BGH, 28.01.1980 - II ZR 124/78

Daten
Fall: 
Anfechtbarkeit eines Mehrheitsbeschlusses über die Auflösung der Gesellschaft
Fundstellen: 
BGHZ 76, 352; DB 1980, 870; GmbHR 1981, 111; JZ 1980, 355; MDR 1980, 559; NJW 1980, 1278; ZIP 1980, 275
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
28.01.1980
Aktenzeichen: 
II ZR 124/78
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Stimpel, Fleck, Bauer, Kellermann, Bundschuh
Instanzen: 
  • LG Freiburg, 03.11.1975
  • OLG Karlsruhe, 03.05.1978

Zur Anfechtbarkeit eines Mehrheitsbeschlusses über die Auflösung der Gesellschaft.

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden die Urteile des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 13. Zivilsenat in Freiburg - vom 3. Mai 1978 und der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg vom 3. November 1975 aufgehoben.

Der in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 16. Januar 1975 gefaßte Beschluß, die Gesellschaft aufzulösen, wird für nichtig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Tatbestand

Der Kläger ist mit 10 % an der beklagten GmbH beteiligt. Mehrheitsgesellschafterin mit einer Beteiligung von 90 % ist Frau F., die bis Ende 1974 auch Geschäftsführerin war. Nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 12 Nr. 1, § 17 Abs. 1 Satz 2) kann die Gesellschafterversammlung mit 4/5 Mehrheit die Auflösung der Gesellschaft beschließen.

Durch Anwaltsschreiben vom 5. Dezember 1974 warf der Kläger Frau F. vor, sie habe ihre Pflichten als Geschäftsführerin so grob verletzt, daß er ihre Abberufung aus wichtigem Grund beantragen müsse. So habe sie von der Beklagten ein hohes Darlehen aufnehmen und zu wesentlich günstigeren Bedingungen an sich selbst weitergeben lassen, sowie auf Kosten der Beklagten einen Mercedes-Pkw zum Preise von über 40.000,- DM ausschließlich für Fahrten zwischen ihrer Privatwohnung und den Geschäftsräumen angeschafft. Daraufhin antwortete Frau F. dem Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 1974, sie sei nun der von ihm betriebenen Obstruktion müde und habe sich zur Trennung von ihm entschlossen. Sie lud ihn zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 16. Januar 1975 ein, auf der als Tagesordnungspunkte insbesondere die Auflösung der Gesellschaft und deren Abwicklung behandelt werden sollten. Zugleich erklärte sie, ihr Amt als Geschäftsführerin zum 30. Dezember 1974 niederzulegen. Ebenfalls am 30. Dezember 1974 gründete Frau F. mit ihrer Mutter die "H. GmbH". Sie traf eine Reihe von Maßnahmen mit dem Ziel, Vermögen und Geschäftsbetrieb der Beklagten auf diese Gesellschaft überzuleiten. In der Gesellschafterversammlung vom 16. Januar 1975 wurden mit der Stimme von Frau F. gegen die des Klägers die sofortige Auflösung der Gesellschaft beschlossen, ein Liquidator bestellt und Beschlüsse über die Durchführung der Liquidation gefaßt.

Bald danach wurde die Gesellschaft größtenteils in der Weise abgewickelt, daß Betriebsvermögen an die H. GmbH verkauft wurde.

Mit der Klage hat der Kläger unter anderem beantragt, den Gesellschafterbeschluß vom 16. Januar 1975, die Gesellschaft aufzulösen, für unwirksam zu erklären. Zur Begründung hat er vor allem geltend gemacht, Frau F. habe unter Verstoß gegen die guten Sitten und die gesellschaftliche Treuepflicht ihre Stimmrechtsmacht dazu mißbraucht, das blühende Gesellschaftsunternehmen zu zerschlagen, um sich dessen Vermögen zum Schaden des Klägers gegen ein Entgelt aneignen zu können, das eine Vergütung für die mitübernommenen immateriellen Werte nicht umfaßt habe. Durch ihre vorbereitenden Maßnahmen habe sie vollendete Tatsachen geschaffen, die dem Liquidator keine andere Wahl mehr gelassen hätten, als das Anlage- und Umlaufvermögen schleunigst einzeln an die von Frau F. gegründete Auffanggesellschaft zu verkaufen. Auf diese Weise habe sie ihre berechtigte Abberufung als Geschäftsführerin unterlaufen wollen.

Die Beklagte hat erwidert, zu dem Auflösungsbeschluß sei es nur deshalb gekommen, weil der Kläger seine unberechtigten Angriffe gegen die Mehrheitsgesellschafterin mit dem Versuch auf die Spitze getrieben habe, ihre Abberufung als Geschäftsführerin durchzusetzen. Hiergegen habe sich Frau F. wehren müssen. Sie habe sich spontan entschlossen, das unerträglich gewordene Gesellschaftsverhältnis zu beenden, und hierfür erhebliche Nachteile auf sich genommen; was die Abwicklung ergeben werde, sei bei der Beschlußfassung noch durchaus offen gewesen.

Beide Instanzen haben den gegen den Auflösungsbeschluß gerichteten Klageantrag abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger diesen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

1.

Der vom Kläger bekämpfte Auflösungsbeschluß vom 16. Januar 1975 ist mit der Stimmenmehrheit zustandegekommen, die § 12 Nr. 1, § 17 Abs. 1 Satz 2 der Satzung für einen solchen Beschluß vorschreiben. An weitere Voraussetzungen ist die Auflösung durch Gesellschafterbeschluß nach Satzung und Gesetz (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) nicht geknüpft. Insbesondere hat er nichts mit der Möglichkeit und den Erfolgsaussichten einer Ausschließungsklage zu tun. Auch ist es gleichgültig, welche sachlichen Gründe für die Auflösung bestehen und welcher Gesellschafter sie zu vertreten hat. Ein mit der nötigen Mehrheit gefaßter Auflösungsbeschluß bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung; er trägt seine Rechtfertigung in sich. Auf die von der Revision angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage, ob der Kläger mit Recht oder mit Unrecht gegen Frau F. heftige Vorwürfe erhoben, ihre Abberufung als Geschäftsführerin angedroht und hierdurch den unmittelbaren Anstoß zu ihrem Auflösungsantrag gegeben hat, kommt es daher nicht an.

2.

Es fragt sich aber, ob besondere Umstände vorliegen, die den angefochtenen Beschluß als das Ergebnis einer mißbräuchlichen Stimmrechtsausübung erscheinen lassen und deshalb entsprechend seine Anfechtbarkeit begründen. Dies hat das Berufungsgericht verneint. Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis mit Recht.

a) Allerdings scheidet als Anfechtungsgrund von vornherein der Gesichtspunkt aus, daß die Auflösung der Gesellschaft zur Liquidation und damit in der Regel zur Zerschlagung des Gesellschaftsunternehmens führt. Denn dieser Nachteil ist nur eine zwangsläufige Folge der durch Gesetz oder Satzung gerade zugelassenen Auflösung und kann daher nicht als Grund dafür herhalten, der Auflösung die Wirksamkeit abzusprechen.

b) Auch die Tatsache, daß der eine Gesellschafter wirtschaftlich mehr am Fortbestand der Gesellschaft mit dem sich daraus ergebenden Gewinnbezug, der andere mehr an ihrer Auflösung und der Auszahlung des Auseinandersetzungserlöses interessiert sein mag, reicht für sich allein nicht aus, in der wirtschaftlichen Begünstigung eines Mehrheitsgesellschafters einen unzulässigen Sondervorteil im Sinne des § 243 Abs. 2 AktG zu sehen. Die gesetzliche Folge der Auflösung, die Liquidation, betrifft nach § 66 ff GmbHG alle Gesellschafter nach dem Maß ihrer Jeweiligen Beteiligung rechtlich in gleicher Weise. Daß sie sich wirtschaftlich verschieden auswirken kann, liegt an den persönlichen Verhältnissen des einzelnen Gesellschafters und ist regelmäßig in Kauf zu nehmen, da sonst eine Auflösung entgegen der gesetzlichen Regelung, die lediglich eine qualifizierte Mehrheit voraussetzt, vielfach gar nicht möglich wäre. Anders könnte es bei einer Auflösungsklage nach § 61 GmbHG liegen (vgl. für die Personengesellschaft: Urt.d.Sen. v. 29.1.68 - II ZR 126/66, WM 1968, 430).

c) Deshalb vermag schließlich der Umstand, daß ein die Auflösung betreibender Gesellschafter eher als der andere wirtschaftlich in der Lage ist, das Betriebsvermögen aus der Liquidationsmasse anzukaufen und zu verwerten, seine Stimmrechtsausübung im allgemeinen noch nicht zu einer sitten- oder treuwidrigen Ausnutzung der Mehrheitsmacht zu stempeln. Durch die Auflösung der Gesellschaft erhalten alle Gesellschafter, freilich nur im Rahmen ihrer finanziellen Mittel, die Chance, das Gesellschaftsvermögen oder Teile davon gegen ein wertentsprechendes Angebot aus der Liquidationsmasse zu erwerben und mit deren Hilfe den Betrieb allein fortzuführen. Wird einem Minderheitsgesellschafter diese Möglichkeit nach der Auflösung aus Gründen, die nicht in seinem Privatbereich liegen, durch eine ihn ungerechtfertigt benachteiligende Abwicklung versperrt, so mag dies Schadensersatzansprüche auslösen, kann aber nach der zutreffenden Auffassung des Berufungsgerichts die Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses nicht mehr nachträglich beeinträchtigen.

d) Das Bild ändert sich Jedoch entscheidend, wenn man hier das unstreitige, dem Auflösungsbeschluß vorausgegangene Verhalten der Mehrheitsgesellschafterin, mit dem sie diesen Beschluß vorbereitet hat, in eine Gesamtwertung einbezieht, wie die Revision es mit Recht für nötig hält.

Bereits am 20. Dezember 1974, also noch vor der Beendigung ihres Geschäftsführeramts, gründete Frau F. eine Auffanggesellschaft, die "H. GmbH". Sie pachtete für diese Gesellschaft Büro- und Geschäftsräume, kündigte mit Schreiben vom 20. Dezember 1974 das Mietverhältnis der Parteien über einen Teil der Betriebsräume und erleichterte durch Einholung von Schätzungen eine alsbaldige Übernahme des Anlage- und Umlaufvermögens. Die Anstellungsverträge der Beklagten mit deren leitenden Angestellten löste sie einvernehmlich zum 31. Januar oder 28. Februar 1975 auf, worauf sich auch die übrigen Fachkräfte der Beklagten solidarisch erklärten und kündigten, um sich für die H. GmbH zu verpflichten. Mit einem Rundschreiben vom 30. Dezember 1974 warb Frau F. unter Hinweis auf die bevorstehende Auflösung der Beklagten für ihre "Nachfolgefirma"; sie kündigte an, diese werde voraussichtlich schon in wenigen Wochen wieder "mit Stolz den guten, alten und in Fachkreisen bestens eingeführten Namen H. tragen"; die Neugründung sei angesichts ihres Beteiligungsverhältnisses an der Beklagten "kaum etwas anderes als ein Umzug der Firma H.".

Mit diesen Maßnahmen hat Frau F. ihre gesellschaftliche Treuepflicht und, soweit sie vor dem 30. Dezember 1974 liegen, zugleich ihre Pflicht zu ordnungsmäßiger Geschäftsführung verletzt. Denn solange die Auflösung der Beklagten nicht beschlossen war, mußte sie diese als werbendes Unternehmen betrachten und darauf bedacht sein, es als solches wirtschaftlich zu erhalten und zu fördern. Statt dessen hat sie namentlich durch die Abwerbung des gesamten Fachpersonals das Gesellschaftsunternehmen ausgehöhlt und so einer Liquidation unerlaubt vorgegriffen. Infolgedessen richtet sich der Auflösungsbeschluß in Wirklichkeit gegen eine Gesellschaft, der die Existenzgrundlage zu einem wesentlichen Teil bereits genommen war, so daß die Erörterungen in der Gesellschafterversammlung vom 16. Januar 1975 über eine Veräußerung des Unternehmens "en b.", d.h. als lebenden Betrieb, praktisch ins Leere gingen. Angesichts der so geschaffenen Lage konnte der Liquidator der Auffassung sein, er habe keine andere Wahl mehr, als die Betriebseinrichtung, die Warenvorräte und sonstige Betriebsmittel unmittelbar nach dem Auflösungsbeschluß in Teilen an die neu gegründete Gesellschaft zu verkaufen. Auf diese Weise hatte Frau F. es erreicht, daß sie sich das gesamte Geschäft aneignen konnte, ohne für die tatsächlich mit übernommenen immateriellen Güter, wie sie vor allem in dem eingearbeiteten Fachpersonal, dem technischen know how, den Geschäftsbeziehungen und dem Ruf des Unternehmens zu sehen sind, eine Vergütung zahlen zu müssen.

Dieser Beurteilung steht nicht das Vorbringen der Beklagten entgegen, die Veräußerung des Betriebsvermögens in mehreren Teilakten habe im Ergebnis einem Verkauf en bloc ohne Firma entsprochen; ein höherer Kaufpreis wäre auch bei einer Übertragung im ganzen nicht zu erzielen gewesen (Schriftsatz vom 10. Juni 1975 S. 18 f). Denn auch hiernach fehlte jedenfalls ein angemessenes Entgelt für den von der Auffanggesellschaft mit genutzten Geschäftswert, der nach dem erwähnten Rundschreiben vom 30. Dezember 1974 ("stetig steigende Umsätze", "allerbeste Bilanzen") nicht unbeträchtlich gewesen zu sein scheint.

Entgegen der vom Bevollmächtigten der Mehrheitsgesellschafterin in der Gesellschafterversammlung vom 16. Januar 1975 geäußerten Ansicht wäre ein Verkauf des Gesellschaftsunternehmens im ganzen im Rahmen der Liquidation auch durchaus möglich gewesen (vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, 13. Aufl. § 70 Anm. 4 A m.w.N.). Selbst das einer Firmenübertragung zunächst entgegenstehende Hindernis, daß die Firma der Beklagten mit dem Auflösungsbeschluß noch nicht erloschen war (vgl. hierzu Scholz/Winter, GmbHG, 6. Aufl. § 4 Anm. 27, 33), hätte Frau F. mit Hilfe ihrer hohen Stimmenmehrheit leicht beseitigen können und müssen, wenn sich dies im Interesse einer möglichst günstigen Abwicklung der Beklagten als notwendig erwies.

Der Unrechtsgehalt der geschilderten Vorbereitungshandlungen, mit dem sich Frau F. planmäßig eine günstige und schnelle Geschäftsübernahme gesichert hat und zu denen noch der Versuch kommt, sich durch Beschlüsse über die Durchführung der Liquidation, die schon das Landgericht für nichtig erklärt hat, weitere ihr nicht zustehende Vorteile zu verschaffen, haftet auch dem Auflösungsbeschluß selbst an. Sie geben der Stimmrechtsausübung, mit der die Mehrheitsgesellschafterin diesen Beschluß durchgesetzt hat, das Gepräge einer unzulässigen Verfolgung von Sondervorteilen zum Schaden der Gesellschaft und des Klägers, die den Beschluß in entsprechender Anwendung des § 243 Abs. 2 AktG anfechtbar macht. Auch in diesem Zusammenhang ist es gleichgültig, wer die Zerstörung des gesellschaftlichen Vertrauensverhältnisses, die nach der Darstellung der Beklagten den ausschlaggebenden Grund für das Auflösungsverlangen der Mehrheitsgesellschafterin gebildet hat, in erster Linie zu vertreten hatte. Auch wenn Frau F. zu diesem Verlangen berechtigt war, durfte sie es nicht mit einer unerlaubten Vorwegnahme der Liquidation zu ihren Gunsten und auf Kosten der Gesellschaft und des Minderheitsgesellschafters verbinden.

3.

Der Senat verkennt nicht, daß eine Rückabwicklung der Geschäftsübernahme durch die Hydraulika GmbH auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen und zu einer Vernichtung neu geschaffener Werte führen kann, wenn die beiden Gesellschafter jetzt nicht, wie ihnen nahezulegen ist, zu einer vernünftigen Einigung gelangen sollten. Es kann der Mehrheitsgesellschafterin aber nicht zugutekommen, daß sie voreilig einen rechtswidrigen Zustand herbeigeführt und es vermocht hat, ihn jahrelang aufrechtzuerhalten.

4.

Der Auflösungsbeschluß ist daher entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechend dem ursprünglichen Hauptantrag des Klägers für nichtig zu erklären.