RG, 02.07.1918 - II 03/18
Inwiefern wird für Geschäftsschulden eines geschäftsunfähigen Einzelkaufmanns durch die Anmeldung zum Handelsregister, daß der Anmeldende als persönlich haftender Gesellschafter in das Geschäft eingetreten sei, oder durch eine ähnliche der Öffentlichkeit gegenüber abgegebene Erklärung eine Haftung begründet?
Gründe
... "Nach dem feststehenden Sachverhalt hat Nathan Woy. das ihm vom Kläger durch Vertrag vom 4. Juni 1907 mit allen Aktiven und mit der Firma Paul R. Wa. verkaufte und übertragene (Möbel-) Abzahlungsgeschäft einige Wochen lang allein fortgeführt und es sodann durch Vertrag vom 9. Juli 1907 mit der Firma und mit allen Aktiven und Passiven in die von ihm und M. gegründete offene Handelsgesellschaft eingebracht, als deren geschäftsführender Gesellschafter M. es in der bisherigen Weise weitergeführt hat. Nachdem darauf Nathan Woy. am 2. April 1908 gestorben und von der noch nicht 7 Jahre alten Beklagten allein beerbt worden war, hat diese, vertreten durch ihre Mutter, durch den vormundschaftsgerichtlich genehmigten Vertrag vom 27. Mai 1908 mit M. vereinbart, daß die durch Nathan Woy.s Tod aufgelöste offene Handelsgesellschaft unter den bisherigen Bedingungen von ihr und M. so fortgesetzt werden solle, wie wenn eine Auflösung der Gesellschaft nicht eingetreten wäre, und die Vertragsschließenden haben zum Handelsregister angemeldet, daß Nathan Woy. gestorben sei, daß die Gesellschaft zwischen M. und der Beklagten als der alleinigen Erbin Nathan Woy.s unter den alten Bedingungen fortgesetzt werde, und daß M. allein zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sei. Dementsprechend ist die Eintragung in das Handelsregister erfolgt und das Geschäft bis zum 7. September 1908, dem Tage der Veräußerung an L., von der Gesellschaft weiterbetrieben worden.
Wäre Nathan Woy. geschäftsfähig gewesen, so würde hiernach seine Restkaufpreisschuld an den Kläger als im Betriebe des von ihm fortgeführten Geschäfts entstanden zu gelten haben (§§ 343, 344 Abs. 1 HGB., Jur. Wochenschr. 1908 S. 206 Nr. 27) und demgemäß auch zu einer Schuld zunächst der von ihm und M. (§ 28 HGB.) und später der von der Beklagten und M. gebildeten offenen Handelsgesellschaft (§ 25 HGB., vgl. §§ 139, 15 das.) geworden sein. Die Beklagte würde also für den eingeklagten Betrag nicht nur als Erbin, sondern auch als Gesellschafterin haften. Allein Nathan Woy. befand sich, wie das Berufungsgericht einwandfrei festgestellt hat, schon bei Abschluß des Kaufvertrags vom 4. Juni 1907 und seitdem ununterbrochen bis zu seinem Tode in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit. Infolgedessen waren alle in diesem Zustande von ihm abgegebenen Willenserklärungen und damit in erster Linie der Vertrag vom 4. Juni 1907 unheilbar nichtig (§§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB.). Von einer Bestätigung des Vertrags im Sinne des § 141 BGB. kann nicht die Rede sein. Eine solche Bestätigung würde voraussetzen, daß die Beteiligten (hier der Kläger und die Mutter der Beklagten) in Kenntnis der Nichtigkeit des Vertrags den Kauf erneut abgeschlossen hätten (vgl. Warneyer 1908 Nr. 121, 1913 Nr. 43, Jur. Wochenschr. 1912 S. 681 Nr. 2). Es würde also keineswegs genügen, wenn die Mutter der Beklagten bei Abschluß des Gesellschaftsvertrags mit M. vom 27. Mai 1908 gewußt haben sollte, daß Nathan Woy. schon am 4. Juni 1907 geschäftsunfähig war. Denn der Kläger hat dies nicht gewußt, und irgendeine Vereinbarung hat zwischen ihm und der Mutter der Beklagten nicht stattgefunden Auch ist die nichtige Kaufpreisschuld Nathan Woy.s nicht etwa durch das Auftreten des M. und der Beklagten im Handelsverkehr, d. h. durch die den Gesellschaftsverträgen vom 9. Juli 1907 und vom 27. Mai 1908 entsprechenden Eintragungen in das Handelsregister und durch die Fortführung des Geschäfts unter der Firma Paul R. Wa. für die Beklagte verbindlich geworden. In einem derartigen Auftreten liegt zwar eine der Öffentlichkeit gegenüber abgegebene Erklärung, kraft deren der Erklärende für alle im Betriebe des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers haftet (vgl. §§ 25, 28, 130 HGB., RGZ. Bd. 89 S. 97); die Haftung erstreckt sich jedoch nicht auf nichtige Verbindlichkeiten, einerlei ob der Erklärende die Nichtigkeit kannte oder nicht und ob der Gläubiger von der Gültigkeit seiner Forderung überzeugt sein durfte. In der Verneinung des Bestehens der erhobenen Restkaufpreisforderung ist daher eine Gesetzesverletzung nicht zu finden.
Dagegen ist die Abweisung der Bereicherungsklage rechtlich zu beanstanden. Da der Kaufvertrag vom 4. Juni 1907 wegen der Geschäftsunfähigkeit Nathan Woy.s nichtig war, so hatte Nathan Woy. das ihm behufs Erfüllung des Vertrags vom Kläger übertragene Abzahlungsgeschäft ohne rechtlichen Grund erlangt, und er war deshalb nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. dem Kläger zur Herausgabe verpflichtet. Diese seine Herausgabepflicht war eine im Betriebe des Geschäfts entstandene Verbindlichkeit. Denn er hatte das Geschäft tatsächlich fortgeführt, und die Fortführung hatte mit der ohne rechtlichen Grund erfolgten Erlangung des Geschäfts begonnen. Um die Verbindung der Herausgabepflicht mit dem Geschäftsbetriebe herbeizuführen, bedurfte es einer Willenserklärung Nathan Woy.s ebensowenig wie zur Herbeiführung ihrer Entstehung (vgl. RGZ. Bd. 15 S. 54, Bd. 38 S. 23, Bd. 76 S. 10). Daraus ergibt sich aber, daß zunächst M., obgleich auch der am 9. Juli 1907 zwischen ihm und Nathan Woy. geschlossene Gesellschaftsvertrag nichtig war, dem Kläger für die Bereicherungsschuld Nathan Woy.s mit haftbar wurde, und zwar lediglich infolge der mit seinem Willen erfolgten Eintragung des Gesellschaftsverhältnisses in das Handelsregister und der dadurch der Öffentlichkeit gegenüber abgegebenen Haftungserklärung (vgl. §§ 28, 128 HGB., RGZ. Bd. 89 S. 97). Seine Haftung beruhte nicht auf eigener Bereicherung (vgl. § 822 BGB), sondern auf der Bereicherung Nathan Woy.Z. Er haftete, wenn er zur Herausgabe außerstande war, nach § 818 Abs. 2 BGB. auf Wertersatz, und seine Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatze des Wertes erlosch, wenn und soweit Nathan Woy. nicht mehr bereichert war (Abs. 3 das.). Mit dem Tode des letzteren ging sodann dessen Bereicherung und dessen Bereicherungsschuld auf die Beklagte kraft Erbrechts über; zu dieser Erbenhaftung trat aber demnächst eine der Haftung M.s. gleiche Gesellschafterhaftung hinzu, als sich die Beklagte, durch den von ihrer Mutter und gesetzlichen Vertreterin für sie abgeschlossenen und vom Vormundschaftsgerichte genehmigten Vertrag vom 27. Mai 1908 behufs Fortführung des Geschäfts mit M. zu einer offenen Handelsgesellschaft verband und als die Vertragschließenden der Öffentlichkeit gegenüber Erklärungen abgaben, die eine handelsrechtliche Haftung sowohl der Gesellschaft wie der Gesellschafter persönlich für alle bisherigen Geschäftsschulden begründeten. Solche Erklärungen sind einmal darin zu finden, daß die neue Gesellschaft mit dem Willen der Vertragschließenden so in das Handelsregister eingetragen wurde, wie wenn die Beklagte an Stelle ihres Erblassers in die durch dessen Tod nicht aufgelöste bisherige offene Handelsgesellschaft eingetreten (§§ 139, 15, 130 HGB.), die neue Gesellschaft also mit der bisherigen von Nathan Woy. und M. gebildeten identisch wäre, und sodann auch darin, daß die neue Gesellschaft das Geschäft von M. und der Beklagten als der Erbin Nathan Woy.s unter Lebenden erwarb und es unter der bisherigen Firma fortführte (§§ 25, 128 HGB.). Hiernach kann der Kläger die Beklagte, da sie zur Herausgabe des Abzahlungsgeschäfts außerstande ist, gemäß § 818 Abs. 2 BGB. auf Wertersatz in Anspruch nehmen. Ob und wann er das "Eigentum" an dem Geschäfte verloren hat, ist unerheblich. Gegenüber dem Hinweise des Berufungsgerichts und der Revision auf § 932 BGB. ist übrigens hervorzuheben, daß diese Gesetzesvorschrift für bewegliche Sachen gegeben und auf die Übertragung eines ganzen Geschäfts, als eines Inbegriffs von Sachen und Rechten, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar ist. Die Verpflichtung der Beklagten zum Wertersatz ist allerdings ausgeschlossen, soweit die Bereicherung fortgefallen ist (§818 Abs. 3, 4 BGB.). Den Fortfall hat aber die Beklagte zu beweisen. Auch würde sie sich, wenn der Kläger darzutun vermöchte, daß, wie er behauptet, ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin schon bei Abschluß des Gesellschaftsvertrags vom 27. Mai 1908 die Geisteskrankheit Nathan Woy.s und deren rechtliche Folgen gekannt habe (§ 819 BGB., vgl. RG. vom 1. Februar 1917 IV. 401/16 bei Gruchot Bd. 61 S. 644), auf einen nach dieser Kenntnis eingetretenen Wegfall der Bereicherung nicht berufen können." ...