RG, 08.07.1918 - IV 144/18

Daten
Fall: 
Anwendung des § 326 BGB
Fundstellen: 
RGZ 93, 290
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.07.1918
Aktenzeichen: 
IV 144/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Unter welchen Umständen findet § 326 BGB auf den Vergleich Anwendung?

Gründe

... "Beachtlich sind die Angriffe der Revision der Beklagten, soweit sie die Frage betreffen, ob die Beklagte von dem am 20. Mai 1915 mit v. D. geschlossenen Prozeßvergleiche nach § 326 BGB hat zurücktreten können. Zu den gegenseitigen Verträgen im Sinne der §§ 320 flg., insbesondere des § 326, ist im allgemeinen auch der Vergleich zu rechnen (vgl. Jur. Wochenschr. 1903 Beil. S. 57 Nr. 132, Rhein. Arch. Bd. 105 S. 91. Komm. v. RGR. Anm. 1 zu § 779 BGB, Krahmer, Gegenseitige Verträge S. 74, Josef, Die Anwendbarkeit der Vorschriften über den gegenseitigen Vertrag auf den Vergleich in den Jahrb. der württemb. Rechtspfl. Bd. 25 S. 377 flg.). Das für die gegenseitigen Verträge wesentliche Moment, daß die beiderseitigen Leistungen gegen einander ausgetauscht werden, ist auch bei dem Vergleiche gegeben. Der von dem einen Teile gewährte Nachlaß bildet die Gegenleistung für die von dem anderen Teile zu erfüllende Leistung. Es ist nicht zu bezweifeln, daß als Leistung im Sinne des § 326 auch ein Erlaß oder ein Anerkenntnis anzusehen ist (Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. 3 § 190 Anm. 26). Die Vorschrift des § 326 enthält allerdings nachgiebiges Recht. Es kann danach ein Vergleich sehr wohl in der Weise geschlossen werden, daß der Nachlaß unbedingt ohne Rücksicht auf die Erfüllung der dem anderen Teile obliegenden Gegenleistung gewährt wird. Hierfür kommt es auf den aus der besonderen Sachlage zu ermittelnden Willen der Parteien an. Ohne auf eine solche Prüfung einzugehen, hat indes das Berufungsgericht im Anschluß an die Ausführungen des Landgerichts den von der Beklagten gemäß § 326 erklärten Rücktritt vom Vergleich für wirkungslos erklärt, weil § 326 einen gegenseitigen Vertrag voraussehe, der vorliegende Vergleich aber kein solcher Vertrag sei. ... Über den näheren Inhalt des Vergleichs ist in dem Berufungsurteile nichts gesagt. Nach den vorgelegten Prozeßakten ist der Vergleich am 20. Mai 1915 in der Form protokolliert worden, daß v. D. und ein gewisser J. sich verpflichteten, an die Beklagte, der die von der Firma H. gezahlten 2000 M angerechnet wurden, weitere je 1000 M "sofort" zu zahlen, womit alle zwischen den Parteien bestehenden Ansprüche für erledigt erklärt wurden. Diese Fassung des Vergleichs, daß die sofortige Zahlung der 2000 M ausbedungen ist, legt den Schluß nahe, daß zwischen den beiderseitigen Leistungen ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen sollte und die Beklagte nur bereit war, die Mehrforderung von 9000 M gegen sofortige Zahlung der 2000 M aufzugeben. Die abschließende Entscheidung der Frage, welchen Willen die Parteien nach Inhalt des Vergleichs in Wirklichkeit gehabt haben, muß dem Tatrichter überlassen bleiben." ...