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RG, 06.10.1883 - I 315/83

Daten
Fall: 
Präsumtiver Erfüllungsort
Fundstellen: 
RGZ 10, 92
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.10.1883
Aktenzeichen: 
I 315/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Essen
  • OLG Hamm

Präsumtiver Erfüllungsort. Ist der Berufungsrichter an eine von der Kammer für Handelssachen auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft nach §. 118 H.G.B, getroffene Entscheidung gebunden?

Tatbestand

Der Reisende des in Witten etablierten Beklagten schloß Namens desselben mit dem Kläger einen Vertrag ab, wonach der Beklagte dem Kläger für die Zeit 1. Juli 1882/83 wöchentlich zweimal 200 Ztr. prima melierter gewaschener Kohlen von Zeche Neu-Iserlohn zu liefern hatte. Der Kläger klagte auf Ersatz des aus der Nichterfüllung des Vertrages ihm entstandenen Schadens bei dem Landgerichte Essen, zu dessen Sprengel Neu-Iserlohn, nicht aber Witten, gehört. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes und bestritt die gesetzliche Vollmacht des Reisenden zum Abschlusse des Lieferungsvertrages. Die Kammer für Handelssachen des Landgerichtes Essen erkannte nach der Klage und das Oberlandesgericht H. wies die vom Beklagten eingelegte Berufung zurück. Auf Revision des Beklagten hob das Reichsgericht das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Aus den Gründen

1.

"Der erste Angriff des Revisionsklägers, die Entscheidung über die Kompetenz betreffend, ist unbegründet. Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Vertragsgegenstand, um welchen es sich hier handelt, als "bestimmte Sache" im Sinne des Art. 324 Abs. 2 Satz 2 u. Art. 342 Abs. 2 Satz 2 H.G.B.'s angesehen werden kann; denn die in Art. 342 Abs. 1 H.G.B.'s in Bezug genommene allgemeine Bestimmung des Art. 342 Abs. 1 H.G.B.'s führt zu der Annahme, daß die Zeche Neu-Iserlohn als Erfüllungsort des fraglichen Vertrages anzusehen ist. Die wirtschaftliche Natur des Kohlenlieferungsgeschäftes im Großen bringt es mit sich, daß Kohlenlieferungen direkt von der Grube aus effektuirt werden, die Kohlen nicht erst nach der an einem anderen Orte befindlichen Niederlassung des Verkäufers gebracht werden. Letzterer Ort kommt also keinenfalls als Erfüllungsort in Betracht. Ob der Verkäufer die Kohlen an der Förderungs- bezw. Bearbeitungsstelle oder am Destinationsorte zu liefern hat, ist Thatfrage. Das Häufigste ist das Erstere. Da aber, wo ein einziger fester Preis vereinbart ist, und der Käufer zu bestimmen hat, wohin die einzelnen Partien Kohlen zu transportieren sind, die aufzuwendenden Frachten also von sehr verschiedener Höhe sein und darum im voraus gar nicht in Berechnung gezogen werden können, kann schlechterdings nichts anderes gemeint sein, als daß am Förderungsorte erfüllt werden soll. Besondere Umstände, z. B. die besondere Lage des Förderungsortes, die Anlage einer Privatbahn von demselben bis zu einer Eisenbahnstation, einem Hafen etc. können modifizierend einwirken. Solche Umstände sind aber hier nicht geltend gemacht. Die Entscheidung über die Kompetenzfrage ist mithin richtig, wenn auch die Motivierung aus Art. 342 Abs. Satz 2 nicht ganz korrekt sein sollte.

2.

Im Berufungsurteile wird gesagt:

"Die Kammer für Handelssachen des Landgerichtes zu Essen hat in Gemäßheit des §. 118 des Gerichtsverfassungsgesetzes auf Grund eigener Sachkunde und Wissenschaft als handelsüblich festgestellt, daß derartige Geschäfte, wie das vorliegende, durch Reisende zum Abschluß gebracht werden, und daß dieselben keineswegs zu den größeren und außerordentlichen gehören. Bei dieser Feststellung mußte es sein Bewenden haben, so daß es einer Beweisaufnahme über die vom Beklagten in der Berufungsinstanz im entgegengesetzten Sinne aufgestellte Behauptung nicht bedurfte."

Nach dem Wortlaute scheint in dem letzten Satze die Auffassung des §. 118 G.V.G. gebilligt zu werden, daß, wenn eine Kammer für Handelssachen über einen Gegenstand, zu dessen Beurteilung eine kaufmännische Begutachtung genügt, oder über das Bestehen eines Handelsgebrauches auf Grund einiger Sachkunde und Wissenschaft einmal entschieden hat, diese Entscheidung unanfechtbar und auch für den Berufungsrichter maßgebend sei. Diese Auffassung würde eine rechtsirrtümliche sein. Eine solche Entscheidung bindet den Berufungsrichter an sich in keiner Weise. Es ist seine Sache, die Richtigkeit der Entscheidung ebenso zu prüfen, wie die des Gutachtens vernommener Sachverständigen. Über diese Prüfung aber hat er, namentlich wenn die Entscheidung angefochten und anderweiter Beweis angetreten ist, sich in den Entscheidungsgründen auszusprechen. Aus diesem Grunde aber würde, auch wenn man die erwähnte Entscheidung dahin verstehen wollte, die erstinstanzliche Entscheidung sei richtig, und es sei deshalb von weiterer Beweiserhebung abzusehen, dem Berufungsrichter, welcher diesen Ausspruch nicht näher begründet hat, ein rechtsgrundsätzlicher Verstoß vorzuwerfen sein.

In der angeführten Entscheidung ist mithin ein Aufhebungsgrund enthalten."