RG, 19.11.1883 - I 327/83

Daten
Fall: 
exceptio metus
Fundstellen: 
RGZ 10, 188
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.11.1883
Aktenzeichen: 
I 327/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Altenburg
  • OLG Jena

1. Sind Bedrohungen des Vermögens, des Kredites nach gemeinem Rechte geeignet, die exceptio metus zu begründen?
2. Sind die Voraussetzungen der condictio ob turpem causam gegeben, wenn die eine Partei wissentlich rechtswidrig durch eine Bedrohung des Vermögens der anderen Partei von der letzteren eine Leistung, worauf die erstere kein Recht hatte, erwirkt hat?

Tatbestand

Der Kläger ist im Oktober 1881 als Buchhalter und Prokurist in den Dienst der Firma P. getreten; seine Mutter hat für ihn eine Kaution von 5000 M bar an diese Firma eingezahlt. Anfangs Januar 1882 hat P. als Vertreter der Firma den Kläger wieder entlassen und davon alsbald verschiedenen Kunden Mitteilung gemacht. Die Firma P. hat dem Kläger hierfür eine Entschädigung versprochen und ihm infolge davon zwei Wechsel über je 4000 M ausgehändigt; streitig ist jedoch, ob diese versprochene Entschädigung, wie Kläger behauptet, 8000 M betrug und P. bloß um diese Entschädigung zu decken, die beiden gedachten Wechsel gegeben hat, oder ob, wie der Beklagte behauptet, die Entschädigung nur auf 3000 M vereinbart und die beiden Wechsel über je 4000 M dem Kläger gegeben sind, um damit außer der Entschädigung auch die Kaution der Mutter des Klägers im Betrage von 5000 M zu decken. In einer Urkunde vom 13. Januar 1882 verspricht P. dem Kläger eine bare Entschädigungssumme von 8000 M zu zahlen, und zwar je zur Hälfte an den Verfalltagen der beiden Wechsel. An demselben Tage stellte Kläger der Firma P. eine Quittung über den, Empfang der beiden Wechsel aus und bemerkte darin, daß er "von den 8000 M 5000 M zur Deckung der von seiner Mutter für ihn eingezahlten Kaution und den Rest als Entschädigung laut Abrechnung verwendete." Nach weiteren Verhandlungen stellte jedoch P. dem Kläger eine vom 18. Januar 1882 datierte Urkunde aus, worin er anerkannte, daß die vertragsmäßige Vereinbarung dahin gehe, daß die gedachten 8000 M lediglich eine Abfindungssumme bilden, daß darin die von der Mutter des Klägers für diesen bei der Firma P. niedergelegte Kaution von 5000 M nicht inbegriffen sei, sondern außer den 8000 M zu gewähren und noch zurückzuerstatten sei, und daß an diesen Vereinbarungen durch die vom Kläger nur zum Scheine auf besonderen Wunsch des P. aufgenommene Quittung vom 13. Januar 1882 nichts habe geändert werden sollen.

Darauf hat Kläger auch, wie er in der vom 20. Januar 1882 datierten Quittung bekennt, von der Firma P. zwei Wechsel im Gesamtbetrage von 5203 M zur Übermittelung an seine Mutter erhalten und sofortige Ablieferung an dieselbe versprochen. Die Ablieferung ist auch erfolgt und die Mutter des Klägers hat die Wechsel weiter begeben. Der Kläger hat nun den Rest der Wechselsumme aus den beiden Wechseln über je 4000 M im Betrage von 3000 M gegen die Firma P. eingeklagt. Die Beklagte hat eingewendet: In Wahrheit seien dem Kläger nur 3000 M als Entschädigung zugesichert, und die beiden Wechsel über je 4000 M seien dem Kläger gegeben, um außer dieser Entschädigung zugleich den Kautionsanspruch der Mutter des Klägers im Betrage von 5000 M zu berichtigen. Die Quittung vom 13. Januar 1882 sei nicht zum Scheine, sondern der wirklichen Vereinbarung entsprechend ausgestellt. Die Urkunde vom 18. Januar 1882 und die Hingabe der beiden weiteren Wechsel über zusammen 5000 . M habe Kläger von P. durch die Drohung erpreßt, daß er sonst der Firma P. den Kredit bei der Filiale der Geraer Bank in Leipzig entziehen, auch allen Geschäftskunden, daß sie der Firma den Kredit entzögen, schreiben und das ganze Geschäft unmöglich machen wolle.

... Die finanzielle Lage der Firma P. sei damals eine solche gewesen, daß bei einem plötzlichen Entziehen des Kredites und einem Andrängen der Gläubiger ihre Insolvenz unvermeidlich gewesen sei. Um dieser zu entgehen, habe sie sich durch die Drohungen des Klägers gezwungen und wider ihren Willen veranlaßt gesehen, dem Kläger den Revers vom 13. Januar 1882 auszustellen und die beiden weiteren Wechsel über zusammen 5203 M zu geben.

Der Kläger hat dies Einredevorbringen bestritten und behauptet, daß ihm 8000 M als Entschädigung für seine unberechtigte Entlassung zugesichert worden, und daß er die Quittung vom 13. Januar 1882 nur auf besonderes Verlangen des P. wahrheitswidrig ausgestellt. ...

Der erste Richter hat dieses Einredevorbringen von einem doppelten rechtlichen Gesichtspunkte aus beurteilt, nämlich von dem der exceptio metus und von demjenigen der exception turpis causae. Der erste Richter erachtet exceptio metus nicht für begründet, weil nach den Quellen eine bloße Bedrohung des guten Rufes oder auch des Vermögens nicht genüge, um das durch die Drohung erzwungene Rechtsgeschäft als ein nichtiges erscheinen zu lassen, vielmehr metus majoris malitatis verlangt und speziell als genügend Bedrohung des Lebens, des Leibes und der Freiheit genannt werde, weil ferner metus non vani hominis, sed qui merito et in hominem constantissimum cadat verlangt werde, Drohungen und bezw. Furcht dieser Art sich aber aus dem vom Beklagten Vorgetragenen nicht entnehmen lassen. Darüber, ob die rechtlichen Voraussetzungen der condictio ob turpem causam in dem Vorbringen des Beklagten zu finden seien, spricht sich der erste Richter nicht bestimmt aus; er verwirft auch von diesem Gesichtspunkte das Einredevorbringen deshalb, weil er den Beweis der behaupteten Thatsachen nicht für erbracht hält. ...

Der Berufungsrichter prüfte (aus einem in dritter Instanz reprobierten prozessualen Grunde) das Einredevorbringen von dem rechtlichen Gesichtspunkte der exception metus aus gar nicht, sondern beschränkte sich darauf zu prüfen, ob das Vorbringen vom Gesichtspunkte der exceptio turpis causae erheblich sei, und verneinte dies.

Das Reichsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückgewiesen.

Gründe

... "Zur Zeit kann nur darüber entschieden werden, ob das Einredevorbringen sich aus rechtlichen Gründen als sofort verwerflich ergiebt, ob namentlich, wie der erste Richter annimmt, Bedrohung des Vermögens überhaupt nicht zur Begründung der exception metus dienen kann.

Dies ist zu verneinen. Die Rechtslehrer sind allerdings verschiedener Ansicht. Ein Teil derselben verteidigt die strengere Auffassung, daß nur die in den Quellen namentlich hervorgehobenen schweren Bedrohungsfälle, unter welchen Bedrohung des Vermögens nicht vorkommt, für die Begründung des Rechtsbehelfes des metus beachtlich seien. Andere beschränken diesen Rechtsbehelf nicht auf die in den Quellen namentlich hervorgehobenen Fälle, schließen denselben in anderen nicht namentlich hervorgehobenen Fällen nicht aus, lassen denselben vielmehr zu, soweit die in l. 5. 6 Dig. quod metus causa 4, 2 aufgestellten prinzipiellen Voraussetzungen vorliegen, sehen die namentlich hervorgehobenen Fälle nur als Exemplifikationen dieses Prinzipes an, und überlassen die Anwendbarkeit auf Drohungen anderer Art der richterlichen Prüfung des einzelnen Falles. Andere unterscheiden und statuieren nur, wo es sich um Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte handelt, die strengere Meinung, wo es sich aber um das Verhältnis des Drohenden zu dem Bedrohten handelt, die mildere Meinung. Das Reichsgericht entscheidet sich für die mildere Meinung, welche nicht nur mit der Fassung der Quellen im Einklange steht, sondern auch als die sachgemäßere und den heutigen Rechtsanschauungen entsprechendere erscheint. In diesem Sinne hat auch bereits das vormalige Reichsoberhandelsgericht in dem in Bd. 8 S. 171 flg. der Sammlung seiner Entscheidungen veröffentlichten Urteile entschieden. Auch neuere Gesetzgebungen haben in gleichem Sinne entschieden, z. B. §§. 36. 37 preuß. A.L.R. I.4; §. 1502 des sächs. bürgerlichen Gesetzbuchs; Unger, Österreichisches Privatrecht Bd. 2 S. 49. 50; vgl. auch den strafrechtlichen Begriff der Erpressung in §. 253 des St.G.B.'s für das Deutsche Reich. Es ist daher davon auszugehen, daß die Androhung einer Schädigung des Vermögens die exceptio metus begründen kann. Auch eine Bedrohung des Kredites kann unter Umständen, wie sie vorliegend behauptet sind, wo die Ausführung der Drohung den gänzlichen finanziellen Ruin des Bedrohten, die Eröffnung des Konkurses, voraussichtlich zur Folge haben wird, nicht von vornherein als metus vani hominis erscheinen. Die weitere thatsächliche Würdigung muß dem Berufungsrichter überlassen werden.

Was sodann die Frage betrifft, ob die Voraussetzungen der condictio ob turpem causam vorliegen, so giebt der Berufungsrichter zu, daß es als ein inhonestum, als ein Verstoß gegen anständige Denkungsweise gelten müsse, wenn Kläger die aus seiner Stellung im P.'schen Geschäfte erworbene Kenntnis der kritischen Lage der Firma hätte ausnutzen wollen, um durch entsprechende Mitteilung an die in Beziehung zur Firma stehenden Kreditinstitute eine Kreditentziehung herbeizuführen, daß auch das lediglich zur Abwendung dieser Eventualität Geleistete als ein ob turpem causam Gewährtes angesehen werden könne. Derselbe gelangt aber doch zur Verneinung jener Frage, indem er argumentiert:

"Wenn am 13. Januar 1882 stipuliert wäre, daß Kläger aus den ihm durch die beiden Wechsel gewährten 8000 M die Kautionsschuld von 5000 M berichtigen, also für sich als Entschädigung für seine Entlassung nur 3000 M behalten solle, und wenn dann infolge der fraglichen Bedrohung dem Kläger als Entschädigung für seine Entlassung unter Abnahme der Verpflichtung, aus den 8000 M zugleich die Kautionsschuld zu decken, 8000 M zugesagt und zur Deckung der Kautionsschuld weitere 5000 M in Wechseln gegeben seien, so sei ein Abkommen über Erhöhung und Entschädigung nur durch unanständige und unwürdige Mittel zustande gekommen, nicht aber, wie das Gesetz (l. 4 §. 2 Dig. de cond. ob t. c. 12, 5) voraussetze, eine Leistung nur zu dem unwürdigen Zwecke versprochen und bewirkt, um den Empfänger von der Zufügung eines Unrechtes abzuhalten. Nach der eigenen Darstellung des Beklagten habe Kläger auch die Deckung der Kautionsforderung durch die Firma P. gefordert, weil er die ihm gegebenen beiden Accepte über je 4000 M als eine ihm gewährte Entschädigung und die Abnahme der Verpflichtung zur Zahlung der fraglichen 5000 M beansprucht habe. Ob die beklagte Firma sich hierzu durch das unwürdige Verhalten des Klägers, durch dessen Bedrohungen habe bestimmen lassen, sei gleichgültig; das Motiv der Beklagten komme nicht in Betracht, sondern nur die Frage, ob der Empfänger mit der Annahme contra bonos mores gehandelt habe. Wenn der Kläger nur bemüht gewesen, sich eine möglichst hohe Entschädigung auszuwirken, in der Meinung, ein Recht dazu zu haben, so habe er nicht sich einer unsittlichen Handlung schuldig gemacht, nicht ob turpem causam empfangen."

Diese Argumentationen passen nicht zu der gegenwärtigen Sachlage. Wenn Kläger den P. in der behaupteten Weise bedroht hat, um etwas zu erlangen, was ihm nicht zukam, so hat er sich eine widerrechtliche unsittliche Einwirkung auf die Willensbestimmung des P. zu einem unberechtigten Zwecke erlaubt, und er versiert in turpi causa. Wenn P. durch jene Drohung vermocht ist, dem Kläger eine höhere Entschädigung, als ihm zukam, zu geben, so hat er es eben zu dem Zwecke gegeben, damit Kläger seine Drohung nicht realisiere, und es liegt der Fall der l. 4 §. 2 cit. vor, da allein aufseiten des Klägers eine turpitudo vorliegt. Für die Bejahung oder Verneinung einer turpitudo des Klägers ist es nicht allein entscheidend, daß Kläger die höhere Entschädigung gefordert hat, sondern es kommt darauf an, ob der Kläger nach der mit P. getroffenen Vereinbarung ein Recht hatte, die höhere Entschädigung von 8000 M für sich zu fordern, oder ob Kläger wenigstens in dem guten Glauben war, daß ihm eine solche höhere Entschädigung vereinbarungsmäßig zukam. In diesen Fällen würde es allerdings an einer turpitudo auf seiten des Klägers fehlen, während er in turpi causa versierte, wenn er in dem Bewußtsein, daß er nur 3000 M als Entschädigung vereinbarungsgemäß fordern durfte, 8000 M forderte, diese Forderung durch Drohungen durchzusetzen versuchte, und das von P. ihm zum Zwecke der Vermeidung der Ausführung der Drohung Gegebene annahm." ...