RG, 05.07.1918 - VII 136/18

Daten
Fall: 
Dingliches Recht des Hypothekengläubigers als Gegenstand einer Bürgschaft
Fundstellen: 
RGZ 93, 234
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.07.1918
Aktenzeichen: 
VII 136/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Kann das dingliche Recht des Hypothekengläubigers zum Gegenstand einer Bürgschaft gemacht werden?
2. Zur Frage der reformatio in peius.

Tatbestand

Der ursprüngliche Kläger, der Privatmann We., war früher Eigentümer eines Grundstücks in Th. Er erhielt von dem Gastwirt G. ein Darlehen von 9000 M und bestellte ihm zur Sicherheit dafür eine Hypothek an dem Grundstück. Im Jahre 1908 verkaufte er dieses an den Fabrikanten R. Laut Kaufvertrag übernahm R. die eingetragene Darlehnshypothek in Anrechnung auf den Kaufpreis. Die Auflassung erfolgte und R. wurde im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Ob es zu einer Genehmigung der von We. mit R. vereinbarten Schuldübernahme durch den Gläubiger G. gekommen, ist unter den Parteien streitig. G. trat die Darlehnshypothek an einen gewissen B. ab. Dieser verlangte weitergehende Sicherheit und erhielt sie dadurch, daß ein Dr. Wei. ihm gegenüber die Bürgschaft für R. übernahm. Später bezahlte Dr. Wei. die Forderung an B., der ihm dafür die Hypothek abtrat. Von Dr. Wei. gelangte sie über einen Agenten Z. schließlich an den beklagten Ehemann. Nunmehr kam es zur Zwangsversteigerung des Grundstücks. Die beklagte Ehefrau erstand es, der beklagte Ehemann fiel mit seiner Hypothek in Höhe von 8931,16 M aus.

Einer Klage des We. auf Herausgabe gewisser im Grundstücke befindlicher Gegenstände setzten die Beklagten u. a. auch die Einwendung entgegen, daß We. noch der persönliche Schuldner des beklagten Ehemanns K. in Ansehung des ausgefallenen Teiles der Darlehnsforderung sei und daß letzterem wegen dieses Anspruchs ein Zurückbehaltungsrecht an den Sachen zustehe. Gleichzeitig erhob der beklagte Ehemann Widerklage gegen We. auf Zahlung von 8931,16 M und Zinsen.

Das Landgericht wies die Klage durch ein Teilurteil ab. We. legte dagegen Berufung ein. Während der Rechtsstreit so teils in erster, teils in zweiter Instanz schwebte, starb We. Nach seinem Testamente waren zu seinen Erben die beiden Revisionskläger, seine Witwe und sein minderjähriger Sohn, berufen; namens des Revisionsklägers zu 2 hat jedoch die Revisionsklägerin zu 1 die Erbschaft ausgeschlagen. Die Parteien streiten darüber, ob das rechtzeitig geschehen ist. In seinem Schlußurteile machte das Landgericht die Entscheidung über die Widerklage von zwei Eiden abhängig. Die Revisionsklägerin zu 1 sollte einen bestimmten Hergang beschwören, worin das Landgericht eine Genehmigung, des von We. mit R. geschlossenen Schuldübernahmevertrags durch den Gläubiger G. erblickte, und sollte weiter beschwören, daß sie von dem Anfalle der Erbschaft und der Berufung des Revisionsklägers zu 2 zum Erben ihres Mannes nicht vor einem bestimmten Zeitpunkte Kenntnis erlangt habe. Je nach Leistung oder Nichtleistung des ersten Eides sollte die Widerklage abgewiesen oder ihr stattgegeben werden; von Leistung oder Nichtleistung des zweiten Eides sollte abhängen, ob die Revisionsklägerin zu 1 allein oder beide Revisionskläger zu verurteilen seien.

Gegen das Schlußurteil des Landgerichts legten die Beklagten Berufung ein. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zu 1 zurück, weil sie durch die Entscheidung auf die von ihr nicht erhobene Widerklage nicht beschwert sei. Im übrigen machte es auch die Entscheidung auf die Widerklage nur von dem zweiten Eide abhängig; je nach Leistung oder Nichtleistung stellte es Verurteilung der Revisionsklägerin zu 1 allein oder beider Revisionskläger als Gesamtschuldner zur Zahlung von 8931,16 M und Zinsen in Aussicht.

Die Revisionskläger fochten das Berufungsurteil nur zur Widerklage an. Der Revision wurde stattgegeben und das Urteil des Landgerichts -- mit hier nicht in Betracht kommenden Maßgaben -- wiederhergestellt aus folgenden Gründen.

Gründe

"Das Oberlandesgericht ist zu der Feststellung gelangt, daß eine Schuldübernahme nach den §§ 414 bis 416 BGB. nicht vollzogen, die persönliche Verpflichtung des ursprünglichen Darlehnsnehmers We. daher durch Schuldübernahme nicht untergegangen ist. Die Revision hat diese Entscheidung nicht angefochten. Sie liegt wesentlich auf tatsächlichem Gebiet und ist rechtlich nicht zu beanstanden."... (wird weiter ausgeführt.)

"Zu der von den Widerbeklagten vertretenen Rechtsauffassung, die persönliche Haftung We.s sei dadurch erloschen, daß der Bürge Dr. Wei. die Forderung an den Gläubiger B. bezahlt habe, hat das Oberlandesgericht ausdrücklich nicht Stellung genommen. Wegen Würdigung der Vorgänge, "die sich in der Folgezeit zwischen den weiteren Inhabern der Hypothek und dem Grundstückseigentümer abgespielt haben", verweist das Oberlandesgericht auf die Ausführungen des Landgerichts, allerdings nur unter dem Gesichtspunkt, ob es zu einer befreienden Schuldübernahme gekommen ist; erkennbar hat aber auch das gebilligt werden sollen, was das Landgericht als Rechtsfolge von Dr. Wei.s Zahlung angenommen hat. Das Landgericht führt zutreffend aus, daß der Fall des § 1164 BGB. nicht vorliege. Auf diese Vorschrift hatten sich die Widerbeklagten berufen; sie betrifft aber den Fall, daß der persönliche Schuldner den Gläubiger der durch die Hypothek gesicherten Forderung befriedigt. Persönlicher Schuldner war We., nicht Dr. Wei. Das Landgericht meint weiter, daß durch die für den Eigentümer R. erfolgte Zahlung des Bürgen Dr. Wei. der "Hypothekenanspruch" des Gläubigers B. und mit diesem auch die ihm zugrunde liegende persönliche Forderung gegen We. auf den befriedigenden Bürgen übergegangen sei. Diese Schlußfolgerungen sind nicht frei von Rechtsirrtum, wie die Revision mit Recht hervorhebt. Verkannt ist das Wesen der Hypothek als eines dinglichen Rechtes an einem Grundstücke. Wie bei jedem anderen dinglichen Rechte besteht auch bei der Hypothek die Dinglichkeit in der unmittelbaren Unterwerfung einer Sache unter die Herrschaft einer Person in bestimmter Beziehung (vgl. RGZ. Bd. 53 S. 100), und zwar ist der Hypothekengläubiger berechtigt, sich wegen seiner Forderung aus dem belasteten Grundstücke zu befriedigen (§ 1113 BGB., RGZ. Bd. 56 S. 324, Bd. 65 S. 418). Allerdings ist er nach § 1147 genötigt, dabei die Vermittelung der Vollstreckungsbehörden anzurufen, und dazu wiederum bedarf er eines vollstreckbaren Titels gegen den Eigentümer des Grundstücks. Das ändert aber nichts daran, daß die Hypothek ein Recht an einem Grundstück ist, kein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Grundstückseigentümer, der diesen zu einer Leistung verpflichtete, wie § 241 sie erfordert, sei es auch nur mit Beschränkung seiner Haftung auf das Grundstück.

Deshalb kann das dingliche Recht des Hypothekengläubigers auch nicht zum Gegenstand einer Bürgschaft gemacht werden, denn diese setzt nach § 765 die schuldrechtliche Verbindlichkeit eines Dritten voraus, für die einzustehen der Bürge sich verpflichtet. Was in Plancks Kommentar, 4. Aufl. Bd. 2 Abt. 1. S. 35, für die Grundschuld ausgesprochen wird, daß es nämlich eine Bürgschaft dafür nicht gebe, das gilt ebenso und aus den gleichen Gründen für das dingliche Recht des Hypothekengläubigers. Da nach dem unstreitigen Sachverhalte Dr. Wei. die Bürgschaft nicht für den persönlichen Schuldner We., sondern allein für den -- von den Beteiligten vielleicht für persönlich verpflichtet gehaltenen -- Grundstückseigentümer R. übernommen hat, so ist mangels Bestehens einer Hauptverbindlichkeit eine Bürgschaft überhaupt nicht zustande gekommen. Von einem Übergange der Hauptforderung auf den zahlenden Bürgen nach § 774 kann schon danach nicht gesprochen werden. Als Dr. Wei. zahlte, bezahlte er die persönliche Schuld We.s als ein Dritter, § 267 Abs. 1. und nach § 302 Abs. 1 mit der Wirkung, daß dadurch das persönliche Schuldverhältnis zwischen B. und We. erlosch. Einer der Ausnahmefälle, in denen die Forderung und damit nach §§ 412, 401 Abs. 1 zugleich die Hypothek auf den zahlenden Dritten übergehen würde, liegt nicht vor. Weder treffen, wie bereits erwähnt, die §§ 1164 und 774 Abs. 1 zu (Befriedigung des Hypothekengläubigers durch den persönlichen Schuldner und Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen), noch sind anwendbar die §§ 268, 1150 (Befriedigung des Hypothekengläubigers durch einen Ablösungsberechtigten), noch endlich § 426 Abs. 2 und § 774 Abs. 2 (Befriedigung des Gläubigers durch einen Gesamtschuldner oder einen Mitbürgen).

Ob in dem -- seinem Wortlaute nach den Parteien nicht mitgeteilten -- "Bürgschaftsvertrage" Dr. Wei.s mit B. die Übernahme einer Gewähr dafür gefunden werden kann, daß die Hypothekenforderung durch das belastete Grundstück genügend gesichert sei, kann unerörtert bleiben. Die Rechtsfolge, daß die persönliche Forderung B.s an We. auf Dr. Wei. überging, hätte auch durch den Abschluß oder die Erfüllung eines solchen Vertrags nicht herbeigeführt werden können. Dr. Wei.s Zahlung konnte auch dann eine weitergehende Wirkung nicht haben als eine etwaige Zahlung des R. selbst, die wegen seiner aus dem Schuldübernahmevertrage nach § 415 Abs. 3 sich ergebenden Pflicht, We. von seiner Schuld zu befreien, diese Schuld getilgt hätte (vgl. RGI. Bd.80 S. 319 flg.).

Mit dem Erlöschen der persönlichen Forderung B.s erwarb nach § 1163 Abs. 1 Satz 2 der Grundstückseigentümer R. die Hypothek, und zwar nach § 1177 Abs. 1 als Eigentümergrundschuld. Diese Rechtsfolge blieb den Beteiligten anscheinend unbekannt, und so kam es, daß B. die Hypothekenforderung an Dr. Wei. abtrat -- offenbar, um den nach Annahme der Beteiligten bereits gemäß § 774 Abs. 1 eingetretenen Übergang der Forderung nach außen erkennbar zu machen --, und daß die Hypothekenforderung durch weitere Abtretungen schließlich an den Widerkläger gelangte. Auch aus diesen Abtretungen läßt sich nichts zugunsten des Widerklägers herleiten. Der öffentliche Glaube des Grundbuchs schützt den gutgläubigen Erwerber nach §§ 892, 1138 in Ansehung der Hypothek, also des dinglichen Rechtes, und, soweit es sich um die Ausübung des dinglichen Rechtes handelt, auch in Ansehung der Forderung, deretwegen das dingliche Recht bestellt ist. Im gegenwärtigen Falle verfolgt aber der Widerkläger die ihm angeblich zustehende persönliche Forderung gegen die Widerbeklagten. Dabei hilft ihm seine und seiner Rechtsvorgänger Gutgläubigkeit nichts (vgl. RGZ. Bd. 49 S. 8, 367); er muß sich den Einwand entgegensehen lassen, daß die persönliche Forderung erloschen ist.

Hiernach mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Nach dem festgestellten Sachverhältnis war die Sache zur Endentscheidung reif, deshalb war nach § 565 Abs. 3 ZPO. in der Sache selbst zu entscheiden. Die von den Revisionsklägern beantragte und nach dem Ausgeführten an sich gerechtfertigte vollständige Abweisung der Widerklage konnte aber nicht ausgesprochen werden, da auch das Berufungsgericht dazu nicht hätte gelangen können. Das Landgericht hat zur Widerklage auf einen von der Widerbeklagten zu 1 zu leistenden Eid erkannt. Bei dessen Nichtleistung soll die Widerklage an sich zugesprochen werden. Durch die unbedingte Abweisung der Widerklage würde also der Berufungsrichter die Lage des Widerklägers verschlechtert haben, der allein zur Widerklage Berufung eingelegt hatte. Zuungunsten des Rechtsmittelklägers darf aber regelmäßig nicht erkannt werden, und zwar auch dann nicht, wenn es sich, wie vorliegend, um die Beseitigung eines Eides handeln würde (vgl. RGZ. Bd. 29 S. 427, Bd. 49 S. 381 flg., Gruchot Bd. 39 S. 447). Ein gegenteiliger Rechtssatz ist auch aus der Entscheidung des erkennenden Senats Bd. 44 S. 366 nicht herzuleiten; sie beruht auf einem besonderen Sachverhalt." ... (Es folgen Ausführungen über den zweiten Eid, auf den das Landgericht erkannt hat.)