RG, 08.07.1918 - VI 136/18
Zum Einfluß des Krieges auf die Höhe einer Unfallrente.
Tatbestand
Wegen eines Unfalls, den er am 15. Oktober 1909 erlitten, hat der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen und ein rechtskräftiges Urteil über den Grund des Anspruchs erlangt. In dem jetzt angefochtenen Urteil ist sodann über die Höhe der zu leistenden Entschädigung entschieden worden Der Beklagte hat Revision eingelegt, die erfolglos geblieben ist.
Gründe
"Das Berufungsgericht stellt fest, daß der Kläger vor dem Unfall ein Durchschnittseinkommen von jährlich 3475 M hatte, berücksichtigt weiter die Niederlassung eines Konkurrenten und nimmt an, daß er, wenn er den Unfall nicht erlitten hätte, auch künftig einen Verdienst von 3000 M gehabt haben würde. Nur im Jahre 1914, dem ersten Kriegsjahre, würde sich der Verdienst auf 2500 M vermindert haben; für die spätere Kriegszeit sei namentlich mit Rücksicht auf die erhebliche Steigerung der Handwerkerpreise das Jahreseinkommen des Klägers ohne den Unfall wieder auf 3000 M zu schätzen. Dann wird der tatsächliche Verdienst des Klägers in den Jahren 1910 bis 1913 ermittelt und der Unterschied als Unfallsschaden betrachtet, für die spätere Zeit aber wird der Schaden auf die Hälfte des ohne den Unfall zu erwartenden Verdienstes geschätzt. Demgemäß spricht das Berufungsgericht dem Kläger für das letzte Vierteljahr 1914 312,50 M und für die Jahre 1915 bis 1917 zusammen 4500 M zu, für die Zeit vom 1. Januar 1918 an aber bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eine jährliche Rente von 1500 M.
Die Revision bekämpft die Zuerkennung einer Rente während der Kriegszeit. In der vorigen Instanz habe der Beklagte unter Berufung auf eine dienstliche Auskunft des Bezirkskommandos E. behauptet, daß der Kläger ohne den Unfall seit Kriegsbeginn zum Heere einberufen worden wäre; als Soldat würde er aber nicht mehr verdient haben als in seinem jetzigen Zustande. Daß der Beweis nicht erhoben worden sei, verstoße gegen § 236 oder § 313 Nr. 4 ZPO.
Die Rüge kann nicht als begründet anerkannt werden. Das Berufungsgericht hat den Einwand geprüft und kommt zu dem Ergebnis, es stehe völlig dahin, ob der Kläger als ungedienter Landsturmpflichtiger des Jahrgangs 1879 noch zum Heeresdienst eingezogen sein würde. Mit so unbestimmten Möglichkeiten könne nicht gerechnet werden, auch hätte der Kläger, selbst wenn er ohne den Unfall diensttauglich gewesen sein sollte, mit Rücksicht auf seine Familienverhältnisse, seine Stellung als selbständiger Meister und auch aus sonstigen Gründen frei bleiben können. Mit dieser Erwägung hat sich das Berufungsgericht innerhalb der seinem freien Ermessen gezogenen Schranken gehalten. Nach dem eingreifenden § 287 ZPO. bleibt es dem Ermessen des Gerichts überlassen, ob es bei der Ermittelung der Schadenshöhe eine beantragte Beweisaufnahme anordnen will; der Schaden kann auch abgeschätzt werden, ohne daß alle von den Parteien angebotenen Beweismittel erhoben werden (vgl. auch RGZ. Bd. 76 S. 175). Daß sich das Berufungsgericht bei der Abschätzung auf einen grundsätzlich falschen Satz gestützt hätte, womit ein Aufhebungsgrund gegeben sein könnte, ist nicht ersichtlich; in tatsächlicher Hinsicht sind aber seine Erwägungen nicht nachzuprüfen. Unbegründet sind ferner die Bedenken, die die Revision in der mündlichen Verhandlung dagegen vorgebracht hat, daß das Berufungsgericht den Kläger als ungedienten Landsturmpflichtigen des Jahrgangs 1879 bezeichnet, denn eine entsprechende Behauptung hatte der Kläger in seinem vorgetragenen Schriftsatze vom 11. Dezember 1917 aufgestellt, und der Beklagte hat ihr, soweit ersichtlich, nicht widersprochen. Daß aber § 313 Nr. 4 ZPO. verletzt sein sollte, ist nicht zuzugeben, denn das angefochtene Urteil enthält nicht nur überhaupt Entscheidungsgründe, sondern hat auch hinreichend erkennbar gemacht, weswegen auf die aufgestellte Behauptung nicht eingegangen und der beantragte Beweis nicht erhoben worden ist."...