RG, 02.11.1883 - III 197/83
Kann die Witwe eines im Reichsdienste nach dem Inkrafttreten des Reichsgesetzes vom 20. April 1881 verstorbenen Postbeamten diejenige Witwenpension beanspruchen, auf welche der Verstorbene unter der Fürstlich Thurn und Taxis'schen Postverwaltung ein Recht erworben hatte?
Tatbestand
Der am 9. August 1881 verstorbene Ehemann der Klägerin war früher Fürstlich Thurn und Taxis'scher Postbeamter in Kurhessen gewesen und ist darauf in den preußischen und sodann in den Reichspostdienst übergetreten. In jener Eigenschaft als Taxis'scher Beamter hat ihm ein Anspruch auf Pension für seine Witwe im Betrage von einem Sechstel seines damaligen Gehaltes von 2400 M, mithin von jährlich 400 M, zugestanden.
Unbestritten ist der Klägerin nach dem Tode ihres Ehemannes aus der Reichskasse ein Witwengeld von jährlich 787 M bewilligt worden. Sie hat aber gegen den preußischen Fiskus Klage auf Bezahlung einer Witwenpension von jährlichen 400 M erhoben und zu deren Begründung ausgeführt, daß der Reichsfiskus durch Gewährung jenes Witwengeldes lediglich den Verpflichtungen nachgekommen sei, welche ihm nach dem Reichsgesetze vom 20. April 1881 gegenüber der Klägerin obliegen, während der letzteren als Witwe eines vormals Thurn und Taxis'schen Postbeamten der Anspruch auf eine weitere Witwenpension von jährlich 400 M zustehe, welchen sie nach ihrer Wahl gegen den Reichsfiskus oder gegen den jetzigen Beklagten, den preußischen Fiskus, geltend machen könne.
Der Richter erster Instanz hat zu Gunsten der Klägerin erkannt, indem er davon ausging, daß die von deren Ehemanne erworbenen Pensionsansprüche bei dessen Übergang in den preußischen und in den Reichsdienst vorbehalten geblieben seien, und daß es in dem Reichsgesetze vom 20. April 1881 bestimmt hätte ausgesprochen werden müssen, was nicht geschehen sei, wenn beabsichtigt worden wäre, jene Ansprüche in der zu gewährenden neuen Reichspension aufgehen zu lassen.
Der Richter zweiter Instanz hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin aus der Reichskasse dasjenige erhalte, was sie auf Grund des früheren Thurn und Taxis'schen Beamtenverhältnisses ihres Ehemannes beanspruchen könne, weshalb der Beklagte nicht für verpflichtet zu erachten sei, diese Zahlung nochmals zu leisten.
Das Reichsgericht hat die gegen dieses Urteil eingelegte Revision zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Es ist außer Streit, daß der verstorbene Oberpostsekretär G. zur Zeit der Taxis'schen Postverwaltung in Kurhessen einen Pensionsanspruch von jährlich 400 M für seine Hinterbliebenen erworben und diesen Anspruch als sein wohlerworbenes Recht beim Übergange Kurhessens auf den preußischen Staat behalten hat. Hieraus folgt, daß, wenn Preußen in der Folge ein Pensionsgesetz eingeführt hätte, nach welchem die Hinterbliebenen des G. eine geringere Summe als 400 M erhalten würden, jener Anspruch dadurch in Kraft getreten wäre, daß die G.'schen Relikten die Ergänzung der Summe bis zu dem eben genannten Betrage verlangen könnten. Keineswegs aber würde der von G. erworbene Anspruch dazu geführt haben, daß seine Relikten ohne weiteres die frühere Pension neben der neuen preußischen zu fordern gehabt hätten. Denn eine Garantie, wie sie der preußische Staat im Jahre 1867 gegenüber den vormals Taxis'schen Postbeamten übernommen hat, ist nur dahin zu verstehen, daß in dem neuen Dienstverhältnisse, in welches die Beamten eintreten, die von ihnen bereits erworbenen Pensionsansprüche ungemindert zu verbleiben haben. Wenn und soweit daher in dem neuen Dienste Witwen- und Waisengelder verabreicht werden, insoweit erschöpft sich das im früheren Dienste erworbene Recht, und der betreffende Anspruch des Beamten fällt, weil befriedigt, ganz oder teilweise hinweg.
Wie auf den preußischen Staat, so müssen die vorstehenden Grundsätze auch auf das Deutsche Reich in seinem Verhältnisse zu dem verstorbenen Ehemanne der Klägerin zutreffen. Der letztere ist Postbeamter des Reiches geworden, wie er zuvor Beamter der Krone Preußen gewesen war; in beiden Stellungen ist nur eine Fortsetzung seines - ursprünglich Taxis'schen - Dienstverhältnisses zu erblicken. Was daher das Reich den G.'schen Relikten an Pensionen gewährt, ist, wofern nicht ausdrücklich das Gegenteil statuiert worden, bei der Frage in Betracht zu nehmen, ob und wie weit der in dem alten Dienste erworbene Anspruch gedeckt erscheint. Die Vermutung streitet dagegen, daß einem Staatsdiener oder seinen Hinterbliebenen doppelte Pensionen verabreicht werden; daraus ergiebt sich, daß der aus dem Reichspensionsgesetze fließende Pensionsbetrag auf denjenigen Betrag einzurechnen ist, welcher von dem preußischen Staate oder von dem Reiche, als Successor des letzteren, dem G. und seinen Relikten nach dem Taxisschen Regulative gewährt werden muß.
Vorliegenden Falles ist nun unbestritten, daß die Klägerin aus der Reichskasse 787 M jährlich an Witwengeld erhält; nach dem Taxis'schen Regulativ würde sie, wie schon bemerkt, 400 M jährlich zu beanspruchen haben. Dieser Anspruch wird aber durch die Leistung der Reichskasse vollständig gedeckt, und es muß hiernach sowohl das Reich, als der preußische Staat von der Verpflichtung liberiert erscheinen, dasjenige an Witwenpension zu gewähren, worauf der klägerische Ehemann aus dem alten Dienstverhältnisse ein wohlerworbenes Recht erlangt hatte.
Zwar hatte der Ehemann der Klägerin seit dem Inkrafttreten des Reichspensionsgesetzes vom 20. April 1881 bis zu seinem am 9. August desselben Jahres erfolgten Tode einen Pensionsbeitrag von drei Prozent seines jährlichen Gehaltes zu bezahlen, während er nach dem Taxis'schen Regulative einen solchen Beitrag nicht zu leisten gehabt, also den Anspruch auf 400 M Witwenpension ohne jegliche Gegenleistung seinerseits erworben hatte. Allein dieser Umstand kann in keinem Falle die klägerische Forderung rechtfertigen, wie sie in diesem Prozesse geltend gemacht wird, nämlich die vollständige Forderung der alten Pension neben der neuen. Jener Umstand konnte dem Gesetzgeber Veranlassung geben, die ehemals Taxis'schen Beamten von einer Beitragspflicht insoweit, als sie Anspruch auf Witwengelder bereits erworben hatten, zu befreien oder, wie der Antrag des Reichstagsabgeordneten Baumbach zu §. 23 des Gesetzes von 1881 bezweckte1 ihnen das Recht zu gewähren, mit der Wirkung der Liberierung von der Beitragspflicht auf die Pensionssätze des neuen Gesetzes zu verzichten. Der Inhalt des Gesetzes von 1881 und die darüber geführten Reichstagsverhandlungen,vgl. Stenographische Berichte a. a. O., zeigen, daß und weshalb der Gesetzgeber nicht für nötig erachtet hat, für die vormals Taxis'schen Beamten und für die übrigen in ähnlicher Lage sich befindenden Beamtenkategorien in der einen oder anderen Weise Erleichterungen bezüglich der Pensionsbeiträge eintreten zu lassen. Daraus, daß dies nicht geschehen, läßt sich nun aber nicht, wie von klägerischer Seite versucht wird, deduzieren, daß die betreffenden Beamten ihre unter Taxis bereits erdienten Pensionen dem Reiche gegenüber mittels jährlicher Beiträge erst erkaufen müßten, was einer Verweigerung der Garantiepflicht seitens des Reiches, bezw. des preußischen Staates gleichkomme. Denn die fraglichen Beiträge können nicht als eine Art von Versicherungsprämien aufgefaßt werden, sie sind eine Auflage, die den Beamten behufs Erfüllung einer allgemeinen Standespflicht gemacht ist.2
Eine Auflage dieser Art konnte die Reichsgesetzgebung, ohne die Pensionsrechte der Taxis'schen Beamten zu verletzen, schon um deswillen unbedenklich einführen, weil durch deren Erfüllung diese Beamten der Benefizien des neuen Gesetzes teilhaftig werden und die erheblich höheren Pensionssätze erwerben, welche das Reichsgesetz bietet. In diesem höheren Satze aber ist, was speziell die Klägerin betrifft, das von ihrem Ehemanne verdiente Taxis'sche Witwengeld vollauf enthalten, womit zugleich der Verpflichtung genügt ist, welche das Reich und, worauf es im gegenwärtigen Prozesse allein ankommt, der preußische Staat der Klägerin zu prästieren hat.
Endlich will die Klägerin, unter Hinweis auf die Bemerkung der Motive zu §. 10 des Reichsgesetzes vom 20. April 18813 noch geltend machen, daß der von ihrem Ehemanne im Taxis'schen Dienste erworbene Anspruch auf einem anderen Rechtstitel beruhe, als der Anspruch aus dem Reichsgesetze, und deshalb, wie auch jene Bemerkung anerkenne, der aus dem ersteren Anspruche fließende Pensionsbetrag bei Berechnung des aus Reichsmitteln zu gewährenden Witwengeldes außer Ansatz zu bleiben habe. Die gedachte Bemerkung der Motive weist jedoch nur auf die Beihilfen hin, welche den Witwen von Offizieren im Falle von deren Tode oder Verstümmelung im Felde neben den gewöhnlichen Witwengeldern ausgeworfen sind. Diese außerordentlichen Zuschüsse, nicht minder die von Privatanstalten zu leistenden Beiträge dürfen allerdings, weil sie auf besonderen Rechtstiteln beruhen, auf die staatlichen Witwenpensionen nicht eingerechnet werden. Verschieden hiervon liegt aber der gegenwärtige Fall, wo es sich um die Pension einer Witwe handelt, welche lediglich nach den Dienstjahren ihres Ehemannes zu berechnen ist. Hier erscheint der eventuelle Pensionsanspruch, welchen der Beamte für seine Hinterbliebenen nach einem gewissen Stadium seiner Dienstzeit erworben hatte, nur als Teil des auf dem gleichen Titel beruhenden Gesamtpensionsanspruches, welcher nur mit diesem letzteren, aber nicht neben demselben geltend gemacht werden kann. Dies ergiebt sich aus den im deutschen Pensionswesen geltenden Grundsätzen und könnte nur dann nicht zutreffen, wenn, was nicht der Fall, im Reichsgesetze von 1881 etwas Abweichendes ausdrücklich bestimmt wäre."