RG, 17.09.1918 - III 100/18

Daten
Fall: 
Begriff der positiven Vertragsverletzung
Fundstellen: 
RGZ 93, 285
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.09.1918
Aktenzeichen: 
III 100/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zum Begriff der positiven Vertragsverletzung. Rechte des Käufers, wenn sich der Ankäufer vor Fälligkeit der Lieferungspflicht einer solchen Verletzung schuldig macht.

Tatbestand

Der Beklagte verpflichtete sich durch Vertrag vom 11./15. März 1916, der Klägerin im April, Mai und Juni 1916 je 20000 Stück Filzüberzüge für Feldflaschen belegscheinfrei zu liefern. Die Klägerin will aus brieflichen Erklärungen des Beklagten aus dem April 1916 eine positive Vertragsverletzung entnommen wissen und leitet aus dieser das Recht her, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu fordern.

Das Landgericht wies die Klage ab. Im Berufungsverfahren erkannte der Beklagte den Anspruch auf Vergütung des Schadens wegen Nichtbewirkung der Aprillieferung an und wurde dem Anerkenntnis gemäß verurteilt. Im übrigen bestätigte das Oberlandesgericht das erste Urteil. Auf Revision der Klägerin wurde auch der Ersatzanspruch wegen Nichtlieferung der im Mai und Juni 1916 zu liefernden Überzüge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer positiven Vertragsverletzung mit der Begründung verneint, daß der Beklagte die Erfüllung des Vertrags nicht endgültig verweigert habe. Dabei läßt es sich von einer zu engen Auffassung des bezeichneten Rechtsbegriffs leiten. Unter diesen fallen nach der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts alle solche vom Schuldner zu vertretenden positiven Zuwiderhandlungen gegen die Vertragspflichten, welche den Vertragszweck dergestalt gefährden, daß dem Vertragstreuen Teile bei Berücksichtigung der Umstände des Falles die Fortsetzung des Vertrags nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist. Der Beklagte schrieb nun am 3. April 1916 an die Klägerin, daß nach einer Mitteilung des Kriegsamtes Belegscheine für die.Anfertigung von Filz nicht mehr erteilt würden und daß er deshalb vor der Hand nicht liefern könne, es sei denn, daß das Amt die Filze freigebe. Nachdem ihn sodann die Klägerin am 5. April 1916 unter Androhung einer Klage auf Schadensersatz zur Erklärung über seine Erfüllungsbereitschaft unter Setzung einer dreitägigen Frist aufgefordert hatte, antwortete der Beklagte am 6. April 1916 im gleichen Sinne, wie er am 3. April geschrieben hatte, und bemerkte noch, daß Filz auch im freien Handel nicht mehr zu beschaffen sei. Mit der Aprillieferung habe es noch Zeit bis zum 15. Mai. Es sei nicht ausgeschlossen, daß sich bis dahin Mittel und Wege zur Ausführung des Auftrags fänden; ändere jedoch das Amt in Berlin seine Entschließung nicht, so könne er nicht liefern. Nach diesen Erklärungen des Beklagten konnte die Klägerin nur noch mit großer Unsicherheit der Erledigung ihrer Bestellung entgegensehen. Der von ihr mit dem Vertrag bezweckte Erfolg, sich die Überzüge für Feldflaschen zusichern, die sie der Heeresverwaltung liefern wollte, wurde durch das Verhalten des Beklagten völlig in Frage gestellt. Die Vorräte an Wolle, dem für die Herstellung von Filztuch notwendigen Rohstoffe, wurden nach der Feststellung des Berufungsgerichts im April 1916 immer knapper, und es war deshalb eine Änderung der in den Briefen des Beklagten erwähnten behördlichen Anordnung unwahrscheinlich. Der Beschaffung von Filztuch im freien Handel standen aber nach der eigenen Behauptung des Beklagten zu der in Frage stehenden Zeit schon große Schwierigkeiten entgegen. Die Klägerin wurde hierdurch in die Notwendigkeit versetzt, ihren Bedarf an Filzüberzügen, den sie bei dem Beklagten hatte decken wollen, durch Abschlüsse mit Dritten sobald wie möglich sicherzustellen. Sie hatte deshalb das dringendste Interesse daran, in ihrem Verhältnis zum Beklagten binnen kürzester Zeit eine klare Rechtslage zu schaffen und zu diesem Zwecke unverweilt von der Rechtshilfe des auf die positive Vertragsverletzung entsprechend anzuwendenden § 326 BGB. Gebrauch zu machen. Demgemäß durfte sie noch vor dem Ablauf der zwischen den Parteien vereinbarten Lieferfristen den Vertrag dadurch zur Auflösung bringen, daß sie Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Schlusses forderte. Diese Haltung hat sie im Briefe vom 5. April 1916 für den Fall der Erfolglosigkeit ihrer dort enthaltenen Aufforderung vorsorglich eingenommen. Das im Briefe des Beklagten vom 1. Mai 1916 erklärte Erbieten, den Vertrag jetzt erfüllen zu wollen, durfte sie daher, wie geschehen, zurückweisen. Das Berufungsgericht ist der Meinung, daß die Klägerin, wenn sie ihre Entschließung über die Auflösung des Vertrags nicht habe hinausschieben wollen, dies gegenüber der im Briefe des Beklagten vom 6. April kundgegebenen gegenteiligen Erwartung hätte erklären müssen. Der Erwägung steht schon die Tatsache entgegen, daß die Klägerin bereits im Briefe vom 5. April mit aller Deutlichkeit erklärt hatte, sie werde nach dem Ablaufe der dort gesetzten Nachfrist die Erfüllung nicht mehr annehmen, sondern Schadensersatz fordern.

Unbegründet ist der Standpunkt des Beklagten, daß er die von ihm in den Briefen vom 3. und 6. April 1916 eingenommene Haltung nicht zu vertreten habe, weil sie durch eine von seinem Willen unabhängige Gestaltung der Verhältnisse, insbesondere durch das geänderte Verfahren des Bekleidungs-Beschaffungsamtes in bezug auf die Ausstellung von Belegscheinen veranlaßt sei. Die Filzüberzüge sollten nach dem Abkommen der Parteien "ohne Belegscheine lieferbar" sein. Die Klägerin konnte dies nur dahin verstehen, daß die Lieferungspflicht des Beklagten durch die Möglichkeit der Beibringung von Belegscheinen nicht bedingt sein solle. Über diesen Sinn der Vereinbarung herrscht denn auch kein Streit. Um seinen Vertragspflichten zu genügen, mußte daher der Beklagte dafür Sorge tragen, daß ihm das zur Ausführung der Bestellung erforderliche Filztuch in belegscheinfreier Ware zur Verfügung stand. Hiergegen hat er nach seinem eigenen Vorbringen gefehlt. Er hat den in seinem Besitze befindlichen, zur Herstellung der Bezüge für die Klägerin ausreichenden Stoff zur Ausführung des Auftrags eines Dritten verwendet, ohne sich erst Gewißheit zu verschaffen, ob er, sei es mit Hilfe der Behörde, sei es im Wege des freien Handels Ersatz würde beschaffen können. Die Lage, welche ihn zu den Erklärungen in den Schreiben vom 3. und 6. April 1916 nötigte, hat er sonach schuldhaft herbeigeführt. Auch die positive Vertragsverletzung selbst muß er daher vertreten." ...