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BVerfG, 27.05.1970 - 1 BvL 22/63, 1 BvL 27/64

Daten
Fall: 
Heiratswegfallklausel
Fundstellen: 
BVerfGE 28, 324; NJW 1970, 1675; MDR 1970, 906; DÖV 1970, 674
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
27.05.1970
Aktenzeichen: 
1 BvL 22/63, 27/64
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Richter: 
Müller, Stein, Ritterspach, Haager, Rupp-v. Brünneck, Böhmer, Brox

Die Heiratsklauseln bei den Waisenrenten in der sozialen Rentenversicherung (§ 44 Abs. 1 Satz 2 AVG, 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO) sind mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie in der Ausbildung stehende Waisen mit der Heirat auch dann vom Bezug der Rente ausschließen, wenn ihr Ehegatte zur Unterhaltsleistung außerstande ist.

Beschluß

des Ersten Senats vom 27. Mai 1970
- 1 BvL 22/63 und 27/64 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung 1. des § 44 Absatz 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Hamburg vom 30. Oktober 1963 (10 - AN 1510/60) - 1 BvL 22/63 -; 2. des § 1267 Absatz 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Oktober 1964 (S 1 J - 35/64) - 1 BvL 27/64 -.

Entscheidungsformel:
§ 44 Absatz 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes in den Fassungen des Artikels 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 88) und des § 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (Bundesgesetzbl. I S. 640)
und
§ 1267 Absatz 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung in den Fassungen des Artikels 1 Nr. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 45) und des § 6 Nr. 6 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (Bundesgesetzbl. I S. 640)
sind mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit über 18 Jahre alte Waisen, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden, wenn sie verheiratet sind, in jedem Fall vom Bezug der Waisenrente ausgeschlossen werden.

Gründe

A.

Die beiden Vorlagen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Heiratsklauseln (auch Heiratswegfallklauseln oder Heiratsausschlußklauseln genannt) bei den Waisenrenten in der Angestelltenversicherung und der Arbeiterrentenversicherung. Nach der wörtlich übereinstimmenden Regelung im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und in der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhalten die Kinder eines verstorbenen Versicherten Waisenrente, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für den Bezug von Hinterbliebenenrenten (§ 40 AVG, § 1263 RVO) erfüllt sind. Die Waisenrente wird allen Kindern bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt ohne Rücksicht darauf, ob sie ledig oder verheiratet sind (sogenannte allgemeine Waisenrente). Dagegen erhalten über 18 Jahre alte Kinder Waisenrente nur bei Erfüllung besonderer Voraussetzungen, namentlich während einer Schul- oder Berufsausbildung; der Bezug dieser sogenannten verlängerten Waisenrente setzt stets voraus, daß Waise unverheiratet ist.

I.

Ansprüche auf Hinterbliebenenrenten aus der sozialen Rentenversicherung wurden erstmals durch die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. S. 509) und das Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl. S. 989) eingeführt. Danach erhielten Kinder eines verstorbenen Versicherten in der Invalidenversicherung Waisenrente bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; in der Angestelltenversicherung wurde die Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt, fiel aber mit der Heirat der Waise weg (§ 1259 RVO und §§ 29, 64 Abs. 2 des Versicherungsgesetzes für Angestellte jeweils i. d. F. von 1911). 1923 wurde der Anspruch auf Waisenrente auch in der Invalidenversicherung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Waise erstreckt, zugleich aber bestimmt, daß die Rente mit der Heirat der Waise wegfalle (§§ 1259, 1299 RVO i. d. F. des Gesetzes über Änderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der Reichsversicherungsordnung vom 13. Juli 1923 - RGBl. I S. 636 -). Die Reichsversicherungsordnung in der Fassung vom 15. Dezember 1924 (RGBl. I S. 779) und das Angestelltenversicherungsgesetz in der Fassung vom 28. Mai 1924 (RGBl. I S. 563) behielten diese Regelungen unverändert bei.

Erst das Gesetz zur Änderung der Reichsversicherungsordnung und des Angestelltenversicherungsgesetzes vom 25. Juni 1926 (RGBl. I S. 311) führte die Unterscheidung zwischen der "allgemeinen" und der "verlängerten" Waisenrente ein und setzte die Bezugsdauer für die allgemeine Waisenrente in beiden Versicherungszweigen auf die Zeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres fest. Die verlängerte Waisenrente war nach diesem Zeitpunkt u. a. für die Dauer einer Schul- oder Berufsausbildung zu gewähren, jedoch längstens bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (§§ 1259 RVO und 33 AVG, beide i. d. F. von 1926). Sowohl die allgemeine wie die verlängerte Waisenrente war auf unverheiratete Waisen beschränkt (§§ 1299 RVO und 63 Abs. 2 AVG, beide i.d.F. von 1926).

Die verlängerte Waisenrente wurde durch die Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699) beseitigt und erst durch das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 (RGBl. I S. 1393) wieder eingeführt, jedoch nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 1258 Abs. 1 RVO und § 28 Abs. 5 AVG, beide i.d.F. von 1937). Zugleich wurden die Bestimmungen über den Wegfall der Rente mit der Heirat der Waise aufgehoben (§ 25 des Ausbaugesetzes). Das Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. April 1939 (RGBl. I S. 793) setzte die Altersgrenze für die allgemeine Waisenrente erneut auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herauf; damit entfiel die verlängerte Waisenrente. Diese Regelung wurde bis 1945 nicht verändert und galt, nachdem gewisse Einschränkungen in der britischen Besatzungszone durch das Sozialversicherungs- Anpassungsgesetz vom 17. Juni 1949 (WiGBl. S. 99) beseitigt worden waren, wieder einheitlich im ganzen Bundesgebiet. Das Kindergeldergänzungsgesetz vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I S. 841) führte erneut die verlängerte Waisenrente für die Dauer der Ausbildung für einen Beruf ein, und zwar nunmehr bis zum vollendeten 25. Lebensjahr, jedoch nur für das dritte und jedes weitere Kind (§ 1258 RVO i.d.F. von 1955 und die Verweisung hierauf in § 28 Abs. 5 AVG). Diese verlängerte Waisenrente war ebenso wie die allgemeine Waisenrente auch verheirateten Waisen zu gewähren.

Das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) und das Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetz vom selben Tage (BGBl. I S. 88) beließen es für die allgemeine Waisenrente bei diesem Rechtszustand. Die verlängerte Waisenrente erstreckten sie auf alle Kinder des Versicherten, führten jedoch hierfür wiederum die Heiratsklausel ein. Die Begründung der dieser Regelung zugrunde liegenden Regierungsvorlage verweist zur Einführung der verlängerten Waisenrente auf die Begründung der entsprechenden Vorschriften über den Kinderzuschuß, den rentenberechtigte Versicherte erhalten. Dort heißt es:

"Der Regelung ... liegt der Gedanke zugrunde, daß normalerweise mit dem 18. Lebensjahr der Eintritt in das Erwerbsleben vollzogen ist. Wenn das infolge Berufsausbildung ... nicht der Fall ist, dann ist der Kinderzuschuß für das Kind auch über diesen Zeitpunkt hinaus zu gewähren, wobei für die Gewährung bei Berufsausbildung eine obere Grenze zu setzen war." (Vgl. BTDrucks. II/2437, Begründung B zu §§ 1266 und 1271)

Dagegen ist die Einführung des Merkmals "unverheiratet" bei den Anspruchsvoraussetzungen des Kinderzuschusses und der verlängerten Waisenrente nicht näher begründet. Ein gleichzeitig mit der Regierungsvorlage im Bundestag beratener, von der Fraktion der SPD eingebrachter Gesetzentwurf über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sah in diesem Punkt die folgende differenzierende Regelung vor:

"Die Rente wird auf Antrag bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahr gewährt, wenn die Kinder in Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung stehen ... Satz 2 gilt nicht für verheiratete Kinder, die gegen den Versicherten keinen Unterhaltsanspruch haben oder hätten, wenn er leben würde." (Vgl. BTDrucks. II/2314 § 32 Abs. 2)

Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages entschied sich für die Regierungsvorlage, ohne daß sich aus den Protokollen oder aus dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses etwas über die Gründe entnehmen läßt (vgl. Protokoll der 118. Sitzung des genannten Bundestagsausschusses vom 23. November 1956 S. 14, 16; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu BTDrucks. II/3080 S. 13 f.). Bei der zweiten und dritten Beratung im Plenum des Bundestages wurde die Frage nicht erörtert; auch der Bundesrat beanstandete die Heiratsklausel nicht (vgl. StenBer. der 185. und 187. Sitzung des Bundestages, 2. Wp., 10 348 B und 10 562 ff.; BTDrucks. II/2437 Anl. 1 und Niederschrift der 167. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundesrates, S. 34).

Die Vorschriften über die Waisenrente aus der Angestelltenversicherung und der Arbeiterrentenversicherung lauteten daher wörtlich übereinstimmend:

§ 44 Abs. 1 AVG = § 1267 Abs. 1 RVO
(1) Waisenrente erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder (...) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Über diesen Zeitpunkt hinaus wird die Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein unverheiratetes Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder das bei Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert.

Dieser Teil der beiden Gesetzesvorschriften ist von der Nichtigerklärung des Absatzes 2 des § 44 AVG durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 1 [2]) und die im Hinblick darauf erfolgte Streichung des Absatzes 2 des § 1267 RVO durch Art. 1 § 1 Nr. 28 des Rentenversicherungs- Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl. I S. 476) nicht berührt worden. Beide Bestimmungen werden überwiegend noch jetzt als "Absatz 1" bezeichnet (anders allerdings für § 44 AVG: BSGE 25, 205 ff.). Das Bundeskindergeldgesetz vom 14. April 1964 (BGBl. I S. 265) hat diesem bestehengebliebenen Absatz der beiden Vorschriften einen dritten Satz angefügt, wonach die verlängerte Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt wird, wenn sich die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehr- oder Ersatzdienstpflicht verzögert. Schließlich hat eine Änderung des zweiten Satzes der Vorschriften die verlängerte Waisenrente auch auf die Zeit der Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres ausgedehnt und klargestellt, daß die wegen Gebrechlichkeit der Waise gewährte verlängerte Waisenrente ebenfalls mit der Vollendung des 25. Lebensjahres endet (vgl. BSGE 15, 134). Demgemäß lauten die Vorschriften in der heute geltenden Fassung:

§ 44 Abs. 1 AVG = § 1267 Abs. 1 RVO
(1) Waisenrente erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder (...) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Waisenrente wird längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein unverheiratetes Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, das ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres leistet oder das infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt.

II.

Die vorlegenden Sozialgerichte halten es für verfassungswidrig, daß der Anspruch einer über 18 Jahre alten, noch in der Schul- oder Berufsausbildung stehenden Waise auf Waisenrente mit der Heirat der Waise auch dann entfällt, wenn der Ehegatte nicht in der Lage ist, die Waise zu unterhalten, besonders zu den Kosten der Berufsausbildung beizutragen. Den Vorlagen liegen folgende Ausgangsverfahren zugrunde:

1. Verfahren des Sozialgerichts Hamburg - 1 BvL 22/63

a) Der 1936 geborene Kläger bezog als Student Waisenrente aus der Angestelltenversicherung seines verstorbenen Vaters. Ende November 1959 heiratete er ein Mädchen, das von ihm ein Kind erwartete; das Kind wurde im Juni 1960 geboren. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte stellte die Zahlung der Waisenrente ab 1. Dezember 1959 ein. Der Kläger übernahm 1960 eine Tätigkeit als Angestellter und gab deswegen sein Studium auf.

Er erhob Klage beim Sozialgericht auf Weiterzahlung der Rente bis zum 31. Mai 1960 mit der Begründung, der Wegfall der Rente durch Heirat verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Seine Ehefrau gab als Zeugin vor dem Sozialgericht an, sie sei in der DDR nicht zum Medizinstudium zugelassen worden und deswegen nach Hamburg gekommen. Dort habe sie mit Hilfe einer Unterstützung aus öffentlichen Mitteln die Ausbildung als Sozialfürsorgerin begonnen. Mit der Heirat sei diese Unterstützung eingestellt worden; die Kosten des letzten Trimesters der Ausbildung habe der Kläger getragen. Im März 1960 habe sie ihr Examen abgelegt und danach noch ein Jahr gearbeitet, um die staatliche Anerkennung zu erhalten. Aus den vom Sozialgericht beigezogenen Akten des Arbeitsamts ergibt sich, daß die von dort an die Ehefrau des Klägers gezahlte Unterstützung von monatlich 214 DM in der Tat Ende November 1959 eingestellt worden ist.

b) Das Sozialgericht Hamburg hat durch Beschluß vom 30. Oktober 1963 (Die Sozialgerichtsbarkeit 1964, S. 340) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt,

"ob das Merkmal 'unverheiratet' in § 44 AVG

a) gegen Artikel 6 Abs. 1 GG verstößt, falls der Ehegatte wirtschaftlich nicht in der Lage ist, zu den Kosten der Berufsausbildung beizutragen,

b) gegen Artikel 6 Abs. 1 und 5 GG verstößt, falls diese Ehe wegen bestehender Schwangerschaft geschlossen wird."

Es hat die Vorlage wie folgt begründet:

Wenn die zur Prüfung gestellte Regelung uneingeschränkt wirksam sei, so müsse die Klage abgewiesen werden. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift lasse eine andere - verfassungskonforme - Auslegung nicht zu. Sei die Regelung jedoch in dem bezeichneten Umfang nichtig, so sei der Klage stattzugeben; denn die Ehefrau des Klägers sei ihm nicht unterhaltspflichtig gewesen. Sie habe seinerzeit weder Vermögen noch Einkommen gehabt. Es sei ihr auch nicht zuzumuten gewesen, zur Finanzierung des Studiums ihres Ehemannes eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, da sie selbst noch in der Ausbildung gestanden habe.

Die Regelung verstoße unter den im Vorlagebeschluß bezeichneten Voraussetzungen gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil der Wegfall der Waisenrente durch eine Heirat sich bei Verlobten in ungünstiger wirtschaftlicher Lage als Hemmnis für die Eheschließung auswirke. Besonders getroffen würden wirtschaftlich schlechter gestellte Rentenberechtigte mit mittellosen Ehegatten, bei denen der Wegfall der Rente über die Fortsetzung der Ausbildung entscheide. Insoweit berühre die zur Prüfung gestellte Regelung auch das Sozialstaatsprinzip.

Die Versagung der Rente allein wegen der Heirat bedeute eine unbegründete Schlechterstellung der Verheirateten gegenüber den Unverheirateten während der Berufsausbildung. Da die gesetzliche Regelung bezwecke, jungen Menschen, die einen oder beide Elternteile verloren hätten, aus deren Sozialversicherung eine gründliche Berufsausbildung zu ermöglichen, widerspreche es der Natur des geregelten Lebensgebietes, die Ehe zum Anknüpfungspunkt einer solchen Benachteiligung zu nehmen. Auch der in der Berufsausbildung stehende Mensch könne charakterlich zur Ehe reif sein. Soweit die Grundlagen für einen angemessenen Broterwerb noch fehlten, sei es Aufgabe der eigenen Familie des Heiratenden, ihm diese verschaffen zu helfen und damit den Übergang zu einer eigenen Existenz und vollen persönlichen Entfaltung zu ermöglichen.

Der Waisenrentenanspruch in der Sozialversicherung habe Unterhaltsersatzcharakter und müsse daher der bürgerlich- rechtlichen Regelung entsprechen, wonach die Unterhaltspflicht der Verwandten den Vorrang behalte, wenn der Ehegatte zur Unterhaltsgewährung außerstande sei. Der Kläger hätte trotz der Heirat zu Lebzeiten seines Vaters den vorrangigen Unterhaltsanspruch gegen diesen behalten, weil sein eigenes Einkommen als Werkstudent nicht ausgereicht habe, um die Studienkosten zu decken, und weil seine Ehefrau ihm nicht unterhaltspflichtig gewesen sei. Es gebe keine sachlich überzeugenden Gründe dafür, daß die soziale Rentenversicherung die mit der Übernahme familiärer Unterhaltspflichten selbst statuierte Sachgesetzlichkeit durchbreche. Die in der darreichenden Verwaltung bestehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers finde ihre Schranken an dem in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Verbot, die Ehe zu schädigen oder zu beeinträchtigen. Zudem habe die Rentenversicherung weniger Fürsorge- als Versicherungscharakter; die Versorgung der Hinterbliebenen gehöre zu ihren wesentlichen Bestandteilen und müsse daher dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht eng angepaßt werden. Die Beziehung zur Leistungsfähigkeit des Versicherten zu dessen Lebzeiten bleibe dadurch erhalten, daß sich die Rentenhöhe nach der Beitragsleistung richte, die ihrerseits dem Versicherteneinkommen entspreche. Zwar sei die Waisenrente von der Bedürftigkeit der Waise im Einzelfall unabhängig, jedoch liege dem Anspruch überwiegend eine Pflichtversicherung zugrunde, die typisierend Bedürftigkeit unterstelle. Demgegenüber enthalte die dem Wegfall der Rente zugrunde liegende Erwägung, der Heiratende brauche nicht mehr auf die Versicherung von Vater oder Mutter zurückzugreifen, eine unzulässige benachteiligende Typisierung. Die sich daraus ergebenden nachteiligen Folgen seien nicht unbeabsichtigte Nebenwirkungen in Einzelfällen, die hingenommen werden müßten: Die Heirat eines noch in der Ausbildung stehenden 24-jährigen Jugendlichen könne nicht als Einzelfall betrachtet werden. Der Kläger dürfe auch nicht auf andere Wege zur Finanzierung seines Studiums, wie etwa das Honnefer Modell, verwiesen werden, da diese die Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen erforderten.

Wenn ein Kind erwartet werde, verletze der Wegfall des Waisenrentenanspruchs durch Heirat zugleich Art. 6 Abs. 5 GG, weil er bei den Eltern den Entschluß der Heirat hemme und es ihnen damit erschwere, ihrer sittlichen Pflicht gegenüber dem Kind nachzukommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt handele es sich nicht um Ausnahmefälle, weil eine erhebliche Anzahl aller erstgeborenen Kinder vorehelich erzeugt würden.

2. Verfahren des Sozialgerichts Lüneburg - 1 BvL 27/64

a) Der 1939 geborene Kläger bezog als Student Waisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung seines gefallenen Vaters. Mit seiner Heirat im November 1963 stellte die Landesversicherungsanstalt Hannover die Zahlung der Rente ein. Hiergegen erhob er Klage beim Sozialgericht und begehrte Weiterzahlung der Rente mit der Begründung, daß § 1267 RVO verfassungswidrig sei. Er machte geltend, seine Frau sei einkommens- und vermögenslos und könne ihm keinen Unterhalt gewähren. Sie sei ebenfalls Studentin und habe ihr Studium unterbrochen, weil sie ein Kind von ihm erwartet habe. Als Vollwaise habe sie selbst Waisenrente bezogen, die jedoch mit der Eheschließung weggefallen sei.

b) Das Sozialgericht hat durch Beschluß vom 26. Oktober 1964 (FamRZ 1969, S. 34) nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt,

"ob § 1267 I RVO mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist, soweit er vorsieht, daß Waisenrente für Kinder nach vollendetem 18. Lebensjahr nur Unverheirateten zusteht."

Es hat die Vorlage wie folgt begründet:

Nach dem insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 1267 Abs. 1 RVO müsse bei Gültigkeit der Vorschrift die Klage abgewiesen werden. Sei die Vorschrift jedoch verfassungswidrig, so müsse der Klage stattgegeben werden mit der Folge, daß der Kläger auch für die Zeit vom 1. November 1963 bis zum 30. Juni 1964 Waisenrente erhalte.

Nach der Überzeugung des Gerichts verstoße die zur Prüfung gestellte Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz sei verletzt, weil die Differenzierung zwischen verheirateten und unverheirateten Waisen nicht durch einen sich aus der Natur der Sache ergebenden Grund gerechtfertigt werde. Zwar habe die Waisenrente eine Unterhaltsersatzfunktion, und die durch den Rentenanspruch zu ersetzende Unterhaltsforderung gegen die Eltern entfalle grundsätzlich, wenn der Rentenempfänger durch die Eheschließung einen Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten erwerbe. Da jedoch in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen diese Folge nicht eintrete, sei es nicht sachgerecht, den Wegfall der Rente allein an die Eheschließung anzuknüpfen. Dagegen könnte der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz den Rentenanspruch davon abhängig machen, daß der verstorbene Elternteil - falls er noch lebte - zur Unterhaltsleistung in der Lage wäre, sowie auch davon, daß der Ehegatte keinen Unterhalt leisten könne.

Die Erwägung des Bundessozialgerichts in der Entscheidung vom 24. Februar 1960 (BSGE 12, 27 [30]), auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung komme es nicht an, da sie auch bei Waisen unter 18 Jahren keine Rolle spiele, überzeuge nicht. Wenn bei Waisen unter 18 Jahren die Bedürftigkeit im Einzelfall nicht geprüft werde, so handele es sich um eine aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung getroffene und mit der Lebenserfahrung übereinstimmende Regelung, die in zulässiger Weise verallgemeinere und die Betroffenen nicht benachteilige.

Art. 6 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die gesetzliche Regelung zwangsläufig materiell eingestellte oder finanzschwache Verlobte dazu veranlassen könnte, die geplante Eheschließung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres aufzuschieben. In Ausnahmefällen werde ihnen eine Heirat vor diesem Zeitpunkt sogar unmöglich sein, falls sie nicht die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen wollten. Die Erwägung des Bundessozialgerichts, es diene dem Schutz der Ehe, die Einkünfte eines Ehegatten möglichst niedrig zu halten, damit die Unterhaltspflicht des anderen Ehegatten unberührt bleibe, gehe fehl. Habe der Ehegatte kein Einkommen oder Vermögen, so müsse der frühere Waisenrentenempfänger nach der Heirat nicht nur wie zuvor für seinen eigenen Unterhalt sorgen, sondern außerdem noch für den des Ehegatten aufkommen. Er werde daher unter Umständen aus Verantwortungsbewußtsein trotz dringender Gründe, wie z. B. einer Schwangerschaft, von der Eheschließung absehen, um seinen und des Ehegatten Unterhalt nicht zu gefährden.

III.

1.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG und § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO für mit dem Grundgesetz vereinbar.

a) Das Sozialversicherungsrecht enthalte gegenüber dem Unterhaltsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eigenständige Regelungen über die Leistungen an Hinterbliebene. So würden aus dem Kreis der nach dem BGB unterhaltsberechtigten Verwandten nur die Kinder des Versicherten berücksichtigt, wobei zudem der Begriff des Kindes selbständig definiert werde (vgl. § 39 Abs. 2 AVG, § 1262 Abs. 2 RVO). Der Zeitpunkt der Volljährigkeit habe keine Bedeutung, wohl aber der Zeitpunkt der Vollendung des 18. und des 25. Lebensjahres. Vor allem komme es in keinem Falle auf die (vermutliche) Unterhaltspflicht des verstorbenen Versicherten oder auf die Unterhaltsbedürftigkeit der Waise an.

Dennoch beruhten die Regelungen des bürgerlichen Rechts und des Sozialversicherungsrechts auf denselben, durch die Entwicklung der christlich-abendländischen Kultur seit Jahrhunderten geprägten Grundauffassungen von den Aufgaben der Familie und dem Wesen und den Wirkungen der Ehe. Sie gingen übereinstimmend davon aus, daß Pflege und Erziehung der Kinder eine zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht sei (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG); auch die Hauptanwendungsfälle der §§ 1601 ff. BGB beträfen natürlicherweise die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen oder noch in der Ausbildung befindlichen Kindern. Den Vorschriften über die Waisenrente liege die Vorstellung zugrunde, daß der Versicherte, wenn er noch lebte, sich nach Kräften in einer am Sinn des Art. 6 Abs. 2 GG orientierten Weise verhalten hätte; insofern sei es berechtigt, von einer Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente zu sprechen.

Andererseits entspreche es nach den erwähnten Grundvorstellungen dem Wesen der Ehe, daß sie eine Verpflichtung jedes Ehegatten zum Einstehen für den Unterhalt des anderen begründe, die jeder anderen Unterhaltspflicht grundsätzlich vorgehe. Diese Tendenz der Verdrängung des Unterhaltsanspruches gegen die Eltern durch die Eheschließung sei beiden Regelungen gemeinsam und nur im Sozialversicherungsrecht stärker ausgeprägt. Wenn danach die Heirat bei Berechtigten über 18 Jahren stets anspruchsvernichtende Wirkung habe, während eine solche Folge nach der bürgerlichrechtlichen Regelung nur unter bestimmten Voraussetzungen eintrete, so beruhe dieser Unterschied auf der Konstruktion des Waisenrentenanspruches, bei dem nach den den Unterhaltsanspruch konstituierenden Elementen der Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit nicht gefragt werde. Dies werde von den vorlegenden Gerichten verkannt. Insbesondere sei es widerspruchsvoll, wenn das Sozialgericht Hamburg einerseits mit der tatsächlichen Bedürftigkeit des Klägers argumentiere, andererseits von der gesetzlichen Fiktion einer zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des verstorbenen Versicherten ausgehe, obwohl nach Lage der Verhältnisse der volljährige Kläger zu Lebzeiten seines Vaters - eines Invalidenrentners - gemäß § 1603 Abs. 1 BGB keinen Unterhalt von ihm mehr hätte beanspruchen können.

b) Ebenso wie die Vorschriften der §§ 1602, 1603, 1608 BGB mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar seien, weil sie unzweifelhaft der Natur des geregelten Lebensgebietes entsprächen (vgl. BVerfGE 6, 55 [77]), gelte das gleiche auch für die im Rahmen der darreichenden Verwaltung getroffene sozialversicherungsrechtliche Regelung. Der Gesetzgeber sei durch die Verfassung nicht gehalten gewesen, sich bei den Vorschriften über die Waisenrente so eng an die Vorschriften des bürgerlichen Rechts anzulehnen, daß er auch für die Fälle des § 1608 Satz 2 BGB in einer vergleichbaren Weise habe Vorsorge treffen müssen.

c) Die eigenständige Regelung der Sozialversicherung überschreite nicht die Grenzen zulässiger Typisierung. Auf keinem anderen Gebiet des bürgerlichen Rechts werde das tatsächliche Verhalten des Betroffenen so wenig durch die Rechtslage bestimmt wie im Bereich des Unterhaltsrechts. Je stärker die familienhafte Bindung sei, desto weniger seien die Beteiligten geneigt, das Geforderte und das Gegebene mit der Elle des Gesetzes zu messen und im Streitfall den Rechtsweg zu beschreiten. Der Gesetzgeber habe sich mithin um eine Regelung bemühen können, die jedem denkbaren Streitfall gerecht werde, ohne eine Überlastung der Gerichte fürchten zu müssen.

Dagegen richte sich die Gewährung der Waisenrente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen allein nach dem Gesetz. Der Sachverhalt müsse in jedem Einzelfall von Amts wegen vollständig aufgeklärt werden, wobei die Gesetzesanwendung nur zu einem geringen Teil in die Hand von Bediensteten gelegt werden könne, deren Qualifikation der eines Richters entspreche. Der Gesetzgeber habe sich daher zu einer den Bedürfnissen einer Massenverwaltung angepaßten Regelung entschließen müssen, unter Verzicht darauf, jeden auch noch so seltenen Einzelfall in einer dem Ideal der Gerechtigkeit voll entsprechenden Weise zu regeln. Es müsse genügen, wenn sich die Generalisierung überwiegend für die Betroffenen günstig auswirke und Benachteiligungen auf ein erträgliches Maß beschränkt blieben. In Anbetracht der Lebensverhältnisse der Rentenversicherten sei die Wahrscheinlichkeit einer Fallgestaltung entsprechend § 1608 Satz 2 BGB so außerordentlich gering, daß der Gesetzgeber diese Ausnahmefälle nicht zu berücksichtigen brauche. § 1608 Satz 2 BGB beruhe auf der Abwägung der Interessen eines Verwandten, der den Unterhalt ohne ein empfindliches Opfer zu gewähren vermöge, und des Ehegatten, dem die Unterhaltsgewährung nur unter schweren Opfern möglich wäre. Die gesetzlichen Rentenversicherungen seien demgegenüber auf Personen zugeschnitten, die nach Ansicht des Gesetzgebers im allgemeinen nicht einmal in der Lage seien, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß zu sichern; der Versicherte benötige seine Einkünfte im wesentlichen für die Bestreitung seines eigenen gegenwärtigen Unterhalts, jede Unterhaltsgewährung bedeute für ihn ein empfindliches Opfer.

d) Art. 6 Abs. 5 GG sei nicht verletzt. Diese Verfassungsnorm setze voraus, daß es uneheliche Kinder gebe, und wolle ihre Lage verbessern. Der Gesetzgeber könne hiergegen allenfalls dadurch verstoßen, daß er an die uneheliche Geburt Nachteile knüpfe oder es unterlasse, überkommene Nachteile zu beseitigen, nicht aber dadurch, daß er die Wahrscheinlichkeit, ein nasciturus werde unehelich zur Welt kommen, erhöhe oder doch nicht vermindere.

2.

Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hält § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG aus den gleichen Gründen für mit der Verfassung vereinbar wie der Bundesarbeitsminister.

3.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht Hamburg tritt unter eingehender Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Februar 1960 (BSGE 12, 27) im wesentlichen den Ausführungen des Vorlagebeschlusses bei.

IV.

In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist die Verfassungsmäßigkeit der Heiratsklauseln umstritten. Die Erörterung bezieht sich dabei nicht allein auf die Heiratsklauseln bei den Waisenrenten in der Sozialversicherung, sondern auch auf gleichartige oder ähnliche Vorschriften in anderen Gesetzen.

1.

Auf den verschiedensten Rechtsgebieten bildet die Schul- oder Berufsausbildung eines Kindes oder Jugendlichen in Verbindung mit bestimmten Altersgrenzen den Anknüpfungspunkt für eine Leistung aus öffentlichen Mitteln, sei es, daß diese dem Kinde oder Jugendlichen selbst gewährt wird (z. B. Waisenrente, Erziehungsbeihilfe), sei es, daß sie den Eltern zugute kommt (z.B. Kinderzuschuß, Kindergeld). Die Einwirkung einer Heirat auf die Bezugsberechtigung ist nicht einheitlich geregelt, überwiegend führt sie jedoch zum Wegfall der Leistung. So stimmen in allen Zweigen der Sozialversicherung die Regelungen der Waisenrente und des Kinderzuschusses, den ein rentenberechtigter Versicherter erhält, inhaltlich oder sogar wörtlich mit den hier zur Prüfung stehenden Normen überein (vgl. z. B. § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG); eine Ausnahme gilt nur für den Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung, der uneingeschränkt auch für verheiratete Kinder des Arbeitslosen zu gewähren ist (vgl. § 113 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 - BGBl. I S. 582 -). Gleichartige Heiratsklauseln finden sich beim Kindergeld (vgl. § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes vom 14. April 1964 - BGBl. I S. 265 -) sowie bei der Waisenrente und dem Kinderzuschlag nach dem Bundesversorgungsgesetz (vgl. § 45 Abs. 3 und § 33b Abs. 4 BVG i.d.F. vom 20. Januar 1967 - BGBl. I S. 141 -), dort freilich modifiziert durch die Möglichkeit eines Härteausgleichs (vgl. § 89 BVG). Dagegen werden im Lastenausgleichsrecht die Unterhaltshilfe für Vollwaisen und der Kinderzuschlag zur Unterhaltshilfe sowohl für verheiratete wie für unverheiratete Kinder gewährt (vgl. §§ 265 Abs. 2 und 3, 269 Abs. 2, 272 Abs. 3, 273 Abs. 2, 275 Abs. 2 LAG i.d.F. vom 1. Oktober 1969 - BGBl. I S. 1909 -).

Noch weitergehende Heiratsklauseln als die Sozialversicherungsgesetze enthalten die Beamten- und Besoldungsgesetze des Bundes und der Länder: Nicht nur das Waisengeld für die über 18 Jahre alten Beamtenkinder, die in einer Schul- oder Berufsausbildung stehen, sondern bereits das Waisengeld für unter 18 Jahre alte Beamtenkinder entfällt mit der Heirat des Kindes (vgl. § 164 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes i.d.F. vom 22. Oktober 1965 - BGBl. I S. 1776 - und § 88 Abs. 1 Nr. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes i.d.F. vom 22. Oktober 1965 - BGBl. I S. 1754 -). Gleiches gilt für den Kinderzuschlag (vgl. § 18 Abs. 6 und § 57 des Bundesbesoldungsgesetzes i.d.F. vom 18. Dezember 1963 - BGBl. I S. 916 -). Nur in den Ländern Hamburg und Rheinland-Pfalz wird auch für verheiratete Beamtenkinder ein Kinderzuschlag gewährt, wenn der Ehegatte außerstande ist, den Unterhalt zu bestreiten. Die Regelung der Waisenrente im Bundesentschädigungsrecht ist an die Regelung des Kinderzuschlags im Bundesbesoldungsrecht gekoppelt (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3 BEG i.d.F. vom 14. September 1965 - BGBl. I S. 1315 -).

Der Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz vom 19. September 1969 (BGBl. I S. 1719) steht auch Verheirateten zu. Hierbei wird jedoch, anders als bei den bisher aufgeführten sozialen Leistungen, eine individuelle Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen: Die Ausbildungsbeihilfe setzt voraus, daß dem Auszubildenden die erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen; dabei ist das Einkommen des Ehegatten ebenso anzurechnen wie das eigene oder das der Eltern. Die gleiche Regelung gilt für andere individuelle Ausbildungsbeihilfen, besonders nach dem sogenannten Honnefer Modell (vgl. Deutscher Hochschulführer 1969, 44. Aufl., S. 45).

2.

Die obersten Bundesgerichte haben, soweit sie bisher mit Heiratsklauseln befaßt worden sind, in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen bejaht; vgl. die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Heiratsklausel bei der Waisenrente im Bundesversorgungsgesetz und zu § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG (BSGE 12, 27; 25, 205), des Bundesgerichtshofs zur Heiratsklausel bei der Waisenrente nach dem Bundesentschädigungsrecht (FamRZ 1966, S. 448 f.) und des Bundesverwaltungsgerichts zur Heiratsklausel beim Kinderzuschlag im Bundesbesoldungsrecht (BVerwGE 25, 123). Abgesehen von der letztgenannten Entscheidung, die auf die besondere, herkömmliche Gestaltung des Kinderzuschlages im Besoldungsrecht gestützt ist, gründet sich diese Rechtsprechung auf die gleichen Argumente, wie die Bundesregierung sie zur Verteidigung der zur Prüfung gestellten Regelungen vorgetragen hat (vgl. oben A III 1 = S. 335). Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung zu § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG noch hervorgehoben, der Benachteiligung der verheirateten Waise durch den Wegfall der Rente stünden zudem die nach Sozialversicherungsrecht durch die Eheschließung entstehenden Rechtsansprüche von verheirateten Versicherten und deren Ehegatten gegenüber.

Im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung halten einige untere Gerichte die Heiratsklauseln für verfassungswidrig; vgl. außer den dieser Entscheidung zugrunde liegenden Vorlagen den Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Lüneburg betreffend § 2 Abs. 2 BKGG (FamRZ 1969, S. 158) und die Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen betreffend die Heiratsklauseln der nordrhein-westfälischen Besoldungs- und Beamtengesetze (FamRZ 1967, S. 45 [ergänzend S. 575] und 1968, S. 522).

3.

Die genannte höchstrichterliche Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zunehmend Kritik erfahren. Das juristische Schrifttum hält ganz überwiegend die Heiratsklauseln für verfassungswidrig - und zwar auf allen Rechtsgebieten (vgl. Bogs, Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages, Bd. II G 42 f.; Hildegard Krüger, FamRZ 1966, S. 398 ff.; Motsch, FamRZ 1966, S. 401 ff. und 1967, S. 263 ff.; Erna Scheffler, Festschrift für Walter Bogs, 1967, S. 129 [131 ff.]; Hans Heinrich Rupp, JuS 1968, S. 166 ff.; Feucht, FamRZ 1969, S. 391 ff.; Maaßen, FamRZ 1970, S. 112 f.; Schieckel-Gurgel, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, 4. Aufl., § 45 Anm. 6; a. A. Schwankhart, Die Sozialversicherung, 1961, S. 181 ff. und DVBl. 1969, S. 471 ff.; Maunz bei Maunz- Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 6 Rdnr. 20). Die für die Verfassungswidrigkeit der Klauseln vorgebrachten Gründe sind die gleichen, wie sie für die Vorlagebeschlüsse maßgebend waren (oben II 1 b, 2 b = S. 331 ff., 334 f.); vor allem wird die den beanstandeten Vorschriften zugrunde liegende Typisierung "verheiratet = versorgt" als verfassungsrechtlich nicht haltbar angesehen. Darüber hinaus werden die Klauseln auch aus sozialen, gesellschaftspolitischen, volkswirtschaftlichen und familienpolitischen Gründen angegriffen und im Hinblick auf das sinkende Heiratsalter und die Verlängerung der Ausbildungszeit in vielen Berufen als nicht mehr zeitgemäß empfunden; auch die Uneinheitlichkeit der verschiedenen Regelungen wird kritisiert (vgl. Frandsen-Daldrup, Der Frauenbericht der Bundesregierung, Rechtliche Konsequenzen, Teil I, S. 121 f.).

V.

In der V. Wahlperiode des Deutschen Bundestages brachte eine Reihe von Abgeordneten der CDU und CSU einen Gesetzentwurf zur Lockerung der Heiratsklauseln auf allen Rechtsgebieten ein, der jedoch nicht mehr zur Beratung kam (BTDrucks. V/3111 vom 27. Juni 1968; vgl. dazu Elisabeth Schwarzhaupt, FamRZ 1968, S. 405 f.). In der jetzigen (VI.) Wahlperiode ist dieser Gesetzentwurf von der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages unverändert erneut eingebracht und in der Bundestagssitzung am 10. Dezember 1969 an die zuständigen Bundestagsausschüsse überwiesen worden (vgl. StenBer. der 19. Sitzung des Bundestages, 6. Wp., S. 693). Nach dem Gesetzentwurf sollen Waisenrenten oder andere Leistungen an in der Ausbildung stehende Waisen oder Kinder auch nach der Heirat weitergewährt werden, wenn der Ehegatte den Unterhalt nicht bestreiten kann - Kinderzuschläge oder andere Leistungen an Eltern schon dann, wenn das verheiratete Kind noch überwiegend von dem Leistungsberechtigten unterhalten wird. Zur Begründung wird ausgeführt, die Pauschalvorstellung des Gesetzgebers, Ehen würden erst bei ausreichender finanzieller Basis geschlossen, entspreche heute nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen. Mit dem Vordringen der Frühehe und der Verlängerung der Ausbildung nähmen die Eheschließungen zwischen zwei noch in der Ausbildung befindlichen jungen Menschen zu. In solchen Fällen sei der Einkommensverlust durch Wegfall der Leistungen auf beiden Seiten recht erheblich. Die Mehrbelastung durch den Gesetzentwurf werde vom Bundesminister der Finanzen auf 11 Mio DM für das Kindergeldgesetz und die Sozialversicherung, 3,8 Mio DM für das Besoldungsrecht, 1 Mio DM für das Bundesversorgungsgesetz geschätzt.

Der federführende Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der mitberatende Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit haben zunächst die Bundesregierung um eine detaillierte Darstellung der Probleme der Heiratsklauseln, besonders ihrer finanziellen Auswirkungen, und um einen Bericht über den Sachstand der Reform des Familienlastenausgleichs gebeten (vgl. Protokolle der 7. Sitzung des federführenden Ausschusses vom 22. Januar 1970, S. 8 f., und der 7. Sitzung des mitberatenden Ausschusses vom 12. März 1970. S. 18). Diese Stellungnahme steht zur Zeit noch aus. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktionen der SPD und FDP nach den Möglichkeiten einer Beseitigung der Heiratsklauseln und deren finanziellen Folgen hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit nach Abstimmung mit den beteiligten Bundesministern das Bedürfnis für eine Änderung der einschlägigen Vorschriften an sich bejaht. Die bei Schaffung der Heiratsklauseln maßgebende Vorstellung über die wirtschaftliche Selbständigkeit verheirateter Kinder werde den heutigen Verhältnissen kaum noch gerecht; zudem bestehe eine unangemessene Disharmonie zwischen den Heiratsklauseln im öffentlichen Recht, der Regelung der Unterhaltspflicht im bürgerlichen Recht sowie den Regelungen über die Anrechnung des Einkommens der Eltern bei individuellen Ausbildungsbeihilfen für Verheiratete. Die Bundesregierung werde sich nach Prüfung der Kostenfrage dazu äußern, ob sie eine Lockerung oder Streichung der Klauseln befürworten könne, und nach der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen (vgl. BTDrucks. VI/197 vom 17. Dezember 1969).

B.

I.

Da die Heiratsklauseln in § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG und § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO (bis auf das Zitat der jeweiligen Gesetzesvorschrift über den Begriff des Kindes) wörtlich übereinstimmen, sind die Vorlagen der beiden Sozialgerichte zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.

Die Vorlagen beschränken sich zutreffend auf eine Teilregelung der beiden Vorschriften, nämlich auf die Gewährung der verlängerten Waisenrente an unverheiratete, noch in der Schul- und Berufsausbildung stehende Waisen über 18 Jahre, da nur dieser Normenteil für die Entscheidung der Ausgangsverfahren erheblich ist. Dagegen kann der weitere Inhalt der Norm - die Gewährung der verlängerten Waisenrente an über 18 Jahre alte Waisen während der Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres oder wegen Gebrechlichkeit der Waise - außer Betracht bleiben.

II.

Die vorliegenden Gerichte meinen, die Benachteiligung der verheirateten Waisen beruhe allein auf dem Wort "unverheiratet"; nach ihrer Ansicht umfaßt also der Begriff "Waise" in den Sozialversicherungsgesetzen an sich sowohl die ledigen wie die verheirateten Kinder des verstorbenen Versicherten, obwohl die letzteren mit der Eheschließung eine eigene Familie gründen. Diese Gesetzesauslegung entspricht der allgemeinen Auffassung in der Praxis und im Schrifttum (vgl. Bogs, a.a.O., G 43; s.a. BVerwG vom 2. Dezember 1959 - V C 200.59 - teilweise wiedergegeben in DÖV 1960, S. 473 f. = DVBl. 1960, S. 255); sie wird auch durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Die nach Ansicht der Gerichte bestehende Verfassungswidrigkeit beruht daher nicht auf der Verwendung dieses Begriffs, sondern allein auf dem in dem gekennzeichneten Normenteil enthaltenen Wort "unverheiratet".

III.

Das Sozialgericht Lüneburg stellt diese Anspruchsvoraussetzung schlechthin zur Prüfung, das Sozialgericht Hamburg nur, soweit dadurch die Weiterzahlung der verlängerten Waisenrente auch bei mangelnder Leistungsfähigkeit des Ehegatten der Waise ausgeschlossen wird. Dieser Unterschied in der Formulierung der beiden Vorlagebeschlüsse ist jedoch ohne Bedeutung. Die Regelung selbst enthält eine absolute - nicht differenzierende - Heiratsklausel. Die vorlegenden Gerichte halten sie gerade deswegen für verfassungswidrig und stimmen weiter darin überein, der Gesetzgeber könne ohne Verstoß gegen die Verfassung den Wegfall der Waisenrente anordnen, wenn und soweit der Ehegatte in der Lage sei, den Unterhalt einschließlich der Kosten der Berufsausbildung zu bestreiten.

IV.

Beide Gerichte meinen, daß der in den zur Prüfung gestellten Regelungen liegende Verfassungsverstoß wenigstens eine Teilnichtigkeit der Norm zur Folge haben muß. Ob diese Auffassung zutrifft oder ob die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht zu einer Nichtigerklärung, sondern nur zur Feststellung des Verfassungsverstoßes durch das Bundesverfassungsgericht führen kann, ist für die Zulässigkeit der Vorlagen ohne Bedeutung. Auch im letzten Falle ist die begehrte verfassungsrechtliche Prüfung für die Entscheidung in den Ausgangsverfahren erheblich, weil die Sozialgerichte eine andere Entscheidung zu treffen hätten als bei Gültigkeit der Regelung: Sie müßten die Verfahren aussetzen und die Entscheidung des Gesetzgebers abwarten (vgl. BVerfGE 22, 349 [360 f.]; 23, 74 [78]).

C.

Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sind daher die beiden Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, insofern danach in der Gruppe der über 18 Jahre alten Kinder eines verstorbenen Versicherten, die sich noch in der (Schul- oder Berufs-) Ausbildung befinden, nur die unverheirateten Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, unter Umständen darüber hinaus, Waisenrente erhalten, verheiratete Kinder unter sonst gleichen Voraussetzungen dagegen nicht. In diesem Umfang sind die Vorschriften mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit sie verheiratete Kinder in jedem Fall vom Bezug der Waisenrente ausschließen.

I.

1.

Die zur Prüfung stehenden Normen differenzieren unter sonst gleichen Verhältnissen allein nach dem Familienstand: Das Vergleichspaar bilden

unverheiratete Waisen, die sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befinden einerseits,

verheiratete Waisen, die sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befinden andererseits.

Eine solche Differenzierung ist unmittelbar an Art. 6 Abs. 1 GG zu messen. Diese Verfassungsnorm geht jedenfalls dann als spezieller Prüfungsmaßstab dem Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die gesetzliche Vorschrift direkt an die Eheschließung anknüpft, d.h. wie hier der rechtliche Nachteil (Nichtgewährung der Rente) nur Eheleute, nicht auch Dritte trifft (vgl. BVerfGE 9, 237 [242]; 13, 290 [295 ff.]; 17, 210 [224]).

2.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 6, 55 [71, 76]; 17, 210 [219 f.]; 24, 104 [109]) ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm für den Staat positiv die Aufgabe, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, negativ das Verbot, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen, gleichgültig, ob dies durch Maßnahmen gegen bestehende Ehen geschieht oder ob die Bereitschaft zur Eheschließung gefährdet wird (vgl. BVerfGE 12, 151 [167]). Danach dürfen Verheiratete keinesfalls allein deshalb, weil sie verheiratet sind, benachteiligt werden, insbesondere geringere staatliche Leistungen erhalten als Ledige. Selbstverständlich kann die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben: Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf gerade bei der konkreten Maßnahme den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft nicht widersprechen und somit als Diskriminierung der Ehe anzusehen sein (vgl. BVerfGE 6, 55 [77]; 17, 210 [217, 220]; 18, 97 [107]; 22, 100 [105]).

II.

Nach diesem Maßstab sind die zur Prüfung stehenden Normen mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil sich ein absoluter Ausschluß der verheirateten Waisen von der verlängerten Waisenrente im Hinblick auf den Gegenstand und Zweck der gesetzlichen Regelung sachlich nicht rechtfertigen läßt.

1.

Die Hinterbliebenenversorgung ist ein wesentlicher Bestandteil der Sozialversicherung. Diese dient insgesamt der sozialen Sicherung und dem sozialen Ausgleich, namentlich dem Schutz der sozialen Existenz gegen die Wechselfälle des Lebens (vgl. BVerfGE 11, 105 [117]); sie ist in ihrer heutigen Ausgestaltung, die sich längst nicht mehr auf die Abwehr ausgesprochener Notlagen und die Vorsorge für die sozial schwächsten Bevölkerungskreise beschränkt, ein besonders prägnanter Ausdruck des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG). Im System der Sozialversicherungsleistungen soll die Waisenrente dem Kind einen Ausgleich für die durch den Tod von Vater oder Mutter eingetretene Beeinträchtigung der Familiengemeinschaft, des natürlichen wirtschaftlichen Gefüges des Familienhaushalts gewähren. Sie hat daher Unterhaltsersatzcharakter, insofern sie den Ausfall der familiären Unterhaltsleistungen ganz oder wenigstens zum Teil ersetzen soll (BVerfGE 17, 1 [8 ff.]). Die verlängerte Waisenrente entspricht speziell dem Bedarf des noch in der Ausbildung Stehenden zur Deckung seines Unterhalts einschließlich der Kosten einer Berufsvorbildung und -ausbildung. Betrachtet man die Situation allein vom Standpunkt der rentenberechtigten Waise, so liegt es auf der Hand, daß die Heirat an diesem Unterhaltsbedarf nichts ändert: Wer die begonnene Ausbildung fortsetzen will, ist noch nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten, geschweige denn, seine Ausbildung zu finanzieren; er bedarf unverändert der wirtschaftlichen oder finanziellen Hilfe, welche die Waisenrente nach ihrer Funktion gewähren soll. Es kann sich daher nur fragen, ob die soziale Leistung entbehrlich ist, weil die verheiratete Waise die benötigte Hilfe anderweitig erhalten kann oder weil andere auf den Zweck der Leistung bezogene Gesichtspunkte die Versagung wegen der Heirat rechtfertigen.

2.

Damit ergibt sich bereits, daß die Heiratsklauseln nicht schon damit begründet werden können, es handele sich bei der Waisenrente um eine staatliche Leistung der darreichenden Verwaltung, deren Gewährung oder Beschränkung in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liege. Diese Argumentation verkennt zunächst, daß die Sozialversicherung, namentlich die Rentenversicherung zwar ein wesentliches Element sozialer Fürsorge enthält, aber in ihrer Struktur mindestens ebenso stark durch die versicherungsrechtliche Komponente geprägt ist: Die Hinterbliebenenrenten beruhen zu einem wesentlichen Teil auf den Eigenleistungen der Versicherten (vgl. BVerfGE 17, 1 [9] m.w.N.). Davon abgesehen kann auch im Rahmen der darreichenden Verwaltung Gestaltungsfreiheit nur für die Frage bestehen, ob und in welchem Umfange eine Leistung gewährt werden soll. Der Gesetzgeber darf aber bei der Abgrenzung der Gruppe der Leistungsberechtigten nicht sachwidrig differenzieren; er ist nicht nur an den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern auch an die speziellen Wertentscheidungen der Verfassung wie die des Art. 6 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BVerfGE 12, 354 [367]; 17, 1 [23]; 17, 210 [217]).

3.

Aus den gleichen Gründen lassen sich die Heiratsklauseln nicht mit der Erwägung stützen, die verlängerte Waisenrente stelle im Verhältnis zur allgemeinen Waisenrente eine "Ausnahme", d. h. eine an sich nicht erforderliche oder gebotene zusätzliche finanzielle Zuwendung dar. Selbst wenn dies zuträfe, dürfte der Gesetzgeber, wenn er überhaupt eine solche Leistung an über 18 Jahre alte in der Ausbildung stehende Waisen gewährt, innerhalb dieses Personenkreises nicht nach seinem Belieben differenzieren. Die verlängerte Waisenrente unterscheidet sich aber nach ihrer Ausgestaltung und Funktion für die hier wesentliche Betrachtung nicht von der allgemeinen Waisenrente. Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen besteht in gleicher Weise ein Rechtsanspruch wie auf die allgemeine Waisenrente; ihre Gewährung bildet auch tatsächlich keine Ausnahme. Wenn im Laufe der Rechtsentwicklung die Altersgrenze für die Bezugsdauer der Waisenrente immer wieder heraufgesetzt und speziell auf den Zeitraum einer Schul- oder Berufsausbildung ausgedehnt worden ist, so entspricht dies der Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Situation. Diese hat dazu geführt, daß einerseits ein zunehmender Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften besteht und die Ausbildungszeiten sich in zahlreichen, nicht nur den akademischen Berufen erheblich verlängert haben, andererseits eine immer größere Anzahl der Jugendlichen eine qualifizierte Berufsausbildung erstrebt. Schließlich fällt wesentlich ins Gewicht, daß die Sozialversicherung einen immer größeren Teil der Bevölkerung erfaßt hat. Daher kann die verlängerte Waisenrente auch im Hinblick auf den "Unterhaltsersatzcharakter" der Hinterbliebenenrenten nicht als Ausnahme qualifiziert werden. Infolge der geschilderten Entwicklung lassen in weit größerem Umfange als früher Eltern ihren Kindern eine über das 18. Lebensjahr hinausreichende Schul- oder Berufsausbildung angedeihen und entsprechen hiermit einer familienrechtlichen Pflicht, da nach § 1610 Abs. 2 BGB der Unterhalt einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Beruf umfaßt. Die verlängerte Waisenrente bedeutet somit nur eine Anpassung der bei Ausfall der familiären Unterhaltsleistung ersatzweise eintretenden Leistung der Sozialversicherung, mit der der Gesetzgeber dem Wandel der Verhältnisse Rechnung getragen hat.

4.

Weiter wird zugunsten der Heiratsklauseln geltend gemacht, das Kind scheide mit seiner Heirat aus der engeren Familiengemeinschaft mit den Eltern aus und begründe eine eigene selbständige Familie, die für ihre wirtschaftliche Existenz nicht mehr auf die frühere Familiengemeinschaft und deren Fortwirkung in Gestalt der Waisenrente zurückgreifen dürfe (vgl. u. a. Schwankhart, Die Sozialversicherung 1961, S. 181 [183]; s. a. BVerwGE 25, 123 [126]). Dem läßt sich entgegenhalten, daß die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern durch eine Heirat des Kindes weit weniger berührt werden als durch den Eintritt der Volljährigkeit. Obwohl das letztere Ereignis das Kind aus der elterlichen Gewalt löst und rechtlich selbständig macht, darüber hinaus auch in allen Fällen den Umfang der Unterhaltspflicht der Eltern einschränkt (vgl. § 1603 Abs. 1 und 2 BGB), ist die Volljährigkeit für die Gewährung der verlängerten Waisenrente ohne Bedeutung. Dennoch mag die Heirat des Kindes vielfach einen wesentlichen Einschnitt in seinem Verhältnis zu den Eltern bilden; sie ist in der Regel ein wichtiger oder sogar entscheidender Schritt in Richtung auf die faktische, persönliche Selbständigkeit des Kindes und führt insoweit zu einer Lockerung oder jedenfalls zu einer Veränderung der Bindung an die Eltern; vor allem bewirkt sie gewöhnlich, daß das Kind aus der häuslichen Gemeinschaft mit den Eltern ausscheidet. Heiratet ein Kind vor Abschluß seiner Berufsausbildung, so zwingen freilich die wirtschaftlichen Verhältnisse die jungen Eheleute nicht selten, zunächst noch bei den Eltern oder Schwiegereltern zu wohnen; wie die Studentenehen zeigen, wird aber auch unter solchen Umständen oft ein eigener Hausstand gegründet.

Auch wenn man diese allgemeinen Folgen einer Eheschließung berücksichtigt, vermögen sie die Versagung der Waisenrente nicht zu rechtfertigen; denn die Waisenrente hat keinen Bezug zu der häuslichen Gemeinschaft und den inneren Bindungen zwischen Eltern und Kindern. Ihre Funktion kann allein darin bestehen, den durch den Wegfall der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versicherten entstandenen wirtschaftlichen Bedarf auszugleichen (vgl. BVerfGE 17, 1 [11]). Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die Heirat in wirtschaftlicher Beziehung eine wesentliche Änderung im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bewirkt, die bei der Gewährung des Rentenanspruchs ins Gewicht fallen könnte.

5.

Einen solchen auch nach ihrer Auffassung maßgebenden wirtschaftlichen Ansatzpunkt für die Heiratsklauseln sieht die Bundesregierung übereinstimmend mit den erwähnten höchstrichterlichen Entscheidungen (vgl. oben A IV 2 = S. 341 f.) darin, daß mit der Heirat die Unterhaltspflicht der Eltern auf den Ehegatten der Waise übergehe. In der Tat begründet nach bürgerlichem Recht die Eheschließung einen Unterhaltsanspruch jedes Ehegatten gegen den anderen, und diese Unterhaltspflicht geht der Unterhaltspflicht der Eltern sowie aller anderen Verwandten im Range vor (§§ 1360 Satz 1, 1608 Satz 1 BGB). Dabei mag außer Betracht bleiben, daß durch die Heirat die Waise auch ihrerseits dem Ehegatten unterhaltspflichtig wird, so daß dem möglichen wirtschaftlichen Zuwachs durch den Erwerb eines neuen Unterhaltsanspruches die mögliche Belastung mit der eigenen Unterhaltspflicht gegenübersteht. Denn im Hinblick auf den Unterhaltsersatzcharakter der Waisenrente kommt es zunächst auf die im bürgerlichen Recht vorgesehene Entlastung der Eltern an: Der neue "Unterhaltsverband" soll danach grundsätzlich die wirtschaftliche Funktion des bisherigen Unterhaltsverbandes zwischen Eltern und Kindern übernehmen.

Freilich bestehen Zweifel, ob die Unterhaltspflicht des Ehegatten sich auch auf die Kosten einer Schul- oder Berufsausbildung des Partners erstreckt oder ob es Sache der Elternfamilie ist, eine im Zeitpunkt der Heirat bereits begonnene Ausbildung weiter zu finanzieren, insbesondere wieweit die Ehefrau im Hinblick auf § 1360 Satz 2 BGB zu einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, um dem Ehemann eine Berufsausbildung zu ermöglichen (vgl. dazu Hildegard Krüger, a.a.O., S. 399; Erna Scheffler, a.a.O., S. 135; Motsch, a.a.O., S. 403 mit weiteren Nachweisen; Knorn, FamRZ 1966, S. 603 f.; Blanke, FamRZ 1969, S. 394 [398 f.]). Diese Fragen bedürfen jedoch keiner weiteren Erörterung. Denn selbst wenn eine solche Unterhaltspflicht des Ehegatten uneingeschränkt zu bejahen wäre, bewirkt die Eheschließung des Kindes, anders als etwa die Wiederheirat des geschiedenen unterhaltsberechtigten Ehegatten (vgl. § 67 EheG), nicht den völligen und endgültigen Wegfall der bisherigen unterhaltsrechtlichen Beziehung. Vielmehr muß der bisherige Unterhaltsverband weiter eintreten, wenn der Ehegatte außerstande ist, Unterhalt zu gewähren. Dies ist nach dem Wortlaut des § 1608 Satz 2 BGB und der herrschenden Meinung hierzu schon dann der Fall, wenn und soweit der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstiger Verpflichtungen und seines eigenen angemessenen Unterhalts nicht leistungsfähig ist (vgl. Gotthardt in Staudinger, Kommentar zum BGB, 10./11. Aufl., 1966, § 1608 Rdnr. 5; Georg Scheffler, RGR Kommentar zum BGB. 10./11. Aufl., 1964, § 1608 Anm. 1). Vereinzelt wird demgegenüber die Ansicht vertreten, die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Ehegatten seien weiter zu ziehen und nach § 1360 BGB zu bestimmen (vgl. Bartholomeyczik und Wagner in Erman, Handkommentar zum BGB, 4. Aufl., § 1360 a Anm. 9 b, § 1608 Anm. 1). Unbestritten ist jedoch, daß bei - wie auch immer zu bestimmender - Leistungsunfähigkeit des Ehegatten dessen Unterhaltspflicht von vornherein nicht entsteht, da im Unterhaltsrecht der ehelichen Familie die Leistungsfähigkeit Voraussetzung des Unterhaltsanspruches ist (vgl. Gotthardt, a.a.O., Rdnr. 10; Wagner, a.a.O., § 1607 Anm. 2). In diesem Fall müssen also die Eltern ohne Rücksicht auf die Heirat wie bisher für den Unterhalt des verheirateten Kindes einschließlich der Ausbildungskosten aufkommen. Ihre Leistung kann sich allenfalls im Umfang mindern, weil sich die Unterhaltspflicht gegenüber verheirateten minderjährigen Kindern auf die volljährigen Kindern geschuldete Unterhaltsleistung beschränkt (vgl. § 1603 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB); andererseits können sie das verheiratete Kind grundsätzlich nicht mehr auf Unterhaltsgewährung in Natur verweisen (vgl. § 1612 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB).

Im Ergebnis ist es also nach der bürgerlich-rechtlichen Gestaltung zwar möglich, daß mit der Heirat eines in der Berufsausbildung stehenden Kindes die Unterhaltspflicht des Ehegatten an die Stelle der Unterhaltspflicht der Eltern tritt, jedoch kann diese Folge aus Gründen, die in der Unterhaltsregelung selbst vorgesehen sind, auch ausbleiben. Das letztere wird namentlich der Fall sein, wenn der Ehegatte selbst im Zeitpunkt der Heirat eine Berufsausbildung begonnen, aber noch nicht beendet hat oder wenn die Ehe wegen der bevorstehenden Geburt eines Kindes geschlossen wird und die Ehefrau durch die Schwangerschaft oder die spätere Betreuung des Kindes an einer Erwerbstätigkeit verhindert ist.

Die Befürworter der Heiratsklauseln meinen, diese verschiedene rechtliche und tatsächliche Auswirkung der unterhaltsrechtlichen Regelung müsse außer Betracht bleiben. Zu Unrecht berufen sie sich hierfür auf die Eigenständigkeit der sozialversicherungsrechtlichen Hinterbliebenenversorgung gegenüber dem bürgerlichen Unterhaltsrecht. Bestünde nämlich keinerlei Beziehung zwischen den beiden Regelungen, so wäre nicht einzusehen, warum die - abstrakte oder mögliche - Entstehung eines familienrechtlichen Unterhaltsanspruches gegen den Ehegatten überhaupt zum Wegfall der Rente führen sollte. Umgekehrt geht es aber auch fehl, wenn schon aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung die Verpflichtung des Gesetzgebers hergeleitet wird, § 1608 Satz 2 BGB bei der Rentengestaltung in der Sozialversicherung zu berücksichtigen (so Hildegard Krüger, Die Sozialgerichtsbarkeit 1964, S. 345 ff.). Denn die Regelung der Hinterbliebenenrenten unterscheidet sich in mehreren Punkten wesentlich von der Unterhaltsregelung nach dem BGB, sei es in der Abgrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten, sei es in der Bestimmung der Leistungsdauer oder in der mangelnden Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit. Dies folgt zum Teil aus dem versicherungsrechtlichen Strukturelement, zum Teil aus der wirtschaftlichen und sozialen Zweckrichtung, zum Teil aus der Notwendigkeit der Typisierung.

Die erwähnten Unterschiede ändern jedoch nichts an dem sich aus dem Unterhaltsersatzcharakter der Hinterbliebenenrenten ergebenden Zusammenhang mit dem Familienrecht. Die Regelung der Waisenrente geht nach Inhalt und Zweck ersichtlich von der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber den Kindern aus; dies wird auch in der Rechtsprechung zu gleichen und gleichartigen Leistungen anerkannt (vgl. BSGE 12, 27 [29 f.]; 25, 205 [206 f., 209]; BGH FamRZ 1966, S. 448 [449]). Wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 1 [10 f., 23 f.]) näher dargelegt hat, sollen hierbei die Ersatzleistungen dem Bedarf entsprechen, der durch Wegfall der Unterhaltsleistungen des Verstorbenen typischerweise entsteht. Eine solche typisierende Betrachtungsweise liegt bereits der Unterscheidung zwischen der allgemeinen und der verlängerten Waisenrente zugrunde. Sowohl § 44 AVG wie § 1267 RVO gewähren bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne weiteres jeder Waise einen Anspruch auf Waisenrente, weil davon auszugehen ist, daß Waisen dieses Alters sich bis auf wenige Ausnahmen noch in der Schul- oder Berufsausbildung befinden und daher ihren Unterhalt nicht selbst bestreiten können. Über diese Altersgrenze hinaus wird Waisenrente nur noch gewährt, wenn nachgewiesen wird, daß die Waise sich noch in der Ausbildung befindet, das freiwillige soziale Jahr leistet oder gebrechlich ist, d. h. wiederum in Fällen, in denen normalerweise anzunehmen ist, daß sich die Waise nicht selbst unterhalten kann. Der Umstand, daß die Gewährung der Waisenrente darüber hinaus keine Prüfung der tatsächlichen Bedürftigkeit der Waise im Einzelfall verlangt, beruht daher auf einer durch den Charakter der Sozialversicherung als einer Massenverwaltung gebotenen Typisierung. Soweit danach die Rente, abweichend von ihrem Zweck, auch Waisen gewährt wird, die wegen anderweitigen Einkommens oder Vermögens nicht unterhaltsbedürftig sind, handelt es sich um eine Begünstigung in Ausnahmefällen, welche die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Typisierung nicht in Frage stellen kann (vgl. BVerfGE 17, 1 [23 f.]). Die gleichen Erwägungen könnten an sich auch für eine mangelnde Berücksichtigung der tatsächlichen oder zu vermutenden Leistungsfähigkeit des verstorbenen Versicherten gelten. Jedoch ergibt sich schon aus dem Versicherungsgedanken, daß es nicht darauf ankommen kann, ob der Versicherte, wenn er noch lebte, zur Unterhaltsleistung imstande wäre. Zudem besteht zwischen der Waisenrente und dem tatsächlichen Einkommen des verstorbenen Versicherten sogar eine klare Beziehung, insofern die nach der Höhe des Einkommens bemessenen Beiträge ihrerseits die Höhe der Rente maßgebend mitbestimmen.

6.

Die Funktion der Waisenrente als Ersatz der elterlichen Unterhaltsleistung kann es rechtfertigen, den grundsätzlichen Übergang der Unterhaltspflicht von den Eltern auf den Ehegatten zum Anlaß einer Versagung des Rentenanspruchs zu nehmen, gebietet aber, dann auch diejenigen Fälle zu berücksichtigen, in denen trotz der Heirat der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern bestehenbleibt. Die Verteidiger der Heiratsklauseln meinen demgegenüber, der Gesetzgeber habe die Fälle des § 1608 Satz 2 BGB vernachlässigen dürfen, weil er zu Recht davon habe ausgehen können, daß ein heiratendes Kind im Regelfall den Unterhaltsanspruch gegen die Eltern verliere, so daß auch für die heiratende Waise typischerweise der Bedarf nach Unterhaltsersatz entfalle. Eine solche Betrachtungsweise führt jedoch im Gegensatz zu den erwähnten begünstigenden Typisierungen zu einer benachteiligenden Typisierung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG im Sozialrecht nur begrenzt zulässig ist (vgl. BVerfGE 17, 1 [23 f.]; s. a. BVerfGE 17, 210 [221]; 19, 101 [116]). Für die Prüfung an Art. 6 Abs. 1 GG gelten eher noch strengere, mindestens aber die gleichen Anforderungen. Das dieser Verfassungsvorschrift zu entnehmende strikte Verbot einer Differenzierung der Leistungen allein nach dem Familienstand gestattet eine Einschränkung unter dem Blickpunkt der Typisierung allenfalls, wenn es sich um ausgesprochene Ausnahmefälle handelt.

Hiernach lassen sich die zur Prüfung stehenden Regelungen verfassungsrechtlich nicht halten. Maßgebend ist dabei allein die Gruppe, die im übrigen die Voraussetzungen für die verlängerte Waisenrente erfüllt, d. h. Waisen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren (u. U. 27 Jahren), die studieren oder sich sonst noch in der Ausbildung befinden. Bezogen auf diesen Kreis der Anspruchsberechtigten bilden Waisen, die heiraten, ohne einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehegatten zu erlangen, jedenfalls keine Ausnahme, die nach den vorstehenden Ausführungen vernachlässig werden dürfte.

Der Bundesrat hat bereits im Jahre 1960 anläßlich der Beratung einer Änderung des § 27 BVG erklärt, die generelle Annahme, daß mit der Eheschließung dem Kinde oder der Waise ausreichende Mittel aus der Haushaltsgemeinschaft zur Verfügung stünden, sei unter den gegebenen Umständen nicht mehr gerechtfertigt, wie die praktischen Erfahrungen (Studentenehe) gezeigt hätten (BRDrucks. 53/60 S. 32 f., Nr. 61 zu § 132 Nr. 6 b des Regierungsentwurfs zum Bundessozialhilfegesetz). Auch das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung zu § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG eingeräumt, das Fehlen eines Unterhaltsanspruches gegen den Ehegatten sei bei der nicht geringen Zahl der Frühehen und bei den steigenden Anforderungen an eine qualifizierte Ausbildung und der damit zusammenhängenden längeren Dauer nicht selten (vgl. BSGE 25, 205 [209]). Noch dezidierter in dieser Richtung spricht sich die Begründung des erwähnten Initiativgesetzentwurfes aus (oben A V = S. 342 ff.). In jüngster Zeit hat der von der Bundesregierung am 20. April 1970 den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegte Sozialbericht 1970 zu den Heiratsklauseln generell erklärt, sie würden den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die verheirateten Kinder über 18 Jahre - im Unterschied zu den unverheirateten - typischerweise in der Lage seien, Ausbildung und Unterhalt aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe des Ehegatten selbst zu bestreiten (vgl. BTDrucks. VI/643 Nr. 69 S. 27, s. a. die Antwort des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit vom 17. Dezember 1969 auf die Kleine Anfrage der SPD- und FDP-Fraktionen des Bundestages - BTDrucks. VI/197 -).

Die oben genannten Schriftsteller (A IV 3 = S. 342) halten es überwiegend schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung für offensichtlich, daß die den Heiratsklauseln zugrunde liegende Typisierung den heutigen sozialen Verhältnissen nicht mehr entspreche und daß hierdurch, besonders bei Berücksichtigung der Studentenehe, nicht nur Einzelne, sondern eine breite Schicht der Bevölkerung betroffen würden (vgl. Erna Scheffler, a.a.O., S. 137, 138; Motsch, FamRZ 1966, S. 404; Hildegard Krüger, Die Sozialgerichtsbarkeit 1964, S. 345; Maaßen, a.a.O., S. 112; s. a. Thieme in "Ehe und Familie im Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht", Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes, Bd. II, 1967, S. 44). Zum Teil stützen sie sich hierfür auch auf statistische Angaben. Das vorhandene statistische Material ist allerdings unzulänglich, da eine gezielte statistische Erhebung zu den hier wesentlichen Fragen bisher fehlt. Die bekannten Zahlen beruhen nicht auf einer vollständigen Erfassung der gesamten Gruppe der noch in der Berufsausbildung stehenden Personen in den entsprechenden Altersgrenzen; ferner sind die Fälle, in denen der Entzug der Waisenrente oder einer anderen sozialen Leistung den Anlaß dafür bildete, daß eine begonnene Ausbildung abgebrochen wurde oder die Eltern die bisherige Unterstützung einstellten, nicht berücksichtigt. Schließlich fehlen Ermittlungen darüber, in wieviel Fällen eine beabsichtigte Eheschließung unterblieben ist, um den Wegfall einer Sozialleistung infolge der Heirat zu vermeiden. Jedoch läßt sich bereits aus dem Zahlenmaterial über Studenten und Studentenehen, d. h. Heiraten zwischen Studierenden, entnehmen, daß die Heirat eines noch in der Ausbildung Stehenden mit einem Partner, der mangels einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder aus anderen Gründen zur Unterhaltsgewährung außerstande ist, mindestens keinen seltenen Ausnahmefall mehr darstellt (vgl. Kath-Oehler, Die verheirateten Studierenden an den Hochschulen in der Bundesrepublik und Westberlin im Sommersemester 1963; Statistisches Bundesamt, Große Hochschulstatistik, Wintersemester 1966/67; Untersuchung des Deutschen Studentenwerks über die soziale Lage der Studierenden im Wintersemester 1967/68; s. a. Familienbericht der Bundesregierung, BTDrucks. V/2532 S. 29 ff.; ferner VG Gelsenkirchen FamRZ 1967, S. 575 [576 f]). Hierbei wirken das sinkende Heiratsalter mit der Verlängerung der Ausbildungsdauer und der Zunahme derjenigen, die sich für Berufe mit längerer Ausbildung entscheiden, zusammen.

7.

Die Heiratsklauseln lassen sich auch nicht mit der Erwägung halten, ihren Nachteilen stünden die Vorteile gegenüber, die im Sozialversicherungsrecht durch eine Heirat in Form von Rechtsansprüchen der Waise oder des Ehegatten erwüchsen, z. B. der Anspruch des Ehegatten der Waise auf Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung, der Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 RVO oder der Anspruch der Waise auf Hinterbliebenenrente nach dem Tode ihres Ehegatten, falls dieser sozialversichert war (so BSGE 25, 205 [210]). Gesetzliche Vorschriften, die nach ihrer Struktur und tatsächlichen Wirkung einen bestimmten Kreis von Ehen benachteiligen, können nicht deswegen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen werden, weil andere Vorschriften desselben Gesetzes oder aus dem gleichen Rechtsgebiet einen anderen Kreis von Ehen begünstigen (BVerfGE 18, 97 [108]). Die genannten Vergünstigungen knüpfen an ganz andere in der besonderen Lage der einzelnen Familie liegende Voraussetzungen an und können nur zufällig denselben Personen zugute kommen, die durch die Heiratsklauseln benachteiligt werden (vgl. BVerfGE 12, 151 [167 f.]).

Erst recht kommt es nicht darauf an, daß zur Förderung der Ausbildung eine Reihe anderer sozialer Leistungen zur Verfügung steht. Abgesehen davon, daß diese Leistungen sich nach Voraussetzung, Art und Umfang von der Waisenrente unterscheiden - z. B. wird die Hilfe nach dem Honnefer Modell teilweise nur als Darlehen gewährt -, handelt es sich nicht um Leistungen, die speziell für Verheiratete vorgesehen sind und insoweit den Verlust der Waisenrente infolge der Heiratsklauseln kompensieren könnten.

8.

Es trifft auch nicht zu, daß die Heiratsklauseln geboten wären, um eine Zweckentfremdung der Waisenrente zu verhindern, weil diese anderenfalls dazu benutzt würde, ausbleibende Leistungen eines unterhaltspflichtigen Ehegatten zu ersetzen oder diesen von seiner Unterhaltsschuld ganz oder teilweise zu befreien (so BSGE 12, 27 [30]). Ist der Ehegatte gemäß § 1360 i. V. m. § 1608 Satz 1 BGB zur Unterhaltsleistung außerstande, so ist er, wie dargelegt, von vornherein nicht unterhaltspflichtig; die Unterhaltspflicht obliegt allein den Eltern. Die unter diesen Voraussetzungen weitergezahlte Rente behält also in vollem Umfang den Charakter des Unterhaltsersatzes für die vom verstorbenen Elternteil, wenn er noch lebte, kraft eigener Verpflichtung zu erbringende Leistung. Es ist auch schlechterdings nicht verständlich, warum die Fortzahlung der Waisenrente an eine Waise, die mangels eines Unterhaltsanspruches gegen den mittellosen Ehegatten weiterhin unterhaltsbedürftig ist, mit dem Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein sollte.

9.

Schließlich wird zur Verteidigung der Heiratsklauseln geltend gemacht, daß nach den allgemeinen sittlichen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen das auch für die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 GG maßgebende Leitbild der Ehe die wirtschaftliche Selbständigkeit der neuen Familiengemeinschaft voraussetze. Jedenfalls könne die Waise aus Art. 6 Abs. 1 GG kein Recht auf Förderung einer Frühehe ohne eine gemeinsame Existenzgrundlage der Ehegatten herleiten. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß es sich bei den zu prüfenden Regelungen nicht darum handelt, Ehen ohne selbständige wirtschaftliche Grundlage durch zusätzliche staatliche Leistungen oder auf andere Weise zu fördern, sondern darum, ob eine allgemein im Hinblick auf die Berufsausbildung gewährte Sozialleistung wegen der Heirat des Berechtigten entzogen werden darf. Ferner ist nach den statistischen Erhebungen das durchschnittliche Heiratsalter seit dem zweiten Weltkrieg ständig gesunken. Es betrug bei Männern im Jahre 1947: 28,4; 1957: 26,6 und 1965: 26,0 Jahre, bei den Frauen entsprechend 25,1; 24,1 und 23,7 Jahre (vgl. Familienbericht der Bundesregierung, BTDrucks. V/2532 S. 24). Die Vorverlegung des durchschnittlichen Heiratsalters ist zudem verbunden mit einer überproportionalen Zunahme der Frühehen. So nahm die Heiratshäufigkeit minderjähriger Männer von 1957 bis 1965 um 35 v. H. zu, die der minderjährigen Frauen von 1954 bis 1965 um 80 v. H. (Familienbericht, a.a.O., S. 26).

Gewiß mag es grundsätzlich erstrebenswert sein, daß Ehen erst geschlossen werden, wenn durch Abschluß der Ausbildung wenigstens eines der Ehegatten oder auf andere Weise die Grundlagen einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz gesichert sind. Der Verwirklichung einer solchen Bestrebung steht jedoch einerseits die Verlängerung der Ausbildungszeiten, andererseits die sich aus der erwähnten Statistik ergebende Tendenz zur Eheschließung in jüngerem Lebensalter entgegen, zu deren Gunsten sich ebenfalls eine Reihe familienpolitischer und anderer Gründe anführen lassen. Es bedarf jedoch für die hier zu treffende Entscheidung keiner Erörterung, welche Auffassung den Vorzug verdient und ob und in welchen Grenzen Art. 6 Abs. 1 GG es zuläßt, auf die Bereitschaft zur Eheschließung einzuwirken und dabei Vorstellungen der eingangs erwähnten Art zugrunde zu legen. Denn ein solches gesellschaftliches Leitbild der Ehe könnte die Differenzierung bei der Gewährung der verlängerten Waisenrente schon deswegen nicht rechtfertigen, weil es mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist, wenn die von der Verfassung vorausgesetzte und zur Verwirklichung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG gebotene allgemeine familienrechtliche Regelung Eheschließungen nach Erreichung bestimmter Altersgrenzen ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten gestattet, das Sozialrecht aber solche Eheschließungen mißbilligt und mit dem Entzug sozialer Leistungen "bestraft".

III.

1.

Die Differenzierung zwischen verheirateten und unverheirateten Waisen in den zur Prüfung stehenden Regelungen verstößt somit gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Danach kann dahingestellt bleiben, ob ein Verfassungsverstoß auch unter anderen Gesichtspunkten in Betracht kommen könnte.

2.

Eine Nichtigerklärung der Heiratsklauseln in vollem Umfange scheidet aus, weil sie zur Folge hätte, daß die Waisenrente allen verheirateten Waisen ohne Unterschied gewährt werden müßte. Nach den vorstehenden Ausführungen beruht die Verfassungswidrigkeit jedoch nur auf dem absoluten Ausschluß der verheirateten Waisen vom Bezug der verlängerten Waisenrente. Dagegen wäre es nach dem Sinn und Zweck der Rentenvorschriften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber unter Verzicht auf eine typisierende Regelung die Versagung oder Weiterzahlung der Waisenrente nach der Heirat davon abhängig machte, ob im Einzelfall ein Unterhaltsanspruch der Waise gegen den Ehegatten besteht oder nicht.

Daher könnte nur eine Teilnichtigerklärung in dem vom Sozialgericht Hamburg im Vorlagebeschluß unter a) bezeichneten Umfang in Betracht kommen. Das Sozialgericht meint, aus der Fassung der zur Prüfung gestellten Vorschrift und ihrer Entstehungsgeschichte sei mit Sicherheit zu entnehmen, daß der Gesetzgeber bei Kenntnis der Verfassungswidrigkeit den verheirateten Waisen jedenfalls im Falle mangelnder Leistungsfähigkeit des Ehegatten einen Anspruch auf die verlängerte Waisenrente zuerkannt hätte. Auch eine solche beschränkte Nichtigerklärung wäre jedoch ein zu weitgehender Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, weil mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes bestehen (vgl. BVerfGE 22, 349 [360 f.]; 23, 74 [78]).

Zwar kann die Möglichkeit eines völligen Verzichts auf die verlängerte Waisenrente außer Betracht bleiben; jedoch läßt sich im Hinblick auf die wechselvolle Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet und die zu berücksichtigende finanzielle Belastung nicht gänzlich ausschließen, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Wegfall der absoluten Heiratsklausel die Voraussetzungen der verlängerten Waisenrente, besonders die Bezugsdauer, anders abgrenzt; ebenso könnte er die ganze Regelung auch durch eine grundlegende Neuordnung der Berufsausbildungsförderung ersetzen. Ferner läßt sich auch eine nach der Leistungsfähigkeit des Ehegatten differenzierende Heiratsklausel nach Form und Inhalt in verschiedener Weise regeln. Vor allem aber verdient der Hinweis der Bundesregierung auf die mit einer Prüfung im Einzelfall verbundenen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten Beachtung. Gewiß gibt es bei vergleichbaren Leistungen in anderen Gesetzen seit Jahrzehnten Vorschriften, die für Massenfälle bestimmt sind und dennoch eine individuelle Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten verlangen. Es muß aber dem Gesetzgeber überlassen bleiben zu entscheiden, ob es möglich und zweckmäßig ist, eine solche Prüfung auch bei der verlängerten Waisenrente einzuführen, oder ob es statt dessen vertretbar und sinnvoller ist, die Heiratsklauseln ganz zu beseitigen und die verlängerte Waisenrente ebenso wie die allgemeine Waisenrente allen verheirateten Waisen zu gewähren. Daher war die Entscheidung auf die Feststellung des Verfassungsverstoßes zu beschränken. Die vorlegenden Gerichte müssen demgemäß die Ausgangsverfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber die verfassungswidrige Vorschrift durch eine mit der Verfassung vereinbare Regelung ersetzt hat.

3.

Im Verfahren des Sozialgerichts Lüneburg kommt es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO sowohl in der - früheren - Fassung des Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) wie in der - geltenden - Fassung des § 6 Nr. 6 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (BGBl. I S. 640) an. Daher war die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift in dem bezeichneten Umfang für beide Fassungen festzustellen.

Im Verfahren des Sozialgerichts Hamburg hängt die Entscheidung nur von der Gültigkeit des § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG in der - früheren - Fassung des Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 88) ab. Da die Vorschrift in der - geltenden - Fassung des § 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (BGBl. I S. 640) jedoch die Heiratsklausel unverändert enthält und insoweit wörtlich mit § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO in der geltenden Fassung übereinstimmt, erschien es in entsprechender Anwendung der §§ 82 Abs. 1, 78 Satz 2 BVerfGG geboten, auch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG in dem bezeichneten Umfang auf beide Fassungen der Vorschrift zu erstrecken.

Dr. Müller, Dr. Stein, Ritterspach, Dr. Haager, Rupp-v. Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Brox (Dr. Zeidler ist nach der Beschlußfassung ausgeschieden. Dr. Müller)