BGH, 21.07.1970 - StR 119/69
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten Dr. F. und Dr. H. wird das Urteil des Schwurgerichts beim Landgericht Nürnberg-Fürth vom 5. April 1968 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Schwurgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Schwurgericht hat die Angeklagten Dr. F. und Dr. H. wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und zwei Jahren verurteilt. Ihnen wird zur Last gelegt, als Beisitzer eines von dem Landgerichtsdirektor Dr. ... geleiteten Sondergerichts am 13. März 1942 durch eine Rechtsbeugung den jüdischen Kaufmann Ka. wegen Rassenschande zum Tode verurteilt zu haben. Eine gleichzeitige Verurteilung der Angeklagten wegen eines jeweils tateinheitlich begangenen Verbrechens der Rechtsbeugung ist wegen Verfolgungsverjährung unterblieben.
Gegen das Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Angeklagten Revision eingelegt. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
A. Revision der Staatsanwaltschaft
Mit ihrer Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, daß die Angeklagten nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden sind.
I.
Zutreffend geht das Schwurgericht davon aus, daß unter den besonderen Merkmalen des Mordes für die Tat der Angeklagten allein ein Handeln aus niedrigen Beweggründen in Betracht kommt. Es verneint aber eine Tatmotivation der Angeklagten, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, sieht vielmehr den tragenden Beweggrund darin, daß die Angeklagten "aus Furcht vor ... und der Partei kapitulierten".
Damit ist der Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt. Einmal reichen die vom Schwurgericht bisher getroffenen Feststellungen zur Rechtfertigung der Schlußfolgerung, Furcht der Angeklagten sei das alles überdeckende Tatmotiv gewesen, nicht aus. Zum anderen ist es nicht auszuschließen, daß das Schwurgericht mögliche - niedrige - Beweggründe übersehen oder deren Tragweite verkannt hat.
Nach den Feststellungen des Urteils haben die Angeklagten - anders als der Sondergerichtsvorsitzende ... - den von den Nationalsozialisten praktizierten Antisemitismus persönlich nicht gebilligt. Auch wenn sie davon ausgingen, daß dem damaligen Beschuldigten, über den sie zu urteilen hatten, als Juden nach der NS-Ideologie ohnehin jede Menschenwürde abgesprochen wurde, und sie zur Vermeidung unbequemer Auseinandersetzungen mit ... dem rechtswidrigen Todesurteil in der Gewißheit zustimmten, vor nachteiligen, insbesondere strafrechtlichen Folgen bewahrt zu bleiben, hätten sie aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Damit würden sie sich aus reiner Willkür zum Herrn über Leben und Tod des Beschuldigten aufgeworfen haben. Ein gewisser Hinweis ergibt sich insoweit bereits aus der Aussage des Angeklagten Dr. H. vor dem Schwurgericht, er habe es menschlich "unbewußt als eine Erleichterung empfunden, daß Ka. als Jude ... sowieso ein toter Mann gewesen sei. Falls ein Todesurteil nicht ergangen wäre, hätte die Gestapo sich seiner angenommen und ihn zu Tode gebracht".
Schließlich läßt das Urteil des Schwurgerichts auch eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob beruflicher Ehrgeiz und Willfährigkeit gegenüber einem - gerade in Personalangelegenheiten - einflußreichen Vorgesetzten das Handeln der Angeklagten entscheidend mitbestimmt haben könnten.
1.
Verschiedene Feststellungen sprechen dagegen, daß die Furcht der Angeklagten tragender Beweggrund ihres Handelns war.
Das Schwurgericht hat keine konkreten Gefahren genannt, die den Angeklagten von Seiten des Sondergerichtsvorsitzenden ... gedroht hätten. Insbesondere ist nicht festgestellt, daß ... in diesem oder auch in sonstigen Verfahren mit massivem persönlichen Druck oder gar der Androhung von persönlichen Folgen auf die Entscheidungsfreiheit der Angeklagten eingewirkt hat. Diese selbst haben in der Hauptverhandlung im Gegenteil übereinstimmend ausgesagt, bei der Entscheidung keinem äußeren Zwang oder Druck von Seiten ... ausgesetzt gewesen zu sein. Das "Schlimmste", was bei der Kundgabe abweichender Meinungen in der Beratung habe passieren können, wäre - auch nach der Aussage des Angeklagten Dr. H. - die mögliche Versetzung aus dem Sondergericht in eine andere Kammer gewesen. In den Bekundungen der Angeklagten im Juristenprozeß im Jahre 1947 (Das N. Juristenurteil, 1948, S. 212 ff), auf die das Schwurgericht Bezug nimmt und in denen das autoritäre Wesen ... hervorgehoben wird, ist von persönlichem Zwang oder Drohungen gegenüber den Angeklagten ebenfalls keine Rede, Vor allem hatte im Vorverfahren der Ermittlungsrichter in einem Aktenvermerk niedergelegt, daß gegen Ka. ein dringender Tatverdacht wegen Rassenschande nicht mehr bestehe, und sein Vertreter hatte sich wenig später dem Ansinnen ... widersetzt, diesen vom "deutschen Objektivitätsfimmel" zeugenden Vermerk aus den Akten zu entfernen. Es ist nicht festgestellt, daß die beiden Richter wegen ihres Verhaltens bis zur Hauptverhandlung von dem Sondergericht in irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen worden sind; der Ermittlungsrichter war in diesem Zwitpunkt bereits selbst zum Sondergericht versetzt worden.
2.
Auch im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand drängen sich Anhaltspunkte für eine solche Motivation der Angeklagten nicht auf. Verfahren wegen Rassenschande waren häufiger. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich nicht, daß der Prozeß gegen Ka. für die NS-Machthaber ein derartiges Gewicht hatte, daß die Angeklagten bei Stimmabgabe für einen von ihnen als geboten erkannten Freispruch schwerwiegende persönliche Nachteile hätten befürchten müssen. Selbst in höchsten NS-Juristenkreisen wurde das Todesurteil gegen Ka. als gewagt angesehen; sogar Roland Fr., der Staatssekretär im Reichsjustizministerium und spätere Präsident des Volksgerichtshofs, erklärte, daß er das Urteil zwar für vertretbar, aber wegen der Anwendung des § 2 VVO für kühn halte. Schließlich äußerte sich ... gegenüber einem anderen Richter, von 100 Vorsitzenden hätten 99 nicht den Mut gehabt, Ka. zu verurteilen; er habe diesen Mut besessen.
3.
Furcht als Beweggrund der Angeklagten war auch nicht notwendig aus der allgemeinen Situation der Strafrichter zur damaligen Zeit begründet.
Die nationalsozialistischen Machthaber waren im rechtlichen Bereich stets bestrebt, den Schein der Rechtlichkeit und richterlichen Unabhängigkeit tunlichst zu wahren (Weinkauff-Wagner, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, 1968, S. 160 ff., S. 360 ff.). Wurde dadurch deren Ziel einer mißbräuchlichen Benutzung des Strafrechts auch nur getarnt, so gab dieser Umstand andrerseits doch allen, die sich nicht als willfährige Diener des Unrechts mißbrauchen lassen wollten, die Möglichkeit eines Ausweichens, ohne sich allzu sehr verdächtig zu machen. Im Rahmen des unter einem totalitären Regime Menschenmöglichen konnte der Richter immer noch der Gerechtigkeit dienen. Er konnte insbesondere durch gründliche Beweisaufnahme, Vorsicht bei der Tatsachenfeststellung, mit einer weiten Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" und einer engen Auslegung des Tatbestands unerträgliche Folgen vermeiden, auf vertretbare, der Schuld angemessene Strafen erkennen und die Verfahrensgarantien ausschöpfen (BGH, Urteil vom 30. Juni 1959 - 1 StR 639/58 -, S. 14 ff.).
Eine Einflußnahme der Justizbehörden oder Parteistellen auf den Prozeß Ka. ist nicht festgestellt. Im übrigen bezog sich eine Lenkung von Verfahren nicht auf die Feststellung des tatbeständlichen Sachverhalts, sondern in der Regel nur auf die aus ihm abzuleitenden Rechtsfolgen. In einer Anordnung des Reichs Justizministeriums vom 13. Oktober 1942, also noch nach dem Urteil gegen Ka., heißt es hierzu:
"Im Kriege hat die Rechtsprechung in erster Linie der Erringung des Sieges zu dienen. Sie ist nach den staatspolitischen Notwendigkeiten auszurichten. Das kann man gegenwärtig nur durch eine einheitliche Lenkung der Justiz erreichen. Die Weisungsfreiheit des Richters wird dadurch nicht aufgehoben. Die Lenkung bezieht sich nicht auf die Feststellung des Tatbestandes, sondern auf die aus ihm abzuleitenden Rechtsfolgen" (mitgeteilt bei Weinkauff-Wagner, a.a.O., S. 156; s. auch S. 361 ff.).
II.
Die auch damals bestehenden Möglichkeiten rechtlicher Verfahrensweise haben die Angeklagten im Verfahren gegen Ka. nicht genutzt, obwohl sie die Judengesetzgebung nicht gebilligt und als gesetzliches Unrecht erkannt haben, das durch eine Heranziehung der Volksschädlingsverordnung vom 5. September 1939 (RGBl. I 1679) - VVO - noch verschärft wurde. Die schriftlichen Urteilsgründe machen vielmehr das Bestreben deutlich, unter allen Umständen zur Verhängung der Todesstrafe zu kommen. Es ist auffallend, daß alle nur möglichen Umstände und Gesichtspunkte zu Lasten Ka. ausgelegt und gegen ihn gewendet wurden. Dies gilt für die Beweiswürdigung ebenso wie für die unhaltbare Auslegung der §§ 2, 4 VVO und die Strafzumessungserwägungen, bei denen letztlich die Rassenzugehörigkeit - bereits Tatbestandsmerkmal nach § 2 Blutschutzgesetz - als Strafschärfungsgrund die Todesstrafe rechtfertigen sollte. Die Tragweite dieser offenkundigen Tendenz des Sondergerichtsurteils und der hierzu getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht - möglicherweise infolge der Eventualerwägungen - nicht voll gewürdigt. Das hat dazu geführt, daß bei der Begründung zu der den Angeklagten angelasteten Rechtsbeugung - der Voraussetzung einer Verurteilung wegen eines Tötungsverbrechens (BGHSt 10, 294, 299) [BGH 07.12.1956 - 1 StR 56/56] - sachliche Fehler unterlaufen sind.
1.
Das Schwurgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß Rechtsbeugung durch Sachverhaltsverfälschung, durch unrichtige Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und durch Ermessensmißbrauch bei der Strafzumessung nach zutreffender Sachverhaltsfeststellung begangen werden kann. Jedoch hat es nicht konsequent beachtet, daß es sich dabei um alternative Begehungsmöglichkeiten handelt.
Das Schwurgericht sieht die Rechtsbeugung vor allem darin, daß die Angeklagten als Mitglieder des Sondergerichts in dem Verfahren gegen Ka. mit der Annahme mehrfachen Geschlechtsverkehrs zwischen den damaligen Beschuldigten Ka. und Frau S., d.h. mit der Feststellung eines tatbestandserheblichen Sachverhalts i.S. der §§ 2, 5 Abs. 2 Blutschutzgesetz vom 15. September 1935 (RGBl I 1146), bewußt gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" verstoßen hätten. Es hat hier allerdings unter begrifflicher Verkennung eine Sachverhaltsverfälschung verneint. Eine solche Verfälschung will es offensichtlich nur annehmen, wenn anstelle des festgestellten ... ein anderer Sachverhalt dem Urteil zugrunde gelegt wird. Das ist unrichtigt. Eine Sachverhaltsverfälschung liegt auch dann vor, wenn der Tatrichter bei der Beweiswürdigung den grundlegenden Beweis- und Verfahrensgrundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" bewußt außer Betracht läßt, um trotz fehlender oder unzureichender Anhaltspunkte zu für den Angeklagten ungünstigen Feststellungen zu kommen.
2.
Die Erwägungen des Schwurgerichts zur Frage einer Sachverhaltsverfälschung durch die Angeklagten sind von ihrem Ansatzpunkt her verfehlt.
Den Angeklagten wird vorgeworfen, daß sie als Mitglieder des Sondergerichts unter Beugung des Rechts durch ihre Stimmabgabe für das Todesurteil mit direktem Vorsatz den Tod des damaligen Beschuldigten Ka. herbeigeführt haben. Das Blutschutzgesetz (§ 5 Abs. 2) sah die Todesstrafe nicht vor. Lediglich in §§ 2, 4 VVO war die Todesstrafe als schwerste Strafart für besondere Fälle angedroht. Eine Rückwirkung dieser Verordnung auf die ihrem Erlaß vorangehende Zeit war bereits durch ihren inhaltlichen Bezug ausgeschlossen, da sie die Ausnutzung gerade der kriegsbedingten Verhältnisse erfassen sollte. Unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Sachverhaltsverfälschung muß folglich die Prüfung dahin gehen, ob dem Todesurteil des Sondergerichts die - auf tragfähige Beweisanzeichen gestützte - Überzeugung der Angeklagten zugrunde lag, daß der damalige Beschuldigte im Zeitraum vom Inkrafttreten der VVO bis März 1940 den Tatbestand der sogenannten Rassenschande unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 2, 4 VVO erfüllt hatte.
Für den Mangel einer solchen Überzeugung und damit für eine bewußte Verfälschung des Sachverhalts durch die Angeklagten sprechen, wie in dem angefochtenen Urteil klar zum Ausdruck kommt, die eindeutige Zielsetzung des Sondergerichtsverfahrens, die Urteilsbegründung des Sondergerichts und die Aussagen der Angeklagten in früheren Verfahren.
a)
Verschiedene vom Schwurgericht festgestellte, aber nicht erschöpfend gewürdigte Umstände weisen darauf hin, daß in der Sache Ka. - für beide Angeklagte offenkundig - nur ein Scheinverfahren durchgeführt werden sollte, bei dem es dem Sondergerichtsvorsitzenden ... nicht auf eine ernsthafte und erschöpfende Klärung des Tatvorwurfs, sondern lediglich auf die Vernichtung des Beschuldigten Ka. unter rechtlicher Tarnung ankam.
In einem Aktenvermerk vertrat der Ermittlungsrichter unter Hinweis auf die beabsichtigte Aufhebung des Haftbefehls die Auffassung, daß mangels ausreichender Indizien ein dringender Tatverdacht gegen Ka. zu verneinen sei. Dieser Auffassung trat der - bislang mit der Sache nicht befaßte - Sondergerichtsvorsitzende in einem von ihm veranlaßten Gespräch mit dem stellvertretenden Ermittlungsrichter entgegen, der jedoch in Gegenwart des Angeklagten Dr. F. die von ... gewünschte Entfernung dieses Vermerks aus den Akten strikt verweigerte. ... war daraufhin - aus fanatischem Rassenhaß heraus - bestrebt, das vor der vom Angeklagten Dr. F. geleiteten 4. Strafkammer anhängige Verfahren an sich zu ziehen und vor das von ihm geleitete Sondergericht zu bringen, um den Beschuldigten der Todesstrafe zuzuführen. Durch seine Anregung an die Staatsanwaltschaft, unter Ausrichtung auf ein Verbrechen gegen die VVO, dessen Aburteilung nach der Verordnung vom 21. Februar 1940 (RGBl I 405) zur ausschließlichen Zuständigkeit des Sondergerichts gehörte, weitere Ermittlungen durchzuführen, hatte er damit Erfolg.
Kennzeichnend für die eigentliche Zielsetzung des Sondergerichtsverfahrens war auch, daß gleichzeitig gegen Frau S., die wegen Rassenschande nicht verfolgt werden konnte, Anklage wegen Meineides erhoben worden war, weil sie vor dem Ermittlungsrichter unter Eid geschlechtliche Beziehungen zu Ka. verneint hatte. Das war schon deshalb ungewöhnlich, weil dadurch eine sogenannte Arierin gemeinsam mit einem Juden auf der Anklagebank saß, was an sich tunlichst vermieden werden sollte. Wenn man ein solches Bild hier dennoch in Kauf nahm, mußte dafür schon ein sehr gewichtiger Grund bestanden haben. Dieser Grund lag auch klar auf der Hand. Durch die Erhebung der Anklage wegen Meineides wurde zunächst einmal bezweckt, Frau S. als unglaubwürdige Beweisperson abzustempeln. Sodann wurde durch die Einbeziehung dieser Anklage in das Verfahren Ka. erreicht, daß sie überhaupt als Zeugin ausgeschaltet wurde. Damit nahm man, und darauf kam es letztlich entscheidend an, Ka. die nach Lage der Sache einzige Möglichkeit, die Anklage wegen Rassenschande zu Fall zu bringen, nämlich durch die gegebenenfalls wiederum eidliche Aussage der Frau S. in der Hauptverhandlung als Zeugin, daß zwischen ihr und Ka. keine geschlechtlichen Beziehungen bestanden haben. Eine solche Manipulation war in der Rechtsprechung selbst während der Zeit der Hitlerdiktatur und des Krieges, in der ohnehin der Grundsatz eines fair trial den staatspolitischen Notwendigkeiten untergeordnet wurde, ein außergewöhnlicher Vorgang.
In verschiedenen Gesprächen, zuletzt nach der Beweisaufnahme mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, ließ ... in Gegenwart beider Angeklagter keinen Zweifel daran, daß er unter allen Umständen gegen Ka. auf Todesstrafe erkennen wolle; er gab dem Staatsanwalt entsprechende Hinweise für sein Plädoyer.
...
zog das Verfahren als Schauprozeß auf. Seine besonders rüde, gehässige und zynische Verhandlungsführung, die selbst bei überzeugten Nationalsozialisten als Skandal empfunden wurde, war ein - auch für die Angeklagten - untrügliches Kennzeichen dafür, daß hier unter dem Mißbrauch rechtlicher Formen Unrecht gesetzt werden sollte.
b)
Das Schwurgericht hätte sich auch näher mit der - von dem Angeklagten Dr. F. abgesetzten - schriftlichen Begründung des Sondergerichtsurteils auseinandersetzen müssen, die eindeutig erkennen läßt, daß die Angeklagten die Begehung der Rassenschande und die Tatmodalitäten der VVO nicht für erwiesen hielten. Das Sondergerichtsurteil steckt voller Widersprüche und abwegiger rechtlicher Konstruktionen, die ersichtlich den Mangel an beweiserheblichen Feststellungen und an substantiellen Erwägungen zu einem tatbestandlich relevanten Sachverhalt verschleiern sollten.
Die 'Feststellung' über den "wiederholten bis März 1940 fortdauernden rassenschänderischen Geschlechtsverkehr" des damaligen Beschuldigten steht ohne tragfähige Beweisgrundlage gleichsam als formelhafte Wendung in der Begründung. Sie wird sogleich durch die folgende Hilfserwägung in Frage gestellt, daß selbst dann, wenn es nur zu den - im Urteil näher gekennzeichneten - Zärtlichkeiten gekommen sei, der Tatbestand der Rassenschande erfüllt sei; diese Vertraulichkeiten werden sodann im Widerspruch zu den von der damaligen Rechtsprechung entwickelten Kriterien (RGSt 70, 375 ff.) als sogenannte "Ersatzhandlungen" gewertet.
Die Behauptung solcher Zärtlichkeiten ist - abgesehen von der Einlassung der Beschuldigten Ka. und Irene S. - lediglich durch die Aussage des Kriminalbeamten Z. in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Bei dessen einmaliger Vernehmung der Frau S. zu Beginn der Ermittlungen war es aber auf den genauen Zeitpunkt nicht angekommen, da der Vorwurf nach der VVO erst später durch ... in die Ermittlungen eingeführt wurde. Nach den in den Urteilsgründen wiedergegebenen übereinstimmenden Aussagen der beiden damaligen Beschuldigten, auf die das Urteil des Sondergerichts insoweit überhaupt nicht eingeht, ist es zu solchen Zärtlichkeiten in dem hier allein wesentlichen Zeitraum nach Inkrafttreten der VVO, d.h. nach Kriegsbeginn, nicht mehr gekommen; vielmehr hat sich Ka. nach den vom Sondergericht getroffenen Feststellungen nur noch dreimal mit Frau S. und ihrem Ehemann getroffen. In diesem Zusammenhang gewinnt die Aussage des Angeklagten Dr. F. vor dem Schwurgericht Bedeutung, seiner damaligen Überzeugung nach sei Ka. "wenigstens an drei Abenden während des Krieges bei Frau S. ... gewesen. Er habe ja gar nicht gewußt, ob S. (d.h. der Ehemann) gerade da sei, wenn er komme".
Bezüglich dieser auch vom Sondergericht angenommenen abendlichen Besuche lassen es die Urteilsgründe aber gerade ausdrücklich dahingestellt, ob es dabei zum Geschlechtsverkehr mit Frau S. oder wegen der Anwesenheit ihres Ehemannes nur zu Unterhaltungen gekommen sei. Zur Rechtfertigung der tatbestandlichen Relevanz greift hier das Urteil auf die rechtlich unerhebliche Hilfserwägung zurück, diese Besuche hätten jedenfalls dem "Warmhalten des Verhältnisses" zu Frau S. gedient. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß ein Beweisantrag des damaligen Beschuldigten Ka. auf Vernehmung des Ehemannes S. über dessen ständige abendliche Anwesenheit mit eben dieser Hilfserwägung und nicht etwa mit der Begründung zurückgewiesen wurde, der Beschuldigte habe auch tagsüber genug Gelegenheit gehabt.
Das Schwurgericht hat übersehen, daß diese verschiedenen Hilfserwägungen ein nahezu untrügliches Kennzeichen dafür sind, daß die Angeklagten von der Begehung der Rassenschande, d.h. dem vollzogenen Geschlechtsverkehr, in dem hier maßgeblichen Zeitraum nach Inkrafttreten der VVO nicht überzeugt sein konnten.
c)
Die vorstehenden, für eine bewußte Sachverhaltsverfälschung sprechenden Erwägungen finden ihre Bestätigung auch in Erklärungen, die die Angeklagten in früheren Verfahren abgegeben haben.
Der Angeklagte Dr. F. hat nach den vom Schwurgericht getroffenen - aber ebenfalls nicht ausreichend gewürdigten - Feststellungen sowohl im N. Juristenprozeß im Jahre 1947 als auch im Disziplinarverfahren gegen ... 1957/58 als Zeuge ausgesagt, daß nach seiner damaligen Überzeugung dem Beschuldigten Ka. Rassenschande nicht habe nachgewiesen werden können. Ferner erklärte er in einer eidesstattlichen Versicherung vom ... 1946, deren Wahrheitsgehalt er noch in den Jahren 1957 und 1958 im Disziplinarverfahren gegen ... bestätigte, zum Prozeß gegen Ka. u.a., "das bestehende Recht (sei) erheblich umgebogen" worden.
Für die mangelnde Überzeugung des Angeklagten Dr. H. - er hatte damals von den Zweifeln des Ermittlungsrichters am dringenden Tatverdacht Kenntnis - von der Erweisbarkeit eines vorwerfbaren Sachverhalts spricht die Tatsache, daß er bei der Urteilsberatung Bedenken gegen den Nachweis des vollzogenen Geschlechtsverkehrs erhoben hat. In diesem Zusammenhang ist schließlich von Bedeutung, daß er auch in einer - später (1951) inhaltlich nochmals bestätigten - eidesstattlichen Versicherung vom 8. März 1947 das Urteil gegen Ka. als "untragbar, ungerecht und unmenschlich" bezeichnet hat.
Beide Angeklagte haben in verschiedenen eidesstattlichen Erklärungen, zu deren Wahrheitsgehalt sie sich bei späteren Gelegenheiten bekannt haben, auch bestätigt, daß sie die rechtswidrige Zielsetzung, die ... mit dem Verfahren gegen Ka. verfolgt habe, erkannt hätten.
III.
Alle diese Gesichtspunkte wird das Schwurgericht bei der erneuten Verhandlung zu berücksichtigen haben. Auf Grund der neu zu treffenden Feststellungen wird es sich insbesondere auch mit den Beweggründen des Handelns der Angeklagten auseinandersetzen müssen. Sollten sich die Angeklagten dabei beruhigt haben, daß Ka. als Jude nach der NS-Ideologie ohnehin ein "Nichts" war und sie deshalb bei einer rechtswidrigen Verurteilung kein Risiko, insbesondere keine Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung liefen, so läge darin ein niedriger Beweggrund (vgl. BGHSt 18, 37, 39 [BGH 02.10.1962 - 1 StR 299/62]; BGH, Urteil vom 7. Juli 1964 - 1 StR 37/64 -). Das Schwurgericht hat dieses Motiv zwar gesehen und es nicht ausgeschlossen. Es hat aber dessen Tragweite möglicherweise verkannt, weil es auf Grund unzulänglicher Feststellungen Furcht als tragenden Beweggrund angesehen hat (vgl. unter A I).
Es ist auch nicht völlig auszuschließen, daß - zumindest bei dem Angeklagten Dr. F. - der Wunsch nach beruflichem Weiterkommen, also beruflicher Ehrgeiz, eine Rolle gespielt haben mag. Immerhin hatte der Sondergerichtsvorsitzende ... nach den Feststellungen des Schwurgerichts als Gaugruppenwalter des NS-Rechtswahrerbundes die einflußreichste Position innerhalb der Nürnberger Justiz inne; keine Beförderung und kein Personalwechsel konnte ohne seine Zustimmung vollzogen werden. Tatsächlich wurde der Angeklagte Dr. F. Anfang 1943 zum Landgerichtsdirektor und kurze Zeit darauf als Nachfolger ... zum Vorsitzenden des Sondergerichts ernannt, wenngleich er dort wegen "unzureichender Härte" nach wenigen Monaten wieder abgelöst wurde. Das Schwurgericht hat diesen Gesichtspunkt bisher nicht geprüft.
B. Revisionen der Angeklagten
Die Revisionen beider Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg. Das Urteil kann wegen verschiedener sachlicher Fehler und Widersprüche in den Ausführungen des Schwurgerichts zur Frage der Rechtsbeugung als der Voraussetzung einer Verurteilung wegen Tötungsverbrechen keinen Bestand haben.
I.
Einerseits spricht das Schwurgericht ganz umfassend von der Unhaltbarkeit der dem Sondergerichtsurteil zugrunde liegenden Feststellungen und stützt sich dabei insbesondere auf die eidesstattlichen Erklärungen des Angeklagten Dr. F., nach denen dieser den Vorwurf der Rassenschande niemals für bewiesen hielt. Andererseits zieht das Schwurgericht jedoch einen Trennstrich zwischen der Beweislage für die Zeit vor und nach der Eheschließung der Frau S. (Juli 1939). Bereits darin liegt eine Unstimmigkeit.
Bezüglich des Zeitraums vor der Eheschließung führt das Urteil des Schwurgerichts aus, die Überzeugung der Angeklagten von der Erweislichkeit des Geschlechtsverkehrs Ka. mit Frau S. "könne kaum widerlegt werden", und ergänzt dies sogar dahin, daß "auch ein gewissenhafter und erfahrener Richter ... den Nachweis als geführt ansehen konnte". Für die Zeit danach verneint das Schwurgericht die Schlüssigkeit solcher Folgerungen.
Diese Zäsur in der Beweislage mit der Eheschließung der Frau S., an deren häuslichen Verhältnissen sich im übrigen nichts wesentliches geändert hatte, weil sie ihren späteren Mann schon ein Jahr lang "beherbergte", ist nicht haltbar. Die Erwägungen des Schwurgerichts sind insoweit widersprüchlich. Es gesteht den Angeklagten zu, daß sie auch für den Zeitraum nach der Eheschließung den Austausch sexuell bedingter Zärtlichkeiten zwischen Ka. und Frau S. für bewiesen halten konnten (UA S. 86). Ließen aber solche Intimitäten nach Auffassung des Schwurgerichts einen Schluß auf vollzogenen Geschlechtsverkehr überhaupt zu, so konnte es folgerichtig den Angeklagten nicht vorwerfen, bei gleichbleibender Beweislage für die Zeit nach der Eheschließung Seiler derartige Folgerungen gezogen zu haben.
II.
Auch die Ausführungen des Schwurgerichts zur inneren Tatseite der Rechtsbeugung sind nicht frei von Mängeln.
1.
Das Schwurgericht schließt auf den Vorsatz der Angeklagten aus der Gesamtheit der festgestellten Fehler des sondergerichtlichen Urteils. Insoweit ist bereits die Erwägung des Schwurgerichts (UA S. 125/126) mißverständlich, daß bei isolierter Betrachtung der einzelnen Fehler im einen oder anderen Fall nicht auszuschließen sei, daß Irrtum ihre Ursache gewesen sein könne. Die Gesamtheit der Fehler kann aber nicht vorsätzlich herbeigeführt sein, wenn einzelne auf fahrlässigem Irrtum beruhen. Der Vorsatz muß vielmehr für jeden einzelnen Fehler feststehen, mag auch die Vielzahl hierfür ein Indiz sein (vgl. auch BGHSt 10, 294, 298) [BGH 07.12.1956 - 1 StR 56/56].
Das Schwurgericht stützt sich bei der Begründung des Rechtsbeugungsvorsatzes entscheidend auf seine Hilfserwägung zum Ermessensmißbrauch bei der Strafbemessung. Die in diesem Zusammenhang festgestellten Mängel sind für das Schwurgericht ersichtlich ausschlaggebend. Dabei verkennt es aber offenbar, daß es sich bei der richtig verstandenen Sachverhaltsverfälschung (s. A II 1) und dem Ermessensmißbrauch um wesensverschiedene alternative Begehungsmöglichkeiten der Rechtsbeugung handelt, denen jeweils eine spezifische Vorsatzrichtung zugeordnet ist. Vorliegend mußte danach feststehen, daß die Angeklagten bewußt den Sachverhalt verfälscht haben. Da aber das Schwurgericht den Vorsatz nur aus der Gesamtheit der Fehler herleiten zu können glaubt und dabei den Strafzumessungserwägungen des sondergerichtlichen Urteils - denen allerdings bei der Bewertung der Gesamttendenz dieses Urteils ein Indizwert zukommen kann - die entscheidende Bedeutung beimißt, bleibt es zweifelhaft, ob es den Nachweis eines Rechtsbeugungsvorsatzes im Sinne einer Sachverhaltsverfälschung für erbracht hielt.
2.
Bedenklich sind schließlich die Erwägungen des Schwurgerichts zur inneren Tatseite der Rechtsbeugung auch insoweit, als sie den Tatbestand des § 4 VVO betreffen.
Das Urteil des Sondergerichts hat den damaligen Beschuldigten unter dem Gesichtspunkt des § 4 VVO, der den Ausspruch der Todesstrafe tragen sollte, angelastet, er habe unter Ausnutzung der kriegsbedingten Abwesenheit des Ehemannes Seiler Rassenschande getrieben. Das Schwurgericht führt hierzu aus, es fehle - unabhängig von der Frage der Erweisbarkeit eines Geschlechtsverkehrs - an dem Merkmal der Ausnutzung. Denn der Ehemann S. sei in seiner Heimatstadt N. stationiert und nicht kaserniert gewesen; er habe zu Hause schlafen und auch tagsüber dort hereinschauen können. Das Schwurgericht hat aber nicht festzustellen vermocht, daß diese besonderen Vergünstigungen S. den Angeklagten bei der Urteilsfindung bekannt waren. Es wirft den Angeklagten deshalb insoweit eine Verletzung der Aufklärungspflicht vor.
Den Vorsatz der Rechtsbeugung vermag nur ein bewußter Verstoß gegen die Aufklärungspflicht zu begründen. Ein solcher ist aber in diesem Zusammenhang nicht hinreichend dargetan. Das Schwurgericht hat nicht ausgeführt, aus welchen besonderen Gründen für die Angeklagten Veranlassung bestanden haben soll, den Normalfall der Kasernierung, der eine regelmäßige Anwesenheit S. in seiner Wohnung ausgeschlossen hätte, in Zweifel zu ziehen. Selbst der Beweisantrag der Verteidigung Ka. (UA S. 30) ließ die insoweit außergewöhnlichen Umstände nicht erkennen.
III.
Diese fehlerhaften Erwägungen beruhen darauf, daß das Schwurgericht die Frage der Sachverhaltsverfälschung von einem unzutreffenden Ansatzpunkt her beurteilt hat. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft Bezug genommen werden (unter A II).
Da die Sachrügen durchgreifen, braucht auf die von der Revision des Angeklagten F. erhobene Verfahrensrüge nicht mehr eingegangen zu werden.
Das Urteil war mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Schwurgericht zurückzuverweisen.
Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.