RG, 06.10.1883 - I 312/83

Daten
Fall: 
Verfolgung des Anspruches auf Wertserstattung für die entzogene Sache
Fundstellen: 
RGZ 11, 298
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.10.1883
Aktenzeichen: 
I 312/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Ist der Eigentümer an Verfolgung des Anspruches auf Wertserstattung für die entzogene Sache gegen den Entziehenden dadurch gehindert, daß er in der Lage ist, die unentgeltliche Herausgabe der Sachen vom derzeitigen dritten Besitzer verlangen zu können?

Tatbestand

Kläger, welchem im März 1879 ein kur-, und neumärkischer Pfandbrief über 1500 M mit Talon und laufenden Coupons gestohlen worden, nahm den Beklagten, der in Berlin in seinem Bankiergeschäfte am 16. November 1881 den Pfandbrief erwarb und am Tage darauf an die kur- und neumärkische ritterschaftliche Darlehnskasse weiter verkaufte, auf Erstattung des Kurswertes des Pfandbriefes und der Couponszinsen desselben wegen unvorsichtigen Erwerbes in Anspruch. Die Revision gegen das den Beklagten verurteilende Erkenntnis des Berufungsgerichtes wurde vom Reichsgerichte zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Mit Recht hat das Berufungsgericht von seiner Annahme eines unvorsichtigen Erwerbes seitens des Beklagten aus denselben in Anwendung des §. 15 A.L.R. I. 15 zum Ersatze des Wertes des Pfandbriefes verurteilt. Daß die Vorschriften der §§. 12 flg. A.L.R. I. 15 nicht bloß auf den eigentlich unredlichen Besitzer im Sinne des §. 11 A.L.R. I. 7, sondern auch auf den vom Gesetze einem solchen nach §§. 14. 15 a.a.O. gleich geachteten Besitzer anzuwenden sind, kann nach der unverkennbaren Verbindung, welche zwischen den Vorschriften des Tit. 7 und Tit. 15 besteht, vgl. §§. 2. 1-1. 27. 33 Tit. 15, insbesondere auch §. 20 a. a. O., nicht bezweifelt werden, ist auch in der preußischen Doktrin und Praxis anerkannt.1

Zur Anwendung des §. 15 a. a. O. bedarf es einer Absicht, durch die Weiterveräußerung die Sache der Verfolgung des wahren Eigentümers zu entziehen, nicht (vgl. Förster, a. a. O. S. 303), wie es auch nach gemeinem Rechte für das dolo desiit psidere nicht erforderlich ist, daß der Besitz gerade aus Arglist aufgegeben worden, es vielmehr genügt, daß der unredliche Besitzer sich wissentlich außer stande gesetzt hat, die Sache herauszugeben.2

Allerdings fragt es sich weiter, ob das Berufungsgericht mit Recht ohne Rücksicht darauf, ob Kläger nicht den Pfandbrief mit Erfolg gegen den jetzigen Besitzer desselben vindizieren könnte, den Beklagten zum Wertsersatze verurteilen durfte. Der Beklagte hatte angegeben, daß er den Pfandbrief an die kur- und neumärkische ritterschaftliche Darlehnskasse weiter veräußert habe, und daß diese, welche er mit dem emittiert habenden Pfandbriefsinstitute identifizierte, sich, falls sein Erwerb ein unvorsichtiger gewesen, erst recht eines unvorsichtigen Erwerbes schuldig gemacht habe. Diese Behauptung hat das Berufungsgericht nicht besonders erörtert, jedenfalls also nicht für geeignet erachtet, den Klaganspruch auszuschließen. In früherer Zeit ist die bloße Subsidiarität des Anspruches aus §. 15 a.a.O. von den Kommentatoren behauptet worden.3

Das preußische Obertribunal hat indessen angenommen, daß für den Eigentümer das Recht auf Schadloshaltung durch Wertserstattung gegen den unredlichen Besitzer, der sich des Besitzes entäußert hat, neben dem Vindikationsrechte gegen den nunmehrigen Besitzer zur Wahl stehe4 und dieser Ansicht haben sich die neueren Kommentatoren angeschlossen.5

Dieser Ansicht mußte beigetreten werden. Auch für das gemeine Recht gilt als Regel, daß mit der Vindikationsklage sowohl der wirkliche Besitzer wie auf die Ästimation der, qui dolo desiit possidere verfolgt werden kann.6

Allerdings macht 1. 13 §. 14 Dig. de herd. pet. 5, 8 eine Einschränkung für den Fall, daß der dritte Besitzer paratus sit judicum pati. Aber die darin zu findende Voraussetzung, daß der Eigentümer den wirklichen Besitzer ebenso bequem verfolgen kann, wie den fingierten (vgl. Francke, a. a. O. S. 182), würde in einem Falle nicht zutreffen, in welchem der Eigentümer, statt den Bankier zu verfolgen, der selbst von einem Unbekannten, und zwar mutmaßlich dem Diebe oder einem Genossen desselben gekauft hat, denjenigen verfolgen sollte, der erst wieder von jenem bekannten Bankier gekauft hat. Für das preußische Recht aber, welches den Vindikationsanspruch nur gegen den wirklichen Besitzer kennt (§§. 11.13 a. a. O. 1.15), dagegen in dem daneben statuierten Ansprüche gegen denjenigen, welcher die Sache unredlich in Besitz genommen, aber sich denselben wieder entäußert hat, einen Anspruch auf Schadensersatz aus einem Delikt sieht (§§. 14. 15 a.a.O.), kann die Nichtsubsidiarität dieses Anspruches vollends nicht bedenklich sein. Das Gesetz sieht in der widerrechtlichen Ergreifung des fremden Eigentumes eine unerlaubte Handlung, welche zum vollen Ersatze der dadurch bewirkten Vermögensverminderung führen soll, sofern der Ergreifer die Sache selbst nicht zurückgeben kann. In dem Begriffe des Schadensersatzes liegt es, daß er vom Ersatzpflichtigen nicht abgelehnt werden kann, weil der Verletzte auch noch Anderen, gegenüber Mittel zur Ausgleichung des Verlustes habe. Den Eigentümer immer erst auf den Weg der Verfolgung des Vindikationsanspruches zu verweisen, wäre praktisch unzuträglich und, wenn man die Eventualität stellt, daß dies danach selbst der Dieb oder Räuber, der die Sache fortgegeben hat, thun könnte, offenbar unbillig."

  • 1. Vgl. Förster (Eccius), Preuß. Privatrecht 4. Aufl. Bd. 3 S. 133. 296; Bornemann, Preuß. Civilrecht 2. Ausg. Bd. 2 S. 149; Striethorst, Archiv Bd. 47 S. 278 flg.; Entsch. des Obertribunales Bd. 67 S. 84 flg.
  • 2. Vgl. Windscheid, Pandekten 5. Aufl. Bd. 1 S. 615 Note 8; Franse, Kommentar de hereditatis petitione S. 187.
  • 3. Vgl. Koch, Kommentar 2. Aufl. Note 15 zu §. 15.; Bornemann, a. a. O. S. 148 Note 2.
  • 4. vgl. Entsch. des Obertribunales Bd. 66 S. 59 flg., Striethorst, Archiv Bd. 82 S. 181 flg.
  • 5. Vgl. Koch, Kommentar in der Förster-Johow'schen Ausg. Nr. 23 zu §. 13 Tit. 15; Förster (Eccius), Privatrecht 4. Aufl. Bd. 3 S. 303 Note 105; Dernburg, Preuß. Privatrecht 3. Aufl. Bd. 1 S. 605 Note 1.
  • 6. Vgl. 1. 20 §. 21, I. 25 §§. 8-10 Dig. de hered. pet. 5, 3; I. 27 §. 3 Dig. de rei. vind. 6, 1; Windscheid, Pandekten Bd. 1. S. 615. 616 Note 12; Wetzel l, Vindikationsprozeß S. 223 flg.; Vangerow, Pandekten Bd. 1 §. 332 Anm. 3 Nr. III. 1b; vgl. §. 304 sächs. bürgerl. Gesetzbuch; §. 378 Österreich, bürgerl. Gesetzbuch.