RG, 05.07.1920 - VI 66/20

Daten
Fall: 
Haftung der Gemeinden
Fundstellen: 
RGZ 100, 10
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.07.1920
Aktenzeichen: 
VI 66/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht I Berlin
  • Kammergericht Berlin

1. Findet eine Haftung der Gemeinden zum Ersatze des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens in Preußen auch dann statt,
a) wenn ein Auflauf nicht aus örtlichen Ursachen entstanden ist, sondern einen Teil einer über den Gemeindebezirk hinausgreifenden Bewegung politischer Natur bildet, der mit örtlichen Mitteln nicht begegnet werden kann ?
b) wenn die Teilnehmer an dem Auflaufe in gewisser Weise militärisch organisiert sind?
2. Kann "offene Gewalt" auch dann vorliegen, wenn kein unmittelbarer körperlicher Zwang ausgeübt ist?
3. Wann sind die getroffenen Gegenmaßregeln gesetzlich?

Tatbestand

Auf Grund des Preußischen Gesetzes betr. die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatze des bei öffentlichen Aufläufen verursachten

Schadens vom 11. März 1850 verlangt der Kläger von der Stadt Berlin die Zahlung von 67151.25 M nebst 4 % Zinsen. Von dem Landgerichte wurde der Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; Berufung und Revision der Beklagten hatten keinen Erfolg.

Gründe

In dem Hause Lindenstr. Nr. 3 in Berlin befinden sich die Geschäftsräume des "Vorwärts". Ebenda bewohnte der Kläger ein Stockwerk. Er behauptet, daß er seine Wohnung habe verlassen müssen, weil das Gebäude am 6. Januar 1919 durch Anhänger des Spartakusbundes und der Unabhängigen Sozialdemokratie besetzt worden sei. Während der Besetzung sei der Inhalt der Wohnräume teils gestohlen, teils zerstört wurden, er habe bis zur Beseitigung der Schäden mit seiner Familie und seinem Personal in einem Hotel wohnen müssen. Seinen Schaden hat er durch Schreiben vom 13. Januar 1919 bei der Beklagten angemeldet und durch ein weiteres Schreiben vom 10. Februar 1919 die Beklagte ersucht, binnen einer Woche die Ersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen.

Alsdann hat er die vorliegende Klage erhoben, ohne einen Bescheid des Gemeindevorstandes abzuwarten; es erging aber noch im Laufe der ersten Instanz ein ablehnender Bescheid. Hiernach sind die in § 5 des Pr. TG. vorgeschriebenen präklusivischen Fristen gewahrt; die Frage nach der rechtlichen Natur des Bescheides kann auf sich beruhen bleiben (vgl. RGZ. Bd. 57 S. 78).

Über die tatsächlichen Vorgänge ist aus dem Urteile erster Instanz noch zu entnehmen, daß das Gebäude in der Zeit vom 5. bis zum 11. Januar 1919 von einer bewaffneten Menge besetzt gehalten wurde, die aus Anhängern der vorgenannten Parteien bestand. Das Gebäude wurde in Verteidigungszustand versetzt, die Regierung der Volksbeauftragten aber ließ gegen das Haus Truppen vorgehen, die es am Vormittag des 11. Januar unter Überwindung des ihnen entgegengesetzten Widerstandes eroberten. Bei dem Kampfe wurde das Gebäude schwer beschädigt. Die Besetzung des Gebäudes bezweckte im Zusammenhange mit der Besetzung ähnlicher Betriebe, des Mossehauses, des Wolffschen Telegraphenbureaus u. a., den gewaltsamen Sturz der Regierung der Volksbeauftragten.

Die Revision knüpft an das Urteil des erkennenden Senats vom 22. Dezember 1919 RGZ. Bd. 98 S. 3 an und führt aus, daß sie zunächst die damals schon erörterten grundsätzlichen Fragen nochmals zur Entscheidung stelle. Sie bemerkt zutreffend, jenes Urteil lasse zwei andere Fragen unentschieden, ob nämlich das TG. auch dann Anwendung finde, wenn Beschädigungen unmittelbar bei dem Kampfe um die Macht vorgekommen sind, ferner auch dann, wenn mehr oder weniger militärisch organisierte Scharen nach selbstbestimmten Plänen in Gemäßheit der Weisungen einer oberen Leitung handeln, um die Machtmittel der Regierung zu brechen. Diese Fragen seien zu verneinen und daher müsse die Klage abgewiesen werden. Es habe sich bei den Januarkämpfen um eine Bewegung bürgerkriegähnlichen Charakters gehandelt, die in den verschiedensten Gemeinden Deutschlands ausgebrochen sei und mit den lokalen Verhältnissen Berlins nicht im Zusammenhang gestanden habe, ihre Bekämpfung aber gehe auf eine unmittelbare Entschließung der Regierung und nicht auf ortspolizeiliche Maßnahmen zurück. Die Bewegung sei ein hochverräterisches, auf den Besitz der Staatsgewalt abzielendes Unternehmen mit organisierten Teilnehmern gewesen. Endlich könnten die Handlungen, in deren Folge oder Abwehr der Schaden entstanden sei, nicht als rechtswidrig angesehen werden.

Der Senat hat in dem erwähnten Urteile die Ansicht abgelehnt, das Gesetz von 1850 greife, auch wenn alle im § 1 aufgestellten Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht in tatsächlicher Hinsicht gegeben seien, doch dann nicht Platz, wenn ein Auflauf mit der allgemeinen Staatsumwälzung in Verbindung stehe, und ausgesprochen, es werde seine Anwendung nicht dadurch ausgeschlossen, daß Aufläufe zu den regelmäßigen und wohl unvermeidlichen Begleiterscheinungen einer allgemeinen politischen Revolution gehören, auch nicht dadurch, daß in einer Gemeinde staatliche Polizeiverwaltung besteht. An dieser Auffassung ist festzuhalten. Der Revision ist aber zuzugeben, daß mit den damaligen Erwägungen noch keine Entscheidung des jetzt vorliegenden Falles gegeben ist, in dem es sich um eine Bewegung handelt, die einen politischen Zweck, die Erlangung der Regierungsgewalt verfolgte und mit einer weitgehenden Organisation der Beteiligten verbunden war. Die Beachtung dieser Umstände führt aber nicht zu einer der Beklagten günstigen Entscheidung.

Nach der Vorschrift des § 1 tritt die Haftung der Gemeinde ein, sobald die dort aufgestellten Voraussetzungen gegeben sind. Von dieser Regel wird nur die eine, in den §§ 2 und 3 behandelte Ausnahme gemacht, nach der die Gemeinde des Tatortes dann nicht haftet, wenn die Beschädigungen durch eine von außen her in den Gemeindebezirk eingedrungene Menschenmenge verursacht sind und die Einwohner desselben zur Abwehr außerstande waren. Daß auch dann keine Haftung der Gemeinde stattfinde, wenn die Urheber oder Teilnehmer eines Auflaufs einen politischen Zweck verfolgen, ist dem Wortlaute des Gesetzes nicht zu entnehmen. Auch die von dem Senat in dem Urteile vom 22. Dezember 1919 bereits berührte Entstehungsgeschichte des Gesetzes spricht nicht für die gegenteilige Ansicht. Wie die Verhandlungen der Ersten Preußischen Kammer erkennen lassen - vgl. die Reden der Abgeordneten Lautz (Stenogr. Berichte Bd. 5 S. 2426), Wachler (a. a. O. S. 2428). Möwes (S. 2429) und des Ministers von Manteuffel (S. 2429) - war das Gesetz eine Folge der Unruhen des Jahres 1848. Es sollte der Gefährdung von Leben und Eigentum bei öffentlichen Aufläufen dadurch entgegengewirkt werden, daß man die Gemeinden für die Folgen haftbar machte in der Annahme, hierdurch die "wohlgesinnten" Einwohner zu veranlassen, "behufs Unterdrückung eines jeden Aufstandes" kräftig zusammenzuwirken (Kommissionsbericht, a, a. O. S. 2426). Verletzungen von Personen und Beschädigungen des Eigentums aber sind in gleicher Weise zu befürchten, wenn ein Auflauf einen politischen Zweck hat, wie wenn dieser fehlt. Wie bereits in dem Urteile vom 22. Dezember bemerkt ist, hat auch die französische Rechtsprechung zu dem Gesetze vom 10. Bendémiaire IV, das den deutschen Tumultgesetzen als Vorbild gedient hat, in der späteren Zeit dieses Gesetz auf Schäden für anwendbar erklärt, die durch politische Unruhen verursacht sind (vgl. noch Sirey, Recueil général 1881 Bd. 1 S. 361).

Nach § 1 des preußischen Gesetzes ist nun die Ersatzpflicht der Gemeinde davon abhängig, daß bei einem öffentlichen Auflaufe durch offene Gewalt oder die gesetzlichen Gegenmaßregeln Schaden verursacht worden ist. Unter einem öffentlichen Auflaufe begreift das Gesetz sowohl den Fall einer Zusammenrottung wie den eines Zusammenlaufs. Über diese Begriffe hat man sich in der Ersten Kammer ausgelassen. Der Bericht der Kommission führte aus, das dem Gesetzentwurfe zugrunde liegende Prinzip sei im § 1 desselben ausgesprochen; danach solle jede Beschädigung, die durch einen Zusammenlauf von Menschen oder durch Maßregeln behufs Zerstreuung der Menge veranlaßt sei, von der Gemeinde ersetzt werden, in deren Bezirk die Handlungen geschehen seien. Nach dieser Fassung könne aber angenommen werden, die Gemeinden hätten für Beschädigungen keinen Ersatz zu leisten, die nicht bei einem Zusammenlaufe, worunter man ein zufälliges Zusammentreffen verstehe, sondern bei einer verabredeten Zusammenrottung vorgekommen seien, was nicht dem Zwecke entspreche. Die Kommission schlug daher eine andere Fassung des § 1 vor, die mit der Gesetz gewordenen übereinstimmt. Von dem Abgeordneten Möwes wurde ein Verbesserungsantrag gestellt, der die Worte "oder einem Zusammenlaufe" streichen wollte, weil der Ausdruck "Zusammenlauf" sehr unbestimmt sei, was näher ausgeführt wurde. Der Streichung widersprach der Berichterstatter Wallach mit der Begründung, daß nach dem Wegfall der beanstandeten Worte die Entschädigungsberechtigung auf die Fälle beschränkt wäre, in denen eine Beschädigung infolge einer absichtlichen Zusammenrottung stattgefunden habe, womit der Zweck des Gesetzes vereitelt werden würde. Der Antrag wurde darauf abgelehnt und der § 1 in der vorliegenden Fassung angenommen (Stenogr. Berichte S. 2431- 2432). Aus diesem Hergange ergibt sich, daß es im Sinne des § 1 nicht darauf ankommt, ob sich die an einem Auflaufe beteiligten Menschen zufällig oder gemäß einer Verabredung zusammengefunden haben; im letzteren Falle liegt eine Zusammenrottung, im ersteren ein Zusammenlauf vor. Wie diese Tatbestände sonst abzugrenzen sind, ist aus der Entstehungsgeschichte nicht zu entnehmen. Es darf aber zur näheren Bestimmung, insbesondere des Begriffs der Zusammenrottung, die strafrechtliche Rechtsprechung des Reichsgerichts herangezogen werden, nach der "jede räumliche Vereinigung Mehrerer in der erkennbaren Absicht, gemeinschaftlich ungesetzliche Handlungen zu begehen", als Zusammenrottung im Sinne des § 115 StGB, anzusehen ist, RGSt. Bd. 53 S. 305. Der erkennende Senat hat sich in dem in RGZ. Bd. 99 S. 3 abgedruckten Urteile vom 31. März 1920 hierzu zustimmend geäußert und noch ausgesprochen, daß das TG. an Zusammenrottungen und Zusammenläuft gedacht habe, die mit einer Bedrohung oder Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung verbunden sind.

Aus dieser Rechtslage ergibt sich zunächst, daß es für die Anwendung des TG. nicht darauf ankommt, ob die Berliner Januarunruhen lokaler Natur oder ein Teil einer über Berlin hinausgreifenden allgemeinen politischen Bewegung waren, die, wie die Revision sich ausdrückt, bürgerkriegähnlichen Charakter hatte. Ist ein bestimmter Auflauf als Zusammenrottung oder Zusammenlauf im Sinne des § 1 TG. anzusprechen, so verliert er diese Eigenschaft nicht dadurch, daß an anderen Orten ähnliche Vorgänge stattfinden. Es macht auch keinen Unterschied, ob der einzelne Aufkauf selbständig aus örtlichen Ursachen entstanden ist und mit örtlichen Mitteln bekämpft werden kann, oder ob eine zentrale Leitung an verschiedenen Orten absichtlich Ruhestörungen hervorruft, um damit weitergehende, insbesondere politische Zwecke zu erreichen. Im letzteren Falle wird sogar das Bedürfnis, Leben und Eigentum der Bürger zu schützen, besonders groß sein und diesem Bedürfnis sollte das Gesetz Rechnung tragen. Auf Vorgänge, die sich außerhalb des Gemeindebezirks abspielen, nimmt es nur in den §§ 2 und 3 Rücksicht. Liegen aber die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht vor, so haftet die Gemeinde des Tatortes, auch wenn sie zur Verhinderung des Schadens außerstande war, wie der Senat schon in dem Urteile vom 22. Dezember 1919 angenommen hat.

Daß das TG. regelmäßig keine Anwendung auf Schäden findet, die in einem Kriege von den eigenen oder den feindlichen Truppen verursacht werden, ergibt sich schon daraus, daß die miteinander kämpfenden Heere nicht als zusammengerottete oder zusammengelaufene Massen angesehen werden können. Meist würde den Gemeinden auch der § 2 des Gesetzes zur Seite stehen, da sie nur selten imstande sein werden, die eindringenden Massen an der Verursachung von Schaden zu hindern. Daß auch bei inneren Kämpfen ähnliche Verhältnisse eintreten können, ist nicht grundsätzlich in Abrede zu stellen. Für die Darstellung der allgemeinen Lage im Januar 1919 beruft sich die Revision auf die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung vom 15. Oktober 1919, deren Nichtberücksichtigung sie rügt. Dort wird der Nachweis versucht, daß es nach dem Sturze der Monarchie und auch noch zur Zeit der hier in Betracht kommenden Kämpfe in Deutschland eine allgemein anerkannte Regierung nicht gegeben habe, sondern einen nur von kurzen Pausen unterbrochenen Kampf der Parteien um die Herrschaft, an dem sich auf beiden Seiten auch Teile des Heeres beteiligt hätten. Diese Sachlage entziehe dem TG. seine notwendige Grundlage, die im Dasein eines verfassungsmäßigen Rechtszustandes bestehe. Im Sinne des TG. seien die Maßnahmen der Regierung der Volksbeauftragten ebenso gesetzwidrig wie die der Gegner. Demgegenüber hat das Kammergericht aus zureichenden Gründen festgestellt, daß der Rat der Volksbeauftragten als die damalige, mindestens von der überwiegenden Mehrheit des Volks anerkannte Regierung anzusehen sei, deren Beseitigung von den gegnerischen Parteien vergeblich versucht wurde. Selbst wenn es zutreffen sollte, daß die Vorarbeiten für die Bildung einer neuen Regierung soweit vorgeschritten gewesen seien; wie dies Caro, Haftung der Gemeinden für Revolutionsschäden S. 31, behaupte, habe es sich nur um vorbereitende Maßnahmen für den Fall des Gelingens des Unternehmens gehandelt. Zur wirklichen Errichtung einer Regierung ist es nach der Meinung des Kammergerichts nicht gekommen, dem revolutionären Ausschuß habe die Anerkennung als Regierung durch einen irgend erheblichen Teil der Bevölkerung gefehlt. Ein Rechtsirrtum ist in diesen Ausführungen des Berufungsgerichtes nicht ersichtlich, die Erhebung der von der Beklagten angetretenen Beweise konnte unterbleiben. Es bedarf daher auch keiner Prüfung der Frage, ob die tatsächliche Bildung einer in einem örtlich abgegrenzten Bezirke anerkannten Gegenregierung die Anwendung des Gesetzes ausschließen würde, ein Punkt, der in der französischen Rechtsprechung zu dem Gesetze vom Jahre IV aus Anlaß des Kommuneaufstandes von 1871 erörtert worden ist (Sirey, Recueil général, 1881, S. 361), Das Bestehen einer allgemein anerkannten Verfassung setzt das TG. nicht voraus. Es gewährt Schadensersatz für Verletzungen von Personen und Eigentum, sonach für Verstöße, deren Rechtswidrigkeit an sich durch eine politische Umwälzung nicht berührt wird. Es ist aber auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht eine gewaltsam auftretende politische Bewegung jedenfalls dann für rechtswidrig erklärt, wenn sie sich gegen den Bestand einer tatsächlich von dem weitaus größten Teile der Volksgenossen anerkannten Regierung richtet und diese Voraussetzung bei den Januarunruhen als gegeben ansieht.

Von der Beklagten wird ferner geltend gemacht, daß die Teilnehmer an den Januarunruhen organisiert gewesen seien, damit aber eine Zusammenrottung begrifflich ausgeschlossen werde. In dieser Allgemeinheit kann der Schluß nicht als richtig zugegeben werden. Eine reguläre Truppenabteilung, die unter dem Befehle ihrer Offiziere handelt, kann freilich nicht als Zusammenrottung bezeichnet werden; wieweit aber die Organisation gehen muß, um eine Zusammenrottung auszuschließen, muß nach der Sachlage des einzelnen Falles ermittelt werden. Bei den Verhandlungen in der Ersten Kammer dachte man vor allem wohl an Ausschreitungen aufgeregter Volksmassen. So sprach der Abgeordnete Kister von den "Gewalttätigkeiten eines zusammengerotteten Volkshaufens" (Stenogr. Berichte S. 2427). Möwes von der "Zügellosigkeit und Leidenschaftlichkeit der Massen" (a. a. O. S. 2429), Milde von einer "aufgereizten Masse", der gegenüber man den Einzelnen nicht schutzlos hinstellen dürfe, und von den die Massen demoralisierenden Straßenkrawallen (das. S. 2431). Daß man aber nicht bloß spontane Ausschreitungen ungeordneter Volksmassen treffen wollte, ergibt sich daraus, daß man unter der Zusammenrottung, wie oben schon bemerkt, ein verabredetes oder beabsichtigtes Zusammentreffen verstand, bei dem, wie der Abgeordnete Möwes sich ausdrückte, nicht alles von Zufälligkeiten abhängig gemacht worden war (a. a. O. S. 2432). Prüft man nun den von den Vorinstanzen zugrunde gelegten Sachverhalt, so ist er mit der Annahme einer Zusammenrottung durchaus vereinbar. Eine bewaffnete Menge hat das Gebäude des Vorwärts und die Gebäude ähnlicher Betriebe besetzt und verteidigt, sie hat während der Nacht Zuzug durch Gesinnungsgenossen erhalten, die Teilnehmer wechselten. Alle diese Umstände sind mit einer Zusammenrottung verträglich. An diesem Bilde ändert sich auch nichts wesentliches, wenn die von Caro S. 31 ff. gegebene Darstellung beachtet wird. Danach sollen die in das Vorwärtsgebäude eingedrungenen Mannschaften dort in besondere Kompagnien eingeteilt und alle später Kommenden diesen Kompagnien angegliedert worden sein, man habe Stoßtruppen formiert und die besetzten Gebäude sachgemäß in militärischen Verteidigungszustand versetzt. Diese Umstände und ebenso die der Bewegung vorausgehenden allgemeinen Vorbereitungen sprechen zwar dafür, daß auf der Seite der eindringenden Masse eine weitgehende Organisation vorhanden war, aber diese reichte doch nicht so weit, der Menge den Charakter einer Zusammenrottung zu nehmen. Mit diesem Ergebnis stimmt die Rechtsprechung des zweiten Strafsenats überein, der in zwei Urteilen vom 4. April 1919, RGSt. Bd. 53 S. 64 und 65, die im Berliner Zeitungsviertel gegen die Truppen der Regierung kämpfenden Mengen als Zusammenrottungen betrachtet und in einem Urteile vom 6. Mai 1919, RGSt. Bd. 53 S. 46, die "aufrührerischen, bewaffneten Banden", die vom 5. bis 11. Januar 1919 den Schlesischen Bahnhof in Berlin besetzt hielten, als eine "öffentlich zusammengerottete Menschenmenge" ansieht. Bei dieser Sachlage hätte es der Beklagten obgelegen, weitere Umstände darzulegen und zu beweisen, die geeignet sind, die in das Vorwärtsgebäude eingedrungene Menge nicht als Zusammenrottung, sondern als eine einer regulären Truppe gleichartige Truppenabteilung erscheinen zu lassen. Der Kläger hat zu diesem Punkte seiner Beweispflicht genügt.

Daß das Eigentum des Klägers bei den Unruhen beschädigt wurde, ist nach der Feststellung des Berufungsgerichts unstreitig. Es ist ihm aber auch darin zuzustimmen, daß die Beschädigung bei einer Zusammenrottung durch offene Gewalt oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maßregeln geschehen ist. Ob die Menschenmenge in das Gebäude eingedrungen ist, ohne tätlichen Widerstand zu finden, läßt das Berufungsgericht dahingestellt; die Revision aber macht geltend, zur Anwendung von Gewalt sei es nicht gekommen, der Kläger habe sich gegenüber einer erdrückenden Macht freiwillig gefügt. Die Anwendung unmittelbarer körperlicher Gewalt gegen den Kläger ist aber zur Begründung des Schadensersatzanspruchs nicht erforderlich. Daß der Kläger die Besetzung und Verteidigung des Gebäudes nicht verhindern konnte, ergibt die Sachlage; während der Kämpfe aber in der Wohnung zu bleiben, kann ihm, selbst wenn es möglich gewesen sein sollte, keinesfalls zugemutet werden, es würde auch die entstandenen Schäden kaum haben hindern können. Der Kläger fügte sich, wie auch das Berufungsgericht annimmt, einem die Freiheit seiner Willensbetätigung aufhebenden Zwange, der der unmittelbaren Gewalt gleichzustellen ist. In ähnlicher Weise hat das Badische Oberhofgericht, Jahrb. Bd. 18 S. 261, in einem zu § 1 des badischen Gesetzes, die Entschädigungspflicht der Gemeindeangehörigen wegen der in den Gemeinden bei Zusammenrottungen verübten Verbrechen betreffend, vom 1. April 1848 (RegBl. 1848 S. 90) ergangenen Urteile die von einer zusammengerotteten Menge ausgestoßenen Drohungen der physischen Gewalt gleichgeachtet. Die Gewalt war auch eine offene, denn die Besetzung des Gebäudes erfolgte, wie das Berufungsgericht sagt, von der Straße aus und war dem Publikum klar erkennbar. Irgendwelche Verheimlichung der Vorgänge kommt nicht in Frage, alles aber, was auf die Besetzung folgte, die Vorkommnisse im Hause und dessen Verteidigung gegen die Truppen, bildet mit der Besetzung eine Einheit, wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt, es ist unerheblich, ob die Vorgänge im Inneren von außen her erkennbar waren.

Mit Recht nimmt das Berufungsgericht ferner an, daß auch die durch die Gegenmaßregeln verursachten Schäden zu ersetzen sind. Es sagt, daß die Truppen auf Befehl der Regierung vorgegangen sind, also auf Veranlassung der damals tatsächlich bestehenden und nach der weiteren Feststellung der Vorinstanz von dem weitaus größten Teile der Volksgenossen anerkannten Regierungsgewalt. Eine solche Anordnung der obersten Zentralgewalt des Reichs muß aber unter Berücksichtigung der damaligen besonderen Verhältnisse für ausreichend angesehen werden, um das Einschreiten der Truppen als eine gesetzliche Gegenmaßregel erscheinen zu lassen. Dieser Auffassung entspricht es auch, daß der zweite Strafsenat des Reichsgerichts die Truppenabteilungen, die der mit der Unterdrückung der Berliner Unruhen von der Regierung beauftragte Volksbeauftragte Noske zum Entsatz des Zeitungsviertels anrücken ließ, als in rechtmäßiger Ausübung des Dienstes befindlich betrachtet hat (RGSt. Bd. 53 S. 66). Daß sich die Kämpfe unter Anwendung der modernen Kriegsmittel abspielten, ist unerheblich. ...