?
Gründe
Das Reichsgericht hat die obenstehende Frage verneint aus folgenden Gründen:
"Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dem Satze: "Es sind unter den im kaufmännischen Verkehre abgeschlossenen Kauf- und Lieferungsverträgen im Sinne der Kabinetsordre vom 30. April 1847 nur solche zu verstehen, durch welche bewegliche Sachen zu dem Zwecke gekauft werden, um sie als Ware, sei es in unveränderter Gestalt, sei es nach Verarbeitung oder Veredelung zu einer anderen Ware wieder zu verkaufen, nicht aber auch solche, durch welche der Käufer bewegliche Gegenstände erwirbt, um sie zu seinem eigenen Bedarf in seinem Haushalt, seiner Wirtschaft, seinem Gewerbe oder zu sonstigen Zwecken zu verwenden." Dieser Satz kann nicht als richtig anerkannt werden. Zu dessen Begründung nimmt der Berufungsrichter auf die Rechtsprechung des Königlich preußischen Obertribunales Bezug. In dieser Beziehung ist zu bemerken:
Der fünfte Senat des Obertribunales ist bei seinen Entscheidungen allerdings von dem aufgestellten Satze ausgegangen ( Striethorst Archiv .Bd. 52 S. 265, Bd. 58 S. 263), und auch der sechste Senat legt in dem Urteile vom 8. Oktober 1874 besonderes Gewicht darauf, ob der Ankauf zum Zwecke einer weiteren Veräußerung oder zum eigenen Gebrauch geschehe (Entsch. Bd. 73 S. 150). Der erste Senat dagegen hat gelegentlich einer Entscheidung über eine Stempelstrafe in dem Urteil vom 5. Februar 1848 ausgesprochen, daß die Kabinetsordre vom 30. April 1847 Anwendung finde, wenn ein Kaufmann einem Posthalter Hafer für seine Pferde verkaufe (Entsch. Bd. 16 S. 153).
Demnächst hat das Obertribunal in einem dem vorliegenden entsprechenden Falle - es hatte ein Kaufmann Lieferungen für das Militär übernommen - in dem Urteile vom 20. Januar 1865 unter Berücksichtigung der eingesehenen Akten des Finanzministeriums dargelegt, daß die aus denselben ersichtliche Entstehungsgeschichte gedachter Kabinetsordre keineswegs die Ansicht bestätige:
daß dieselbe nur auf den Ankauf zum Wiederverkauf zu beziehen sei, und daß man von der Ansicht ausging:
Was sprachgebräuchlich als ein im kaufmännischen Verkehre abgeschlossenes Kauf- oder Lieferungsgeschäft gelte, solle ein solches auch im Sinne der neuen Verordnung sein.
Es erachtete demgemäß gedachte Kabinetsordre für anwendbar, weil der Lieferant die Verträge als Kaufmann abgeschlossen und das Lieferungsgeschäft in den Bereich seines Gewerbes falle (Entsch. Bd. 54 S. 369; zu vergleichen auch Striethorst Archiv Bd. 56 S. 327 flg.).
Aus demselben Grunde hat es in dem Urteil vom 2. Februar 1874 angenommen, daß die Kabinetsordre vom 30. April 1847 auf Armeelieferungsverträge anwendbar ist ( Striethorst Archiv Bd. 91 S. 81).
Es mußte der Ansicht des ersten Senats des Obertribunals beigetreten werden.
Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch muß unter einem im kaufmännischen Verkehre abgeschlossenen Kauf- und Lieferungsgeschäft insbesondere verstanden werden die von einem Kaufmanne vorgenommene Veräußerung der nach seinem Geschäft zur Veräußerung bestimmten Waren, denn gerade in dem Ankaufe und Verkaufe von Waren besteht ja das Wesen des kaufmännischen Verkehres. Daß nur eine solche Warenveräußerung, welche eine Weiterveräußerung seitens des Erwerbers bezweckt, unter den Begriff des Kauf- und Lieferungsvertrages im kaufmännischen Verkehre falle, dafür ist in der Kabinetsordre vom 30. April 1847 kein Anhalt zu finden. Da nun im vorliegenden Falle der Kläger in dem Bereiche seines kaufmännischen Verkehres die Lieferung an die Geschützgießerei zu Spandau übernommen hat, so mußte gedachte Kabinetsordre für anwendbar erachtet werden."