RG, 11.10.1883 - I 322/83

Daten
Fall: 
Klausel in Versicherungspolicen
Fundstellen: 
RGZ 10, 130
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.10.1883
Aktenzeichen: 
I 322/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Erfurt
  • OLG Naumburg

Welche Bedeutung ist der Klausel in Versicherungspolicen, daß der Schaden mit Ausschließung des Rechtsweges durch sachverständige Schiedsmänner zu schätzen sei, welche in bestimmter Weise von dem Versicherer und Versicherten zu wählen seien, für den Fall beizumessen, daß die Schätzung in hohem Grade sachwidrig und unrichtig ausfällt?

Tatbestand

In bezug auf die in der Ausschrift gestellte Frage ist in den Gründen des Revisionsurteiles folgendes ausgeführt:

Gründe

"Das Berufungsgericht hat sich ersichtlich die Frage vorgelegt, ob etwa im konkreten Falle die Bestimmungen der Versicherungspolice dahin auszulegen seien, daß nach dem erklärten Willen der Kontrahenten des Versicherungsvertrages die Abschätzung der im §. 9 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gekennzeichneten Sachverständigen auch dann für das Rechtsverhältnis der Kontrahenten maßgebend sein solle, wenn dieselbe sich nicht als Ergebnis des unparteiischen und sachkundigen Männern zustehenden Ermessens darstelle, sondern als eine nachweisbar in hohem Grade sachwidrige und unrichtige Wertsbestimmung. Mit Recht ist diese Frage von dem Berufungsgerichte verneint. Das Gesetz (l. 79 Dig. pro socio 17, 2) verleiht regelmäßig demjenigen, für welchen in einem bestimmten Rechtsverhältnisse die Bestimmung eines innerhalb desselben relevanten thatsächlichen Momentes durch einen sachverständigen Schiedsmann maßgebend sein soll, die Füglichkeit, sich dieser Bestimmung nicht zu unterwerfen, sondern den Richter anzugehen, wenn die Bestimmung eine manifesta iniquitas in sich schließt, d. h. (im Sinne des Gesetzes) nicht etwa nur, wenn eine auf Beschädigung des betreffenden Kontrahenten gerichtete arglistige Bestimmung, sondern auch, wenn eine Bestimmung des Schiedsmannes vorliegt, deren Ergebnis ersichtlich so auffallend objektiv von dem Resultate abweicht, welches bei Anwendung sachgemäßer Würdigungsgrundsätze erzielt werden mußte, daß eine Regelung des Rechtsverhältnisses der Parteien unter Anwendung des Maßstabes jener schiedsmännischen Bestimmung durchaus sachwidrig und unbillig sein würde. Wenn es auch nach l. 76 Dig. pro socio 17, 2 nicht unzulässig ist, sich im voraus unbedingt einer schiedsmännischen Bestimmung zu unterwerfen, so müssen doch besonders zwingende Gründe vorliegen, um einen solchen Willen als erklärt anzunehmen. Das Gesetz selbst hebt hervor, daß das Gegenteil regelmäßig gewollt werde (l. 30 Dig. de operis libert. 38, 1). Ein solcher zwingender Grund liegt aber darin durchaus nicht, daß in einer Versicherungspolice stipuliert ist, der Betrag des Schadens an den versicherten Gegenständen sei durch Abschätzung in bestimmter Weise ernannter Sachverständiger mit verbindlicher Kraft für beide Parteien unter Ausschließung des Rechtsweges festzustellen. Gerade bei einem Versicherungsvertragsverhältnisse, welches durchweg gegenseitige Loyalität zur Grundlage hat, muß man annehmen, daß die Kontrahenten durch die Stipulation der Ausschließung des Prozeßweges nur das regelmäßige Verfahren in ihrem Rechtsverhältnisse haben ordnen, dagegen die unbedingte Geltung einer offenbar sachwidrigen Abschätzung der Sachverständigen nicht haben feststellen wollen.

Die Bestimmungen der l. 79 Dig. pro socio 17, 2 und l. 137 §. 2 Dig. de V.O. 45, 1 sprechen dafür, daß, insofern lediglich die Normen des Gesetzes in Betracht kommen, der Richter, welcher im Falle der Abgabe einer offenbar unbilligen Festsetzung sachverständiger Schiedsmänner von der durch diese Bestimmung sich beschwert fühlenden Partei angegangen wird, keineswegs nur die unbillige Bestimmung für nicht maßgebend erklären und die Bestellung anderer Schiedsmänner anordnen soll, daß es vielmehr in einem solchen Falle Sache des Richters ist, bei Entscheidung des Rechtsstreites der Parteien die betreffende thatsächliche Würdigung, zu welcher er sich erforderlichen Falles die Sachkunde durch Anhörung von Sachverständigen vermitteln kann, selbst zu verwirklichen. Es ist auch nicht anzunehmen, daß durch Versicherungsbedingungen der vorliegenden Art eine Abweichung von dieser Regel und eine Beschränkung des Richters auf die Kraftloserklärung des bemängelten Ausspruches der Schiedsmänner und auf Bestellung anderer Schiedsmänner gewollt sei. Von diesen richtigen Grundsätzen ist das Berufungsgericht in seinem Urteile ausgegangen."