RG, 03.10.1883 - I 311/83

Daten
Fall: 
Anspruch des Grundstücksverkäufers
Fundstellen: 
RGZ 10, 176
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.10.1883
Aktenzeichen: 
I 311/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

1. Anspruch des Grundstücksverkäufers auf das Interesse seit der Erfüllung, nachdem die Verurteilung des Mitkontrahenten zur Naturalerfüllung ohne Erfolg geblieben ist.
2. Wird die Interesseforderung des Verkäufers dadurch ausgeschlossen, daß er, um sich von der Last des nicht abgenommenen Grundstückes zu befreien und die Höhe seines Schadens festzustellen, anderweit verkauft hat?
3. Ist der Verkäufer berechtigt, das gesamte Erfüllungsinteresse zu fordern, wenn der Mitkontrahent sich nur bezüglich eines Teiles der Gegenleistung zu erfüllen außer stand gesetzt hat?
4. Anschlag des Interesses durch Berechnung der Differenz bei dem nicht abgenommenen Gegenstande der Leistung und bei der vorenthaltenen Gegenleistung.

Tatbestand

Die Parteien hatten einen Vertrag abgeschlossen, in welchem Beklagter sein Haus für 46 000 M an Kläger veräußert hatte. Dieser Preis sollte so berichtigt werden, daß Beklagter zu einem festgesetzten Preise zwei Baustellen annehmen sollte. Auf den Baustellen ruhte eine Hypothek an G. Diese Hypothek sollte Beklagter zu einem Teile übernehmen. Der Unterschied zwischen dem Betrage der zu übernehmenden Hypothek und dem angenommenen Werte der Baustellen sollte auf den Preis des Hauses von 46000 M angerechnet, der Restpreis für den Beklagten eingetragen werden. Dieser Vertrag ist nicht zur Ausführung gelangt. Der Hypothekgläubiger G. hat die Zustimmung zur Hypothekübernahme verweigert, die Kläger haben die Baustellen demnächst anderweit veräußert. Nun hat Beklagter seinerseits das den Klägern verkaufte Haus anderweit verwertet. Für den bei dieser Verwertung erlittenen Schaden und für den ihm an den Baustellen entgangenen Gewinn macht er die Kläger, welche ihn auf Rückgewähr einer im Laufe der Verhandlungen abgetretenen Hypothek belangt haben, einredeweise verantwortlich. Mit diesem Anspruch ist er in der Berufungsinstanz abgewiesen; das Urteil ist auf seine Revision aufgehoben.

Gründe

"Die Kläger waren durch das im Vorprozesse ergangene und rechtskräftig gewordene Versäumnisurteil vom 21. Dezember 1880 verurteilt, den zwischen den Parteien am 11. Oktober 1880 über das Haus Herbartstraße 9 geschlossenen Kaufvertrag zu vollziehen, und in Erfüllung dieser Verbindlichkeiten dem Kläger zwei Liegenschaften der Frankfurter Gemarkung nach Maßgabe der Vertragsbestimmungen in Anzahlung zu überweisen und bei der amtlichen Transskription mitzuwirken. ...

Das Berufungsurteil nimmt ganz richtig an, daß, abgesehen von abweichenden anderen Verabredungen, es den Klägern obgelegen haben würde, die Zustimmung des G. zu der teilweisen Hypothekenübernahme, welche derselbe zu erteilen verweigert hatte, herbeizuführen, sodaß sie dadurch zur Erfüllung des Vertrages in den Stand gesetzt wurden.

Das Berufungsurteil giebt aber dieser Erwägung keine weitere Folge; es erachtet es für gleichgültig, ob die Kläger sich mit der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten im Verzüge befanden, weil der Verzug der Kläger dem Beklagten nicht das Recht geben würde, den von ihm in diesem Prozesse einredeweise geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu erheben. Der Beklagte hätte wohl neben der Erfüllung dasjenige Interesse, welches er an der rechtzeitigen Erfüllung hatte, fordern können; es habe ihm aber wegen solchen Verzuges der Kläger nicht das Recht zugestanden, vom Vertrage zurückzutreten und statt der Erfüllung Schadensersatz zu beanspruchen.

Bei dieser Schlußfolgerung ist indessen außer acht gelassen, daß der Beklagte seinen Anspruch auf Naturalerfüllung bereits vergeblich gerichtlich geltend gemacht hatte, und daß die klägerischen Eheleute ohne Erfolg zur Erfüllung jenes Vertrages vom 11. Oktober 1880 rechtskräftig verurteilt worden waren. Die Realisierung dieses Urteiles hätte nur im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgen können. Die Verweisung des Beklagten auf die Forderung der Naturalerfüllung heißt also Verweisung desselben auf den Weg der Zwangsvollstreckung. Nun war aber auf diesem Wege für den Beklagten nichts zu erreichen, solange der Hypothekgläubiger G. seine Zustimmung zu der zwischen den Parteien verabredeten Hypothekenregulierung verweigerte; selbst Zwangsauflagen an die Kläger gestattet die Civilprozeßordnung für einen solchen Fall nicht. Für den Fall, daß der Schuldner zu einer Handlung verurteilt worden ist, welche durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann, ist die Zwangsvollstreckung in §. 774 C.P.O. nur für zulässig erklärt worden, wenn die Handlung ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, - ein Fall, der hier wegen der zur Leistung der Kläger notwendigen und verweigerten Mitwirkung des Hypothekgläubigers eben nicht vorliegt.

Daß aber in solchem Falle der Forderungsberechtigte, statt der nicht erzwingbaren Naturalerfüllung das Interesse fordern und seine Interessenforderung gerichtlich geltend machen kann, ist nach gemeinem Rechte völlig unzweifelhaft. Die Civilprozeßordnung hat es vermieden, diese Frage zu regeln - §. 778 -, so daß die bis dahin gültigen rechtlichen Bestimmungen bestehen geblieben sind. Es ist aber im gemeinen Rechte von jeher als ganz selbstverständlich angesehen, daß, wenn die zur Erzwingung einer Handlung des Schuldners zulässigen indirekten Zwangsmaßregeln ohne Erfolg erschöpft waren, oder wenn die Anwendung von Zwangsmitteln überhaupt für unzulässig erachtet wurde, der Gläubiger das Interesse statt der Erfüllung fordern dürfe; nur darüber bestand eine Kontroverse, ob, wenn überhaupt nicht erzwingbare Handlungen in Frage stehen, nicht schon das Urteil auf das Interesse gerichtet werden müsse, und deshalb von vornherein auf das Interesse zu klagen sei, oder ob das Interesse erst statt der Exekution, wenn der Verurteilte nicht leistete, gefordert werden dürfe.1

Insonderheit wurde vielfach die Behauptung aufgestellt, daß die Erfüllung des Verkäufers, die Tradition der verkauften Sache, nicht erzwingbar und aus diesem Grunde die Klage des Käufers auf das Interesse statt der verweigerten Erfüllung auch noch bei uns wie im römischen Rechte schlechthin zulässig sei.2

Wenn man nun aber auch anzunehmen hat, daß Klage und Urteil zunächst auf die Erfüllung der schuldigen Leistung zu stellen sind,3 so ist die Interesseforderung damit von selbst gegeben, daß das nicht erzwingbare Urteil unerfüllt gelassen wird. Sind hiernach der Ausgangspunkt des angegriffenen Urteils und die daraus gezogenen Folgerungen rechtsirrtümlich, so sind nicht weniger rechtsirrtümlich diejenigen Ausführungen des Urteils, welche darzulegen unternehmen, daß der Beklagte seine Ansprüche aus dem Vertrage aufgegeben habe.

Das Berufungsurteil hat nicht verkannt, daß der Anspruch des Beklagten auf das Interesse - abgesehen von dem bisher erörterten, in dem angegriffenen Erkenntnisse unrichtig beurteilten Grunde - dadurch begründet wurde, daß die Kläger sich durch den am 14. September 1881 vorgenommenen anderweiten Verkauf der von ihnen dem Beklagten zu leistenden Grundstücke außer stand gesetzt haben, den Vertrag vom 11. Oktober 1880 zu erfüllen.

Das Berufungsurteil nimmt aber an, diese Interesseforderung würde dadurch ausgeschlossen, daß der Beklagte schon vorher seinerseits von dem Vertrage zurückgetreten sei. Soweit nun zu den Akten, durch welche dieser vorherige Rücktritt erklärt sein soll, auch die Thatsache gerechnet wird, daß der Beklagte seinerseits das Haus Herbartstr. 9 an R. verkauft hat, ist außer acht gelassen, daß dieser Verkauf nach dem Thatbestande des angegriffenen Urteiles unbestrittenermaßen erst am 5. April 1882 stattgefunden hat, also später, als die Kläger ihrerseits über die von ihnen zu übertragenden Grundstücke anderweit verfügt hatten.

Sodann aber ist die ganze Argumentation des Berufungsurteiles rechtlich haltlos. Der Beklagte hatte, nachdem die Kläger rechtskräftig zur Erfüllung des Vertrages vom 11. Oktober 1880 verurteilt worden waren, eine neue Klage erhoben, und er hatte mit dieser den Antrag gestellt,

die jetzigen Kläger zu verurteilen, in die öffentliche Versteigerung des Hauses Herbartstr. 9 zu willigen, auch die sich bei der Versteigerung etwa ergebende Differenz zwischen dem Betrage von 46 000 M, zu welchem Preise das Haus in dem nicht erfüllten Vertrage unter den Kontrahenten angesetzt worden war, und dem Versteigerungserlöse an die Kläger als Schaden zu vergüten.

Zur Begründung hatte der Kläger erklärt, daß er statt der Erfüllung Schadensersatz wegen unterlassener Vollziehung des Vertrages fordere. Die Klage wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 9. April 1881 abgewiesen, weil Kläger einen Anspruch auf Einwilligung der Beklagten nicht habe; die Gründe jenes Urteiles bemerkten weiter: stehe dem Kläger ein Recht zu, so vorzugehen, wie er beabsichtige, - was in jenem Prozesse nicht festzustellen sei, - so würde er, wenn er auf diesem Wege fortschritte, auch ohne vorgängige Einwilligung der Beklagten dazu gelangen, daß Beklagte ihm eine sich zu seinem Nachteile ergebende Differenz erstatten müßten, sobald sie erst festgestellt worden sei. Das Berufungsgericht nimmt nun aber an, damit, daß der jetzige Beklagte jenen Anspruch erhoben habe, sei der Entschluß kundgegeben, den Kaufvertrag nicht mehr zur Ausführung zu bringen, und hierin soll dann der Rücktritt des Beklagten von dem Vertrage liegen, welcher die spätere Geltendmachung einer an sich begründeten Interesseforderung ausschließe.

Dieser Argumentation liegt eine offenbare Verwechselung zu Grunde. Wer das Interesse statt der Erfüllung fordert, geht nicht vom Vertrage ab, als sei derselbe nicht geschlossen; er fordert vielmehr nur einen anderen Gegenstand, aber er fordert diesen Gegenstand kraft seines Rechtes aus dem Vertrage. Statt daß er von dem Vertrage abgeht, fordert er die Realisierung des Vertrages nur nach einer anderen Richtung: statt des unmittelbaren Vertragsgegenstandes, Gewährung des Vermögenswertes, den er gehabt haben würde, wenn der Schuldner den Vertragsgegenstand selbst gewährt hätte. Nun ist es zwar richtig, daß, wenn der Schuldner diesen Vermögenswert, das Interesse, leistet, damit dem Gläubiger gewährt wird, was er zu fordern hat, und in diesem Falle der Schuldner seiner Verbindlichkeit aus dem Vertrage ledig wird, sodaß nun seine anderweite Verfügung über den Vertragsgegenstand keine weitere Folge hat. Wenn der Schuldner aber weder den Vertragsgegenstand noch das Interesse leistet, so kann er sich seiner Verbindlichkeit nicht durch eine anderweite Veräußerung des Vertragsgegenstandes mit Berufung darauf entziehen, daß der Gläubiger keinen Wert auf den Vertragsgegenstand gelegt, weil er das Interesse gefordert habe, und daß er das Interesse nicht habe fordern können, weil er nur den Vertragsgegenstand zu beanspruchen gehabt habe.

Auf ein solches Räsonnement läuft aber die Begründung des Berufungsurteiles in dem erörterten Punkte und in der Fortsetzung hinaus, welche auch ein Abgehen des Beklagten von dem Vertrage darin erblicken will, daß der Beklagte die Versteigerung seiner Liegenschaft allerdings ohne anderen Erfolg veranlaßt hat, als daß er allein ein Gebot abgegeben und so die Liegenschaft behalten hat.

Hier spricht es das Urteil geradezu aus: weil sich ein Recht des Beklagten zur Versteigerung der Liegenschaft aus dem Verhalten der Kläger nicht herleiten ließ, so müsse angenommen werden, daß diese (resultatlose) Handlung desselben ein Abgehen von dem Vertrage enthielt. Es bedarf dem gegenüber kaum noch der Bemerkung, daß, wenn dem Beklagten ein Anspruch auf das Interesse nicht zustand, er durch die Erhebung oder die resultatlose Vorbereitung solchen Anspruches nicht den Anspruch verwirken konnte, welchen er hatte.

Stand aber dem Beklagten schon damals ein Interesseanspruch zu, und wurde ein solcher nach der eigenen Annahme des Berufungsrichters - von den übrigen Repliken der Kläger abgesehen - auf alle Fälle durch eine rechtswidrige Veräußerung der Kläger begründet, so konnte dieser Interessenanspruch auch nicht dadurch verwirkt werden, daß der Beklagte sein Haus Herbartstr. 9 veräußerte, nachdem die Kläger ihrerseits die von ihnen zu leistenden Grundstücke anderweit veräußert hatten.

Der Revisionskläger selbst hat die Frage aufgeworfen, ob dem Beklagten eine Veräußerung aus einem von dem Berufungsurteil nicht erörterten Grunde entgegenstehe. Es ließe sich folgende Begründung aufstellen.

Das Interesse, welches der Beklagte an der Erfüllung des Vertrages durch Gewährung der Gegenleistung hatte, ging doch eben nur dahin, daß ihm die Gegenleistung gewährt wurde; erhielt er von dieser die Grundstücke nicht, welche ihm die Kläger zu dem festgestellten Werte in Anrechnung auf den Preis des Hauses Herbartstraße 9 zu gewähren hatten, so mag er das Interesse fordern, daß er die Grundstücke nicht erhalten hat, also den Wert derselben, wie er sich für ihn gestellt haben würde, sodaß nun die Kläger, soweit bares Geld zu leisten haben würden; er kann aber nicht statt jenes das andere Interesse fordern, daß der ganze Vertrag vom 11. Oktober 1880 nicht erfüllt ist, denn jener Vertrag war mit dieser Abänderung auch noch nach der Disposition der Kläger erfüllbar.

Diese Begründung würde außer acht lassen, daß es sich auf seiten der Kläger nicht bloß um einen Erfüllungsverzug, sondern zugleich um einen Verzug in der Abnahme des ihnen verkauften Hauses handelte, das sie freilich nicht anders abnehmen konnten, als wenn sie ihrerseits die Gegenleistung gewährten. Und dieser Verzug in der Abnahme begründete auch das Recht des Beklagten, wenn er seinerseits ohne Erfolg alles gethan hatte, um die Realisierung des Vertrages herbeizuführen, sich der ferneren Verwaltung des Hauses durch anderweite Veräußerung unter den erforderlichen Kautelen zu entziehen.4

Aber auch abgesehen von dieser Erwägung war der Beklagte nicht gehalten, zu einem erheblichen Teile eine andere Erfüllung anzunehmen als diejenige, welche zwischen den Parteien verabredet war. War diese von den Klägern nicht so zu erlangen, wie sie verabredet war, weil sie das richterliche Urteil unerfüllt ließen und überdies über ihre Liegenschaften anderweit verfügten, so war dem Beklagten nicht anzusinnen, daß er in eine Teilung der Vertragsverbindlichkeiten zum Vorteile der Kläger willige, er durfte vielmehr das Interesse fordern, welches er daran hatte, daß er nicht gegen sein Haus die verabredete hypothekarische Forderung an dem Hause und die Baustellen mit der verabredeten Belastung erhalten hat, also dasjenige, was er bei einer sorgsamen anderweiten Veräußerung des Hauses weniger als den beredeten Kaufpreis erzielt hat, und dasjenige, was er in den Baustellen mehr gehabt haben würde, als den in dem Vertrage angesetzten Wert desselben, sowie endlich die gehabten Kosten." ...

  • 1. Vgl. Sintenis in der Gießener Zeitschrift Bd. 10 Nr., 2.
  • 2. l. 1 pr. Dig. de act. emti et venditi 19, 1.
  • 3. vgl. Wächter, Erörterungen Heft 2 S. 25,
  • 4. Vgl. 1. 1 §. 3 Dig. de periculo et commodo rei venditae 18, 6.