RG, 03.10.1883 - II 310/83
An welchem Orte hat bei der Verkaufskommission der Kommittent dem als Selbstkontrahent eingetretenen Kommissionär gegenüber zu erfüllen?
Tatbestand
In der Klage wird behauptet, die Klägerin habe vom Beklagten den Auftrag zum Verkaufe von 50 000 Liter Spiritus erhalten; sie habe dem Beklagten angezeigt, daß sie den Verkauf ausgeführt, und sodann, daß sie selbst als Käufer eingetreten sei; der Beklagte habe sich geweigert, dies Geschäft anzuerkennen, und habe seinen Rücktritt von demselben erklärt; sie, die Klägerin, habe darauf dem Beklagten angezeigt, daß sie die von ihm zu liefernde Ware selbst ankaufen werde, und habe diesen Kauf ausgeführt, dabei sei ihr ein Schade von 1197,50 M erwachsen. Sie beantragt Verurteilung des Beklagten, ihr diesen Schaden zu ersetzen, und richtet ihre Klage an das Landgericht zu Breslau, das Gericht ihres Niederlassungsortes.
Der Beklagte erhob den Einwand der Unzuständigkeit des Gerichtes und verweigerte die Verhandlung zur Hauptsache.
Das Landgericht Breslau erkannte die Einrede für begründet an, weil durch die Erklärung der Klägerin, den Spiritus selbst liefern zu wollen, an Stelle des von ihr behaupteten Kommissionsverhältnisses dasjenige zwischen Verkäufer und Käufer getreten und der Beklagte am Orte seiner Handelsniederlassung, Dresden, zu erfüllen habe. Demgemäß wurde die Klage abgewiesen.
Auf Berufung der Klägerin änderte das Oberlandesgericht zu Breslau durch Urteil vom 27. April 1883 das landgerichtliche Urteil ab, erkannte das angegangene Gericht für zuständig und verwies die Sache zur Entscheidung in der Hauptsache an dasselbe zurück. Die gegen dieses Urteil vom Beklagten eingelegte Revision wurde vom Reichsgerichte zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Art. 376 H.G.B, gewährt dem Verkaufskommissionäre die Befugnis, das Kommissionsgut, vorausgesetzt, daß es einen Marktpreis hat, als Käufer für sich zu behalten. Wenngleich nun über die juristische Konstruktion dieses Rechtes, bezw. des dadurch, daß der Kommissionär von diesem Rechte Gebrauch macht, begründeten Rechtsverhältnisses verschiedene Ansichten herrschen, so kann doch darüber kein Zweifel bestehen, daß der Inhalt des kommittierten vom Kommissionär mit einem Dritten abzuschließenden Geschäftes für das durch den Eintritt des Kommissionärs als Selbstkontrahent entstandene Rechtsverhältnis maßgebend ist.
Bei Anerkennung des in Art. 376 a. a. O. enthaltenen Grundsatzes ist der Gesetzgeber von der im Verkehrsleben herrschenden Ansicht ausgegangen, daß es für den Kommittenten in den meisten Fällen gleichgültig sei, ob ein beliebiger Dritter oder der Kommissionär Käufer, bezw. Verkäufer werde, wenn nur im übrigen der Inhalt des Geschäftes der gleiche bliebe, daß daher der Kommittent, wenn es im einzelnen Falle seinem Interesse entspreche, daß mit einem Dritten kontrahiert werde, dies zu erkennen zu geben habe. Dagegen würde die Bestimmung als eine völlig willkürliche, innerlich ungerechtfertigte und unerklärbare sich darstellen, wenn dem Kommissionär gestattet würde, durch seine einseitige Erklärung ein Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Kommittenten mit einem anderen Inhalte als dem für das mit einem Dritten abzuschließende Geschäft festgesetzten abzuschließen. Daher können diejenigen, welche die Bestimmung des Art. 376 H.G.B, so konstruieren, daß im Selbsteintritt des Kommissionärs als Kontrahent nicht sowohl eine Art der Ausführung der Kommission als vielmehr die Acceptation einer eventuellen Kaufs- oder Verkaufsofferte liege, diese Offerte doch nur so auffassen, daß dem Kommissionär ein Vertrag mit dem gleichen Inhalte offeriert wird, welchen der von ihm in Ausführung der Kommission mit einem Dritten abzuschließende Vertrag nach dem Kommissionsvertrage haben sollte.
Um den Inhalt des kommittierten (vom Kommissionär mit einem Dritten abzuschließenden) Geschäftes zu erforschen, ist, soweit derselbe von den Kontrahenten des Kommissionsvertrages, dem Kommittenten und dem Kommissionär, nicht ausdrücklich festgestellt ist, auf den aus den Umständen erkennbaren Willen derselben zurückzugehen. Bei der Untersuchung dieses präsumtiven Vertragswillens aber wird man, wenn besondere Umstände nicht vorliegen, zu der Annahme gelangen, daß nach dem Willen der Kontrahenten das Geschäft der Verkehrssitte entsprechend, bezw. mit dem durch die einschlagenden subsidiären Rechtssätze bestimmten Inhalte abzuschließen sei.
Was nun insbesondere die Bestimmung des Ortes betrifft, an welchem der Verkaufskommissionär die von ihm für Rechnung des Kommittenten zu verkaufende Ware dem dritten Käufer liefern solle, so liegen häufig Umstände vor, aus welchen, wenn ausdrückliche Festsetzungen nicht getroffen sind, der Vertragswille erkannt werden kann. So wird es z. B. dann, wenn eine Umladung des zu transportierenden Kommissionsgutes unzweckmäßig erscheint, als Vertragswille angesehen werden können, der Kommissionär habe im Vertrage mit dem Dritten vereinbart, daß am Produktions- oder Lagerungsorte des Gutes (an der Kohlengrube, am Fabriksorte, im Entrepot) geliefert werde. Der Niederlassungsort des Kommittenten wird jedoch als solcher nie in Betracht kommen. Liegen derartige Umstände nicht vor, so wird es als Vertragswille des Kommittenten und Kommissionäres anzusehen sein, daß der Kommissionär gemäß dem Inhalte der Bestimmungen der Artt. 324 Abs. 2 Satz 1 und 342 Abs. 2 Satz 1 H.G.B. abschließe, daß er also entweder den Inhalt des Gesetzes in den Vertrag ausdrücklich aufnehme oder über den Erfüllungsort nichts vereinbart, sodaß die betreffenden Bestimmungen als subsidiäre gesetzliche Bestimmungen zur Anwendung kommen.
Hieraus folgt nach den obigen Ausführungen über den Eintritt des Kommissionärs als Selbstkontrahent, daß, wenn der Verkaufskommissionär von der ihm durch Art. 376 H.G.B. gewährten Befugnis Gebrauch macht, in Ermangelung von ausdrücklichen oder aus den Umständen zu entnehmenden Vereinbarungen über den Erfüllungsort des kommittierten Geschäftes, in dem durch die Erklärung des Kommissionärs entstandenen Rechtsverhältnisse der Kommittent als Verkäufer am Orte der Handelsniederlassung des Kommissionärs und Käufers zu erfüllen hat, und daß daher nach §. 29 C.P.O. das Gericht dieses Ortes für die gegen diesen gerichtete Klage auf Entschädigung wegen Nichterfüllung zuständig ist.
In der vorliegenden Klage macht nun die Klägerin derartige Ansprüche vor dem Gerichte ihrer Handelsniederlassung geltend. Dies genügt, um die Einrede des unzuständigen Gerichtes als unbegründet erscheinen zu lassen, während darüber, ob das Vorhandensein der Voraussetzungen dieser Ansprüche in der That schlüssig begründet ist, dermalen noch nicht zu erkennen ist."