RG, 02.07.1920 - III 141/20

Daten
Fall: 
Rügepflicht beim Handelskauf
Fundstellen: 
RGZ 99, 247
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.07.1920
Aktenzeichen: 
III 141/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Chemnitz, Kammer für Handelssachen
  • OLG Dresden

Ist der Käufer nach § 37 HGB. zur unverzüglichen Untersuchung der Ware nach verborgenen Mängeln verpflichtet, wenn Anhaltspunkte für das Vorhandensein solcher gegeben sind?

Tatbestand

Ende August 1917 kaufte der Kläger von der Beklagten nach Muster 200 Kartons Schalottensuppenpulver mit Kümmel, hergestellt von der Firma G. in H. Er erhielt diese alsbald geliefert und bezahlte am 8. September 1917 den Kaufpreis. Am 1. November 1917 wurde eine Bekanntmachung des Sächs. Ministeriums des Inneren veröffentlicht, durch die das von jener Firma hergestellte Ersatzmittel "G.s Suppen" vom Handel in Sachsen ausgeschlossen wurde. Am 2. dess. Mts. benachrichtigte der Kläger die Beklagte von diesem Verbot. Auf eine Anfrage vom 11. nach dem Grunde des Verbots antwortete das Ministerium dem Kläger unter dem 14., dieses sei erfolgt, weil die von dem Hersteller über die Zusammensetzung des Mittels gemachten Angaben von dem Untersuchungsbefund erheblich abwichen und weil der eingestellte Kleinverkaufspreis zu hoch sei. Auf weitere Anfragen vom 6. und 15. Dezember 1917, worin die Abweichung bestehe, wurde dem Kläger unter dem 10. und 18. dess. Mts. unter Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht die Auskunft verweigert. Der Kläger beauftragte nun am 22. Dezember ein öffentliches chemisches Laboratorium mit der Untersuchung der Ware. Nach Eingang des Gutachtens des Dr. St. vom 5. Januar 1918 teilte der Kläger am 9. der Beklagten, die er schon am 3. um Rücknahme der noch auf seinem Lager befindlichen, etwa 180 Kartons Schalottensuppe und um Rückzahlung des Kaufpreises ersucht halte, das Ergebnis der Untersuchung mit und wiederholte die Aufforderung zur Rücknahme der Ware.

Mit seiner noch im Januar 1918 erhobenen Klage beansprucht er die Rückzahlung des Kaufpreises für 188 Kartons wegen heimlicher Mängel. Das Landgericht hat der Klage entsprochen, das Berufungsgericht den Kläger abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos.

Gründe

"Das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung in erster Linie darauf, daß die erst mit dem Briefe vom 9. Januar 1918 erfolgte Mängelrüge verspätet gewesen sei. Er stellt fest, daß die nach dem Gutachten des Dr. St. der Ware anhaftenden Mängel sämtlich in der Probe und bei der Prüfung der Ware gemäß § 377 Abs. 1 HGB. mit den gewöhnlichen Hilfsmitteln der Untersuchung nicht erkennbar waren, und folgert daraus zutreffend, daß die Probemäßigkeit der Ware die Beklagte von der Haftung für diese Mängel nicht befreie (vgl. RGZ. Bd. 95 S. 45; Warneyer Bd. 13 S. 50 Nr. 37). Es nimmt aber an. daß der Kläger die ihm nach § 377 Abs. 3 HGB. obliegende Pflicht, die sogenannten heimlichen oder verborgenen Mängel unverzüglich nach ihrer Entdeckung zu rügen, nicht erfüllt habe. Denn er habe auf Grund des Handelsverbots vom 1. November 1917 und der Auskunft des Ministeriums vom 14. dess. Mts. über den Grund dieses Verbots mit dem Vorhandensein von Mängeln rechnen müssen und deshalb Anlaß gehabt, sich die genaue Kenntnis von ihnen unverzüglich durch Vornahme einer weiteren Untersuchung, die nach der Sachlage nur eine chemische sein konnte, zu verschaffen, zu dieser aber erst am 22. Dezember 1917, also verspätet, Auftrag gegeben. Er habe auch die weitere Anfrage an das Ministerium vom 6. dess. Mts. schon verzögert und aus dessen Antwort vom 10. die Überflüssigkeit der dritten Anfrage vom 15. erkennen können, so daß er sich auch nicht auf diese Anfragen berufen könne; seine am 2. November erfolgte Mitteilung von dem Erlasse des Handelsverbots enthalte keine Mängelrüge, weil sie nicht zu erkennen gebe, welche Mängel der Ware er rügen wolle.

Der Berufungsrichter legt also den § 377 Abs. 3 dahin aus, daß der Käufer zur unverzüglichen Untersuchung der Ware nach verborgenen Mängeln verpflichtet sei, wenn er die Überzeugung von dem Vorhandensein solcher Mängel habe oder haben müsse, und bei einer Verzögerung dieser Untersuchung die bei einer solchen erkennbaren Mängel nicht mehr geltend machen könne. Diese Ansicht hat auch bereits in der Rechtsprechung und der Rechtslehre Vertretung gefunden; vgl. insbesondere das Urt. RG. II 168 / 09 vom 22. Juni 1909 (im Auszug abgedruckt LZ. 1909 Sp. 774), wo gesagt ist: "Haben sich bei einer ordnungsmäßigen Untersuchung nach der Ablieferung keine Mängel gezeigt, so braucht der Käufer ohne besondere Veranlassung nicht eine nochmalige Untersuchung der Ware vorzunehmen. Eine Verpflichtung hierzu entsteht jedoch, sobald Zweifel an dem Vorhandensein von Mängeln bei ihm auftauchen"; s. auch Bolze, Pr. Bd. 19 S. 293 Nr. 514; anderseits RGZ. Bd. 73 S. 169 und das Urt. RG. I 109 / 17 vom 22. Dezember 1917. das die Frage einer nochmaligen Untersuchungspflicht dahingestellt läßt; ferner Staub. HGB. 9. Aufl. Bd. 2 S. 812 § 377 Anm. 18; Düringer-Hachenburg, HGB. 2. Aufl. Bd. 3 S. 308 §377 Anm. 62; Makower HGB. 13. Aufl. Bd. 2 S.1266 Erl. VI etc. usw.

Sie läßt sich allerdings auf den Wortlaut des § 377 Abs. 3 nicht stützen. Dieser schreibt die Verpflichtung zur Anzeige sogenannter verborgener Mängel, d.h. solcher, die bei der der Vorschrift des § 377 Abs. 1 entsprechenden, ordnungsmäßigen Untersuchung nach der Ablieferung nicht erkennbar waren, ausdrücklich nur "unverzüglich nach der Entdeckung" vor, also erst dann, wenn sie wirklich entdeckt sind, sich gezeigt haben, und sagt, anders als der Abs. 1, nichts davon, daß der Käufer die Ware auf verborgene Mängel zu untersuchen habe. Aber auch der Abs. 1 legt dem Käufer dem Verkäufer gegenüber nicht eine Verpflichtung zur Untersuchung der Ware, sondern nur zur rechtzeitigen Mängelanzeige auf. Nur die Unterlassung der letzteren, nicht die der Untersuchung hat die Rechtsfolge, daß die Ware als genehmigt gilt. Die Untersuchung oder die für eine ordnungsmäßige Untersuchung erforderliche Frist ist nur für die Frage der Rechtzeitigkeit der Mängelanzeige bedeutsam (vgl. darüber RGZ. Bd. 96 S.175 und die daselbst angeführten Entscheidungen). Denn die Vorschriften des § 377 bezwecken, den Verkäufer über den Verlauf des Geschäfts nicht länger als nötig in Ungewißheit zu lassen, ihn vielmehr möglichst bald in den Stand zu setzen, die durch die Beanstandung der gelieferten Ware wegen Mangelhaftigkeit gebotenen Maßnahmen zu treffen; deshalb ist dem Käufer die Pflicht zur unverzüglichen Mangelrüge auferlegt. Mit diesem Zwecke der Vorschriften und auch mit dem das Vertragsrecht beherrschenden Grundsätze von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB.) ist es unvereinbar, wenn man, sich an den Wortlaut des Abs. 3 klammernd, den Käufer für berechtigt erachtet, trotz des Vorliegens genügender tatsächlicher Anhaltspunkt für das Vorhandensein verborgener Mängel mit der Mängelrüge zu warten, bis diese erkennbar geworden, entdeckt sind. Ihnen wird vielmehr nur die Ansicht gerecht, die den Abs. 3 im Anschluß an die Bestimmungen der beiden vorhergehenden Absätze dahin auslegt, daß die Ware hinsichtlich derjenigen verborgenen Mängel als genehmigt gilt, die der Käufer dem Verkäufer nicht unverzüglich angezeigt hat, sobald er sie nach dem Hervortreten solcher Anhaltspunkte durch eine ordnungsmäßige Untersuchung feststellen konnte. Der Angriff der Revision gegen die obige Ansicht des Berufungsrichters ist daher unbegründet.

Das gleiche gilt von ihrer Rüge, eine Verpflichtung zu einer chemischen Untersuchung bestehe nur dann, wenn eine solche in dem betreffenden Handelszweig üblich sei, worüber das Berufungsgericht nichts festgestellt habe. Die Art der im § 377 geforderten Untersuchung richtet sich nach der Sachlage. Die Feststellung, daß nur durch eine chemische Untersuchung die Zusammensetzung der Ware sich habe ermitteln lassen, trägt für den gegebenen Fall die Entscheidung, daß der Kläger eine solche habe vornehmen lassen müssen. Der Kläger hat ja auch, wenn auch verspätet, eine chemische Untersuchung bewirkt.

Daß der Kläger die Wandelung auf das der Beklagten unverzüglich angezeigte Verbot des Handels mit G.s Suppen nicht stützen könne, hat der Vorderrichter mit zutreffender Begründung dargelegt. Dieses Verbot bestand noch nicht zur Zeit der Lieferung der Ware und stellt keinen Mangel der Ware dar; auch die Möglichkeit des Verbots wegen der Nichtübereinstimmung der Zusammensetzung der Suppenpulver mit deren Beschreibung bildet keinen Sachmangel." ...