RG, 11.10.1883 - I 320/83
Verlieren nach gemeinem deutschem Staatsrechte die ohne Kündigungsvorbehalt angestellten Staats- und Gemeindediener den Anspruch auf das ihnen bei der Anstellung zugesicherte Diensteinkommen durch eine vom Dienstherrn im Disziplinarwege verfügte Entlassung aus dem Dienste?
Tatbestand
Gegen den vom Beklagten 1873 ohne Kündigungsvorbehalt auf Lebenszeit als Sekretär der Stadt G. angestellten und im August 1881 vom Dienste suspendierten Kläger ist auf Antrag des Beklagten im September 1881 durch einen vom Ministerium des Innern bestellten Kommissarius eine Untersuchung wegen seines Geschäftsbetriebes geführt. Das Ministerium hat hierauf dem Beklagten bei Mitteilung der Ergebnisse der Untersuchung unter dem 18. März 1882 eröffnet, daß dem Kläger, wenn auch kriminelle Begangenschaften wider denselben nicht eruiert worden, doch wegen der bewiesenen groben Nachlässigkeiten, Versäumnisse, Ungehörigkeiten und Ordnungswidrigkeiten die Verrichtung der Stadtsekretariatsgeschäfte nicht wieder zu gestatten sei; zugleich ist dem Beklagten aufgegeben, den Kläger zu Amtsgeschäften nicht weiter zu verwenden. Beklagter hat dem Kläger hierauf bei Mitteilung dieses Reskriptes unter dem 31. März 1882 eröffnet, daß er ihn zu amtlichen Funktionen nicht weiter verwenden könne, demnach auch nicht in der Lage sei, ihm ferner sein Gehalt auszuzahlen. Kläger hat hierauf noch vor Fälligkeit der nächsten Quartalsrate seines Gehaltes vor dem Landgerichte zu Schwerin gegen Beklagten Klage auf Feststellung seines Anspruches auf Fortbezug des ihm zugesicherten Gehaltes erhoben.
Nachdem die Sache in der Berufungsinstanz anhängig geworden war, hat der beklagte Magistrat noch ein förmliches, vom 28. August 1882 datiertes, im November 1882 zugestelltes Urteil gegen den Kläger erlassen und auf Grund beigegebener, umfänglicher Entscheidungsgründe, in welchen alle ermittelten Dienstwidrigkeiten besprochen werden, wider denselben in Disziplinaruntersuchungssachen erkannt, daß er seiner Stellung als Stadtsekretär der Stadt G. enthoben und in die Kosten der Untersuchung verurteilt werde. Durch Urteil des Oberlandesgerichtes ist dem Klagantrage im wesentlichen entsprochen, und die gegen dieses Urteil vom Beklagten eingelegte Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
... "In der Sache selbst ist die Revision wesentlich darauf gestützt, daß der Richter bei seiner Entscheidung über die vermögensrechtlichen Ansprüche aus der Anstellung gebunden sei an den für ihn präjudiziellen Ausspruch der Verwaltungsbehörde über die Unwürdigkeit des Beamten, wie denn auch die mecklenburgische Praxis in dem analogen Falle der eingetretenen Dienstunfähigkeit die Vorentscheidung der Verwaltungsbehörde als maßgebend ansehe. Beklagter habe schlimmsten Falles zur Gewährung eines nach billigem Ermessen zu gewährenden Ruhegehaltes verurteilt werden dürfen. Gegen die Würdigung der einzelnen Dienstvergehen des Klägers ist geltend gemacht, daß sie den Grundsatz verkenne, welcher dem Staate gegen seine Beamten den Anspruch auf die strengste Erfüllung der Dienstleistungen gewähre.
... Auch die materiellen Rügen können nicht für begründet angesehen werden. Es ist unrichtig, diejenigen Grundsätze, welche sich über die Entlassung eines Beamten wegen eingetretener Dienstunfähigkeit ausgebildet haben, auf die Entlassung wegen Dienstvergehen anzuwenden. Die Frage, ob die Erwägungen, aus welchen die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit für eine Administrativsache erachtet wird, wenigstens zum Teile auch für die Entlassung wegen Dienstvergehen zutreffen, ist müßig, weil sich für letztere im gemeinen deutschen Staatsrechte eigene Grundsätze festgestellt haben. Nach diesen untersteht zwar der Beamte wegen Dienstwidrigkeiten der Disziplinargewalt seines Konstituenten. Letztere reicht aber nicht soweit, daß der Konstituent nach seinem dienstherrlichen Ermessen dem Beamten auch die aus der Anstellung erworbenen Vermögensrechte durch Entfernung aus dem Amte entziehen könnte. Es ist vielmehr ein feststehender Grundsatz des gemeinen deutschen Staatsrechtes, daß Staatsbeamten diese Rechte wegen Dienstvergehen nur durch gerichtliches Urteil entzogen werden können, soweit nicht partikularrechtlich abweichende Vorschriften bestehen. Die Anwendung desselben auf Gemeindediener, welche als Beamte anzusehen sind, ist außer Frage. Jener Grundsatz ist auch bisher in Mecklenburg stets als zu Recht bestehend anerkannt worden. Der auf Lebenszeit angestellte Beamte hat, von dem im angefochtenen Urteile erwähnten und besonders geordneten Falle der Entlassung ungetreuer öffentlicher Kassenbeamten abgesehen, für die durch die Anstellung erworbenen Vermögensrechte stets Rechtsschutz gefunden; es ist immer anerkannt, daß ihm diese Rechte wegen Dienstvergehen nicht vom Dienstherrn durch Entfernung aus dem Amte entzogen werden können. Richter über den Anspruch des aus dem Amte vom Dienstherrn entfernten Beamten auf Fortbezug seiner Dienstemolumente ist der Civilrichter. Er hat im Civilprozesse zu entscheiden, ob der Konstituent in dem Verhalten des Angestellten einen ausreichenden Grund zur einseitigen Aufhebung des Dienstverhältnisses hat finden dürfen. Wie der Angestellte auf Feststellung der Fortdauer seiner vermögensrechtlichen Ansprüche bezw. auf Erfüllung zu klagen berechtigt ist, so kann der Konstituent, wenn der Entlassene den Anspruch auf Fortbezug seiner Dienstemolumente erhebt, die negative Feststellungsklage in der Richtung erheben, daß dem Entlassenen ein weiterer Gehaltsanspruch nicht zustehe. In beiden Fällen entscheidet der Richter, ob der Konstituent zur einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigt war. Mit vollem Rechte hat daher der Berufungsrichter seiner Entscheidung die Frage unterstellt, ob Kläger durch sein Verhalten dem Beklagten eine ausreichende Veranlassung zur einseitigen Lösung des Dienstverhältnisses gegeben habe. In den Erwägungen aber, aus welchen er zu dem Schlusse gelangt, daß die Dienstwidrigkeiten des Klägers zwar erheblich, jedoch nicht so schwerwiegend sind, daß sie die Entlassung rechtfertigen könnten, ist ein Rechtsirrtum nicht ersichtlich. Es ist keine Thatsache ermittelt, welche das Verbleiben des Klägers im Dienste nach der Natur des von ihm verwalteten Amtes allgemeinen Grundsätzen gemäß als schlechtweg unzulässig erscheinen lassen müßte. Es handelt sich um eine Anzahl von Unregelmäßigkeiten und Nachlässigkeiten, sowie um mehrfache Außerachtlassung der gebotenen Form gegen die vorgesetzte Behörde. Diese Verfehlungen fallen wesentlich in die letzten Jahre, die Mehrzahl der Omissionen sogar in die der schweren Erkrankung des Klägers zunächst vorausgegangenen Monate. Andererseits ist die Führung des Klägers bis zum Jahre 1880 eine solche gewesen, daß Beklagter selbst ihm noch unter dem 12. Juni 1880 das Zeugnis hat ausstellen können, daß er allen an einen Stadtsekretär zu stellenden Anforderungen zu entsprechen imstande sei, auch im Stadtbuche "und Kuratelbetriebe eine ganz vorzügliche Geschäftskenntnis gezeigt habe". In einem Zeugnisse des Beklagten vom 24. August 1878 ist ausgesprochen, daß Kläger in seiner damaligen 51/2 jährigen Thätigkeit als Stadtsekretär allen Erwartungen völlig entsprochen habe. Ganz zutreffend hat der Berufungsrichter der früheren Führung des Klägers einen wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung der Frage beigemessen, ob die jetzigen Pflichtwidrigkeiten die Entlassung rechtfertigen. Denn Verfehlungen, wie sie jetzt zur Frage stehen, gewinnen ihre Bedeutung erst im Zusammenhange mit der ganzen Führung des Beamten und eine mildere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich der Beamte früher wesentlich vorwurfsfrei geführt hat.
Die Ausführungen des Berufungsrichters können daher nur für zutreffend erachtet werden."