RG, 24.09.1918 - VII 95/18

Daten
Fall: 
Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluß
Fundstellen: 
RGZ 95, 58
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.09.1918
Aktenzeichen: 
VII 95/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • KG Berlin

Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluß.

Tatbestand

Zwischen der Beklagten und dem Unternehmer Tiefbaumeister H. ist unter dem 7./21. September 1907 ein Verdingungsvertrag auf Ausführung einer Regen- und Dampfwasserableitung in der Hamburger Straße zu Sp. zu festen Einheitssätzen abgeschlossen worden. In § 4 der besonderen Bedingungen war vereinbart, daß die Rohre im Trocknen zu verlegen seien, und zwar durch Grundwasserspiegelsenkung. Nach mehrwöchigen vergeblichen Versuchen, das Grundwasser abzusenken, ist der Unternehmer dazu übergegangen, die Rohre zwischen Spundwänden zu verlegen. Auf diese Weise hat er das Werk fertiggestellt und es ist auch von der Beklagten in Gebrauch genommen worden. Laut Urkunde vom 3. Dezember 1908 hat er der Klägerin seine Forderung abgetreten.

Die Klägerin verlangt u. a. Ersatz der Mehrkosten, die dem Unternehmer zu Pos. 26 bis 30 des Verdingungsanschlags (Rohrverlegung) dadurch erwachsen sind, daß er die Rohre in einer größeren Tiefe unter der Erdoberfläche verlegen mußte, als nach den von der Beklagten angegebenen Maßen anzunehmen war.

Das Kammergericht hat der Klägerin zu Pos. 26 bis 30 eine höhere Vergütung zugesprochen, weil der Unternehmer die Rohre infolge der von der Beklagten zu vertretenden unrichtigen Höhenangabe der Straßenoberkante in einer die vereinbarte Fehlergrenze (§ 12 der besonderen Bedingungen) überschreitenden Mehrtiefe habe verlegen müssen. Da der Vertrag die Verlegung der Rohre bei den einzelnen Ansätzen in einer nach der Zahl der Zentimeter genau bestimmten Tiefe vorgeschrieben und nur für diese Arbeit die Einheitspreise bestimmt habe, so fehle es für die wirklich geleistete Arbeit, nämlich in einer wesentlich größeren Mehrtiefe, an der Vereinbarung eines Einheitspreises. Der Unternehmer sei daher berechtigt, eine angemessene Vergütung der Leistungen zu Pos. 26 bis 30 zu fordern. Dabei sei dann auch zu berücksichtigen, daß die Rohrverlegung nicht im Trocknen nach Grundwasserspiegelsenkung, sondern zwischen Spundwänden im Grundwasser erfolgt sei.

Das Reichsgericht hat diese Ausführungen mißbilligt aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Die Feststellung des Kammergerichts, daß es bei Pos. 26 bis 30 für die wirklich geleistete Arbeit an einer Preisvereinbarung fehle und daß deshalb eine angemessene Vergütung zu zahlen sei, beruht auf falscher Voraussetzung. Der Vorderrichter nimmt nämlich an, der Vertrag habe die Verlegung der Rohre bei den einzelnen Ansätzen in einer nach der Zahl der Zentimeter genau bestimmten Tiefe - also gemessen von der Erdoberfläche ab - vorgeschrieben. Diese Annahme ist tatbestandswidrig. Aus dem landgerichtlichen Tatbestand, auf den das Berufungsurteil Bezug nimmt, ergibt sich als übereinstimmender Vertrag der Parteien, daß in der dem Unternehmer zur Verfügung gestellten Längenprofilzeichnung, nach der zu arbeiten war, feststehende Rohrsohlenhöhenzahlen, gemessen über N N, angegeben waren. In dieser richtig angegebenen Tiefe über N N waren also die Rohre zu verlegen, nicht aber waren für die Tiefe der Rohrverlegung maßgebend die im Kostenanschlage verzeichneten Tiefenziffern, die erst durch eine Berechnung des Abstandes der feststehenden Sohlentiefe über N N von der Straßenoberkante, deren Höhen in der Profilzeichnung auch, aber unrichtig verzeichnet waren, vom Unternehmer H. ermittelt worden sind. Diese Ziffern dienten lediglich dazu, die Berechnung der Einheitssätze, also des Preises für die Arbeiten in der feststehenden Tiefe zu begründen. Der Unternehmer hat also keine andere Arbeit geleistet, als vereinbart war, sondern er hat in Wirklichkeit die Rohre in der festbestimmten Tiefe über N N, wie vorgeschrieben war, verlegt. Aber er hat sich bei der Preiskalkulation infolge der unrichtigen Angaben der Beklagten über die Straßenhöhe geirrt, d. h. für die wirkliche Arbeitsleistung fehlt es nicht an einer Preisvereinbarung, diese ist aber durch Irrtum des Unternehmers beeinflußt. Da es sich nach Sachlage um einen wesentlichen Irrtum, nämlich einen solchen über den Inhalt der Willenserklärung des Unternehmers handelt, die dieser bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde, so konnte er den Vertrag wegen Irrtums anfechten. Das hat er nun nicht getan, sondern er hat den Vertrag erfüllt, und es fragt sich, ob er oder die Klägerin jetzt eine Mehrvergütung beanspruchen kann. Die Beklagte hat, wie das Berufungsgericht feststellt, erklärt, daß sie die unrichtigen Angaben über die Straßenhöhe zu vertreten habe, daß sie also ein Verschulden trifft. Es ist daher zu prüfen, ob und aus welchem Rechtsgrunde die Beklagte schadenersatzpflichtig zu machen ist. Auf unerlaubte Handlung läßt ein solcher Anspruch sich nicht gründen. Für Vorsatz sind Anhaltspunkte nicht gegeben, daher scheidet § 826 BGB. aus. Es kann nur Fahrlässigkeit in Frage kommen. Aber auch § 826 BGB. ist nicht anwendbar, weil dessen Voraussetzungen - Verletzung eines absoluten Rechtes oder Verstoß gegen ein Schutzgesetz - nicht gegeben sind. Es kann daher nur geholfen werden durch Anerkennung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs wegen des beim Vertragsschlusse der Beklagten zur Last fallenden Verschuldens. Der erkennende Senat steht nicht an, bei der hier gegebenen Sachlage einen solchen Schadensersatzanspruch anzuerkennen.

Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält zwar keine allgemeine Vorschrift, wonach ein Vertragsteil für Verschulden beim Vertragsschluß einzustehen hätte. Es lehnt diese Haftung aber auch nicht grundsätzlich ab. Bei ungültigen Verträgen ist vielmehr in §§ 179, 307, 309 ausdrücklich ein Schadensersatzanspruch für culpa in contrahendo, beschränkt auf das negative Vertragsinteresse bis zur Höhe des Erfüllungsinteresses, gegeben. Aber auch bei gültigen Verträgen hat das Bürgerliche Gesetzbuch in §§ 463 Satz 2, 694 Haftung für Verschulden beim Vertragsschluß anerkannt. Die Haftung für Verschulden beim Vertragsschluß ist daher dem Bürgerlichen Gesetzbuche keineswegs unbekannt. Die Bedürfnisse des redlichen Verkehrs und der das ganze Vertragsrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben lassen aber auch die rechtliche Anerkennung der vertraglichen Haftung für Verschulden beim Vertragsschluß als unentbehrlich erscheinen, wenn ein Vertrag gültig geschlossen worden ist und eine Partei beim Vertragsschluß Umstände, von denen sie wußte oder sich sagen mußte, daß sie für den Willensentschluß des anderen Teiles von wesentlicher Bedeutung seien, fahrlässigerweise verschwiegen oder darüber unrichtige Angaben gemacht hat. Es ist kein stichhaltiger Grund erkennbar, weshalb die Vertragsparteien beim Vertragsabschluß einander zu einer geringeren Sorgfalt verpflichtet sein sollten als nach Vertragsabschluß. Der Vertragsabschluß und die Vertragserfüllung bilden ein einheitliches Ganzes. Kommt es zum gültigen Vertragsschluß, so muß jeder Teil darauf vertrauen können, daß seine Vertragsinteressen nicht gegen Treu und Glauben von dem anderen Teile mißachtet worden sind oder demnächst mißachtet werden. Sieht er sich in diesem Vertrauen durch schuldhaftes Verhalten des anderen Teiles getäuscht, so kann ihm ein Anspruch auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens nicht versagt werden. In ähnlichem Sinne hat sich auch schon der III. Zivilsenat in dem Urteile vom 26. April 1912 (Jur. Wochenschr. 1912 S. 743) ausgesprochen und Haftung für fahrlässiges Verschweigen von Tatsachen beim Vertragsschluß, die für den Willensentschluß des anderen Vertragsteils bedeutsam sind, anerkannt. Was aber von fahrlässigem Verschweigen solcher Tatsachen gilt, muß gleichmäßig auch von fahrlässig falschen positiven Angaben über solche Umstände gelten.

Hat hiernach die Beklagte dem Unternehmer den Schaden zu ersetzen, der ihm durch die fahrlässig unrichtige Straßenhöhenangabe entstanden ist, so besteht der Schadensersatz in Anwendung des § 249 BGB. darin, daß der Zustand herzustellen ist, der bestanden hätte, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand - die unrichtige Angabe der Straßenhöhe - nicht eingetreten wäre; m. a. W. der Vergütung für die zu Pos. 26 bis 30 geleisteten Arbeiten sind die Einheitssätze zugrunde zu legen, die der Unternehmer damals veranschlagt hätte, wenn ihm die richtige Entfernung der Straßenoberkante von der feststehenden Rohrsohlentiefe bekannt gewesen wäre. Dabei ist natürlich auch zu berücksichtigen, daß der Unternehmer sich infolge der falschen Höhenangabe der Beklagten auch über die wirkliche Höhe des Grundwasserstandes über der Rohrsohlentiefe geirrt hat. Dagegen darf hier ebensowenig wie bei Pos. 23 und 24 in Rücksicht gezogen werden, daß der Unternehmer infolge der Unmöglichkeit der Grundwasserspiegelsenkung genötigt war, zwischen Spundwänden zu arbeiten und dadurch höhere Kosten aufzuwenden, da die Beklagte, worüber später noch gesprochen wird, die Absenkungsunmöglichkeit nicht zu vertreten hat, die höheren Unkosten des Unternehmers für die Arbeit zwischen Spundwänden aber in keinem ursächlichem Zusammenhange mit der unrichtigen Angabe der Straßenhöhe stehen. Nach diesen Richtlinien wird das Berufungsgericht in der erneuten Verhandlung die der Klägerin zuzuerkennende Vergütung bei Pos. 26 bis 30 festzustellen haben." ...